Außenansicht des Theaters am Gärtnerplatz in München
Das Theater am Gärtnerplatz in München  
Foto:  Christian POGO Zach
Die Oper ist ein zentrales Element des kulturellen Lebens in Deutschland. Kaum irgendwo sonst auf der Welt werden so viele Opernaufführungen auf die Bühne gebracht. Diese besondere Stellung resultiert aus der langen Operntradition in Deutschland, die als höfische Institution Mitte des 17. Jahrhunderts an den Fürstenhöfen von München und Dresden ihren Anfang nahm und sich im 18. Jahrhundert auch als bürgerliche Einrichtung etablierte. Heute besteht eine Vielzahl an privaten und öffentlich geförderten Spielstätten für Musiktheater. Oft befinden sie sich als architektonische Höhepunkte ihrer Entstehungszeit im Zentrum ihrer Stadt. Ihr repräsentatives Erscheinungsbild und ihr vielfältiger Kulturbetrieb tragen maßgeblich zum Renommee der jeweiligen Kommune bei.

Besondere Bedeutung besitzen die 83 öffentlich geförderten Musiktheater mit ihren 94 Spielstätten. Diese Standorte haben vielfach eine lange Tradition, die zum Teil bis in die Anfänge der Operngeschichte in Deutschland zurückreicht. An den heutigen Gebäuden ist diese Entwicklung allerdings nur begrenzt ablesbar, da im Laufe der Zeit historische Bauten immer wieder durch Nachfolgebauten ersetzt wurden oder – insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg – durch Wiederaufbau- und Sanierungsmaßnahmen architektonisch überformt wurden.

Wie sieht der heutige Baubestand der öffentlich geförderten Musiktheater aus? Aus welcher Zeit stammt er, und was sind seine historischen Wurzeln? Welches Wechselspiel mit gesellschaftlichen Strömungen wird an ihm erkennbar? Und welche Herausforderungen bestehen, um diesen Bestand zukunftsfähig zu erhalten?

„In ihrer wechselvollen architektonischen Gestaltung bezeugen die Musiktheater eine lange Geschichte des sozialen Wandels.“
Autor
Julia Rusch

Struktur der Musiktheaterlandschaft

Die öffentlich geförderten Musiktheater in Deutschland teilen sich auf in 25 Staatstheater, 50 Stadttheater und acht Landestheater. Durch die föderale Verwaltung und Struktur der Musiktheaterlandschaft ergeben sich in jedem Bundesland Unterschiede, da jeweils die Kulturverwaltungen der Kommunen, Kreise und Länder für Administration und Finanzierung verantwortlich sind.

Die Staatstheater sind jene besonders repräsentativen Bühnen, die sich in der Rechtsträgerschaft eines Bundeslandes befinden und in der Mehrheit von diesem finanziert werden. Berlin und München bilden mit vier beziehungsweise zwei Staatstheatern kulturelle Zentren; die übrigen Häuser sind gleichmäßig auf das Bundesgebiet verteilt. Allein Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein verfügen über keine Staatstheater.

Die Staatstheater haben hinsichtlich ihrer Standorte die längste Tradition in Deutschland, denn sie gehen zumeist auf ehemalige Hof- und Residenztheater zurück. Ihre Anzahl und Verteilung ergeben sich aus der besonderen politischen Geschichte Deutschlands, die bis ins 20. Jahrhundert von einer kleinteiligen territorialen Aufteilung in eine Vielzahl von Fürstentümern geprägt war. Die einzelnen Herrscherhäuser profilierten sich mit repräsentativen Kulturbauten und stellten so ihren Geltungsanspruch gegenüber anderen Regenten zur Schau. Mit der Abdankung des Kaisers 1918 endete das Zeitalter der Monarchie in Deutschland. Die Standesvorrechte des Adels wurden abgeschafft und alle Bürger vor dem Gesetz gleichgestellt. Als damit auch die Herrschaft der regierenden Fürstenhäuser in den Bundesstaaten beendet war, wurde die Trägerschaft der meisten Hoftheater an die Länder als Rechtsnachfolger der Monarchien übergeben und die Häuser in Staatstheater überführt. So wurde beispielsweise das Königliche Hof- und Nationaltheater in München nach der Proklamation des Freistaats Bayern 1918 fortan als Bayerische Staatsoper geführt.

Die derzeit 50 Stadt- bzw. Städtebundtheater mit ihren 61 Spielstätten sind die häufigste Form der Theaterträgerschaft in Deutschland und verteilen sich über das gesamte Bundesgebiet. Die meisten von ihnen werden als Dreispartenhäuser betrieben und vereinen Musik-, Sprech- und Tanztheater. Sie entstanden ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und schwerpunktmäßig im 19. Jahrhundert aus privater Initiative heraus. Zunächst wurden sie von Aktiengesellschaften oder profitorientierten Theaterdirektoren betrieben und erst seit etwa Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Städte subventioniert. Das erste kommunale Theater, das vollständig unter städtischer Verantwortung betrieben wurde, war 1839 das Nationaltheater Mannheim. In der Weimarer Republik wurden die meisten der vormals privaten Bühnen von den Kommunen übernommen, denen auch heute noch die Verwaltung der Institutionen obliegt.

Bemerkenswert ist die Häufung kommunaler Theater in Nordrhein-Westfalen. Allein in der Metropolregion Rhein-Ruhr befinden sich aktuell zwölf Spielstätten. Viele davon sind bereits in der zweiten Hälfte des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden, als sich das ländlich geprägte Ruhrgebiet durch die Industrialisierung zum größten Ballungsraum Europas entwickelte. Es entstand ein wohlhabendes Bürgertum mit einem starken kulturellen Interesse, das den Bau neuer Theater beförderte. So wurden innerhalb weniger Jahrzehnte u. a. neue Theater in Barmen (1874), Düsseldorf (1875), Essen (1892), Dortmund (1904) und Duisburg (1912) gebaut.

Landestheater schließlich sind öffentliche Theaterbetriebe mit einem festen Ensemble, die neben den Aufführungen an ihrem Stammsitz auch für Gastspiele produzieren. Zu ihren Aufgaben gehört es, ein bestimmtes umliegendes Spielgebiet mit Kultur zu versorgen. Sie sind meist in einer gemischten Trägerschaft aus Land und Kommunen, wobei der Finanzierungsanteil des Landes einen großen Teil des Gesamtetats ausmacht. Die meisten Landestheater sind Mehrspartenhäuser, jedoch verfügen nur acht von ihnen über die Sparte Musiktheater. Diese gehen zum einen auf ehemalige Hoftheater zurück wie beispielsweise in Coburg und Detmold, zum anderen auf Häuser, die wie in Eisenach aus bürgerschaftlichem Engagement entstanden sind.

Abbildung 1
Öffentlich finanzierte Musiktheater
Teaser: Topografie der Musiktheater in Deutschland.
Zur Karte

Entwicklung der Musiktheaterarchitektur bis zum Zweiten Weltkrieg

Die Baugeschichte von Opernhäusern beziehungsweise Theatern, die auch für Musiktheateraufführungen genutzt wurden, begann in Deutschland im 17. Jahrhundert im höfischen Bereich, erlebte im 19. Jahrhundert mit dem Bau von bürgerschaftlich initiierten Stadttheatern einen Höhepunkt und setzte sich bis Anfang des 20. Jahrhunderts fort. Danach entstanden nur noch vereinzelt neue Standorte für Musiktheater. Die Theatergebäude, die in den verschiedenen Jahrhunderten gebaut wurden, folgten nicht nur den architektonischen Vorlieben ihrer jeweiligen Zeit, sondern bildeten auch ihren gesellschaftlichen Entstehungszusammenhang ab. Entsprechend änderten sie immer wieder ihr Gesicht.

Im 17. und 18. Jahrhundert übernahmen die deutschen Fürstenhöfe die Pracht der italienischen Oper als ein Instrument der Repräsentation. Dementsprechend glanzvoll waren die ersten Opernhäuser gestaltet. Das erste freistehende Opernhaus in Deutschland entstand 1654 am Münchner Hof durch den Umbau eines alten Kornhauses am Salvatorplatz in ein Barocktheater. 1668 wurde auch in Dresden ein Opernhaus eröffnet. Beide Häuser existieren heute nicht mehr.

Mit dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth von 1748 hat sich gleichwohl ein prominentes Beispiel für ein freistehendes barockes Hoftheater erhalten. Das Theater, UNESCO-Welterbe seit 2012, wird heute allerdings nur noch zeitweise bespielt und dient primär als Museum. Das Theater wurde von der Schwester Friedrichs II. von Preußen, Markgräfin Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth, errichtet und diente als prunkvoller Rahmen für die Hochzeit ihrer Tochter. Die bauliche Gestaltung ist mit den umlaufenden Balkonen und der zentralen Fürstenloge ganz auf die absolutistische höfische Repräsentation und den Ausdruck hierarchischer höfischer Ordnung ausgerichtet.

Opern waren im höfischen Kontext Teil der repräsentativen Festkultur. Zugang erhielt, wer als hoffähig galt. Erst mit den Finanznöten der Höfe nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-63) wurden die Hofopern einem zahlenden Publikum geöffnet. Betuchte Bürger unterstützten nun durch ihre Eintrittsgelder den kostspieligen Betrieb der Häuser. Im Gegenzug stärkten sie ihre gesellschaftliche Stellung durch den Zugang zum Adel, der nach wie vor die Aufführungen besuchte.

Auch in der baulichen Gestaltung blieb das höfische Logentheater Ausdruck der sozialen Distinktion. Die Logen im ersten Rang waren den am höchsten gestellten Personen vorbehalten und gehörten auch später, als die Theater einem zahlenden Publikum geöffnet wurden, zu den exklusivsten Plätzen. Nach oben hin nahm die Exklusivität stufenweise ab.

Blick von der Fürstenloge auf die Bühne
Foto:  Achim Bunz  /  Bayerische Schlösserverwaltung, www.schloesser.bayern.de
Außenansicht eines Opernhauses
Markgräfliches Opernhaus in Bayreuth von 1748  
Foto:  Feuerpfeil Verlags GmbH, Bayreuth  /  Bayerische Schlösserverwaltung, www.schloesser.bayern.de
Das markgräfliche Wappen über dem Bühnenportal
Foto:  Achim Bunz  /  Bayerische Schlösserverwaltung, www.schloesser.bayern.de
Logen in einem prächtigen Theaterinnenraum
Foto:  Achim Bunz  /  Bayerische Schlösserverwaltung, www.schloesser.bayern.de

Parallel zur gesellschaftlichen Öffnung der Hoftheater entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf Initiative von Stadträten oder Mitgliedern der bürgerlichen Oberschicht Stadttheater. Diese Gebäude wurden in der Regel als Mehrspartentheater betrieben, erst Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wurden eigene Spielstätten für Opern gebaut. Das älteste Stadttheater weltweit, das noch im angestammten historischen Gebäude verblieben ist, ist das Theater in Freiberg von 1790.

Der industrielle Aufschwung im 19. Jahrhundert führte in Deutschland zu einem enormen Bevölkerungswachstum in den Städten. Kulturveranstaltungen erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. In der Folge kam es zu einem starken Anstieg beim Theaterbau in den Städten.

Sowohl die Stadttheater als auch neue Hoftheatergebäude dieser Zeit distanzierten sich von dem prunkvollen höfischen Stil des Barock. Die Architektur reduzierte sich auf eine vereinfachte, klare und klassizistische Formensprache. Die Exklusivität der baulich abgetrennten Logen wurde zugunsten durchgehender Galerien aufgehoben, wobei allerdings einzelne Logen oder exponierte Sitze für herausgehobene Persönlichkeiten weiterhin üblich blieben. Elegante Foyers und Treppenhäuser dienten dem bessergestellten Publikum als Ort der Begegnung und Präsentation. Ein Beispiel für ein solches Theater ist das Landestheater Coburg von 1840.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Architektur der Musiktheater zunehmend dem Historismus verpflichtet. Im Zuge von Reformbestrebungen entstanden aber auch Gebäude, die an die demokratische Idee und Funktion des Theaters der Antike anknüpften. In der innenarchitektonischen Gliederung fanden Richard Wagner und Gottfried Semper eine bis heute gültige Lösung. Sie zeichnet sich durch ein ansteigendes Auditorium mit guter Sicht von allen Plätzen aus – ein „demokratischer“ Zuschauerraum ohne Standesgrenzen, wie er im 1876 eröffneten Bayreuther Festspielhaus verwirklicht wurde und in der Theaterarchitektur ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch eine zusätzliche Untergliederung in Ebenen fortgeführt wurde.

Bild
Prächtiger Innenraum eines Theaters
Zuschauerraum des Landestheaters Coburg von 1840  
Foto:  Sebastian Buff

Zudem setzte sich im späten 19. Jahrhundert der heute noch übliche Orchestergraben durch, der erstmals 1784 im Théâtre Ledoux in Besançon gebaut worden war. Hatten die Musiker zuvor auf Höhe des Parketts gespielt, wurde nun durch die Absenkung eine bessere Sichtbarkeit auf das Bühnengeschehen geschaffen. Auf die Spitze getrieben wurde die Entwicklung im Bayreuther Festspielhaus, wo das Orchester in einen „mystischen Abgrund“ versenkt wurde, um jegliche Ablenkung vom Bühnengeschehen zu vermeiden.

Bis Ende der 1890er Jahre wuchs die Anzahl neuer Spielstätten kontinuierlich und erlebte in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg noch einmal einen sprunghaften Anstieg. Es entwickelte sich ein Musiktheaterbetrieb nach heutigem Maßstab. Dazu gehörten: das Bühnenhaus mit Bühne, eisernem Vorhang, Technik, Werkstätten, Garderoben, Proben-, Betriebs- und Verwaltungsräumen und das Zuschauerhaus mit Foyers, Wandelgängen, Auditorium mit ansteigendem Parkett sowie Balkonen. Bühne und Auditorium wurden durch den Orchestergraben getrennt. Diese grundsätzliche Aufteilung der Funktionsbereiche hat sich bis heute erhalten.

Nach 1918 nahm die Zahl neuer Musiktheaterstandorte sehr stark ab. Konkreter Auslöser für den Rückgang der Bauvorhaben war zunächst der wirtschaftliche Einbruch nach dem Ersten Weltkrieg, der den vorhergegangenen Aufschwung jäh beendete. Allerdings ist die geringe Bautätigkeit in den Jahrzehnten danach wohl auch die Folge einer gewissen Sättigung. Denn auch in der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden nur sehr vereinzelt neue Standorte.

Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Der Zweite Weltkrieg bildete eine Zäsur in der Tradition der Musiktheater. Bezogen auf die heutige, öffentlich geförderte Musiktheaterlandschaft gab es nur wenige Gebäude, die keinerlei Schäden erhielten – manche wurden bis auf die Grundmauern zerstört.

Die Wiederaufbauaktivitäten beschränkten sich zunächst zwangsläufig auf die am dringlichsten benötigten Gebäude wie Wohnraum, kommunale Einrichtungen und Industrie sowie die notwendigen Verkehrswege. Doch schon bald wurde auch wieder Theater gespielt – teils in notdürftig wiederhergerichteten Bauten, teils in unzerstörten Teilen der Theatergebäude und in anderen Provisorien. Im Anschluss an die Sofortmaßnahmen zur Normalisierung der Infrastruktur setzte dann auch die Bautätigkeit im Zusammenhang mit den Musiktheatergebäuden ein.

Wiederaufbau und Neubau in der Bundesrepublik

In der Bundesrepublik wurde die Wiederherstellung zerstörter Musiktheaterstandorte vorwiegend bis 1955 angegangen. Bei der Entscheidung über den Wiederaufbau beschädigter Bühnenbauten bestimmte einerseits der Grad der Zerstörung das Vorgehen. Andererseits spielte auch das Konzept der künftigen Stadt eine Rolle, bei dem entweder der Wunsch nach einer Wiederherstellung des alten Stadtbildes im Vordergrund stand oder aber der Wille nach einem architektonischen Neuanfang. Nicht zuletzt hatten sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Erwartungen an die Möglichkeiten der Bühnentechnik und der Flächenbedarf von Hinter- und Seitenbühne für einen modernen Repertoirebetrieb rasant entwickelt. Die Musiktheaterlandschaft der Nachkriegszeit wies dementsprechend eine große Bandbreite auf: Wiederherstellung nur leicht beschädigter Gebäude, Rekonstruktionen zerstörter Gebäude mit technischen Modernisierungen, Wiederaufbauten historischer Fassaden mit moderner Innenraumgestaltung, Abriss (teil)zerstörter Gebäude und Neubauten am alten oder einem neuen Standort.

In Frankfurt am Main zum Beispiel war die Oper vollständig ausgebrannt, das Schauspielhaus dagegen nur im Bühnenbereich zerstört. Es wurde als neues Operngebäude mit einer nach wie vor beeindruckenden Bühnentechnik wiederhergestellt: Das Haus erhielt eine Drehbühne von 38 Metern (!) Durchmesser. Architektonisch ergab sich daraus ein janusköpfiges Gebäude: Foyer und Auditorium hatten noch die zwischen Renaissance und Jugendstil changierende Außengestaltung von 1902, das Bühnenhaus dagegen war sachlich und technisch reduziert. Umgekehrt erhielt die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf mit einem erhaltenen Bühnenhaus und Auditorium ein neues Foyergebäude – das ob seiner eher traditionellen Gestaltung schon bei seiner Eröffnung als bloße »Konvention« geschmäht wurde.

Bild
Außenansicht der beleuchteten Deutschen Oper am Rhein in der Abenddämmerung
Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf  
Foto:  Hans Jörg Michel

In Köln dagegen entschloss man sich für den Abriss des alten Opernhauses, obwohl ein Wiederaufbau möglich gewesen wäre. Die alte Kölner Oper am Rudolfplatz von 1902 war im Stil des Historismus gestaltet worden und war mit ihren 1.800 Plätzen zum Zeitpunkt ihrer Einweihung das größte Theater in Deutschland gewesen. Bis in die 1920er Jahre hatte das Haus Maßstäbe in der Aufführungspraxis gesetzt.  Man entschied sich jedoch 1954 für einen zeitgemäßen Neubau von Wilhelm Riphan auf dem viel zentraler, unweit des Doms gelegenen Offenbachplatz, auf dem zuvor das Stadttheater und eine Synagoge gestanden hatten.

Mit neuen Gebäuden an neuen Standorten ließen sich gleich mehrere Anforderungen lösen. Entscheidend für eine Erweiterung und Optimierung des Bühnenbereichs – wie es in Frankfurt geschah – war die Größe des zur Verfügung stehenden Grundstücks. Bei älteren Häusern, die im dichten Gefüge der Stadt platziert waren, bestand diese Möglichkeit nicht immer. Dazu kam die Reorganisation der Verkehrsbeziehungen in den Städten im Wiederaufbau. Die moderne Stadt des Wirtschaftswunders wurde die autogerechte Stadt. Das moderne Musiktheater dieser Jahre war entsprechend kein Haus mit Droschkenvorfahrt – stattdessen wurden Parkhäuser die nächste notwendige Ergänzung der Spielstätten. Und nicht zuletzt boten die neuen Häuser auch die Möglichkeit, dem veränderten gesellschaftlichen Selbstverständnis in einer neuen Form der architektonischen Repräsentation zu entsprechen.

Die Foyers der Häuser der Jahrhundertwende entsprachen der strikt hierarchischen Gesellschaft des Kaiserreichs, es waren gewissermaßen Häuser unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit. Die Foyers der neuen Häuser dagegen wurden gerne zum Außenraum großzügig verglast. Das gilt für das neue Operngebäude in Köln ebenso wie für das Haus des heutigen Mainfranken Theaters in Würzburg. Dort wurde für den 1966 eingeweihten Neubau ein ehemaliges Bahnhofsareal unweit der Residenz gefunden. Zum Vorplatz an der Theaterstraße zeigte sich nun abends das Publikum hinter dem in der ganzen Gebäudebreite verglasten Pausenfoyer. Die kollektive Zusammenkunft in Oper und Theater wurde damit gleichsam öffentlich gemacht und lud ein zur Teilhabe.

Bild
Schwarz-weiß-Aufnahme eines Theaterfoyers
Oberes Foyer des Mainfranken Theaters Würzburg Ende der 1960er Jahre  
Foto:  Stadtarchiv Würzburg

Die architektonische Handschrift der Musiktheater der Moderne hob sich mit ihren reduzierten Farben und Formen, ihrer Transparenz und Dynamik deutlich von den Bauten des Historismus und Klassizismus ab. In der zeitgenössischen Interpretation waren die Neubauten ein Symbol für Fortschritt, Freiheit und Demokratie. Dabei profitierte man von modernen Herstellungs- und Konstruktionsmethoden, die jetzt vielfältig zum Einsatz kamen und – wie beim Sichtbeton der „Giebel“ des Bühnenhauses der Kölner Oper – bewusst am Baukörper gezeigt wurden.

Etwa die Hälfte aller Bauvorhaben im Zusammenhang mit zerstörten oder teilzerstörten Gebäuden wurde als Neubau realisiert. Damit hielten sich Nachfolgebauten zerstörter Häuser und Wiederaufbauten in der Bundesrepublik etwa die Waage. Bis 1965 entstanden rund zwei Drittel aller Neubauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute umgesetzt wurden. Dazu zählen auch einige neue Standorte wie etwa in Gelsenkirchen, wo es vor dem Bau von 1959 noch kein Musiktheater gegeben hatte.

Im Vergleich zu den Wiederaufbauten starteten die Bauvorhaben zu den Neubauten mit einer Verzögerung von 10 Jahren. Der zeitliche Versatz erklärt sich durch das Entwurfs- und Planungsverfahren, welches meist mehr Zeit in Anspruch nahm als eine Wiedererrichtung eines bestehenden Gebäudes. So war der Wiederaufbau in den 1950er Jahren praktisch bereits abgeschlossen.

Wiederaufbau und Neubau in der DDR

In der DDR wurden nicht alle zerstörten oder teilzerstörten Musiktheater wiederbelebt. Die Gebäude, bei denen man sich für eine Wiederherstellung entschloss, wurden zu zwei Dritteln in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg instandgesetzt. Theaterneubauten waren die Ausnahme, zum Beispiel 1949 in Halberstadt. Anstelle von monofunktionalen großen Opernhäusern stand der Bau von Kulturhäusern im Vordergrund. Der einzige repräsentative Opernneubau, der in der DDR entstand, war 1960 das Opernhaus Leipzig. 1984 kam in Berlin für den Bereich Revue der Neubau des Friedrichstadt-Palastes hinzu, der als Ersatz für das Große Schauspielhaus entstand. Herausragend unter den Wiederaufbauten sind die Staatsoper Unter den Linden in Berlin, die 1955 wiederhergestellt wurde und die 1985 wiedereröffnete Semperoper in Dresden.

Bild
Blick in einen quaderförmigen Zuschauerraum
Zuschauerraum der Oper Leipzig von 1960  
Foto:  Kirsten Nijhof

Sanierungen seit 1945

In den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg betrafen die Sanierungen vor allem Erneuerungen, die an weitgehend unbeschädigten Bauten vorgenommen wurden. Allerdings geschah dies in den 1940er Jahren nur sehr vereinzelt, da die Priorität auf dem Wiederaufbau des zerstörten Landes lag.

Seit den 1980er Jahren ist ein deutlicher Anstieg der Sanierungen zu verzeichnen. Nach rund 30-40 Jahren Nutzung waren die ersten umfänglicheren Sanierungen an den wiederhergestellten Gebäuden und den Neubauten der Nachkriegsjahre notwendig. Ein Jahrzehnt später kamen Sanierungsprojekte an Häusern der ehemaligen DDR hinzu, die nach der Wiedervereinigung den verbreiteten Sanierungsstau aufholten. Heute sind unter anderen schärfere Auflagen für Brandschutz und Sicherheitseinrichtungen, die energetische Ertüchtigung, die Belüftungstechnik, veränderte Arbeitsstättenrichtlinien sowie die Digitalisierung der Bühnentechnik wesentliche Aufgaben bei den Sanierungen. Generell sind bei der Sanierung von Bühnenbauten, die sowohl sehr große Versammlungsstätten wie auch große und differenzierte „Werkstattgebäude“ sind, drei umfangreiche Planungsfelder eng miteinander verzahnt: das Gebäude, seine Struktur und Funktionalität, die komplexe Haustechnik und die Bühnentechnik.

Obgleich die Kosten für Theatersanierungen in die Millionen gehen, stellen die Städte und Länder die Institution selbst kaum in Frage – zu Recht, denn die Musiktheater haben über 350 Jahre das kulturelle Leben in Deutschland geprägt. In ihrer wechselvollen architektonischen Gestaltung bezeugen sie eine lange Geschichte des sozialen Wandels. In ihnen schlugen sich immer wieder zentrale gesellschaftliche Fragen nieder, sei es die Frage nach der Stellung des Adels, das Verhältnis zwischen Adel und dem sich zunehmend emanzipierenden Bürgertum, die – auch demokratische – Selbstvergewisserung des Bürgertums oder die Frage nach dem Umgang mit der eigenen Geschichte insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber vor allem waren und sind Musiktheater Ausdruck der Wertschätzung und Pflege von Musik, zu deren kostenintensivsten Darbietungsformen Oper, Operette und Musical zählen. Die Architektur und der bauliche Zustand von Musiktheatern sind so nicht zuletzt ein Gradmesser dafür, was einer Gesellschaft Kultur wert ist.

Julia Rusch studierte Kunstgeschichte und schrieb ihre Dissertation über Konzerthausarchitektur seit 1945. Sie arbeitet im Eventmanagement sowie als freie Autorin und Kulturvermittlerin.