Das Musiktheater mit seinen verschiedenen Gattungen – Oper, Tanz, Musical, Operette – steht in Deutschland unter den Theaterformen in der Publikumsgunst klar an erster Stelle: Rund 7,2 Millionen Besuche wurden in den Musiktheateraufführungen der Spielzeit 2016/17 gezählt, davon rund 3,8 Millionen in der Oper, 1,6 Millionen im Tanz, 1,4 Millionen im Musical und 400.000 in der Operette. Dem gegenüber belief sich die Zuschauerzahl im Schauspiel in derselben Spielzeit auf rund 5,2 Millionen Besuche. [1] Entsprechend dicht ist die Infrastruktur, von der diese Bühnentradition getragen wird: Den 83 öffentlich finanzierten, voll professionellen Opernhäusern (bzw. Opernsparten innerhalb von Mehrspartentheatern) stehen zahlreiche freie Opern-, Tanz- und Musicalkompanien, professionelle Privattheater (insbesondere im Musicalbereich) sowie nationale und internationale Festivals zur Seite, die eine große Vielfalt an Produktionen ermöglichen. Die Verteilung auf die einzelnen musikalischen Bühnengattungen ergibt das, was man den „Musiktheatermarkt“ nennen könnte. Etwa die Hälfte aller Aufführungen entfallen auf die Oper, jeweils rund 20 Prozent auf das Musical sowie Ballett und Tanztheater und knapp acht Prozent auf die Operette (vgl. Abbildung 4).
Die Bedeutung der deutschen Musiktheaterlandschaft, die gemeinsam mit der Orchesterlandschaft zur Aufnahme in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit vorgeschlagen wurde, [2] offenbart sich im internationalen Vergleich. So fanden nach Angaben der Plattform Operabase in der Spielzeit 2017/18 rund 7.000 Opern- und Operettenaufführungen in Deutschland statt – mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist die Anzahl der Musiktheateraufführungen im deutschsprachigen Raum besonders hoch, wobei Deutschland hier von Österreich und der Schweiz sogar noch übertroffen wird. Relativ viele Aufführungen gibt es daneben auch in Mittel- und Osteuropa sowie in Skandinavien. Russland hingegen, das mit großem Abstand zu Deutschland die zweitmeisten Aufführungen weltweit bietet, liegt bezogen auf die Einwohnerzahl auf Rang 24. [3]
Das deutsche Theatersystem
Das deutsche Theatersystem unterteilt sich in öffentlich finanzierte Theater einerseits und Privattheater andererseits. Erstere wiederum gliedern sich in Staatstheater, Stadttheater und Landestheater (vgl. Abbildung 1). Als Staatstheater werden jene besonders repräsentativen Bühnen bezeichnet, die sich in der Regel in alleiniger Rechtsträgerschaft eines Bundeslands befinden und zu mindestens 50 Prozent aus dem Landeshaushalt finanziert werden. Die meisten Staatstheater gehen auf ehemalige Hof- und Residenztheater zurück und verfügen insofern gewöhnlich über eine bedeutende Tradition sowie Spielstätten von überdurchschnittlicher Zuschauerkapazität und Bühnengröße. Nach dem Ende des Kaiserreichs und der Fürstenherrschaft in den deutschen Einzelstaaten (1918) wurden die meisten ehemaligen Hoftheater in Staatstheater überführt. Hierbei übernahmen die Länder als Rechtsnachfolger der ehemaligen Monarchien die Trägerschaft. Staatstheater gibt es in den meisten Bundesländern; Ausnahmen sind Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Aufgrund historischer Traditionen (ehemalige Residenzen) oder kulturpolitischer Entscheidungen befinden sich heute zahlreiche Staatstheater nicht in den Landeshauptstädten; neben Düsseldorf, Magdeburg und Kiel verfügen auch Potsdam und Erfurt über kein Staatstheater.
Insgesamt bestehen derzeit 25 Staatstheater mit Musiktheaterbetrieb in Berlin (Deutsche Oper, Komische Oper, Staatsoper Unter den Linden und Friedrichstadt-Palast), Braunschweig, Bremen, Cottbus, Darmstadt, Dresden, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Mainz, Meiningen, München (Bayerische Staatsoper und Gärtnerplatztheater), Nürnberg, Oldenburg, Saarbrücken, Schwerin, Stuttgart, Weimar und Wiesbaden; zum 1. September 2018 ist außerdem das Theater Augsburg in ein Staatstheater umgewandelt worden. Pläne für ein weiteres Staatstheater mit Opernbetrieb („Staatstheater Nordost“) sind mit einer geplanten Fusion bzw. Kooperation zwischen dem Theater Vorpommern mit seinen Standorten in Stralsund, Greifswald und Putbus und dem Theater Neubrandenburg/Neustrelitz lange Zeit in Mecklenburg-Vorpommern verhandelt worden; das Vorhaben wurde inzwischen aufgegeben.
Die typische Theaterform in Deutschland ist das kommunal verwaltete Stadttheater. Derzeit existieren in Deutschland 50 Stadt- bzw. Städtebundtheater (d. h. öffentliche Theater in Mehrträgerschaft, die von zwei oder mehreren Städten gemeinsam betrieben werden) mit eigenem Opernbetrieb. Die meisten Stadttheater sind sogenannte Dreispartenhäuser, d. h. sie vereinen Musiktheater, Sprechtheater und Tanz unter einem Dach. Sie entstanden überwiegend im 19. Jahrhundert durch private Initiative und wurden zunächst meist auch als Privattheater betrieben. Zu den ältesten Bühnen in städtischer Regie zählen das Nationaltheater Mannheim (1838) und das Stadttheater Freiburg (1868). Noch kurz vor Ende des Kaiserreichs (1917) standen 16 Stadttheatern in kommunaler Verwaltung mehr als 360 Privattheater gegenüber. Bald wurden aber, vor allem während der Zeit der Weimarer Republik, zahlreiche vormals private Bühnen von den Stadtverwaltungen übernommen, als sich das Stadttheater in den meisten deutschen Großstädten zum Zentrum der kulturellen Repräsentation entwickelte. Die Ausgaben für das Stadttheater wurden so zum größten Einzelposten im Kulturetat der theatertragenden Städte. Aufgrund der finanziellen Situation vieler Kommunen kam es daher in der jüngeren Vergangenheit zu Fusionen von Theatern benachbarter Städte, insbesondere im Osten Deutschlands.
Neben den Staats- und Stadttheatern spielen die Landestheater für das Musiktheater nur eine untergeordnete Rolle. Hierbei handelt es sich um öffentliche Theaterunternehmen mit festen Ensembles, die innerhalb eines bestimmten Spielgebiets einen erheblichen Anteil ihrer Vorstellungen außerhalb ihres Produktionsorts aufführen. Die meisten Landestheater sind aus ehemaligen Wanderbühnen hervorgegangen. Als Theaterorganisationsform ist die Landesbühne in den 1920er Jahren entstanden. Stammsitz der Landestheater sind überwiegend kleinere und mittlere Städte. Über eine eigene Musiktheatersparte verfügen derzeit lediglich die Landestheater in Coburg, Detmold, Flensburg, Halberstadt, Hildesheim, Hof und Radebeul.
„Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist die Anzahl der Musiktheateraufführungen im deutschsprachigen Raum besonders hoch.“
Finanzierung und Personal
Das Musiktheater ist unter den Theatergattungen die kostenintensivste Sparte. Von den öffentlichen Kulturausgaben entfällt der relativ größte Anteil auf die Finanzierung der Theater und Orchester, [4] und bei diesen wiederum stehen die Aufwendungen für das Musiktheater an erster Stelle. Den Löwenanteil der finanziellen Lasten beanspruchen die Personalkosten, die durchschnittlich mit rund drei Vierteln des Etats zu Buche schlagen. Hiervon entfällt jeweils etwa die Hälfte auf das künstlerische und das nicht-künstlerische Personal (vgl. Abbildung 2). Das Staatstheater Stuttgart, gemessen an seinem Budget und seinem Personal heute das größte deutsche Theaterunternehmen, beschäftigt an seinen drei Sparten (Oper, Ballett, Schauspiel) insgesamt über 1.400 fest angestellte Mitarbeiter*innen. Selbst kleine Opernhäuser haben dreistellige Personalzahlen. Dass Opernproduktionen aus strukturellen Gründen nicht kostendeckend arbeiten können und daher auf Zuwendungen von dritter Seite angewiesen sind, ist eine inzwischen allgemein anerkannte ökonomische Tatsache, deren Ursachen erstmals 1966 von den beiden britischen Wirtschaftswissenschaftlern William J. Baumol und William G. Bowen untersucht wurden. [5] Generell besteht das ökonomische Dilemma der darstellenden Künste darin, dass Produktivitätssteigerungen in ihrem Kernbereich, d. h. der künstlerischen Bühnendarstellung, so gut wie unmöglich sind. Während in den letzten beiden Jahrhunderten infolge der industriellen Revolution in den progressiven Sektoren der Wirtschaft immense Produktivitätssteigerungen zu verzeichnen waren, die wiederum eine rasante Lohnentwicklung ermöglichten, benötigt man für die Aufführung einer Oper des Standardrepertoires auch heute noch etwa die gleiche Probenzeit, Personalstärke und Anzahl an qualifizierten Arbeitsstunden wie zum Zeitpunkt ihrer Uraufführung vor 150 oder 200 Jahren. Hieraus ergab sich am Theater zwangsläufig ein ständig wachsender Zuschussbedarf, der auch durch eine Erhöhung der Eintrittspreise bei Weitem nicht mehr ausgeglichen werden kann. Daher wurde zuletzt nach Angaben des Deutschen Bühnenvereins jede Eintrittskarte der öffentlichen Theater mit durchschnittlich rund 133 Euro subventioniert.
Diese ökonomischen Bedingungen sind ausschlaggebend dafür, dass allein durch Sparmaßnahmen und effizientes Management das strukturelle Finanzierungsproblem des Theaters nicht zu lösen ist. Obwohl die meisten deutschen Bühnen in der jüngsten Vergangenheit erhebliche Einsparungen vorgenommen und bestehende Rationalisierungsspielräume konsequent genutzt haben, konnten die Einspielergebnisse (d. h. die durch Eigeneinnahmen gedeckten prozentualen Anteile an den Gesamtausgaben des Theaters) von durchschnittlich rund 18 Prozent im letzten Jahrzehnt nicht weiter gesteigert werden. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass mehr als 80 Prozent der Ausgaben nicht durch Eigeneinnahmen gedeckt sind und durch Zuweisungen und Zuschüsse aus öffentlichen Kassen (zuletzt 41,7 Prozent durch die Kommunen, 38,5 Prozent durch die Länder und 0,5 Prozent vom Bund) ausgeglichen werden müssen. [6] Musiktheaterbetriebe sind also notwendigerweise Zuschussbetriebe, deren Unterhalt durch die Erfüllung ihres kulturpolitischen Auftrags legitimiert wird. Die Notwendigkeit der Musiktheaterfinanzierung durch die Länder und Kommunen ergibt sich neben der Wahrung des kulturellen Erbes und der Förderung zeitgenössischer Produktionen aus der Tatsache, dass eine Deckung des gesellschaftlichen Bedarfs an Vorstellungen von angemessener Qualität durch nicht öffentlich geförderte Privatbetriebe zu erheblichen Preiserhöhungen und Angebotseinschränkungen führen würde.

Die Zugehörigkeit zu einer der drei öffentlich finanzierten Theaterformen (Staats-, Stadt- oder Landestheater) allein sagt nicht unbedingt viel über die finanzielle oder gar die künstlerische Leistungsfähigkeit eines Hauses aus. So können einige große Stadttheater (z. B. Frankfurt, Köln, Leipzig) hinsichtlich ihres Etats mit führenden Staatstheatern rivalisieren, während umgekehrt kleinere Staatstheater (z. B. Meiningen, Oldenburg) eher im Mittelfeld der deutschen Opernlandschaft rangieren. Der Jahresetat der Musiktheaterbetriebe ist abhängig von der Größe des Hauses, der Anzahl der Produktionen und Vorstellungen sowie der Höhe der Gagen des hierfür eingesetzten Personals. Er schwankt zwischen rund acht bis neun Millionen Euro an kleineren Häusern (z. B. Lüneburg oder Annaberg) und gut 100 Millionen Euro (Bayerische Staatsoper München).
Im Mittelpunkt jeder Opern-, Operetten- oder Musicalaufführung stehen die Sänger* innen; und in keinem zweiten Bühnenberuf gibt es eine vergleichbare Spannweite der Karrieremöglichkeiten. Die größten Sängerensembles unterhalten die Deutsche Oper am Rhein (Düsseldorf/Duisburg) und die Städtischen Bühnen Frankfurt mit knapp 60 bzw. rund 40 (Frankfurt) Mitgliedern. Inzwischen überwiegt in Deutschland die Zahl der Gastengagements diejenige der Ensemblemitglieder bei Weitem: Reduzierten sich die Festengagements für Sänger*innen nach einem gravierenden Rückgang in den 1990er Jahren seit der Jahrtausendwende nochmals von 1.462 auf 1.184, stieg gleichzeitig die Anzahl der Gastspielverträge (einschließlich Tanz und Schauspiel) von 8.557 auf 22.041 (vgl. Abbildung 3). Diese Entwicklung spiegelt die zunehmende Internationalisierung des Opernbetriebs und beeinträchtigt das für das deutsche Theatersystem charakteristische Ensembleprinzip (s. Abschnitt „Produktionsweise“). Die Berufsaussichten für Solosänger*innen im Musiktheater haben sich zudem dadurch verschlechtert, dass die Konkurrenz der öffentlich finanzierten Musiktheater durch höhere Absolventenzahlen und einen oftmals besser ausgebildeten ausländischen Sängernachwuchs zunimmt.
Die künstlerischen Kollektive Orchester, Chor und Ballett, deren Personalbestand sich bedingt vor allem durch Theater- bzw. Orchesterfusionen am Ende des vergangenen Jahrhunderts reduziert hatte, haben sich im vergangenen Jahrzehnt weitgehend stabilisiert. Die Einstufung der Orchester nach der Planstellenzahl in die Vergütungskategorien A/F1 (mehr als 130 Musiker), A (99-129 Musiker), B (66-98), C (56-65) und D (bis 55 Musiker) ist eine wichtige Kenngröße der künstlerischen Leistungsfähigkeit eines Musiktheaterbetriebs. [7] Die meisten Theater verfügen über ein B-Orchester und damit über eine Orchestergröße, die es erlaubt, die Standardwerke des Opernrepertoires ohne Aushilfen zu spielen. An die Einstufung der Orchester ist zudem auch die des Chors gekoppelt, sodass Theater mit einem A-, B-, C- oder D-Orchester jeweils über einen Chor in entsprechender Leistungsfähigkeit verfügen. Besonders stark waren auch die Tanzensembles seit der Jahrtausendwende einem Personalabbau unterworfen, vor allem aufgrund von Spartenschließungen an zahlreichen Theatern.
Gegenüber dem nicht künstlerischen Personal (21.808 Mitarbeiter*innen) ist das künstlerische Personal zahlenmäßig mit 15.779 ständig beschäftigten Bühnenmitgliedern (Spielzeit 2016/17) deutlich in der Unterzahl. Die meisten Beschäftigten der deutschen Theater entfallen auf den technischen Bereich. Insgesamt ist im vergangenen Jahrzehnt ein Zuwachs von mehr als 1.000 Stellen im Bereich des nicht künstlerischen Personals zu verzeichnen – allerdings waren es im Jahr 2000 schon einmal fast so viele wie heute.
Produktionsweise
Typisch für das deutsche Theatersystem sind neben der Vielzahl permanenter Institutionen vor allem das Repertoiresystem und das Ensembleprinzip. Jedoch sind beide Charakteristika im Zuge der Internationalisierung bzw. Globalisierung der Musikmärkte inzwischen starken Erosionen ausgesetzt. Traditionell arbeitet das deutsche Musiktheater mit festen Ensembles, also permanent engagierten Sänger*innen, die über einen langen Zeitraum aufeinander eingespielt sind und gemeinsame künstlerische Auffassungen teilen. Während die großen Opernhäuser viele Gesangspartien mit internationalen Gästen besetzen, rekrutieren die Mehrspartenhäuser ihre Besetzungen in der Regel aus dem eigenen Ensemble. Die Bedeutung der festen Ensembles ist insgesamt gegenüber derjenigen der Gastsolist* innen rückläufig.
Das traditionelle Repertoiresystem zeichnet sich durch einen ganzjährigen Spielbetrieb mit abendlichem Stückwechsel und einer geringen Anzahl von Schließtagen aus. Es setzt ein festes Ensemble voraus, in dessen Reihen nach Möglichkeit alle Rollenfächer vertreten sind. Die Vorzüge des Repertoiresystems liegen vor allem in der Vielseitigkeit des Spielplanangebots und in der künstlerischen Qualität eines kontinuierlich aufeinander eingespielten Ensembles. Neben dem Repertoiresystem haben sich auch das Stagionesystem, das Semistagionesystem und das Serientheater (En-Suite-Theater) etabliert. Außerhalb des deutschen Sprachraums sowie einiger Länder Mittel- und Osteuropas ist das reine Repertoiresystem so gut wie unbekannt.
Das italienische Wort „Stagione“ (wörtlich „Saison“ bzw. „Spielzeit“) bezeichnet ein Theaterbetriebssystem, bei dem innerhalb eines Spielzeitabschnitts kontinuierlich jeweils nur eine einzige Produktion gezeigt wird. Der Begriff meinte ursprünglich eine Saison, die nicht das ganze Jahr, sondern jeweils nur einen Zeitraum von einigen Wochen oder Monaten umfasste, also z. B. Karnevalsstagione, Sommerstagione, Herbststagione u. a. Dieses Prinzip hat sich in den Grundzügen in seinem Ursprungsland Italien ebenso wie in vielen anderen Ländern bis heute erhalten.
Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht werden die Vor- und Nachteile des Repertoiresystems und des Stagionebetriebs seit einiger Zeit kontrovers diskutiert. Grundsätzlich ermöglicht das Repertoiresystem ein wesentlich größeres Stückeangebot und bietet daher auch in kulturpolitischer Hinsicht so bedeutende Vorteile, dass diese nicht durch einseitige Wirtschaftlichkeitserwägungen aufs Spiel gesetzt werden sollten. Gleichwohl ist ein Vergleich der beiden Betriebssysteme unter ökonomischen wie auch unter künstlerischen Vorzeichen geboten. Der tägliche Wechsel der Produktionen im Repertoiresystem ist mit ständigen Umbauten verbunden, die eine große Zahl von Beschäftigten (Bühnentechnik, Beleuchtung u. a.) erfordern. Zudem müssen Bühnenbilder über längere Zeit gelagert und in den Werkstätten instand gehalten werden. Der gleichzeitige Vorstellungs- und Probenbetrieb mehrerer Werke erfordert das Vorhandensein zusätzlicher Probebühnen. Demgegenüber kann im Stagionesystem gewöhnlich konzentrierter geprobt und infolge der kontinuierlichen Vorstellungsserien auch eine höhere Aufführungsqualität erreicht werden. Nachteile des Stagionesystems liegen in der beschränkten Ausschöpfung der Besucherpotenziale sowie in der geringeren Anzahl an Vorstellungen pro Spielzeit. In einem Opernhaus mit Repertoirebetrieb wird dieselbe Produktion von vielen Gästen in größeren Abständen mehrfach angeschaut. Im Stagionebetrieb hingegen ist eine Produktion oft schon wieder abgespielt, ehe sich ihre Qualität überhaupt herumgesprochen hat. Die Gesamtzahl der Vorstellungen eines Stagionebetriebs innerhalb einer Spielzeit liegt in jedem Fall deutlich niedriger als bei einem Repertoirebetrieb, da Schließtage zwischen die einzelnen Aufführungstage sowie eine spielfreie Periode zwischen die einzelnen Aufführungsserien treten.

Einen in der Praxis bewährten Kompromiss zwischen Repertoire- und Stagionesystem bietet das sogenannte Semistagione- oder Blocksystem. Hierbei wird die Spielzeit in mehrere Programmblöcke geteilt, innerhalb derer jeweils eine geringe Anzahl verschiedener Produktionen abwechselnd gezeigt wird. In den letzten Jahren ist bei vielen Opernhäusern in Deutschland ein allmählicher Übergang vom Repertoire- zum Semistagionesystem zu verzeichnen. Theater im Semistagionesystem arbeiten überwiegend mit Gastsolist*innen.
Im Serientheater bzw. En-Suite-Theater wird ein und dasselbe Stück in ununterbrochener Folge über einen längeren Zeitraum aufgeführt. Im Unterschied zum Stagionesystem operiert das Serientheater mit wesentlich längeren und zunächst unbefristeten Laufzeiten. Die Produktion eines Serientheaters wird so lange gespielt, bis keine ausreichende Publikumsnachfrage mehr gegeben ist. Dieses Betriebssystem findet sich fast ausschließlich im Bereich des kommerziellen Musicals, da nur hier die erforderlichen Aufführungszahlen erreicht werden können und müssen.
Besucher
Unter den Gattungen des Musiktheaters steht die Oper in der Publikumsgunst an erster Stelle: Insgesamt wurden rund 3,8 Millionen Besuche in der Saison 2016/17 von etwa 5.700 Opernvorstellungen in Deutschland gezählt (vgl. Abbildung 4). An zweiter Stelle rangiert das Ballett und Tanztheater mit rund 1,6 Millionen Besuchen vor dem Musical mit 1,4 Millionen und der Operette mit gut 400.000. Seit der Jahrtausendwende sind die Besuchszahlen – mit zwischenzeitlichen Schwankungen – nur im Bereich des Tanzes konstant geblieben. Sind sie in der Oper und im Musical schon deutlich rückläufig, hat sich das Publikum der Operette in diesem Zeitraum sogar halbiert. Dieser Befund spiegelt indes weniger ein nachlassendes Publikumsinteresse als vielmehr ein insgesamt deutlich reduziertes Angebot: Die Anzahl der Veranstaltungen verringerte sich im Musiktheater allein im neuen Jahrtausend um mehr als 2.500 Aufführungen. Für diesen Rückgang des Angebots gibt es verschiedene Gründe: An erster Stelle ist hier die bereits angesprochene allmähliche Entwicklung vom Repertoire- zum Stagionesystem an zahlreichen Theatern zu nennen, da die deutlich höhere Anzahl vorstellungsfrei- er Tage im Stagione- bzw. Semistagionesystem wesentlich zur Reduzierung des Gesamtangebots beiträgt. Darüber hinaus sind immer wieder Einschränkungen des Spielbetriebs infolge von Theatersanierungen und zeitweiligen Spielstättenschließungen zu verzeichnen. So war die Staatsoper Unter den Linden Berlin von Herbst 2010 bis Herbst 2017 wegen einer Generalsanierung geschlossen und realisierte ihren Spielbetrieb in diesem Zeitraum im wesentlich kleineren Schiller-Theater.
Ein weiteres Beispiel ist die Oper Köln, deren 2012 begonnene Generalsanierung eigentlich bis 2015 abgeschlossen sein sollte, jedoch voraussichtlich bis 2022 dauern wird. Auch hier ist es infolge der Nutzung wechselnder Ausweichquartiere zu einer erheblichen Angebotsreduzierung gekommen. In den kommenden Jahren stehen u. a. die Generalsanierungen der Opernhäuser in Stuttgart und Frankfurt an. Auch Neubauten werden im Rahmen der Kostendebatte diskutiert.
Ein wesentlicher Indikator für das Publikumsinteresse in den einzelnen Sparten des Musiktheaters ist die sogenannte Auslastung, d. h. die Besuchszahl im Verhältnis zur Anzahl der verfügbaren Plätze. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Vorstellungen in den Bereichen Oper und Musical in der Regel in Sälen mit deutlich höherer Platzkapazität stattfinden als solche im Tanz oder in der Operette. Zugleich hat die zuletzt stark rückläufige Aufführungsanzahl von Operetten zu einer Stabilisierung der Auslastung in diesem Bereich beigetragen. Im Spartenvergleich schneidet in der Auslastung aktuell das Musical mit 83,9 Prozent am besten ab, gefolgt vom Tanz (78,5 Prozent), der Operette (76,6 Prozent) und der Oper (73,7 Prozent).
Spielplanentwicklung
Im Musiktheater besteht gegenüber dem Sprechtheater vor allem aufgrund der deutlich geringeren Anzahl erfolgreicher zeitgenössischer Werke generell eine wesentlich höhere Stabilität des Repertoires. Dieses umfasst einen „Kanon“ von etwa 50 Werken von Verdi, Mozart, Puccini, Rossini, Wagner, Bizet, Tschaikowski, Strauss, Donizetti, Offenbach, Gounod, Humperdinck, Janáček, Smetana, Mascagni, Leoncavallo, Bellini, Gluck, Beethoven und Weber, die an den Opernhäusern weltweit mehr oder weniger regelmäßig auf den Spielplänen stehen. Darüber hinaus lässt sich ein „erweitertes Repertoire“ von etwa 100 bis 200 Werken ausmachen, zu dem neben den genannten Komponisten beispielsweise auch Opern von Massenet, Debussy, Lortzing, Britten, Händel, Borodin, Strawinski, Monteverdi, Schostakowitsch, Ravel und Giordano gehören und das zudem regelmäßig durch Wiederentdeckungen (in den letzten Jahren z. B. Cherubini, Thomas, Weinberg, Szymanowski, Rameau) oder einzelne zeitgenössische Werke (z. B. von Adams, Adès, Glass, Sciarrino, Rihm) bereichert wird. [8]
Der Deutsche Bühnenverein veröffentlicht neben der Theater- jährlich auch eine Werkstatistik, die alle im deutschsprachigen Raum in einer Spielzeit gespielten Werke der Sparten Oper, Operette, Musical, Schauspiel und Tanz alphabetisch mit Premierendatum, Aufführungsort, Aufführungs- und Besuchszahlen verzeichnet. Die meistgespielten Opern in Deutschland waren in der Spielzeit 2016/17 Humperdincks „Hänsel und Gretel“ mit 246 Aufführungen, Mozarts „Die Zauberflöte“ mit 237 Aufführungen, Bizets „Carmen“ mit 189 Aufführungen, Mozarts „Le nozze di Figaro“ mit 168 Aufführungen und Puccinis „Tosca“ mit 157 Aufführungen (vgl. Abbildung 5). Aufschlussreich ist der Vergleich mit internationalen Entwicklungen: So stand „La traviata“ in den Spielzeiten 2011/12 bis 2015/16 weltweit mit insgesamt 4.190 Vorstellungen noch deutlich vor der „Zauberflöte“ (3.310), „Carmen“ (3.280) und den beiden Puccini-Opern „La bohème“ (3.131) und „Tosca“ (2.694) an erster Stelle. In Deutschland hingegen hatte im selben Zeitraum die „Zauberflöte“ die mit Abstand meisten Aufführungen (1.886, bis 2013/14 einschließlich Bearbeitungen für Kinder), gefolgt von Humperdincks „Hänsel und Gretel“ (1.275). Die Plätze drei bis fünf entsprechen mit „La traviata“ (1.042), „Carmen“ (903) und „La bohème“ (841) wieder weitgehend dem internationalen Trend. Weltweit nicht unter den ersten 25, in Deutschland jedoch häufiger gespielt wurden 2011/12 bis 2015/16 neben „Zauberflöte“ sowie „Hänsel und Gretel“ weitere Werke in original deutscher Sprache: „Der fliegende Holländer“ (Rang 13), „Die Entführung aus dem Serail“ (14), „Der Freischütz“ (15), „Tristan und Isolde“ (23) und „Der Rosenkavalier“ (24). Unter den Komponisten kommt international im Fünfjahreszeitraum ebenfalls Verdi mit 16.265 Aufführungen klar auf den ersten Platz, gefolgt von Mozart (11.876), Puccini (11.494), Rossini (5.070), Donizetti (4.393) und Wagner (4.456) – wobei Letzterer, auch bedingt durch die Vielzahl an Aufführungen insgesamt, insbesondere auf den Bühnen in Deutschland präsent ist. Zeitgenössische Komponisten schließlich haben international kaum eine Chance, sich unter den Top 50 zu platzieren, die einzige Ausnahme bildet unter den noch lebenden Komponisten der Amerikaner Philip Glass (*1937) auf Platz 41. Mit Puccinis „Tosca“ (uraufgeführt 1900), „Madama Butterfly“ (1904) und „Turandot“ (1926) behaupten sich nur drei Opern aus dem 20. Jahrhundert in den vorderen Rängen. [9]
Strukturen des Musiktheaterbetriebs
Praxis: Theater und Ausbildungseinrichtungen
Titel
Öffentlich finanzierte Theater
Titel
Private Theater
Titel
Ausbildung
Weitere Institutionen
Titel
Verbände
Titel
Medien
Titel
Fördereinrichtungen
Im Bereich der Operette ist das Repertoire weniger stabil als in der Oper, obwohl in dieser Sparte seit dem Zweiten Weltkrieg so gut wie keine neuen Werke mehr entstehen. In Deutschland hat in jüngster Zeit das zunehmende Interesse an „Ausgrabungen“ auch in diesem Repertoire einige Verschiebungen der Spielplananteile hervorgebracht. Während wie in fast allen Spielzeiten „Die Fledermaus“ die Hitliste anführt, sind neben Johann Strauß auch Jacques Offenbach, Franz Lehár und Emerich Kálmán mit jeweils mehreren Werken auf den vorderen Plätzen vertreten (vgl. Abbildung 6). Ein Vergleich der Spielpläne der letzten Jahrzehnte ergibt bei zahlreichen Erfolgswerken eine deutlich rückläufige Tendenz. Zugleich fanden andere, früher selten gespielte Werke ihren Weg zurück in die Spielpläne.
Noch stärkeren Fluktuationen unterliegt das Musicalrepertoire, zum einen aufgrund der großen Zahl neu komponierter bzw. produzierter Werke, zum anderen, weil immer mehr Stadttheater (nicht zuletzt aus Kosten- und Auslastungsgründen) Musicals auf ihren Spielplan setzen und sich durch Wiederentdeckungen auch in diesem Segment von anderen Häusern abzusetzen versuchen. Waren lange Zeit die Musicals Andrew Lloyd Webbers marktbeherrschend, so reüssierten in den letzten Jahren mit Elton John („Der König der Löwen“), Phil Collins („Tarzan“) und Udo Lindenberg („Hinterm Horizont“) verstärkt auch Stars aus der Popbranche als Musicalkomponisten. Große Erfolge feierte in Deutschland auch der Komponist Martin Lingnau mit den drei Musicals „Das Wunder von Bern“, „Heiße Ecke“ und „Die Königs vom Kiez“. Das Düsseldorfer Schauspielhaus erzielte 2018 mit „Lazarus“ von David Bowie große Aufmerksamkeit.
Der Musicalbetrieb ist grundsätzlich auf Popularität und kommerziellen Erfolg ausgerichtet. Ebenso wie in den weltweit wichtigsten Zentren, dem New Yorker Broadway und dem Londoner West End, werden auch in Deutschland – hier allerdings erst seit den 1980er Jahren, beginnend mit Lloyd Webbers „Cats“ in Hamburg – die meisten Aufführungen in nicht öffentlich finanzierten Privattheatern ohne feste Orchester und Ensembles durchgeführt. Nach einem längeren Boom schien der Musicalmarkt in Deutschland Ende der 1990er Jahre gesättigt, eine Marktbereinigung und Fusionsprozesse der großen Veranstalter setzten ein, unprofitable Theater wurden geschlossen. Galten in den 1990er Jahren Laufzeiten von sieben Jahren bei Erfolgswerken als normal, so zeigt sich seither eine deutliche Tendenz zu kürzeren Laufzeiten von ein bis zwei Jahren oder noch weniger. Insgesamt hat der Musicalmarkt in Deutschland trotz empfindlicher Einbußen seit der Mitte der 1990er Jahre auch weiterhin Konjunktur. Führend unter den deutschen Standorten ist Hamburg, das in der Besuchsstatistik nach London den zweiten Platz in der europäischen Musicalszene einnimmt. Neben dem kommerziellen Musicalbetrieb werden Klassiker des Repertoires sowie in geringerer Zahl deutsche Originalkompositionen auch an den öffentlich finanzierten Bühnen gezeigt. An der Spitze der Werkstatistik rangieren zumeist die kommerziell und en suite produzierten neuesten Broadway- und West-End-Erfolgsmusicals, die deutschlandweit meist nur an einem einzigen Ort aufgeführt werden.
Eine Gegenüberstellung der Sparten zeigt, dass die Anzahl der Inszenierungen im Musical nur eine vergleichsweise geringe Aussagekraft besitzt. So erreichen die beliebtesten Musicals in Deutschland in einer einzigen Inszenierung innerhalb einer Spielzeit eine höhere Besuchszahl als die meistgespielten Opern, die im selben Zeitraum in Dutzenden unterschiedlichen Produktionen gezeigt werden. Insgesamt zeichnet sich in allen Sparten eine Diversifizierung der Repertoires ab, die eine lebendige Weiterentwicklung der im internationalen Vergleich nach wie vor außergewöhnlichen deutschen Musiktheaterlandschaft im 21. Jahrhundert erwarten lässt.
Fußnoten
- Deutscher Bühnenverein (Hrsg.): Theaterstatistik 2016/2017. Die wichtigsten Wirtschaftsdaten der Theater, Orchester und Festspiele, Köln 2018.
- Der Antrag auf Aufnahme in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes wurde im April 2018 durch das Auswärtige Amt an die UNESCO übergeben. Eine Entscheidung steht voraussichtlich im Jahr 2020 an.
- Alle Angaben nach Daten der Plattform Operabase, die seit 1996 das Operngeschehen weltweit erfasst. Laut Eigendarstellung kann Operabase auf mehr als 430.000 gespeicherte Aufführungen zurückgreifen, zuletzt durchschnittlich rund 25.000 pro Spielzeit. Online unter: http://operabase.com/top.cgi?id=none&lang=de&splash=t(Zugriff: 25. Juli 2018).
- Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Kulturfinanzbericht 2016, Wiesbaden 2016, S. 48.
- Vgl. James Heilbrun, Charles M. Gray: The Economics of Arts and Culture, Cambridge 2001.
- S. dazu die Statistik „Einnahmen der öffentlich finanzierten Theater (Sprech- und Musiktheater)“ (Zugriff: 22. Oktober 2018).
- Siehe auch den Beitrag „Orchester, Rundfunkensembles und Opernchöre“ von Gerald Mertens.
- Vgl. Deutscher Bühnenverein (Hrsg.): 2016/17 – Wer spielte was? Werkstatistik, Köln 2018.
- Vgl. http://operabase.com/top.cgi?lang=de&season=2015 (Zugriff: 26. September 2018 / 30. November 2021). Da zum Redaktionsschluss keine Daten für den Fünfjahreszeitraum 2012 – 2017 vorlagen, wurde für den Vergleich auf die Spielzeiten 2011/12 – 2015/16 zurückgegriffen. Für die Angaben zum Repertoire in Deutschland wurden die Werkstatistiken des Deutschen Bühnenvereins für die betreffenden Spielzeiten herangezogen.