Berliner Philharmoniker
Berliner Philharmoniker  
Foto:  Stefan Höderath
Die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft ist in ihrer Dichte und Vielfalt weltweit nach wie vor einzigartig. Im Dezember 2014 wurde sie in die nationale Liste des Immateriellen Kulturerbes der UNSECO aufgenommen; für 2020 hat die Bundesrepublik bei der UNESCO die Aufnahme in die internationale Liste beantragt. Rund ein Viertel aller weltweit existierenden Berufsorchester haben ihren Sitz in Deutschland.

Historischer Abriss

Als ältestes deutsches Orchester gilt das Orchester des heutigen Hessischen Staatstheaters Kassel, gegründet durch Landgraf Wilhelm II. im Jahr 1502 durch die Aufnahme eines gewissen Henschel Deythinger als „trumpter“ in die Kasseler Hofmusik. Dieser Trompeter und weitere acht Bläser bildeten mit der Kasseler Hofkapelle eines der ersten selbstständigen Instrumentalensembles unter einem gemeinsamen Leiter und schufen damit die Grundlage für die Herausbildung der Kulturinstitution „Orchester“. Die ersten Wurzeln der deutschen und europäischen Kapell- und Orchesterkultur reichen sogar noch in das 14. Jahrhundert zurück. Namhafte Traditionsorchester wie z. B. die Sächsische Staatskapelle Dresden, die Staatskapelle Weimar oder die Mecklenburgische Staatskapelle Schwerin entstanden im 16. Jahrhundert, weitere an den deutschen Fürstenhöfen im 17. und 18. Jahrhundert. Auf die höfischen und kirchlichen Ensemblegründungen folgte im 19. und 20. Jahrhundert die Entwicklung einer bürgerlichen Orchesterkultur. Seit den 1920er Jahren und in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Rundfunkensembles und weitere kommunale und staatliche Orchester in Ost- und Westdeutschland hinzu. 

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Orchester mit Solo-Flötistin während eines Konzerts
Sächsische Staatskapelle Dresden  
Foto:  Oliver Killig

Überblick

Die professionelle, öffentlich finanzierte Orchesterlandschaft Deutschlands mit gegenwärtig 129 Klangkörpern beruht im Wesentlichen auf vier Säulen: Da sind zum einen die 81 Theaterorchester, die überwiegend die Sparten Oper, Operette, Musical der Stadt- und Staatstheater bedienen. Das Spektrum reicht von großen, international renommierten Opernhäusern wie in Berlin, Hamburg, Stuttgart oder München bis hin zu kleinen Bühnen wie in Lüneburg, Annaberg-Buchholz oder Hildesheim. Darunter befinden sich auch Orchester, die als „Konzertorchester mit Theaterdiensten“ fungieren, bei denen aber der Theaterdienst überwiegt. Die zweite Säule bilden 29 Konzertorchester (darunter ein ziviles Blasorchester), die ganz überwiegend oder ausschließlich im Konzertsaal tätig sind. Die Spitzenposition nehmen hier unbestritten die Berliner Philharmoniker ein, gefolgt von vielen weiteren international bedeutenden Orchestern wie den Münchner Philharmonikern, den Bamberger Symphonikern, dem Konzerthausorchester in Berlin und dem Gewandhausorchester in Leipzig, um nur einige der größten zu benennen. Die dritte Säule bilden acht Kammerorchester, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden und die in der Regel ohne eigene Bläserbesetzung als reine Streichorchester ganzjährig arbeiten, wie z. B. das Stuttgarter Kammerorchester, das Württembergische Kammerorchester Heilbronn oder das Münchner Kammerorchester. Die vierte Säule schließlich besteht aus den Rundfunkklangkörpern der ARD-Anstalten und der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH (ROC) Berlin: Elf Rundfunk- und Rundfunk-Sinfonieorchester, vier Big Bands und sieben Rundfunkchöre sind unverändert ein Standbein für hochwertige Musikproduktion, ambitionierte Programmpolitik und Förderung der zeitgenössischen Musik in Deutschland. Die Zahl der Rundfunk-Sinfonieorchester ist zuletzt im September 2016 durch die Fusion der SWR-Orchester aus Freiburg/Baden-Baden und Stuttgart zum SWR Symphonieorchester am Standort Stuttgart weiter zurückgegangen.

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Konzerthausorchester Berlin
Konzerthausorchester Berlin  
Foto:  Markus Werner

Als sogenannte Kulturorchester wurden seit den 1920er Jahren sprachlich im Allgemeinen alle vorgenannten Konzert-, Rundfunk- und Theaterorchester bezeichnet, da sie – so die etwas angestaubte tarifvertragliche Definition – „überwiegend ernst zu wertende Musik“ spielen. [1] Es handelt sich bei dem Wort „Kulturorchester“ heute nur noch um einen rein juristischen Funktionsbegriff, der auch so in Gesetzestexten und Tarifverträgen verwendet wird, um bestimmte Berufsorchester von anderen professionellen Ensembles abzugrenzen. Das entscheidende Kriterium ist jedoch, dass diese Orchester alle überwiegend öffentlich (aus Steuermitteln oder Rundfunkgebühren) finanziert werden, mit einem festen Personalbestand ganzjährig tätig sind und keine reine Unterhaltungs- oder Marschmusik spielen. Hinzuweisen ist auf weitere professionelle Orchester und Kammerorchester, die entweder (meist als GbR oder GmbH) mit einem Stamm selbstständiger Musiker* innen oder teilweise mit stärkerer öffentlicher Finanzierung auch mit fest angestellten Mitgliedern arbeiten. Hierzu zählen beispielsweise die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und das Bayerische Kammerorchester Bad Brückenau sowie (Projekt-)Orchester, die ohne oder überwiegend ohne öffentliche Finanzierung arbeiten, z. B. die Philharmonie Merck, die 2017 gegründeten Würth Philharmoniker oder das Jewish Chamber Orchestra Munich. (Zu diesem Thema siehe auch den Beitrag „Freie Ensembles“ von Richard Lorber und Tobias Schick.)

Professionelle Orchester bestehen auch in den Bereichen von Polizei, Bundespolizei und Bundeswehr, sind aber überwiegend als Blasorchester- und Big- Band-Formationen tätig. Einzelne, immer wieder neu zusammengestellte Orchesterformationen spielen auf Produktionsdauer im Bereich der kommerziellen Musicalunternehmen vorwiegend in Hamburg, Berlin und Stuttgart. Die Zahl der Kurorchester schließlich, die bis in die 1970er Jahre immer eine wichtige Durchgangsstation für Musikstudent*innen und junge Berufsmusiker*innen waren, ist auf eine kaum noch wahrnehmbare Zahl zurückgegangen. Aus Kostengründen engagieren viele Kurbäder kleine Formationen – vorwiegend aus Osteuropa – nur noch für eine Saison. 

„Die öffentlich finanzierten Theater und Orchester sind nicht bloße Zuwendungsempfänger, sondern durchaus gewichtige kommunale Wirtschaftsbetriebe.“
Autor
Gerald Mertens

Tarifregelungen, Eingruppierung in Vergütungsgruppen und Orchestergrössen

Der „Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern“ (TVK) regelt die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der Mitglieder in den öffentlich finanzierten Orchestern und findet flächendeckend für die meisten Theaterorchester sowie einzelne Konzertorchester Anwendung. Diese Flächentarifsituation für Orchester ist weltweit einzigartig. Der TVK stammt ursprünglich aus dem Jahr 1971 und wurde zuletzt 2009 neu abgeschlossen. Für die Rundfunkensembles gelten in der Regel die besonderen Tarifbestimmungen der einzelnen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten.

Die Theaterorchester werden nach ihrer Besetzung und Planstellenzahl in die Vergütungsgruppen A bis D eingeordnet. Theaterorchester, die nicht über mindestens 56 Planstellen verfügen, gehören der niedrigsten Vergütungsgruppe D an. Zwischen 56 bis 65 Planstellen gilt die Vergütungsgruppe C, ab 66 die Vergütungsgruppe B, ab 78 die Vergütungsgruppe B/F (F steht für „Fußnote“, da die gezahlte Vergütungszulage in einer Fußnote der Vergütungstabelle geregelt ist). Ab 99 Planstellen erfolgt die Einstufung in die Vergütungsgruppe A. Zwischen 99 und 129 Planstellen kann wiederum eine der Höhe nach variable Fußnotenzulage gezahlt werden (Vergütungsgruppe A/F2), ab 130 Planstellen ist zwingend eine Fußnotenzulage (Vergütungsgruppe A/F1) zu zahlen. Dies ist die oberste normale tarifliche Vergütungsgruppe. Insgesamt gibt es also sieben tarifliche Vergütungsgruppen. Entscheidend für die Eingruppierung ist nicht die Zahl der tatsächlich besetzten, sondern der im Haushalts- und Stellenplan ausgewiesenen Planstellen. Die Eingruppierung der Theaterorchester nach bloßer Kopfstärke und nicht nach künstlerischer Leistungsfähigkeit ist seit Jahrzehnten nicht ganz unumstritten. Das argumentative Gegenbeispiel bilden die sechs westdeutschen Kammerorchester, die – obwohl nur 14 bis 21 Musiker stark – grundsätzlich eine Vergütung nach Vergütungsgruppe A zahlen.

Zwei Musiker und leere Instrumentenkoffer
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO
Orchestermusiker im Backstage-Bereich mit Streichinstrumenten und Querflöte
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Konzertreise  
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO
Herr im Anzug schaut durch roten Vorhang nach draußen
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO
Gongschlägel liegen vor einem Gong
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO
Orchester nimmt Applaus entgegen, Dirigent erhält Rosenstrauß
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO
Blick durch den Vorhang auf die Orchestermusiker
Foto:  Peter Meisel  /  BRSO

An der Spitze der deutschen Orchester im Vergütungsbereich stehen die Berliner Philharmoniker, gefolgt vom Bayerischen Staatsorchester, der Staatskapelle Berlin und den großen Rundfunk-Sinfonieorchestern in München, Köln, Stuttgart und Hamburg. Auf der zweiten Stufe – meist noch oberhalb der Vergütungsgruppe A/F1 – folgen Orchester wie das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, die Münchner Philharmoniker, das Gewandhausorchester in Leipzig, die Sächsische Staatskapelle Dresden, die Dresdner Philharmonie, die Bamberger Symphoniker, das Philharmonische Staatsorchester Hamburg, das Gürzenich-Orchester Köln sowie weitere Rundfunksinfonie- und Rundfunkorchester. Die weiteren kommunalen und staatlichen Opern- und Konzertorchester verteilen sich sodann auf die angesprochenen TVK-Vergütungsgruppen, wobei es auch durchaus Orchester gibt, die vereinzelt unterhalb der Vergütungsgruppe D bezahlt werden.

Als Vergleichsmaßstab für die Vergütungsgruppen der TVK-Orchester kann in etwa Folgendes gelten: Die Vergütung eines Mitglieds in einem B-Orchester entspricht in etwa der einer nicht verbeamteten Grundschullehrkraft, in einem A-Orchester der einer Gymnasiallehrkraft und in einem A/F1-Orchester ungefähr der Professorenvergütung an einer Musikhochschule, wobei sich die Relationen in den vergangenen Jahren zu Ungunsten der Orchester verschoben haben. Die Musiker* innen sind in der Regel in einem unbefristeten, aber kündbaren Angestelltenverhältnis, nicht als Beamte beschäftigt.

Die Zahl weiblicher Orchestermitglieder in den Orchestern ist seit den 1960er Jahren stetig gestiegen und wächst weiter. In der Altersgruppe zwischen 25 und 45 Jahren sind bereits über 50 Prozent der Orchestermitglieder Frauen. Dirigentinnen sind jedoch nach wie vor in der absoluten Minderzahl, vor allem auf Chefpositionen. Dieser Zustand wird sich erst langsam verändern. 

Strukturveränderungen - Auflösungen, Fusionen, Rechtsformänderungen

Absinken der Orchester- und Planstellenzahlen durch Auflösungen und Fusionen

Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unterliegt die Orchesterlandschaft einem starken strukturellen Wandel. Stieg im Jahr 1990 infolge der Wiedervereinigung beider Teile Deutschlands die Zahl der Theater und Orchester zunächst stark an, so setzte alsbald eine Anpassungs- und Konsolidierungswelle ein, in deren Verlauf vorrangig in den neuen Bundesländern etliche Einrichtungen aus finanziellen Gründen – insbesondere im Hinblick auf die befristete Übergangsfinanzierung des Bundes – miteinander fusioniert, verkleinert oder ganz aufgelöst wurden. Dies betraf im Orchesterbereich nicht etwa nur kleine Orchester in einigen ländlichen Gebieten oder an den Schauspielbühnen im Ostteil Berlins, sondern auch größere Orchester in ehemaligen Bezirkshauptstädten wie u. a. Schwerin, Erfurt, Potsdam oder Suhl sowie einzelne Rundfunkklangkörper des ehemaligen DDR-Rundfunks in Berlin und Leipzig. Die Karte der Orchesterstandorte (vgl. Abbildung 1) zeigt, wie die Orchesterlandschaft 1990 nach der deutschen Wiedervereinigung aussah und wie sie sich seitdem vor allem durch Fusionen und Auflösungen verändert hat.

Abbildung 1
Öffentlich finanzierte Orchester (strukturelle Entwicklungen seit 1990)
Abbildung: Karte der öffentlich finanzierten Orchester in Deutschland
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Parallel zu der besonderen Entwicklung in den neuen Bundesländern kam es allerdings auch in den alten Bundesländern – schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen – zu gravierenden Strukturanpassungen, angefangen von der Auflösung des Musiktheaters in Oberhausen im Jahr 1992 über die Insolvenz der Philharmonia Hungarica (Marl) im Jahr 2001 und der Abwicklung und Insolvenz der Berliner Symphoniker im Jahr 2004, die seitdem nur noch als Projektorchester arbeiten. Bei der ersten gesamtdeutschen Erfassung im Jahr 1992 gab es noch 168 öffentlich finanzierte Konzert-, Theater-, Kammer- und Rundfunkorchester; 39 Ensembles wurden seitdem aufgelöst oder fusioniert. Zuletzt wurden mit Beginn der Spielzeit 2017/18 die Landeskapelle Eisenach und die Thüringen Philharmonie Gotha fusio- niert. Ein Jahr länger zurück liegt bereits die Fusion der beiden SWR-Orchester im Sommer 2016, mit der eine sozialverträgliche, auf mehrere Jahre angelegte Reduzierung der Musikerzahl von rund 200 auf 119 Beschäftigte im Zielstellenplan verbunden ist. Vor allem diese Orchesterfusion war künstlerisch und kulturpolitisch höchst umstritten, da sich gerade das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg jahrzehntelang konsequent der zeitgenössischen Musik gewidmet hat.

Abbildung 2
Planstellen der öffentlich finanzierten Orchester
Abbildung 2: Planstellenstatistik
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Die Zahl der ausgewiesenen Musikerplanstellen ging seit 1992 von 12.159 auf 9.746 im Jahr 2018 zurück, also um 2.413 oder rund 20 Prozent. Bei diesem Abbau entfielen 1.899 Stellen auf die neuen Bundesländer sowie das ehemalige Ost-Berlin und 514 auf die alten Bundesländer sowie das ehemalige West-Berlin (vgl. Abbildung 2). Durch einige neu geschaffene Planstellen bei einzelnen Orchestern in den alten Bundesländern gab es zwischenzeitlich sogar eine leichte Zunahme der Planstellenzahl West. Daraus lässt sich allerdings kein allgemeiner Konsolidierungstrend ableiten.

Rechtsformänderungen

Der Umbruch in den 1990er Jahren war auch durch einen Privatisierungsboom – wiederum mit Schwerpunkt in den neuen Bundesländern – gekennzeichnet. Dies hing vor allem damit zusammen, dass vielfach staatliche Strukturen der ehemaligen DDR, z. B. die Bezirke, ersatzlos wegfielen und sich insbesondere einige neu gebildete Landkreise mit der Alleinträgerschaft von Theatern und Orchestern finanziell überfordert fühlten. Dies führte vereinzelt zu Bildungen öffentlich-rechtlicher Zweckverbände, z. B. Thüringer Landestheater Eisenach-Rudolstadt- Saalfeld (der Verbund wurde inzwischen wieder aufgelöst), Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt (Sachsen-Anhalt) oder eingetragener Vereine, z. B. Thüringen Philharmonie Gotha, Theater Zeitz, ganz überwiegend aber zur Gründung von GmbHs. Seit 1990 hat es im Bereich der öffentlich finanzierten Orchester bundesweit 44 GmbH-Gründungen bzw. Überleitungen in GmbH-Trägerschaft gegeben, die meisten davon in den neuen Bundesländern. [2] Diese Entwicklung erreichte ihren Höhepunkt etwa Mitte der 1990er Jahre. Die allgemeinen Kostensteigerungen im Personal- und Sachkostenbereich konnten jedoch durch diese Privatisierungen und Auslagerungen der Orchester aus den öffentlichen Haushalten nicht aufgefangen werden.

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Dirigent dirigiert Orchester während eines Konzerts
Münchner Philharmoniker  
Foto:  Tobias Hase  /  Münchner Philharmoniker

Daneben gab es seit 1990 auch 13 Eigenbetriebsgründungen, bei denen die Orchesterbetriebe rechtlich zwar im unmittelbaren Einflussbereich der öffentlichen Hand verblieben, aber wirtschaftlich eine größere Eigenständigkeit und flexiblere Handlungsspielräume eingeräumt bekamen. Prominentes Beispiel für diese Rechtsform sind Gewandhaus und Gewandhausorchester in Leipzig. Die privatrechtlichen, eingetragenen Vereine hatten nicht immer dauerhaften Bestand und mündeten häufig in die Gründung von GmbHs. Ein Problem scheint hierbei darin zu liegen, dass die Rechtsform des eingetragenen Vereins für den Betrieb eines Orchesters mit einem oft millionenschweren Haushalt bei gleichzeitiger Mischung der Mitglieder aus natürlichen und juristischen Personen (in der Regel Kommunen) keine angemessenen Handlungsinstrumente bereithält. Insbesondere sind die ehrenamtlich tätigen Vereinsvorstände oftmals mit erheblichen Rechts-, Finanz- und Haftungsfragen konfrontiert und manchmal auch überfordert. Die Insolvenzen der Trägervereine in Marl (2001), Zeitz (2003) und bei den Berliner Symphonikern (2004) mögen ein Beleg hierfür sein. In Kiel wurde 2007 erstmals ein Stadttheater in eine Anstalt öffentlichen Rechts umgewandelt. 

Rechtsform Stiftung

Seit Anfang der 2000er Jahre wurde häufiger auch die Rechtsform der Stiftung als Trägerinstitution (oder Vorstufe dazu) für Theater- und Orchesterbetriebe gewählt, so bislang in Meiningen, wo in die (privatrechtliche) Theater- und Orchester-Stiftung allerdings auch die ehemals herzoglichen Museen einbezogen sind, bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und seit dem Jahr 2002 bei den Berliner Philharmonikern; letztere als öffentlich-rechtliche Stiftung. Seit 2004 werden die drei Berliner Opernhäuser (Deutsche Oper, Staatsoper Unter den Linden und Komische Oper) mit finanzieller Anschubhilfe des Bundes als „Stiftung Oper in Berlin“ geführt. Weitere Stiftungsgründungen erfolgten 2004 beim Brandenburgischen Staatstheater Cottbus und beim Staatstheater Nürnberg, 2005 bei den Bamberger Symphonikern, 2012 beim Württembergischen Kammerorchester sowie 2018 beim Theater und Philharmonischen Orchester Augsburg.

Der Vorteil der zunehmend gewählten Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Stiftung liegt darin, dass sie in der Regel nicht insolvenzfähig ist, also dauerhaft und verlässlich öffentlich finanziert werden muss. Dies erhöht das Vertrauen der Belegschaft und die Reputation der Einrichtung in der Öffentlichkeit und bei (privaten) Geldgebern. Da – anders als z. B. bei den millionenschweren nordamerikanischen Opern- und Orchesterstiftungen – ein eigenes namhaftes Stiftungskapital nicht vorhanden ist, bleiben diese Institutionen als reine Zuwendungsstiftungen unverändert von den Finanzzuweisungen der öffentlichen Hand abhängig. In der Regel bis zu fünfjährige Zuwendungsverträge geben aber eine weitaus größere Planungssicherheit, als dies gegenwärtig bei den meisten der anderen Rechts- und Betriebsformen der Fall ist.

Vereinzelt sind auch private Freunde und Förderer der Orchester nicht mehr nur als Verein organisiert, sondern wählen ebenfalls ersetzend oder ergänzend die Stiftungsform (z. B. beim Mainfranken Theater Würzburg, der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford, der in Hilchenbach ansässigen Philharmonie Südwestfalen, dem Niedersächsischen Staatstheater Hannover, dem Theater und Orchester Heidelberg und dem Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz). 

Orchesterfinanzierung und Spielräume

Die deutschen Berufsorchester finanzieren sich überwiegend aus den Zuschüssen der öffentlichen Hand, insbesondere von Ländern und Kommunen, bzw. aus Rundfunkgebühren. Der Bund hat sein Engagement zuletzt verstärkt: durch Einstieg in die finanzielle Förderung der Berliner Philharmoniker und der Stiftung „Oper in Berlin“ ab Januar 2018, aber auch durch das Bundesprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschland“, aus dem seit Sommer 2017 bundesweit 31 Orchester Zuwendungen erhalten. Die Einspielergebnisse und Eigeneinnahmen sind sowohl in den verschiedenen Sparten (Musiktheater, Konzert usw.) als auch regional sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt liegen sie bei etwa 18 Prozent des Etats, oftmals darunter, vereinzelt darüber. Die Eigeneinnahmen lassen sich auch nicht beliebig erhöhen. Begrenzte Saal- und Platzkapazitäten, kleinere Einzugsgebiete einzelner Orchester, gewohnt bezahlbare Kartenpreise und das geschichtlich gewachsene Bewusstsein der Bevölkerung an der staatlichen Kulturförderung lassen kurzfristige, nachhaltige Einnahmesteigerungen und eine zu starke Erhöhung von Eintrittspreisen nicht zu.

Im Vergleich zu anderen Ländern, z. B. den USA, verhindern auch wettbewerbsrechtliche Beschränkungen mögliche weitergehende Direktmarketing-Aktivitäten von Theater- und Orchesterträgern. Die vergleichsweise sehr viel geringere Personalstärke deutscher Orchesterverwaltungen bremst gegenwärtig den an sich dringend erforderlichen zusätzlichen Werbe- und Marketingaufwand zur Erreichung neuer Publikumsschichten. Als Faustformel kann gelten, dass ein deutsches Konzertorchester ohne den Betrieb eines eigenen Konzertsaals maximal zehn Prozent seines künstlerischen Personals in Management und Verwaltung beschäftigt (auf 100 Musiker*innen kommen also ca. zehn Verwaltungskräfte, teilweise sogar weniger). Demgegenüber sind die Personalstäbe (Vollzeit und Teilzeit) insbesondere der nordamerikanischen Orchester in der Regel größer als die Zahl des künstlerischen Personals. Der Aufwand für Fundraising und Marketing ist für die dortigen Orchester mangels angemessener direkter öffentlicher Finanzierung ungleich intensiver. Durch die erheblichen Steuerprivilegien für private Geldgeber ist die Kulturfinanzierung in den USA dem Grunde nach aber auch eine öffentliche, wenn auch indirekte. Wie empfindlich die staatsferne Kulturfinanzierung in den USA ist, zeigten die Folgen der weltweiten Finanzkrise 2008/09: Die Stiftungsvermögen und -erträge nordamerikanischer Orchester und Opernhäuser schrumpften teilweise dramatisch, mit gravierenden Folgen für diese Einrichtungen (Einschnitte bei Personal, Programm, Projekten und Gehältern bis hin zu Insolvenzen, wobei der amerikanische Begriff einer „bankruptcy“ nicht automatisch die Betriebsabwicklung, sondern meist eine besondere Form der Entschuldung mit Sanierung und Betriebsfortführung meint). 

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Die tiefen Streicher eines Orchesters während eines Konzerts
Würth Philharmoniker  
Foto:  Ufuk Arslan  /  Würth Philharmoniker

Freiwilliges bürgerschaftliches Engagement in der Organisation professioneller Orchester auf breiter Basis ist in Deutschland bislang ebenso unüblich wie weitgehend noch unbekannt. Erst wenige Einrichtungen nutzen die bereits bestehenden Möglichkeiten eines „Freiwilligen Sozialen Jahres“ in der Kultur.

Fördervereine und Freundeskreise existieren zwar und sind auch wichtig, denn sie verbreitern die Basis für ein regionales Kulturverständnis und -bewusstsein; sie spielen aber ebenso wie das Sponsoring wirtschaftlich keine wirklich bedeutsame Rolle für die Orchesterfinanzierung. Das deutsche Steuerrecht bietet gegenwärtig noch keine ausreichenden Anreize für eine Verstärkung von Sponsoren-, Spenderund Stifterleistungen, die bislang ohnehin nur zur Unterstützung einzelner Projekte oder „Events“ dienen konnten. Obwohl sich die Haushaltssituation des Bundes deutlich verbessert hat, lässt sich nach Aussagen der Bundesregierung hier dennoch keine weitere Erleichterung in naher Zukunft erwarten. 

Veranstaltungs- und Besuchszahlen, Einspielergebnisse und Gesamtetats

Trotz der beschriebenen Strukturveränderungen verzeichnet die aktuelle Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins einen kontinuierlichen Anstieg der Konzertveranstaltungen, von 6.900 in der Spielzeit 2000/01 auf zuletzt 9.200 (vgl. Abbildung 3). Allerdings sind die Rundfunk- und Rundfunk-Sinfonieorchester hinsichtlich ihrer Veranstaltungen und Besuchszahlen in der Erhebung nur teilweise erfasst. Die Zahl der Besuche entwickelte sich im Wesentlichen parallel und überschritt in der Spielzeit 2006/07 erstmals die Vier-Millionen-Marke. Diese Entwicklung ist erfreulich, und es bleibt weiter zu beobachten, wie sich die stetig steigende Zahl von Musikfestivals und Open-Air-Veranstaltungen – vor allem in den Sommermonaten – auch zukünftig auf die allgemeinen Konzertbesuchszahlen und die Auslastung von Veranstaltungen auswirken wird. Die ganz überwiegend positiven Saisonbilanzen, hohen Auslastungszahlen und erfreulichen Geschäftsberichte vieler Musiktheater, Konzerthäuser und Orchester der letzten Jahre sprechen inzwischen für eine im Grundsatz gute Entwicklung.

Abbildung 3
Konzerte und Besuchszahlen der öffentlich finanzierten Orchester
Abbildung: Entwicklung der Konzert- und Besuchszahlen
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Die Deutsche Orchestervereinigung hat für die Spielzeit 2015/16 insgesamt rund 13.800 Konzertveranstaltungen bei allen Orchestern und Rundfunkensembles (mit Rundfunkchören und Big Bands) gezählt, davon 42 Prozent Sinfoniekonzerte (einschließlich Auslandsreisen). Die restlichen verteilen sich auf etwa zehn Prozent Kammerkonzerte, 37 Prozent musikpädagogische Veranstaltungen (Kinder- und Jugendkonzerte, Schülerkonzerte, Workshops in Schulen) und rund elf Prozent sonstige Veranstaltungen. Diese Statistik (vgl. Abbildung 4) belegt, welche besondere Bedeutung die inzwischen zahlreichen Aktivitäten der Orchester im Bereich der Musikvermittlung, also Kinder-, Jugend- und Schulkonzerte sowie Workshops, bereits erlangt haben. Genaue Besuchszahlen konnten leider nicht erhoben werden, da sie bei Schul- und Open-Air-Veranstaltungen, aber auch bei Gastspielen nicht immer erfasst werden. 

Abbildung 4
Veranstaltungen der öffentlich finanzierten Orchester
Abbildung und Tabelle: Veranstaltungen der Orchester
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Der ungebremste Besucheransturm auf die Elbphilharmonie Hamburg, auf das Musikforum Ruhr in Bochum, auf den wiedereröffneten Kulturpalast in Dresden und auf viele weitere neue oder renovierte Spielstätten sind Zeichen einer Trendwende. Problematisch bleibt die genaue Erfassung, Aufschlüsselung und Einbeziehung von Besuchszahlen der Konzerthäuser wie z. B. in Dortmund, Essen oder Hamburg und der großen deutschen Musikfestivals (Schleswig-Holstein Musik Festival, Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Rheingau Musik Festival), da hier inländische und ausländische Orchester sowie zahlreiche sonstige Ensembles auftreten, eine einheitliche Besuchsstatistik aber nicht erhoben wird. Letztlich muss eine nachhaltige Besuchererfassung und -forschung an einzelnen Standorten auf- und weiter ausgebaut werden.

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Orchester spielt auf Open-Air-Bühne vor großer Menschenmenge
Open-Air-Konzert mit dem Gewandhausorchester  
Foto:  Gert Mothes

Die Besuchs- und Auslastungszahlen der Musiktheaterveranstaltungen und Konzerte der Theaterorchester (ohne Konzertorchester) haben sich nach der Theaterstatistik zwischen 2000/01 und 2016/17 nicht wesentlich verändert und sind im Schnitt mit Auslastungsquoten zwischen 70 und 80 Prozent auf hohem Niveau relativ konstant geblieben. [3] Immer mehr Musiktheater und Orchester versuchen durch verbesserte Abonnements- und Angebotsstrukturen neues Publikum anzusprechen und zu binden. Dies gelingt immer besser; so konnte z. B. die Tonhalle Düsseldorf innerhalb von vier Jahren seit 2014 ihre Abonnentenzahl auf über 4.900 mehr als verdoppeln. Auch zahlreiche Opern- und Konzerthäuser haben zuletzt neue Besucherrekorde gemeldet, sodass fraglich ist, ob und inwiefern immer noch von dem bereits seit Jahrzehnten prophezeiten Aussterben des Publikums die Rede sein sollte (vgl. dazu auch den Beitrag „Musikpräferenzen und Musikpublika“ von Karl-Heinz Reuband).

Die Gesamtzahlen belegen, dass die öffentlich finanzierten Theater und Orchester nicht bloße Zuwendungsempfänger, sondern durchaus gewichtige kommunale Wirtschaftsbetriebe sind und regional eine Nachfrage- und Angebotsmacht darstellen, die an einem Standort aufgrund ihrer Produktionsweise hochqualifiziertes Fachpersonal binden. Dies führt einerseits zu einem unmittelbaren Rückfluss im Steueraufkommen und lässt andererseits weitere örtliche Wirtschaftszweige mittelbar oder unmittelbar an den ökonomischen Aktivitäten der Theater partizipieren. 

Situation der Opern- und Rundfunkchöre sowie der Rundfunkensembles allgemein

Auch bei den Opernchören der Musiktheater Deutschlands ist die Zahl der zu besetzenden Stellen seit 1993 um mehr als elf Prozent auf knapp 2.900 zurückgegangen. Dieser Rückgang beruhte – wie im Orchesterbereich – vor allem auf den Strukturveränderungen in den neuen Bundesländern, von denen auch etliche Musiktheaterensembles betroffen waren. Im Land Brandenburg z. B. existiert heute nur noch das Staatstheater Cottbus als vollwertiges Musiktheater. Die Ensembles in Potsdam, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel wurden ersatzlos abgewickelt. Dennoch herrscht im Chorbereich ein gravierender Nachwuchsmangel. Inklusive der Solisten besteht an den deutschen Musiktheatern ein jährlicher Nachwuchsbedarf von ca. 160 Sänger*innen. Rund 400 ausgebildete Sänger*innen verlassen jährlich die deutschen Musikhochschulen und Konservatorien; hiervon finden jedoch nur ca. zehn Prozent dauerhaft einen Arbeitsplatz als professionell Musikausübende (Solo-, Konzertgesang, Opern- oder Rundfunkchöre).

Bei den Rundfunkchören ist die Zahl der Planstellen seit 1990 ebenfalls kontinuierlich zurückgegangen, was zeitweise mangels ausreichender Neueinstellungen partiell zu einer strukturellen Überalterung führte. Im Gegenzug hat die Zahl der professionellen Sänger*innen zugenommen, die von den Rundfunkanstalten auf Projektbasis für größere Aufgaben als Chorverstärkungen herangezogen werden. Inzwischen sind die Rundfunkchöre auch als Konzertchöre für chorsinfonische Aufführungen der großen kommunalen Orchester sowie für Medienproduktionen unentbehrlich geworden. Gegenwärtig bestehen in Deutschland sieben Rundfunkchöre (Hamburg, Köln, Stuttgart, München, Leipzig und zwei in Berlin).

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Orchester während eines Konzerts, im Hintergrund Leinwand mit Projektion „Radio auf dem Lande“
MDR-Sinfonieorchester mit Dirigent Frank Strobel  
Foto:  Stephan Flad  /  MDR

Im Zuge der Umstellung der Rundfunkgebühren von einer bislang gerätebezogenen Gebühr auf eine allgemeine Haushaltsabgabe seit dem 1. Januar 2012 und einer im Frühjahr 2014 von den Bundesländern beschlossenen Kürzung des monatlichen Abgabesatzes von 17,98 Euro um 48 Cent wurden verstärkt Kostenstrukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinterfragt. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) hatte den Bundesländern zuvor sogar eine noch höhere Absenkung um 73 Cent empfohlen. Hintergrund dieser Empfehlung war das politische Versprechen der Länder, die Umstellung des Beitragssystems zum 1. Januar 2012 „aufkommensneutral“ zu gestalten. Die Diskussion um eine angemessene Höhe des Gebührenbeitrags zwischen den Bundesländern, der KEF und den Rundfunkanstalten dauert an und wird auch in den kommenden Jahren weitergehen.

Auf die durch die Umstellung zuletzt tatsächlich vorhandenen Mehreinnahmen können die Rundfunkanstalten jedoch nicht direkt zugreifen. Ihre Zuweisungen sind nach eigener Darstellung faktisch kaum verändert. Da tarif- und inflationsbedingt vor allem die Personalkosten und die Kosten der Altersversorgung steigen, wächst der Druck auf die allgemeine Finanzsituation der Rundfunkanstalten. Äußerst schwierig und erneut auch für einzelne Rundfunkklangkörper existenziell gefährlich könnte die Lage jedenfalls dann werden, wenn einzelne Bundesländer Eingriffe in den Umfang der Hörfunk-Werbeinnahmen vornähmen, ohne diese Verluste aus dem strukturellen Gebührenüberhang auszugleichen. Ein erster Schritt in diese Richtung erfolgte im Herbst 2015 durch das Land Nordrhein-Westfalen mit entsprechender Änderung des WDR-Gesetzes. Die Fernseh-Werbeinnahmen könnten demgegenüber nur mittels Änderung des Rundfunkstaatsvertrags durch alle Bundesländer angepasst werden. Bei alledem darf nicht übersehen werden, dass alle Klangkörper der ARD (Orchester, Chöre, Big Bands) ca. 170 Millionen Euro im Jahr kosten, was lediglich etwa 41 Cent des monatlichen Rundfunkbeitrags für Privathaushalte ausmacht. 

Neue Aktivitäten der Orchester – Hineinwirken in das Musikleben

Dass Konzert- und Theaterorchester über die Veranstaltung von Sinfoniekonzerten und Opernaufführungen hinaus in vielfältiger Weise in das Musikleben hineinwirken, ist bekannt. In allen Orchestern bestehen verschiedenste Kammermusikformationen oder finden sich neu zusammen und bereichern freiwillig und oftmals außerhalb der dienstlichen Verpflichtungen das Konzertleben. Auch die Musikschulen sowie Liebhaber-, Studenten-, Jugend- und Landesjugendorchester und die Kirchenmusik profitieren vom Engagement der Orchestermitglieder. Nicht nur als Instrumentallehrkräfte, sondern auch als Fachmentor*innen dieser nicht professionellen Orchester oder solistisch sind Berufsmusiker*innen hier häufig ehrenamtlich tätig. So gibt es etwa zwischen den Berliner Philharmonikern und dem Bundesjugendorchester eine Patenschaft, die zahlreiche Ebenen der musikalischen Arbeit umfasst. Bundesweit bestehen etwa 50 weitere Patenschaften zwischen Berufs- und Jugendorchestern.

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Ein Mädchen spielt auf einer Geige, ein Mann gibt Hilfestellung
Musikvermittlung beim Konzerthausorchester Berlin  
Foto:  Marco Borggreve

Auch auf dem Gebiet der Kinder-, Jugend- und Familienaktivitäten der Orchester gibt es einen erfreulichen Aufwärtstrend. Die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) entwickelte im Jahr 2000 mit der „Initiative Konzerte für Kinder“ weitreichende Aktivitäten, die insbesondere der Vermittlung spezieller und neuer Erkenntnisse in der professionellen Gestaltung von Kinder- und Jugendkonzerten dienen sollten. Inzwischen gibt es immer mehr Orchester, die sich des Themas der Kinder-, Jugend- und Schularbeit annehmen; dies belegen auch die nunmehr regelmäßig ermittelten Zahlen (vgl. Abbildung 4). Unverändert große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt die Education-Arbeit der Berliner Philharmoniker, welche seit 2002 mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Bank durchgeführt wird und zu Beginn inhaltlich und medial eine gewisse Vorbildfunktion erfüllte. Zahlreiche weitere neue Aktivitäten der Orchester im Schulbereich wurden seit 2004 u. a. im „Netzwerk Orchester & Schulen“, aber auch im Wettbewerb „Kinder zum Olymp!“ der Kulturstiftung der Länder weiterentwickelt und dokumentiert. Hier arbeiten Schul- und Orchestermusiker*innen und ihre Verbände auf allen Ebenen eng zusammen, bieten die Möglichkeit zum regelmäßigen Erfahrungsaustausch und zur Teilnahme an Fortbildungen. Seit 2007 hat sich das „netzwerk junge ohren“ mit Sitz in Berlin etabliert, in dem sich verschiedene Musikverbände aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen haben, um länderübergreifend die Musikvermittlungsaktivitäten von Orchestern, Musiktheatern, Konzerthäusern, aber auch von Musikverlagen und Tonträgerherstellern im überwiegend deutschsprachigen Raum zu koordinieren und weiterzuentwickeln. Das Netzwerk verleiht jährlich den inzwischen international beachteten Junge Ohren Preis für herausragende Musikvermittlungsprojekte aus dem deutschsprachigen Raum.

Junge Streichinstrumentalisten während eines Konzerts
Förderung des Spitzennachwuchses im BJO  
Foto:  Selina Pfruener
Eine große Gruppe Jugendlicher mit Orchesterinstrumenten
Ehrendirigent Sir Simon Rattle mit dem Bundesjugendorchester (2018)  
Foto:  Annette Börger
Balletttänzer hebt eine Ballerina im Spagat, dahinter ein Orchester
Kooperationsprojekt von BJO und Bundesjugendballett (2017)  
Foto:  Silvano Ballone

Der wichtige Beitrag der Orchester zum gesellschaftlichen Diskurs zeigte sich auch in ihrem außergewöhnlichen Engagement angesichts der Entwicklung der Flüchtlingssituation seit Herbst 2014, in der mehr Menschen als je zuvor in Deutschland Schutz vor Krieg und Verfolgung suchten. In einer beachtenswerten Zahl von Projekten und Veranstaltungen haben Orchester in ganz Deutschland musikpädagogische Projekte für geflüchtete Menschen aller Altersgruppen initiiert, Willkommens- und Benefizkonzerte veranstaltet oder sich anderweitig im Umgang mit Fragen der Migration und Integration beteiligt. 

Ausblick

Die sich aus dem beschriebenen Zahlenmaterial ergebenden Herausforderungen der Institution Orchester in den letzten Jahren resultierte weniger aus einer „Sinnkrise“, sondern vielmehr aus der in einzelnen Bundesländern strukturell immer noch zu geringen Finanzierungsbasis der öffentlichen Haushalte der Länder und Kommunen für Orchester und Theater sowie der veränderten Rundfunkbeitragsstruktur.

Die meisten Bundesländer und Kommunen haben inzwischen verstanden, dass ein Einfrieren oder Kürzen des Kulturetats schwerwiegende Folgen haben kann, den Gesamthaushalt aber nicht saniert, da dieser im Durchschnitt mit rund einem Prozent des Haushaltsvolumens nur noch eine Marginalie darstellt. Ein strukturelles und systemimmanentes Problem ist der hohe Personalkostenanteil eines Orchesters bzw. Theaters mit ca. 85 Prozent des Gesamtetats, während der Personalkostenanteil bei Ländern und Kommunen lediglich zwischen 30 bis 45 Prozent des Haushalts ausmacht. Wird hier pauschal gekürzt, sind die Orchester und Theater sofort bis zu dreimal so stark belastet wie der allgemeine Haushalt. Dieses Phänomen berührt die zukünftige Entwicklung ebenso wie die Frage nach dem Ausgleich steigender Kosten, der im öffentlichen Bereich als notwendiges Übel hingenommen wird, von Theatern und Orchestern aber oftmals selbst erwirtschaftet werden soll. Diese betriebswirtschaftliche „Kostenkrankheit“ könnte mittel- und langfristig zur Gefährdung weiterer Kulturinstitutionen, weiterer Orchester führen. Selbst wenn der öffentliche Zuschuss nur „eingefroren“ wird, hat dies unweigerlich einen Personalabbau zur Folge. Die Möglichkeiten, aus eigener Kraft gegenzusteuern, sind für die Institutionen gering: Um eine lineare Zunahme der Lohnkosten von nur jährlich einem Prozent aufzufangen, müsste das Einspielergebnis jeweils dauerhaft um etwa fünf Prozent gesteigert werden. Aufgrund der erhöhten Steuereinnahmen bei Bund, Ländern und Kommunen haben sich die finanziellen Rahmenbedingungen für die Theater und Orchester seit 2015 an vielen Standorten wieder verbessert. Angesichts der Wirkungen des Auslaufens des Solidarpakts II für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 und des Inkrafttretens der sogenannten Schuldenbremse in allen Bundesländern spätestens ab 2020 ist offenbar, dass alle Bereiche der öffentlichen Kulturfinanzierung in Zukunft noch besser aufgestellt werden müssen, als es bisher der Fall war. Entscheidend wird es daher in der nächsten Zukunft auf die strukturelle Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung ankommen.

Die öffentlich finanzierten Musiktheater und Orchester sind auch zukünftig einem harten Verteilungskampf um öffentliche Finanzmittel ausgesetzt. Die Argumente, die von der Kultur- und Finanzpolitik in diesem Zusammenhang für das angebliche Erfordernis weiterer Einsparungen gebracht wurden, haben sich in den letzten Jahrzehnten als nicht stichhaltig erwiesen. Dem Personalabbau der letzten Jahrzehnte waren künstlerisch, partitur-, besetzungs- und aufgabenbedingt absolute Grenzen gesetzt. Inzwischen hat hier ein Gegensteuern und Umdenken eingesetzt.

Die deutschen Orchester haben hohe, teilweise ungenutzte Entwicklungspotenziale; sie benötigen mehr Spielräume im betriebswirtschaftlichen Bereich, eine Professionalisierung des Managements und eine größere Planungssicherheit durch mittelfristige Zuwendungsverträge, die eine vernünftige Mittelverwendung und höhere Eigeneinnahmen belohnen und nicht bestrafen. Der Neoliberalismus mochte in den 1990er Jahren im Übrigen der Theorie folgen, dass Theater und Orchester sich genauso auf dem „Markt“ behaupten müssen wie alles andere auch.

Manche proklamierten einen ökonomischen Darwinismus: Nur was sich verkauft, wird überleben. Dagegen steht jedoch bis heute die historische Tatsache, dass der höchste künstlerische Standard in jeder Ära der westlichen Zivilisation durch „Subventionsgelder“ erreicht wurde: kirchliche, aristokratische oder öffentliche.

Für die erfolgreiche Weiterentwicklung der deutschen Orchesterlandschaft kommt es auch in Zukunft auf den entsprechenden politischen Willen an, auf das Geschick der handelnden Personen in Kulturpolitik und -verwaltung sowie auf die weitere Qualifizierung des Leitungspersonals der Kulturbetriebe. Diese müssen ihre gesellschaftliche Relevanz mehr als früher und immer wieder neu unter Beweis stellen. 

Über den Autor

Gerald Mertens ist Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung und Leitender Redakteur der Zeitschrift „das Orchester“. Er lehrt an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Orchestermanagement.
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Fußnoten

  1. Der Begriff Kulturorchester entstand bereits in den 1920er Jahren. Die nationalsozialistische Kulturpolitik nutzte ihn für Ensembles, die „das hohe Kulturgut deutscher Musik im Volke lebendig [...] erhalten“. Vgl. Tarifordnung für die deutschen Kulturorchester, März 1938.
  2. Eine detaillierte Auflistung der Betriebsformänderungen seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 verzeichnet das Deutsche Musikinformationszentrum nach Angaben der Deutschen Orchestervereinigung in der Statistik Strukturveränderungen der Orchesterlandschaft seit der Wiedervereinigung.
  3. Deutscher Bühnenverein (Hrsg.): Theaterstatistik 2016/17, Köln 2018.

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