Als Ulrich Haider zum ersten Mal vom „Orchester des Wandels“ hörte, reagierte er skeptisch. „Ich dachte, es handelt sich dabei wie so oft um eine Art Greenwashing“, sagt der Stellvertretende Solo-Hornist der Münchner Philharmoniker und meint damit den Versuch einer Firma oder einer Institution, sich durch Geldspenden oder klimapolitische Lippenbekenntnisse besonders umweltbewusst oder nachhaltig darzustellen. Doch schon bald hatte er sich von den ernsthaften Absichten des 2020 gegründeten und eingetragenen Vereins überzeugt. Heute gehört er selbst zum Vorstand und arbeitet aktiv daran mit, das Vereinsziel effektiv voranzubringen: Profiorchester als wichtige Repräsentanten der deutschen Musiklandschaft durch die Minimierung ihres CO2-Fußabdrucks nachhaltiger und klimapolitisch fit für die Zukunft zu machen. „Die Kultur dachte lange Zeit, dieses Thema betrifft sie nicht“, meint Haider, „doch wir möchten ein neues Bewusstsein schaffen.“
Die ersten Impulse für „Orchester des Wandels“ gingen von Musiker*innen der Berliner Staatskapelle aus, die 2009 die Stiftung NaturTon ins Leben riefen und durch jährlich stattfindende „Klimakonzerte“ Geld für internationale Umweltprojekte einnahmen. Das Beispiel machte Schule, Mitglieder anderer Orchester beschlossen, sich in ähnlicher Weise für den Klimaschutz zu engagieren und wandten sich an den Staatskapellen-Hornisten und Stiftungs-Initiator Markus Bruggaier, heute Stellvertretender Vorsitzender bei „Orchester des Wandels“. Da sich die zunehmende Vernetzung und der Informationsaustausch auf institutioneller Ebene einfacher bewerkstelligen ließ, kam es im Juni des ersten Corona-Jahrs zur Gründung der Initiative. Knapp zweieinhalb Jahre später haben sich bereits 34 deutsche Klangkörper als Mitglieder angeschlossen. Die Liste ist beeindruckend und liest sich mit Formationen von München bis Bremen, von Stuttgart bis Hamburg, von Essen bis Berlin wie das „Who’s Who“ der deutschen Orchesterlandschaft; von Opern- und reinen Konzertorchestern bis hin zur Radio-Philharmonie sind die unterschiedlichsten Organisationsformen vertreten.
„Wir haben auch Anfragen von Amateurorchestern erhalten, doch wir wollten uns auf die Berufsorchester beschränken“, sagt Haider, denn auch wenn er sich sehr über das Interesse von außerhalb freut, sprechen strukturelle Gründe derzeit für diese Lösung. Der Beitritt zum Verein ist nach den jeweils im Orchester geltenden Formalitäten geregelt. „Die Musiker*innen stimmen bei ihren Versammlungen darüber ab, ob sie Mitglied beim Orchester des Wandels werden möchten, und dann tritt das Orchester als Ganzes bei“, erklärt der engagierte Hornist. „Daneben besteht die Möglichkeit, auch als Einzelmusiker*in Mitglied zu werden. Von ihnen haben wir momentan 50, sie sind wie die anderen Mitglieder auch stimmberechtigt.“ Nicht stimmberechtig – aber dennoch gern gesehen – sind die Fördermitglieder, die einen geringeren Jahresbeitrag zahlen. Für einzelne Vollmitglieder liegt dieser derzeit bei 100 Euro im Jahr, Orchester zahlen jeweils 1.000 Euro für den gleichen Zeitraum.
Wenn die Hauptaufgabe des Netzwerks auch darin besteht, Orchester bei ihren Bemühungen um Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu unterstützen, bedeutet dies nicht, dass alle Mitglieder an die gleichen Handlungspflichten oder gar quantitativen Vorgaben, etwa bei der Einsparung von CO2 oder Müll, gebunden wären. „Das wäre bei der Unterschiedlichkeit der Orchester, was Größe, Reichweite oder institutionelle Anbindung angeht, gar nicht möglich“, so Ulrich Haider. „Immer aber läuft es bei unseren Mitgliedern auf eine Bilanzierung hinaus, wie sie heutzutage für Unternehmen ohnehin vorgeschrieben ist.“ Welche Schwierigkeiten sich dabei ergeben können, weiß Haider aus eigener Erfahrung. Insbesondere bei großen Institutionen mit komplexen Strukturen – Mehrspartenhäuser etwa mit zusätzlichen Abteilungen wie Schauspiel oder Ballett – ergibt sich das Problem, Zahlen, die das Orchester betreffen, exakt herauszurechnen. „Wichtig ist zu beobachten, wie sich Emissionen während eines bestimmten Zeitrahmens entwickelt haben, damit man beurteilen kann, welche Maßnahmen greifen und wo noch nachgeschärft werden muss.“
Hilfe leisten hierbei die Leitfäden, die auf der Website des Vereins veröffentlicht werden und Handlungsempfehlungen für die Mitgliedsorchester enthalten. Sie richten sich sowohl an Einzelne als auch ans Kollektiv. Zunächst empfiehlt „Orchester des Wandels“ darin die Bildung eines orchestereigenen Umweltteams, das gemeinsam mit Expert*innen ein ökologisches Leitbild entwickelt, den Austausch mit dem Vorstand sowie mit anderen Vereinsmitgliedern pflegt und Anregungen aus den eigenen Reihen aufnimmt. Die Zusammenarbeit mit den Verwaltungsstellen und Intendanzen ist von elementarer Bedeutung. Denn Maßnahmen wie die Umstellung von Mobilität oder die technische Nachrüstung von Konzert- und Probensälen, die erheblichen Einfluss auf den Organisations- und Geschäftsbetrieb eines Orchesters haben, müssen auch praktisch umgesetzt werden. Ulrich Haider, neben seiner Vorstandstätigkeit auch im Umweltteam der Münchner Philharmoniker engagiert, beobachtet eine zunehmende Sensibilität dieser Abteilungen für das Thema Nachhaltigkeit und den Willen, hier wirklich etwas zu bewegen – nicht nur bei seinem eigenen Arbeitgeber. „Insgesamt werden die Impulse aus den Orchestern dankbar aufgenommen – allein deshalb, weil viele Institutionen bislang wenig Erfahrung auf diesem Gebiet haben.“ Umso besser, wenn man Expert*innen hat, die über ein Netzwerk verfügen und einem zeigen können, wie es geht.
Leitfäden von Orchester des Wandels
Grüner Leitfaden für Nachhaltigkeit im Konzertbetrieb
Die Expertise der „Orchester des Wandels“ reicht von der Energie- und Wassereinsparung bis zum Papierverbrauch. Die größte ökologische Herausforderung für Orchester mit überregionaler bzw. internationaler Ausstrahlungskraft sind jedoch Konzertreisen, die zwar Ressourcen verbrauchen, aus künstlerischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten jedoch kaum umgangen werden können. Dass sich viele Langstrecken ausschließlich mit dem Flugzeug bewältigen lassen, sei dahingestellt. Doch gehen die Orchester immer mehr dazu über, europäische und vor allem inländische Destinationen mit klimafreundlicheren Verkehrsmitteln anzusteuern. Das gilt auch für Fernziele, für die statt eines (oft nur vermeintlich bequemeren) Flugs an konzertfreien Tournee-Tagen mittlerweile vermehrt auf Bahnreisen zurückgegriffen wird – bei allen Problemen, die sich hier in Bezug auf Pünktlichkeit und Komfort ergeben können. Darüber hinaus hat die Zusammenarbeit mit logistisch geschulten Busunternehmen bislang ebenfalls zur Verbesserung der Klimabilanz beigetragen. „Was manche Konzerte im Ausland angeht, die ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen interessant sind, gibt es jetzt auch immer mehr Diskussionen über die Frage ‚brauchen wir das wirklich oder lassen wir es lieber bleiben?‘“, berichtet Ulrich Haider. Einige „Prestige-Veranstaltungen“ wurden aus diesem Grund bereits abgesagt.
Da Klimaschutz auch eine wichtige soziale Komponente beinhaltet, unterstützt der Verein „Orchester des Wandels“ mit Geldern, die aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und Konzerteinnahmen stammen, ein groß angelegtes Wiederaufforstungsprojekt im Masoala Nationalpark in Madagaskar. Hierbei handelt es sich um eines der artenreichsten Gebiete der Erde, das jedoch durch Wild- und Brandrodung sowie der hieraus zahlreich resultierenden unkontrollierbaren Feuer in seinem ökologischen Gleichgewicht gefährdet ist. Nun sollen hier zunächst auf einer Fläche von 200 Hektar 140.000 neue Bäume gepflanzt und deren Aufzucht überwacht werden. Das Projekt dient gleichzeitig dazu, Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen und die einheimische Bevölkerung für eine nachhaltige Landschaftsnutzung zu sensibilisieren. Gestartet wurde die Initiative von Martin Bauert, Naturschutzbeauftragter des Zoos Zürich; für die Durchführung vor Ort zuständig ist die Wildlife Conservation Society. Als weiterer Partner ist der 2013 gegründete Eben!Holz e.V. mit an Bord, ein Verein zum Schutz bedrohter Hölzer im Musikinstrumentenbau. „Auch darin sehen wir einen Teil unserer ökologischen Verantwortung“, sagt Ulrich Haider, „denn viele Materialien, aus denen unsere Instrumente gefertigt werden, stammen aus dieser Region.“ Gleichzeitig die Nachhaltigkeit im Instrumentenbau zu fördern und den Bewohnern des Masoala Nationalparks etwas zurückzugeben, freut ihn besonders.