Blick in den runden Konzertsaal der Kölner Philharmonie
Kölner Philharmonie  
Foto:  Guido Erbring
Konzerthäuser gehören zu den großen Anziehungspunkten in der Kulturlandschaft. Weithin wahrnehmbar tragen sie als Zentren der klassischen Musik wesentlich zum Profil einer Stadt bei und verankern die Kultur inmitten der Gesellschaft.

Wie groß die Strahlkraft von Konzerthäusern sein kann, zeigt sich deutlich am Beispiel der Hamburger Elbphilharmonie. Seit sie im Januar 2017 ihre Türen öffnete, ist sie nicht nur ein von der Öffentlichkeit vielbeachteter Kulturbau, sondern auch ein Meilenstein in der deutschen Konzerthauslandschaft – unter anderem deshalb, weil sie die Diskussion darüber, welches musikalische Programm ein Konzerthaus anbieten soll, wie viel es kosten darf und wofür es steht, neu angeregt und in das öffentliche Bewusstsein transportiert hat. Auch das Konzerthaus Dortmund ist ein Beleg dafür, wie stark eine solche Institution im städtischen Kontext wirken kann. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2002 erfährt das Haus eine breite und weit über die Region hinausreichende Wahrnehmung und hat mit seiner Lage im Dortmunder Stadtkern zu einer Aufwertung des Brückstraßenviertels – bis in die 1990er Jahre eines der deutlich benachteiligten Viertel Dortmunds – beigetragen. In unmittelbarer Nachbarschaft konnte auch Bochum im Herbst 2016 mit dem Anneliese Brost Musikforum Ruhr die Eröffnung eines Konzertsaalneubaus feiern. Im Frühjahr 2017 folgte Dresden mit dem vollständig modernisierten Kulturpalast. In Berlin eröffnete zudem nahezu zeitgleich mit dem neu errichteten Pierre Boulez Saal eine aufsehenerregende Spielstätte für Kammermusikaufführungen. 

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Ovaler Konzertsaal auf zwei Ebenen
Pierre Boulez Saal in Berlin  
Foto:  Volker Kreidler

Deutschland als Land mit einer reichen und vielfältigen Musiktradition verfügt über eine hohe Dichte an Spielstätten. Beinahe jede mittelgroße Stadt hat mindestens einen Saal für musikalische Aufführungen. Die Frage, welche Rahmenbedingungen für die adäquate Aufführung vor allem des sinfonischen Repertoires von der Klassik bis zur Moderne vorliegen müssen, hat an vielen Orten zu einer regelrechten Konzertsaaldebatte geführt. Aktuell beschäftigt Saarbrücken, Stuttgart, Nürnberg und München in diesem Zusammenhang die Frage, was ein Konzerthaus für ihre Stadt sein soll: ein Haus, in dem Musik aufgeführt wird, in dem sich Menschen begegnen können, in dem Veranstaltungen zu Prestigezwecken ausgetragen werden? Besonders große mediale Aufmerksamkeit erlangte die Diskussion um den Münchner Konzertsaal. Mit zwei renommierten Orchestern (BR-Symphonieorchester und Münchner Philharmoniker), die einen Aufführungsort für ihre Konzerte benötigen, und der dringend notwendig gewordenen Restaurierung des Kulturzentrums Gasteig ab 2020 wurde die Diskussion um einen Neubau immer dringlicher. Dabei wurde zwischen Verwaltung, Bürgern und künstlerischen Sachverständigen insbesondere der Standort debattiert. Die Wahl fiel schließlich auf ein ehemaliges Produktionsgelände, das derzeit mit Wohnungen, Bildungseinrichtungen, Start-ups und Dienstleistern als neues Stadtquartier entwickelt wird und wo der neue Saal bis 2021 entstehen soll. Wie München hat auch die Stadt Nürnberg nach einem Architekturwettbewerb im Jahr 2017 ihren Siegerentwurf für ein neues Konzerthaus gefunden. Dieses soll voraussichtlich ab 2021 direkt neben der Meistersingerhalle gebaut werden. 

„Viele Konzerthäuser konzipieren neue Veranstaltungsreihen, um ihr Programm von dem anderer Häuser unterscheidbar und damit einzigartig zu machen.“
Autor
Benedikt Stampa

Wesensmerkmale: Was ist ein Konzerthaus?

Philharmonie und Tonhalle, Konzertsaal und Konzerthaus, Kultur- bzw. Musikzentrum: Diese unterschiedlichen Begriffe beschreiben alle einen ähnlichen Sachverhalt, nämlich ein Gebäude, das in erster Linie für die Aufführung klassischer Musik gebaut wurde. [1] Doch was tut ein Konzerthaus im Einzelnen und inwiefern unterscheiden sich die Einrichtungen voneinander? Zu betrachten sind dabei eine ganze Reihe von Aspekten, etwa der Anteil des klassischen Repertoires und das Spektrum musikalischer Genres im Programm oder der Stellenwert von Gastspielen. Im Gegensatz zu einem Opernhaus, das sich als Aufführungsstätte für musikdramatische Werke beschreiben lässt, die in eigener Produktion mit eigenem Personal und unter eigener Verwaltung programmiert werden, lässt sich der Begriff „Konzerthaus“ letztlich nicht in eine allgemeingültige Definition fassen. Konzerthäuser besitzen aber dennoch eigene Wesensmerkmale. Sie betreffen bauliche Aspekte, Fragen der Nutzung und des Betriebs sowie des künstlerischen Profils, die zur Beschreibung und Abgrenzung gegenüber anderen Einrichtungen herangezogen werden können. 

Außenansicht der Elbphilharmonie aus der Vogelperspektive
Elbphilharmonie Hamburg, Luftaufnahme  
Foto:  Maxim Schulz  /  www.mediaserver.hamburg.de
Moderner Konzertsaal mit unterschiedlich hoch angeordneten Rängen
Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal  
Foto:  Geheimtipp Hamburg  /  www.mediaserver.hamburg.de
Terrasse mit Geländer, Blick über den Hamburger Hafen
Elbphilharmonie Hamburg, Plaza  
Foto:  Michael Zapf  /  www.mediaserver.hamburg.de
Modern gestaltetes Foyer mit Säulen und Treppenaufgängen
Elbphilharmonie Hamburg, Foyer  
Foto:  Michael Zapf / Architekten Herzog & de Meuron  /  www.mediaserver.hamburg.de

Gebäude
Architektonische Grundvoraussetzung eines Konzerthauses ist ein bestuhlter Saal, der sich sowohl von seiner Größe her als auch akustisch für die Aufführung klassischer Musik eignet und mehrere Hundert Besucher*innen aufnehmen kann. Die meisten deutschen Konzerthäuser verfügen darüber hinaus über zusätzliche Säle, die vor allem der Aufführung von Kammermusik oder Solowerken dienen. Neben eigens für den Konzertbetrieb errichteten Bauwerken kommen dabei auch solche in Betracht, die ursprünglich anderen Zwecken vorbehalten waren. So entstand die Tonhalle Düsseldorf Mitte der 1920er Jahre zunächst als Planetarium und trat als neue, zentrale Spielstätte für klassische Musik erst Ende der 1970er Jahre die Nachfolge der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Tonhalle an. 

Nutzung
Neben den architektonischen Gegebenheiten ist die Art der Nutzung entscheidend, um ein Gebäude als Konzerthaus zu klassifizieren: Überwiegend wird hier klassische Musik aufgeführt, sodass die Außenwahrnehmung als Konzertbetrieb nicht – wie etwa bei den meisten Stadthallen – durch breit gefächerte, auch außermusikalische Angebote beeinflusst wird. Allerdings gibt es in Häusern wie der Liederhalle Stuttgart oder dem Münchner Gasteig neben dem musikalischen Angebot auch zahlreiche andere Veranstaltungen (vor allem Kongresse); die Abgrenzungskriterien sind hier wie auch an anderer Stelle fließend. 

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Heller Kirchenraum, der zum Konzertsaal umfunktioniert wurde
Anneliese Brost Musikforum Ruhr in profanierter Kirche  
Foto:  Mark Wohlrab

Gastspielbetrieb
Konzerthäuser verfügen über einen regelmäßigen Gastspielbetrieb. Sie stehen nicht nur überwiegend regionalen Klangkörpern als Spielstätte offen, sondern bieten über das Jahr verteilt nationalen und internationalen Ensembles Auftrittsmöglichkeiten. Einige Häuser haben allerdings eigene Ensembles, etwa das Gewandhausorchester und die Berliner Philharmoniker. In der Kölner Philharmonie wiederum sind mit dem Gürzenich-Orchester und dem WDR Sinfonieorchester gleich zwei Klangkörper beheimatet, und mit seiner Umbenennung in NDR Elbphilharmonie Orchester Hamburg zur Spielzeit 2016/17 trägt das vormalige NDR Symphonieorchester die Verbindung zu seinem neuen Hauptspielort nun sogar im Namen. Entscheidend für die Konzerthäuser ist jedoch, dass Hausensembles trotz vielfältiger Vor- und Hausrechte die Spielplangestaltung nicht ausschließlich vorgeben. 

Künstlerisches Profil
Das künstlerische Profil eines Konzerthauses bildet das wohl wichtigste Unterscheidungsmerkmal zu anderen Konzertspielstätten. Denn neben der Öffnung für einen möglichst großen und internationalen Künstlerkreis sollte idealerweise auch die gesamte Vielfalt des Repertoires berücksichtigt und entwickelt werden. Das geschieht meist im Rahmen einer intendanzgeführten Organisationsstruktur, die das Programmprofil unverwechselbar bestimmt. In der Ausrichtung eines Hauses spiegelt sich auch das Rollenverständnis als Kulturbetrieb: Von einem Konzerthaus wird erwartet, dass es künstlerische Impulse gibt und durch eine kluge Programmzusammenstellung eine eigene Idee abbildet. Bestimmend dabei ist es, das Musikleben an einem jeweils individuellen Standort innerhalb einer Region aktiv zu gestalten. Es reicht nicht länger aus, berühmte Musiker*innen auf der Bühne zu zeigen; benötigt wird stattdessen eine durchdachte Dramaturgie, die von sämtlichen Abteilungen des Hauses mitgetragen und selbstbewusst nach außen kommuniziert wird. 

Standorte und Entwicklung
Das Deutsche Musikinformationszentrum verzeichnet 15 Institutionen in Deutschland, die diese Merkmale eines Konzerthauses besitzen. Sie sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt und in verschiedensten Regionen wie dem Rhein-Main-Gebiet (Alte Oper Frankfurt), in Süddeutschland (Gasteig München, Liederhalle Stuttgart, Festspielhaus Baden-Baden), in Sachsen (Leipziger Gewandhaus, Dresdner Kulturpalast) oder in Norddeutschland (Glocke in Bremen, Elbphilharmonie und Laeiszhalle Hamburg, Musik- und Kongresshalle Lübeck) angesiedelt. In Nordrhein-Westfalen herrscht dabei mit der Philharmonie Essen, dem Konzerthaus Dortmund sowie der Philharmonie in Köln und der Tonhalle Düsseldorf in einem Gesamtumkreis von nur rund 100 Kilometern eine besondere Dichte. Auch Berlin ist mit zwei Häusern vertreten (Berliner Philharmonie, Konzerthaus Berlin). Insgesamt 13 dieser Konzerthäuser, ergänzt durch vier weitere Einrichtungen aus Österreich, Luxemburg, der Schweiz und den Niederlanden, sind derzeit in der 2001 gegründeten Deutschen Konzerthauskonferenz zusammengeschlossen. Ziel dieser Vereinigung ist es, gemeinsam für den Erhalt, den Ausbau und die Weiterentwicklung des Konzertlebens einzutreten. Über diese Konzerthäuser hinaus gibt es in Deutschland zahlreiche weitere Konzertsäle, die oft den lokal und regional beheimateten Klangkörpern als Spielstätte dienen, des Weiteren aber auch für Gastspiele und Festivals genutzt werden und nach ganz ähnlichen Prinzipien funktionieren wie die Konzerthäuser. Beispiele sind das BASF-Feierabendhaus in Ludwigshafen, der Nikolaisaal in Potsdam oder die Rudolf-Oetker- Halle in Bielefeld. Auch Konzertkirchen wie die Konzerthalle Carl Philipp Emanuel Bach Frankfurt (Oder) zählen dazu.

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Blick von den Rängen in rechteckigen Konzertsaal mit Konzertflügel und Orgel
Konzerthaus Dortmund  
Foto:  David Vasicek  /  pix123 fotografie frankfurt

Neben den etablierten Konzerthäusern sind insbesondere in den letzten Jahren Aufführungsorte entstanden, an denen neue Konzertformate präsentiert werden. Spielstätten wie das Radialsystem V am Berliner Ostbahnhof (das als privat gegründete Einrichtung 2018 durch das Land Berlin erworben wurde) bieten nicht zuletzt freien Ensembles ein Podium und ziehen – mit anderen Zielen als die Konzerthäuser – ein interessiertes, oft bunt gemischtes Publikum an. 

Entwicklung der Konzerthauslandschaft in Deutschland

Die Unverwechselbarkeit der Konzerthäuser und die mit ihnen verbundenen gesellschaftlichen oder kulturpolitischen Forderungen finden ihren Ausdruck oft schon im architektonischen Konzept. Bereits im 19. Jahrhundert wurde ein Konzertsaal zu einem repräsentativen Ort, der dem Wunsch der gebildeten Bürger, einen gewählten, nicht allen zugänglichen Kulturraum zu haben, entgegenkam. Zentrale Maßstäbe hierfür setzte der Bau des Wiener Musikvereinssaals im Jahr 1870; und ganz allgemein lässt sich für Europa wie für die USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein regelrechter Bauboom von Konzertsälen festhalten – eine erste intensive Etappe, auf die eine lange Pause folgte. 

1963 eröffnete mit der Berliner Philharmonie der einflussreichste Konzerthaus- Neubau nach dem Zweiten Weltkrieg – ein Solitär, der mit seiner „Weinberg“-Architektur auch andere Konzerthäuser, wie jüngst die Elbphilharmonie in Hamburg, beeinflusste. Dabei drückt der von Hans Scharoun entworfene Bau in seinem Gebäudekonzept Ansprüche und Wünsche der damaligen Zeit aus: Klassische Musik sollte nach dem Krieg wieder in einem repräsentativen Kontext aufgeführt werden und (West-)Deutschland als Wirtschafts- und Kulturstandort wiederbeleben. Das Statement war umso markanter, als Berlin (West) in den 1960er Jahren gar keine herausragende Stellung als Kulturstadt besaß – Köln dagegen als führende Museums-, Kultur- und Theaterstadt schon. 

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Außenansicht des gelblichen Baus der Berliner Philharmonie
Außenansicht der Berliner Philharmonie  
Foto:  Heribert Schindler

Als 1986 hier die Kölner Philharmonie eröffnet wurde, war dies eine Sensation. Unterirdisch angelegt, vereinte der Kulturbau den Anspruch, einerseits ein durchdachtes künstlerisches Programm anzubieten und andererseits den neuen, dem Zeitgeist ihres Eröffnungsjahrzehnts verpflichteten Ansätzen der Teilhabe für alle Menschen, versinnbildlicht in der architektonischen Einheit mit dem benachbarten Museum Ludwig, Rechnung zu tragen. Mit der Entscheidung für ein intendanzgeführtes Haus und mit einem eigenständigen Programm grenzte sich die Kölner Philharmonie stark von den Häusern ab, die im Kontext des von Hilmar Hoffmann geprägten kulturpolitischen Schlagworts „Kultur für alle!“ in den 1970er Jahren entstanden waren.

Die Forderung, Kultur, in diesem Fall klassische Musik, möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen, fand in der Mehrfachnutzung von Kulturgebäuden ihren realpolitischen Ausdruck. So steht der 1985 fertiggestellte Münchner Gasteig mit seinem breit gefächerten Angebot und den unterschiedlichen Nutzungsarten geradezu paradigmatisch für diesen Diskurs. Weitere Beispiele für solche Gebäude sind die Stuttgarter Liederhalle (eröffnet 1994) oder die Musik- und Kongresshalle Lübeck (1956 eröffnet, erweitert zum Kultur- und Kongresszentrum 1991).

Durch ihr auch programmatisch außergewöhnliches Grundkonzept erhielt die Kölner Philharmonie weltweit positive Resonanz. Erstmals nach zwei Weltkriegen ließ der Bau die im Modell des Wiener Musikvereins verwirklichte Konzerthausidee wieder aufleben, indem hier ein Programm generiert wurde, das eine „Handschrift“ erkennen ließ. Sie wurde zum Ausgangspunkt für weitere moderne Konzerthäuser. 

Betriebsform, Organisation und Finanzierung

Trotz der wegweisenden Rolle, die das Intendanz-Modell der Kölner Philharmonie einnahm, ergibt sich mit Blick auf die Betriebsmodelle der Konzerthäuser in Deutschland kein einheitliches Bild. Vielmehr schälten sich bereits seit 1850 drei bis heute gültige Betriebsformen heraus:

  1. Nach dem Vorbild des Wiener Musikvereins wird eine meist private, gemeinnützige Organisation mit dem Betrieb des Hauses und der Veranstaltung von Konzerten betraut. Beispiele hierfür sind das Festspielhaus Baden-Baden, das von einer gemeinnützigen GmbH betrieben wird, sowie die Kölner Philharmonie, geführt durch eine private GmbH.
  2. Eine weitere Gruppe von Konzerthäusern ist eng mit einem Ensemble verbunden. In diesen Fällen wurde ein Haus speziell für ein Orchester errichtet bzw. entstand in derselben Zeit, in der das Orchester gegründet wurde, häufig zu sehen in der Kongruenz der Namen. Beispiele sind das Gewandhaus in Leipzig, die Berliner Philharmonie sowie die Tonhalle Düsseldorf und das Concertgebouw in Amsterdam. Ob nun Haus und Orchester unter einer gemeinsamen Verwaltung stehen (wie in Leipzig und Berlin) oder sich die Wege (wie in Amsterdam) bald trennten: Die Orchester der jeweiligen Häuser sind programmbestimmend geblieben. So werden 80 Prozent der Konzertveranstaltungen in Leipzig vom Gewandhausorchester bestritten, und die Berliner Philharmoniker sind gewissermaßen „Aushängeschild“ der Philharmonie in der Bundeshauptstadt.
  3. Schließlich entstanden neue Konzertsäle, die durch die öffentliche Hand errichtet und durch private Spenden finanziert wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Laeiszhalle Hamburg, die im Wesentlichen allen Hamburger Orchestern, Chören, Kammermusikvereinigungen und Veranstaltern zur eigenen Nutzung offensteht. Weitere Beispiele für solche Mietbetriebe sind das Münchner Kulturzentrum Gasteig sowie Die Glocke in Bremen.

Allerdings gibt es Variationen dieser drei Betriebsformen; nicht alle Konzerthäuser Deutschlands lassen sich eindeutig einem Modell zuordnen, sondern hauseigene Unterschiede führen letztlich zu hybriden Formen dieser Typen.

Abbildung 1
Spielstätten, Träger und Betreiber der Konzerthäuser
Tabelle: Spielstätten, Träger und Betreiber der Konzerthäuser
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Die unterschiedlichen Betriebsformen (vgl. Abbildung 1) haben erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Programms sowie auf die gesamte Organisation. Es ist entscheidend, ob einem Haus eine Geschäftsführung vorsteht, die in der Regel wenig Auswirkung auf die künstlerische Ausrichtung hat, ob ein Orchester als oberste Instanz Entscheidungen trifft, die das gesamte Haus betreffen, oder ob die künstlerische und betriebswirtschaftliche Leitung von einer Intendanz ausgeübt wird, die wie beispielsweise in der Kölner Philharmonie gleichzeitig als Geschäftsführung der GmbH fungiert. Der Münchner Gasteig wiederum wird von einer Geschäftsführung betrieben, die auf das aufgeführte musikalische Repertoire wenig Einfluss hat, dagegen aber die wirtschaftlichen Faktoren im Blick haben muss, für diese verantwortlich ist und mit Blick auf die Kosten der Konzerte eng mit der Generalmusikdirektion zusammenarbeitet.

Binnenorganisation und Personal

Die enge Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen eines Konzerthauses ist nicht nur für dessen Leitungsebene von immenser Bedeutung. Angestellte mit unterschiedlichen Berufsbiografien aus Management, Marketing, kaufmännischer oder betriebswirtschaftlicher Ausbildung sowie Verwaltung und Technik arbeiten gemeinsam für das erfolgreiche Gelingen einer Konzertveranstaltung. So steht beispielsweise das Künstlerische Betriebsbüro, das die Disposition und Organisation von Künstlertransport und -aufenthalt koordiniert, in ständigem Austausch mit der technischen Abteilung, um die Probenpläne erstellen zu können. Die Presseabteilung möchte mit dem Künstler noch ein Interview für die hauseigene Publikationsreihe führen und spricht daher ebenfalls mit beiden Abteilungen, der Intendant oder die Intendantin begrüßt die Künstler und muss dafür deren Ankunftszeit kennen. Während die technische Abteilung die Saal- und Haustechnik überwacht und für den problemlosen technischen Ablauf der Konzerte Sorge trägt, kümmert sich das Gebäudemanagement um die Koordination der Foyerkräfte und um all jene Dinge, für die vor und nach dem Konzert gesorgt sein muss. Dazu gehört auch das Einweisen des Publikums, mit dem wiederum das Ticketing intensiv in Kontakt steht.

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Orchester spielt ein Konzert in vollbesetztem Konzertsaal, Perspektive von hinter dem Orchester
Kulturpalast Dresden  
Foto:  Markenfotografie

Der Kontakt zum Publikum wird in Zeiten sozialer Netzwerke und der damit verbundenen sekundenschnellen Weitergabe positiver wie negativer Erlebnisse immer wichtiger. Gelingende Kommunikation nach innen wie nach außen ist unerlässlich für ein zeitgemäß geführtes Konzerthaus, das erfolgreich wirtschaften möchte, unabhängig von den internen Abteilungs- und Betriebsstrukturen.

Finanzierung

Unterschiede lassen sich auch bei der Finanzierung der einzelnen Häuser feststellen. Während einige Häuser durch städtische Träger finanziell gestützt werden, sind andere besonders auf Förderer verschiedener Art sowie ein intensives Sponsoring und Marketing angewiesen. Doch auch die (z. T.) öffentlich finanzierten Häuser beschäftigt die Aufgabe, sich nicht nur auf die öffentlichen Mittel als einzige Förderung zu verlassen, sondern einen Teil der Kosten für Konzerte selbst zu erwirtschaften.

Mögliche nicht öffentliche Finanzierungsmodelle sind Fundraising und Sponsoring – das Anliegen also, mit potenziellen Förderern ins Gespräch zu kommen und eine für beide Seiten fruchtbare Geschäftsbeziehung aufzubauen. Engagiertes Net- working sowie die Einnahme von Sponsorengeldern, die Kooperation mit lokalen oder regionalen Unternehmen und die Akquise im direkten Gespräch gehören zum unerlässlichen Handwerk der Fundraising-Abteilungen eines Konzerthauses. So erhält das Festspielhaus Baden-Baden keine von einem öffentlichen Träger geleisteten Gelder; das Gebäude gehört zwar der Stadt und dem Land, allerdings hat eine private Stiftung eine Betriebsgesellschaft gegründet, die das Festspielhaus durch Kartenverkauf und Spenden finanziert. Die Glocke in Bremen wiederum verdient einen erheblichen Anteil des Etats mit der Fremdvermietung der Räumlichkeiten. Dabei werden die rund 300 Veranstaltungen, die das Bremer Konzerthaus pro Jahr anbietet, vom Betreiber und Vermieter, der Glocke Veranstaltungs-GmbH, koordiniert. Am Leipziger Gewandhaus wiederum werden die städtischen Zuschüsse ergänzt durch einen Freundeskreis und den Sponsors Club, der durch seine Mitglieder zusätzliche Einnahmen erwirtschaftet. [2] 

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Das beleuchtete Gewandhaus zu Leipzig in der Abenddämmerung
Gewandhaus zu Leipzig  
Foto:  Rene Jungnickel  /  Gewandhausorchester

Programm

Unabhängig von der Art und Struktur des Hauses, nimmt das Programm einen zentralen Stellenwert ein. Dabei unterscheidet sich die Ausgestaltung der Veranstaltungen ebenso, wie sich die jeweiligen Häuser in ihrem „Stil-Mix“ der Musiksparten voneinander abgrenzen. Entscheidender Einflussfaktor für das Programm ist der Anteil der Gastspielveranstaltungen, je nach Haus zwischen 40 und mehr als 80 Prozent, wobei auch die Internationalisierung der Musik eine große Rolle spielt. Orchester und Solist*innen sind in der Regel Jahre im Voraus ausgebucht und wissen, wo sie in drei oder sogar fünf Jahren auf der Bühne stehen werden, mit welchem Programm und unter wessen Dirigat. Das macht die Programmgestaltung zu einem Balanceakt zwischen thematischer Schwerpunktsetzung und Verfügbarkeit. In enger Abstimmung mit Agenturen und Künstlerischen Betriebsbüros erarbeitet die Intendanz das Saisonprogramm, wobei nicht nur unter den Veranstaltern auf nationaler Ebene Konkurrenz entsteht, sondern auch unter verschiedensten Häusern weltweit. Dabei werden der Einfluss und die besondere Bedeutung eines Intendanzbetriebs auch in diesem Kontext offenbar: Denn die Bündelung aller Veranstaltungen, ob nun von einem Fremdveranstalter konzipiert oder Ideenkind der eigenen Programmgestaltung, muss in das Gesamtkonzept eines Hauses passen und auch als solches kommuniziert werden. Das Publikum sollte die Handschrift eines Hauses erkennen und als eigenständig wahrnehmen können.

Das Angebotsspektrum der Konzerthäuser reicht von Alter Musik über das klassische und romantische Repertoire bis hin zu zeitgenössischen und weniger bekannten Werken. Dabei werden sowohl sinfonische Stücke neben jene der Kammermusik gestellt wie auch Soloabende mit verschiedenen Instrumenten bzw. Stimmfächern veranstaltet. Hinzu kommen ergänzende Veranstaltungen aus den Bereichen Kabarett, Show und Event. Insgesamt überwiegt in den meisten Häusern der Anteil klassischer Konzerte.

Abbildung 2
Eigen- und Fremdveranstaltungen der Konzerthäuser 2016/17
Abbildung: Anteile der Fremd- und Eigenveranstaltungen nach Spielstätte
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Neben dem Gastspielbetrieb, den alle Konzerthäuser in unterschiedlicher Ausprägung und unterschiedlichem Anteil gemeinsam haben, ist der ganzjährige Spielbetrieb ein weiterer wesentlicher Aspekt, der ein Konzerthaus ausmacht. Über das gesamte Jahr hinweg werden Veranstaltungen angeboten, sodass die Vorbereitung der Konzerttermine einer Saison niemals abgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang ist auch ein Trend zur Qualitätssteigerung und Profilbildung der einzelnen Häuser zu erwähnen. Selbst kleinere Häuser bemühen sich darum, Weltklasseinterpret* innen einzuladen und damit ihr künstlerisches Profil national und international zu schärfen. Ein hohes künstlerisches Niveau der auftretenden Musiker* innen und die damit einhergehende hohe Qualität der dargebotenen Werke sind nicht länger Merkmale nur der großen Traditionshäuser. Vor allem während der letzten 25 Jahre hat sich zudem eine immer größere Spezialisierung auf eigene Programmfelder wie zeitgenössische oder Alte Musik bzw. historisch informierte Aufführungspraxis entwickelt. Dabei orientieren sich die Konzerthäuser nicht zuletzt an Festivals, die gewöhnlich außerhalb von Konzertinstitutionen stattfinden und in einem zeitlich (enger) definierten Rahmen einen regen Publikumszustrom genießen. In jüngerer Zeit geht daher der Trend zu Festivals an den Häusern selbst.

Auch Wahlabonnements, die Interessierten die Möglichkeit geben, aus dem Saisonprogramm des jeweiligen Hauses ihre persönliche Auswahl zu treffen, sind zum Erfolgskonzept geworden. Hiermit ergibt sich für die Konzerthäuser die Möglichkeit, Trends im Publikumsgeschmack abzulesen: Welche Konzerte werden häufig in die Abonnements gewählt? Welche Programmkonzepte gehen auf, welche werden weniger wahrgenommen? Die Erkenntnisse können anschließend in die Programmgestaltung eingebunden werden. Viele Konzerthäuser konzipieren auch neue Veranstaltungsreihen, um ihr Programm von dem anderer Häuser unterscheidbar und damit einzigartig zu machen. Beispiele hierfür sind etwa am Konzerthaus Dortmund das Format „Zeitinseln“, das Künstler*innen oder Komponist* innen über einen Zeitraum von drei oder vier Tagen vorstellt, sowie das Kammermusikformat „Junge Wilde“, das Nachwuchstalente auf ihrem Weg zum Klassikstar begleitet. Rein programmatische Schwerpunkte loten in jüngerer Zeit ebenfalls immer wieder die Grenzen des etablierten Konzerthausprogramms aus und schaffen so neue, ansprechende Formate. Hierzu zählen konzertante Operndarbietungen, Uraufführungen eigens in Auftrag gegebener Werke, Residenzen berühmter Interpret*innen und Porträtkonzerte. Die Bindung besonderer Künstler* innen schließlich kann einem Konzerthaus darüber hinaus auch einen Wiedererkennungswert verleihen. Mit Einstands- oder Abschiedskonzerten wird dieser Gedanke eines „Ensembles“, einer relativ fest installierten Gruppe von Künstlern, verfestigt. So soll dem Publikum die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst als „Kenner“ des Hauses zu verstehen, sich mit dem Haus zu identifizieren und den Künstler idealerweise als Wahrzeichen einer Stadt oder einer Region zu erleben.

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Rechteckig geschnittener barock verzierter Konzertsaal
Konzerthaus Berlin  
Foto:  Sebastian Runge

In diesem Kontext sind auch die Außenpräsentation und die Vermarktung der verschiedenen Konzertangebote von Bedeutung, darunter die zielgruppengerechte und zeitgemäße Ansprache des Publikums. Dies betrifft nicht nur die sozialen Medien, sondern auch tradierte Formen wie Programmhefte und Anzeigen in (über-) regionalen Publikationen, Mailings zu Programmschwerpunkten, Künstlerresidenzen sowie die Kundennähe und -pflege, die beispielsweise durch überlegtes und nachhaltiges Datenmanagement umgesetzt werden kann. Onlineangebote wie die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker oder das Online-Fernsehen Kölner Philharmonie.tv können die Marketing-Bemühungen eines Hauses sinnvoll ergänzen.

Publikum

Die Musik ändert sich nicht, aber das Publikum, das sie hört. Diese Kernaussage beinhaltet die Schwierigkeit, das heutige Publikum anzusprechen, denn ein großer Teil der Bevölkerung gehört zu den „Nichthörern“. Daten aus verschiedenen Umfragen legen nahe, dass der Anteil der Konzertbesucher*innen an der Gesamtbevölkerung bei rund 28 Prozent liegt. Rund 44 Prozent der Bürger*innen besuchen im Lauf eines Jahres ein- oder mehrmals eine Veranstaltung mit (primär) klassischer Musik (Oper, klassisches Konzert, Orgel- oder Chorkonzert, Musical, Tanz/ Ballettaufführung). [3] Altersstruktur, Bildung und Milieuzugehörigkeit der Menschen, die in (klassische) Konzerte gehen, werden regelmäßig untersucht. Die erhobenen Daten können Aufschluss über Publikumsentwicklung und Erwartungen eines Kulturbesuchs, wie z. B. eines klassischen Konzerts, geben – trotzdem bleibt es eine komplexe und aufwändige Arbeit, das Publikum zu erreichen und für ein Haus und dessen Programm zu interessieren. Statistisch gesehen häufen sich mit zunehmendem Alter die Besuche klassischer Konzerte. Individuell hängt dies auch davon ab, in welchem Ausmaß in der früheren familiären Sozialisation Kontakte mit klassischer Musik stattgefunden haben. Nachrückende Generationen kommen also nicht mit zunehmendem Alter ganz automatisch in die Konzerthäuser. Eine altersgemäße Ansprache des Publikums müssen die Konzerthäuser demnach für ältere Konzertbesucher ebenso finden wie für die Elterngeneration der 30- bis 49-Jährigen und die der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Abbildung 3
Besuchszahlen der Konzerthäuser 2016/17
Tabelle: Besuchszahlen der Konzerthäuser
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Bei der Frage nach dem Zielgruppenpublikum ist zugleich das Einzugsgebiet der verschiedenen Konzerthäuser von Bedeutung: In Regionen mit hoher Dichte von Konzerthäusern wie Nordrhein-Westfalen besteht aufgrund einer möglicherweise größeren Konkurrenz der Häuser untereinander die Notwendigkeit, das Publikum auch in Bezug auf die Reichweite der Informationen zu kennen und anzusprechen. So muss die Tonhalle Düsseldorf, die sich in direkter Nachbarschaft zu Essen, Dortmund und Köln befindet, eine andere Form der Ansprache und Publikumsbindung finden als beispielsweise die Alte Oper in Frankfurt, die in ihrer Region mit weniger Wettbewerb umgehen muss. Die Elbphilharmonie Hamburg wiederum hat ebenso wie die Berliner Philharmonie mit ihrem großen Anteil an Kulturtouristen, die die Metropolen besuchen, eine größere Reichweite. Sie entscheidet sich damit vielleicht für eine offener gehaltene Kommunikation.

Für die Gewinnung neuer Konzertpublika muss nicht nur wegen der altersmäßig unterschiedlichen Zielgruppen differenziert kommuniziert werden. Ebenso changieren Milieu, Bildung oder Vorlieben innerhalb der Altersgruppen und machen eine Vielzahl von Angeboten notwendig. Um Menschen für sich zu gewinnen und in die Häuser zu bekommen, sind in den letzten Jahren Angebote der Musikvermittlung bzw. Education immer wichtiger geworden. Nahezu jedes Konzerthaus und Orchester ist darum bemüht, einen Zugang zu den Werken klassischer Musik zu ermöglichen. Dazu werden neue Wege der Begegnung gesucht und verschiedene, alternative Konzertformate erprobt. [4]

Ausblick

Konzerthäuser sind relevante Akteure in musikpolitischen und kulturell-wirtschaftlichen Zusammenhängen. Ihre Expertise ist gerade in der pluralistischen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts mit ihren vielen gleichwertig nebeneinander bestehenden Normen und Werten ein wertvolles Gut. Beispielsweise ist es gegenwärtig besonders wichtig geworden, gesellschaftliche und kulturelle Interkulturalität nicht nur zu registrieren, sondern aktiv mitzugestalten und Menschen wie Musik aus anderen Kulturkreisen mit Neugier und Respekt zu begegnen. In dieser Zeit, die uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, ist die Beständigkeit der Konzerthäuser hilfreich: Als Kulturinstitutionen verfügen sie über eine mehr als 150-jährige Erfahrung, mit komplexen Sachverhalten umzugehen und gesellschaftliche Gegebenheiten, die sich in ständigem Wandel befinden, zu verhandeln.

In diesem Zusammenhang ist die Sensibilisierung für die Bedürfnisse der Konzertbesucher* innen eine dauerhafte Aufgabe für alle Musikinstitutionen. In den vergangenen Jahren wurden auf der ganzen Welt neue, teils spektakuläre Bauten eröffnet, die die Außenwirkung eines Konzerthauses stark gewichten, darunter die Konzerthäuser in Kopenhagen und Helsinki, die Philharmonien in Paris, Krakau und Budapest oder die Philharmonie Luxembourg. Auch in Deutschland sind in den letzten zwei Dekaden innovative Neubauten entstanden, die mit einer außergewöhnlichen Architektur zum Profil ihrer Städte beitragen und helfen, klassische Musik im Leben der Menschen präsent zu halten; zuletzt die Elbphilharmonie in Hamburg, das Annliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum, der Pierre Boulez Saal in Berlin, der Kulturpalast in Dresden. Langfristig bedarf es jedoch nicht nur der äußerlichen Wahrnehmung, sondern auch durchdachter Strategien der Musikvermittlung sowohl für Kinder und Jugendliche als auch für Erwachsene. Welche Chancen gerade ein neues Konzerthaus hierfür bietet, hat Hamburgs Elbphilharmonie mehr als deutlich gezeigt: Drohte die Stadt noch vor zehn Jahren den Anschluss an das internationale Musikleben zu verlieren, hat das geniale Gebäude mit seiner städtebaulichen wie künstlerischen Vision für einen neuen Aufbruch gesorgt und wirkt dabei nicht nur kulturell stimulierend, sondern auch im Hinblick auf die gezielte Entwicklung eines einst wenig attraktiven und nur unzureichend an den Nahverkehr angebundenen Quartiers. Eine ähnliche Konstellation zeigt sich mit dem Anneliese Brost Musikforum Ruhr in Bochum, dessen Bau und Eröffnung seit 2016 für eine neue Anziehungskraft des gesamten Stadtviertels gesorgt haben – und zwar, indem die neugotische Marienkirche in den Bau integriert wurde, unter Berücksichtigung der Bochumer Stadtgeschichte und damit einem Stück lokaler Identität. Typisch für die Ausrichtung der neuen Spielstätten ist zudem ein Anliegen, das die Planer für das Bochumer Haus so formulierten: den Menschen „ein musikalisches Zuhause“ zu geben, „ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, ihrer formalen Bildungsabschlüsse, offen für alle Musikrichtungen mit einem breiten Spektrum von der kulturellen Basisarbeit bis hin zur künstlerischen Spitzenleistung.“ [5] Ziel ist es, Musik für alle anzubieten und so als Konzertstätte auch ein sozialer Ort zu werden, dessen Besucher*innen hier langfristig eine klingende Heimat finden.

Im Kontext einer zeitgemäßen Ansprache verschiedener Publika sind schließlich auch die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nennen, die für die klassische Musik und den Stellenwert der Konzerthäuser große Chancen bergen. Ansprechende Webinhalte, die klassische Musik ständig verfügbar und allgemein zugänglich machen, und Konzerthäuser, die mit ihrer ausgezeichneten Akustik Liveerlebnisse ermöglichen, die in der digitalen Welt nicht erfahrbar sind, lassen sich aussichtsreich vereinbaren. Die Palette der Onlineangebote für klassische Musik reicht weit über die zufällig gefundene Tschaikowski-Sinfonie bei Streaming-Diensten hinaus – zahlreiche Blogs und Plattformen, die speziell für klassische Musik entwickelt werden, beleben den Markt, und die vielfältigen Angebote machen einen regen Austausch von Wissen, Meinungen und Inhalten möglich. Onlineangebote geben den Konzerthäusern daher viele Möglichkeiten zu mehr öffentlicher Aufmerksamkeit und internationaler Sichtbarkeit, die zunehmend gezielt genutzt werden. Das Privileg der Konzerthäuser bleibt bei aller medialen Reproduktion dennoch erhalten: Sie ermöglichen es, sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zusammen mit anderen Menschen ganz auf ein musikalisches Werk zu konzentrieren. Nur hier wird Musik in hochwertiger Besetzung, bester Akustik und auf einem hohen künstlerischen Niveau als unmittelbares Liveerlebnis angeboten. Die Kopplung von Livestream und Liveerlebnis, von ständig verfügbarem Onlineangebot und terminlich festgelegter Musikveranstaltung im Konzerthaus, erweitert so letztlich die Möglichkeiten, klassische Musik zu erfahren. Es ist eine Gleichzeitigkeit, die nicht als „notwendiges Übel“ des 21. Jahrhunderts zu bewerten ist, sondern als Win-win-Situation für beide Seiten.

In der nicht wiederholbaren und einzigartigen Erfahrung eines Konzertbesuchs liegt die Stärke der Konzerthäuser, und ihre Relevanz ist ungebrochen. Die Veränderungen, denen der Konzertbetrieb unterworfen sein wird, lassen sich zwar nicht voraussagen; mit der Singularität seines Angebots kann sich das Konzerthaus als wandlungsfähige Kulturform jedoch auch weiterhin behaupten. 

Über den Autor

Benedikt Stampa war von 2005 bis 2018 Intendant und Geschäftsführer des Konzerthauses Dortmund. Seit der Spielzeit 2019/20 ist er Intendant des Festspielhauses Baden-Baden. Er ist Vorsitzender der Deutschen Konzerthauskonferenz.
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Fußnoten

  1. Vgl. dazu auch Julia Regine Rusch: Konzerthäuser in Deutschland nach 1945. Vergleichende Untersuchung zu Planung, Architektur, Akustik und Nutzung von Aufführungsstätten konzertanter Musik, Köln 2016, S. 16 f.
  2. Vgl. https://www.gewandhausorchester.de/haus/partner/ (Zugriff: 30. Mai 2018).
  3. Vgl. dazu den Beitrag „Musikpräferenzen“ von Karl-Heinz Reuband. 
  4. Vgl. dazu auch den Beitrag „Musikvermittlung“ von Johannes Voit.
  5. Vgl. Benedikt Stampa: Musik für alle?, in: Musikforum 3/2017, S. 14 – 18, hier S. 16.