Das Mandelring Quartett spielt in einem historischen, hellbeleuchteten Saal.
Mandelring Quartett  
Foto:  Uwe Arens  /  Mandelring Quartett

Freie Ensembles sind ein wichtiger Motor für Innovation und Kreativität im Musikleben. Doch die Klangkörper arbeiten oft unter schwierigen Rahmenbedingungen.

Neben den öffentlich finanzierten Orchestern existieren in Deutschland Hunderte freier Ensembles und Orchester unterschiedlicher Größe mit variablen Besetzungen und jeweils eigenen Repertoireschwerpunkten insbesondere auf dem Gebiet der Alten sowie der zeitgenössischen Musik. Sie bilden ein breites Fundament für ein vielseitiges, differenziertes Konzertleben und sind flächendeckend im ganzen Land zu finden. Schwerpunkte der Aktivität bilden indes die großen Städte und Ballungsräume: So gibt es allein in Berlin mehr als 40 Ensembles für zeitgenössische Musik und rund 25 auf Alte Musik spezialisierte Formationen in Köln; ebenso stehen München, Hamburg oder Freiburg im Breisgau für eine hohe Dichte an Spezialklangkörpern. Freie Kammerorchester, deren Programme oft auf barockes, vorklassisches und klassisch-romantisches Repertoire ausgerichtet sind, siedeln sich zudem häufig in den musikalisch besonders traditionsreichen Regionen an, etwa in Mitteldeutschland. 

Organisation und Finanzierung

Als freie Ensembles und Orchester werden professionelle Klangkörper bezeichnet, deren Mitglieder selbstständig arbeiten und in der Regel als „Shareholder“ am Klangkörper beteiligt sind. [1] Ihre Rechtsform ist häufig die GbR (Gesellschaft des bürgerlichen Rechts) – aus praktischen Gründen, da die Gründung kaum Formalitäten erfordert, kostengünstig und bürokratisch einfach zu handhaben ist, aber auch aus künstlerischen Erwägungen heraus, da jeder Gesellschafter über weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten verfügt. Zugleich ist diese Rechtsform jedoch mit hohen Risiken verbunden, da die Gesellschafter gesamtschuldnerisch mit ihrem Privatvermögen haften. Zu den Gesellschaftern eines Ensembles zählen entweder alle Mitglieder – etwa bei Concerto Köln und der Akademie für Alte Musik Berlin – oder einige führende Musiker*innen der Formation.

„Wenigen prominenten und vergleichsweise gut finanzierten Ensembles steht eine Vielzahl anderer Formationen gegenüber, deren Arbeitsbedingungen kaum anders als prekär zu bezeichnen sind.“
Autor
Tobias Schick, Richard Lorber

Auch herausragende und mit einem größeren Volumen agierende Klangkörper wie das Freiburger ensemble recherche, das Orchester l’arte del mondo oder das Ensemble Modern sind Gesellschaften bürgerlichen Rechts, Letzteres seit seiner 1987 erfolgten Herauslösung aus den Organisationsstrukturen der Jungen Deutschen Philharmonie, aus der es hervorging. Sofern es ein Management gibt, sind dessen Mitglieder für gewöhnlich jedoch nicht Teil der GbR, sondern bei dieser angestellt; bisweilen – wie im Fall des ensemble recherche – bildet das Management auch eine zweite GbR, die mit dem Ensemble über einen Agenturvertrag verbunden ist. Oft agieren Ensembles auch unter der Rechtsform des eingetragenen Vereins, was nicht nur den Vorteil der Gemeinnützigkeit bietet, sondern auch die Haftbarkeit auf das Vereinsvermögen beschränkt, insofern die einzelnen Mitglieder nicht persönlich und vollumfänglich haften. Beispiele hierfür sind das Münchener Kammerorchester, der Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble, die Heidelberger Sinfoniker sowie das Ensemble Zeitsprung. Unterschiedliche Kombinationen aus Vereinsstruktur, GbR und GmbH dienen einigen Ensembles zudem dazu, mit verschiedenen Erlösen (Spenden, Einnahmen aus CD-Verkäufen etc.) umzugehen. Vielfach spielen Musiker*innen aber auch in einem Ensemble zusammen, ohne dessen Rechtsform explizit zu regeln. Dies ist vor allem bei sehr kleinen Formationen (Duos, Trios etc.) der Fall oder bei Gruppierungen, die in eher geringem Umfang agieren. Häufig werden dann Einzelverträge der Beteiligten mit dem jeweiligen Veranstalter geschlossen, oder ein Ensemblemitglied vereinbart diese stellvertretend für die anderen.

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Eine Aufnahme des Balthasar Neumann-Chor und Ensembles mit ihren Instrumenten.
Balthasar Neumann-Chor und -Ensemble  
Foto:  Florence Grandidie

Für das Musikangebot in Deutschland besitzen freie Ensembles enorme Bedeutung als Motor für Innovation und Kreativität. Diese steht in großem Widerspruch zu den oftmals schwierigen Rahmenbedingungen, denen die Klangkörper ausgesetzt sind. Nur vergleichsweise selten gibt es für sie – anders als z. B. in Frankreich – eine institutionelle Förderung, die zudem selbst bei „Leuchttürmen“ wie dem Freiburger Barockorchester oder dem Ensemble Modern im besten Fall 20 bis 25 Prozent des Gesamtbudgets beträgt. Dies macht alternative Finanzierungsmöglichkeiten nötig, von denen außer den Konzerteinnahmen und den Honoraren externer Veranstalter insbesondere Projektfördermittel für eigene Veranstaltungen von Bedeutung sind. Auch versuchen zahlreiche Ensembles nicht nur aus inhaltlichen und künstlerischen Gründen, sondern auch aus finanziellen Erwägungen heraus, sich in verschiedene Richtungen anzubinden. Sie gründen Fördervereine, um private Unterstützung vor Ort zu kanalisieren, und sind benachbarten Hochschulen verbunden, aus denen wiederum geeignete Musiker*innen rekrutiert werden können.

Den wenigen prominenten und vergleichsweise gut finanzierten Ensembles steht eine Vielzahl anderer Formationen gegenüber, deren Arbeitsbedingungen kaum anders als prekär zu bezeichnen sind. Diese stark zweigeteilte Situation spiegelt sich auch zumeist in den Organisationsstrukturen wider: Verfügen einige Ensembles über ein professionelles Management, so ist die administrative Arbeit bei zahllosen kleineren Ensembles auf einzelne Mitglieder verteilt, die abhängig von ihren Fähigkeiten Aufgaben wie das Schreiben von Antragstexten, die Buchhaltung oder das Projektmanagement übernehmen. Hinzu kommt, dass mit der nach wie vor zu beobachtenden Zunahme freier Ensembles immer mehr Formationen um Projektmittel konkurrieren und sich um spezielle Fördermittel teilweise auch öffentlich finanzierte Klangkörper bewerben können. Selbst in den seltenen Fällen einer erfolgreichen Basisförderung ist deren Volumen meist nicht hoch genug, um die laufenden Kosten etwa einer (Teilzeit-)Stelle im Management oder der Miete eines Büros oder Proberaums decken zu können. Diese Schwierigkeiten führen häufig dazu, dass die Gestaltungsmöglichkeiten auf einem eher niedrigen Niveau stagnieren. Typisch ist daher die Situation von Ensembles, die nicht mehr als etwa fünf bis 15 Konzerte im Jahr geben. Die Aktivitäten können von Jahr zu Jahr zudem stark schwanken, da sie größtenteils über Projektförderanträge bei öffentlichen Geldgebern finanziert werden. Das Gros der Ensembles ist so vorrangig in seiner Heimatregion aktiv, unternimmt aber stetig Anstrengungen, den Aktionsradius zu erweitern. Für internationale Vorhaben sind die Goethe-Institute in den jeweiligen Gastländern häufig wichtige Partner.

Die schwierige finanzielle Situation führt dazu, dass selbst Mitglieder größerer und international renommierter Ensembles nicht immer mit dieser Tätigkeit ihren Lebensunterhalt sichern können und auf weitere Beschäftigungen, an denen Lehrverpflichtungen vermutlich den größten Anteil haben, angewiesen sind. Ein ausreichendes Auskommen bieten nur wenige, herausragende Ensembles, die regelmäßig zu den angesehensten Festivals und herausragenden Spielstätten weltweit eingeladen werden, jährlich zwischen 50 und 100 Konzerte geben sowie eine nennenswerte Zahl weiterer Veranstaltungen wie Workshops oder Vermittlungsprojekte durchführen. Besonders die enge Vernetzung von renommierten Ensembles und Festivals ist für beide Seiten ein wichtiger Aspekt. So betragen etwa die Veranstalterhonorare aus Konzerteinladungen bei Ensemble Modern und ensemble recherche nach eigenen Angaben mindestens 50 Prozent der Gesamteinnahmen. Kommen hierzu 20 bis 25 Prozent institutionelle Grundförderung durch Stadt, Land oder Bund sowie weitere Projektmittel, sind diese Formationen zwar finanziell ungleich besser gestellt als das Gros der freien Ensembles. Durch den relativ geringen Anteil der Grundförderung am Gesamtbudget haben aber auch sie mit Unsicherheiten zu kämpfen.

Vergleicht man die Situation der Mitglieder freier Ensembles, die häufig als Gesellschafter einer GbR auch persönlich haften, mit derjenigen von Musi- ker*innen in Orchestern, die dem TVK (Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern) unterliegen, so zeigt sich eine deutliche Schieflage im Hinblick auf den Anteil institutioneller Förderung wie auch auf das wirtschaftliche Risiko des Einzelnen. Der durchschnittliche Jahresverdienst von Mitgliedern selbst international renommierter Ensembles liegt aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungsstrukturen zumeist deutlich unter dem von Angestellten eines TVK-Orchesters.

Angesichts dieser wirtschaftlichen Nachteile stellt sich die Frage nach den Gründen für eine Tätigkeit in einem freien Ensemble. Hier ist gewiss von Bedeutung, dass die Anzahl der Planstellen in öffentlich finanzierten Orchestern seit 1992 um knapp 20 Prozent zurückgegangen ist, [2] nicht jedoch diejenige der Absolvent*innen an den Musikhochschulen, sodass alternative Tätigkeitsfelder zunehmend an Bedeutung gewinnen. Andererseits bietet das Wirken in einem freien Ensemble weitaus größere künstlerische Gestaltungsspielräume, weswegen viele ambitionierte Musiker aus der Not eine Tugend machen. Für sie ist es attraktiv, ihre künstlerischen Ansprüche individuell und in sich frei formierenden Ensembles zu verfolgen. 

Ensembles für Alte Musik

Die Geschichte der Alten Musik in historisch informierter Aufführungspraxis begann in Deutschland am 18. September 1954 im Großen Sendesaal des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) in Köln mit dem ersten Konzert der Cappella Coloniensis auf historischen Instrumenten. Zugegen waren der amtierende Bundespräsident Theodor Heuss und der Bundesminister für Wirtschaft Ludwig Ehrhard, die dem Ereignis hohe politische Prominenz verliehen. Erst am 21. September 1985 kam es beim Internationalen Musikfest Stuttgart wieder zu einer ähnlichen Konstellation, als Richard von Weizsäcker in seiner Funktion als Bundespräsident aus Anlass des Bach-, Händel- und Schütz-Jubiläums die Festansprache hielt. Die musizierenden Ensembles hier waren die ebenfalls 1954 gegründete Gächinger Kantorei unter der Leitung von Helmuth Rilling und das seit 1965 bestehende Bach Collegium Stuttgart, eines der wenigen Alte-Musik-Ensembles, das auf modernen Instrumenten spielte. Heute unter Hans-Christoph Rademann haben sich die beiden Stuttgarter Ensembles in Gaechinger Cantorey umbenannt und orientieren sich nun auch an der historischen informierten Aufführungspraxis, die in Deutschland eben von jener Cappella Coloniensis begründet wurde: Es wird auf historischen Instrumenten bzw. Nachbauten musiziert, historische Quellen bieten die Entscheidungsgrundlage für möglichst originalgetreue Spielweisen, oft werden auch eigene Editionen hergestellt oder gemeinsam mit Musikwissenschaftler* innen vorangetrieben.

Prägend für die Alte-Musik-Szene in Deutschland war das Auftreten von Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel im Jahr 1973, das erste echte freie Ensemble, das Weltkarriere machte. Heute dokumentiert das Deutsche Musikinformationszentrum für Deutschland mit mehr als 200 spezialisierten professionellen Ensembles eine breite Szene der historisch informierten Aufführungspraxis. Sie kann auf eine beachtliche Erfolgsgeschichte in den vergangenen 60 Jahren zurückblicken. Wurden ihre Art zu musizieren und die Mühen mit den historischen Instrumenten anfangs von etablierten Klangkörpern belächelt, sind die musikalischen Standards längst auf dem Niveau der öffentlich finanzierten Orchester und teilweise weit darüber hinaus angekommen. Die Tariforchester haben den Bereich der Barockmusik und des frühen klassischen Repertoires inzwischen sogar weitgehend an die Ensembles der Alten Musik abgegeben oder engagieren für entsprechende Programme häufig Expert*innen der Szene. Auch einige Musiktheater haben jeweils im Rahmen von Barockschwerpunkten oder Festivals Produktionen mit Spezialensembles auf dem Spielplan, so die Staatsoper Unter den Linden in Berlin, das Badische Staatstheater Karlsruhe und das Theater Magdeburg. Regelmäßig werden aber auch an anderen Opernhäusern Alte-Musik-Spezialist*innen für die musikalische Leitung engagiert und die örtlichen Opernorchester durch Continuo-Spieler*innen ergänzt.

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Der schwarz gekleidete Chor der Gaechinger Cantorey singt nach Noten und steht in zwei Reihen hinter dem spielenden Orchester.
Chor und Orchester der Gaechinger Cantorey  
Foto:  Holger Schneider

Mit ihrer künstlerischen Arbeit, ihrem Pioniergeist und ihren Entdeckungen hat die Alte-Musik-Szene dafür gesorgt, dass sich das musikalische Spektrum im heutigen Musikleben enorm erweitert hat. Alte Musik – damit sind inzwischen beinahe 1000 Jahre Musikgeschichte vom Gregorianischen Choral bis zur sinfonischen Musik der Romantik gemeint; das Feld schließt regional bedeutsame, z. T. lange Zeit unbekannt gebliebene Werke ebenso ein wie die Musik aus anderen europäischen und sogar außereuropäischen Ländern. Alte Musik in diesem Sinn ist angekommen in den großen Konzertreihen und Spielstätten; dass sie präsent ist in allen Bereichen des Musiklebens, im normalen Konzertbetrieb, bei den Festivals, auf dem CD-Markt und im Rundfunk ebenso wie an fast allen Musikhochschulen, ist eine fundamentale Leistung der auf diese Richtung spezialisierten Ensembles und Künstler*innen. Dabei haben sich in Deutschland einige regionale Schwerpunkte herausgebildet. So wird Köln manchmal als Hauptstadt der Alten Musik bezeichnet. Die Kölner Gesellschaft für Alte Musik zählt derzeit 90 aktive Ensembles und Musiker als Vereinsmitglieder. Diese Dichte hängt auch zusammen mit der Rolle des Westdeutschen Rundfunks (WDR), der seit den 1960er Jahren als eine Art Geburtshelfer und Auftraggeber für viele Ensembles agierte, und natürlich mit der örtlichen Musikhochschule. An allen Musikhochschulstandorten, an denen Alte Musik eine Rolle spielt, gründen sich Ensembles. Am eindrucksvollsten lässt sich das in Basel mit der Schola Cantorum Basiliensis beobachten, in deren Umfeld ständig neue Ensembleaktivitäten entstehen, die nachhaltig auch die Alte-Musik-Szene in Deutschland bereichern. Auch dort, wo sich überregional erfolgreiche Ensembles angesiedelt haben – etwa in Freiburg oder Berlin –, wirkt das stimulierend auf die Szene.

Doch nach einer Hochphase, die all dies ermöglichte und bewirkte und die bis die 1990er Jahre reichte, treffen die Musiker*innen zunehmend auf schwierige Rahmenbedingungen: Der Tonträgermarkt ist eingebrochen, und der Rundfunk hat sich weitgehend weg von eigenen Produktionen hin zum Mitschneiden von Konzerten orientiert. Zudem ergänzen die Ensembles der Alten Musik im Konzertleben nicht nur das Angebot der öffentlich finanzierten Orchester, sondern konkurrieren auch untereinander. Unter anderem in Reaktion auf diese Situation gründete sich 2011 die Kölner Gesellschaft für Alte Musik, die heute das Zentrum für Alte Musik Köln (ZAMUS) betreibt. Dieses wird durch einen Betriebskostenzuschuss der Stadt und eine Projektförderung des Landes Nordrhein-Westfalen sowie durch Stiftungen und Sponsoren unterstützt. 2012 eröffnet, ist das ZAMUS einzigartig in Deutschland. Es bietet den Mitgliedern nicht nur wertvolle logistische Unterstützung durch Proben- und Büroräume sowie Vermietung von Instrumenten, sondern ist auch eine künstlerische Begegnungsstätte geworden. Jedes Jahr findet hier auch das Kölner Fest für Alte Musik statt, das u. a. mangels tradierter Spielstätten neue Aufführungsorte erschließt. Ähnliches findet in Freiburg am sogenannten Ensemblehaus statt, das ebenfalls 2012 eröffnet wurde. Das Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche sind hier zu Hause und verfügen über Probenräume und Orchesterbüros. In Kursen und Workshops der Ensemble-Akademie wird das Neben- und Miteinander von Alter und zeitgenössischer Musik zum Prinzip gemacht.

Veranstaltungen, Vernetzungen und Synergien
Rund 60 Festivals im professionellen Bereich und mit überregionaler Bedeutung widmen sich derzeit in Deutschland schwerpunktmäßig der Alten Musik. [3] Für ihre Engagements verfügen sie über unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten und müssen ihre Programme möglichst kostendeckend planen. Dies gilt für Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, etwa die seit 1976 bestehenden Tage Alter Musik in Herne (WDR) oder die Reihe „Das Alte Werk“ (NDR) ebenso wie für private Initiativen, beispielsweise die Tage Alter Musik in Regensburg, die 1984 von drei ehemaligen Sängern der Regensburger Domspatzen gegründet wurden und heute zu den weltweit bedeutendsten Angeboten in dieser Sparte zählen. Eine Reihe von Festivals resultiert daneben aber auch direkt aus den Aktivitäten einzelner Ensembles, die über Projektförderungen eigene musikalische Pläne verfolgen und diesen durch den Festivalcharakter eine größere künstlerische und publizistische Strahlkraft verleihen. So bündelt Hermann Max seine Aufführungen mit der Rheinischen Kantorei im Festival Alte Musik Knechtsteden, veranstaltet Frieder Bernius das Festival Stuttgart Barock, bietet die Lautten Compagney die Aequinox-Musiktage in Neuruppin und präsentiert Andreas Spering in Brühl bei Köln das einzige deutsche Haydn-Festival. Sind Alte-Musik-Festivals wie die Göttinger Händel-Festspiele oder die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci aus einer weiter zurückreichenden Tradition heraus entstanden, ist auch dort mittlerweile eine Tendenz zur Ausrichtung auf einzelne Künstlerpersönlichkeiten oder Ensembles zu beobachten: In Göttingen etwa profilierte sich unter Laurence Cummings das Festspielorchester als eigener Klangkörper, und in Potsdam steuert ab 2019 die neue Intendantin und Blockflötistin Dorothee Oberlinger mit ihrem Ensemble 1700 regelmäßige Opernaufführungen bei, nachdem sie zuvor die Barock-Festspiele in Bad Arolsen geleitet hat.

Zudem prägen Synergieeffekte mittlerweile die Szene. Aktivitäten bei Festivals, Professuren bzw. Lehraufträge, exklusive Bindungen an Labels, Ensembleleitungen und solistische Engagements sorgen dafür, dass sich Interpret*innen einen großen Wirkungskreis aufbauen und Vernetzungen quasi unternehmerisch nutzen können. Wenn nicht ein ganzes Festival, so versuchen viele Ensembles, mindestens eigene Konzertreihen zu etablieren. Das Freiburger Barockorchester veranstaltet drei eigene Reihen in Freiburg, Stuttgart und Berlin, die  für Alte Musik Berlin ebenfalls eine in Berlin und in München. Selbst ein vergleichsweise kleines Ensemble mit dem speziellem Repertoire der mittelalterlichen Musik wie das im südbadischen Grenzach-Wyhlen ansässige Ensemble Leones ist beteiligt an der Biennale „Herbst des Mittelalters“ im benachbarten Basel-Binningen. Die Capella de la Torre betreibt u. a. die Reihe Musica Ahuse im schwäbisch-bayerischen Auhausen; das Elbipolis Barockorchester denkt über ein Festival für Alte Musik in Hamburg nach.

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Die Capella de la Torre hat sich mit ihren Instrumenten versammelt.
Capella de la Torre  
Foto:  Andreas Greiner-Napp  /  Capella de la Torre

CD-Produktionen sind für die Ensembles der Alten Musik, auch wenn damit keine nennenswerten Einnahmen mehr erzielt werden können, dennoch wichtig. Sie tragen zur Profilbildung bei und sind ein wertvolles Marketinginstrument bei der Akquise von Konzerten – gerade auch bei Veranstaltern, die sich nicht im spezialisierten Festivalsegment betätigen. Solche CD-Programme werden dann zu Tourneeprogrammen und abrufbaren Repertoires. Dies gilt vor allem für kleinere Ensembles in Kammermusik-Besetzung, die übrigens ihre Konzerte in der Regel selbst akquirieren, während die in der Alten Musik tätigen, meist kleineren Agenturen eher ausländische Ensembles vermitteln, die nur über eingeschränkte Kenntnisse des deutschen Markts verfügen. 

Repertoireinteressen
Die Aktivitäten aller Alte-Musik-Ensembles gehen immer von einem speziellen Repertoireinteresse aus. Das ist z. B. bei der Capella de la Torre die Bläsermusik der Renaissance, eine auf den ersten Blick sehr eingegrenzte Musikrichtung für Kenner, der das Ensemble aber in den zwölf Jahren seines Bestehens durch themenbezogene Programmierungen wie „Luthers Hochzeitsmusik“, „Una Serata Venexiana“ oder „Musik zum Konstanzer Konzil“ eine erstaunliche Breitenwirkung verschafft hat. Die Ensembles Musica Fiata und La Capella Ducale, die schon seit den 1970er Jahren bestehen, haben sich auf die vokale und instrumentale Ensemblemusik des 17. Jahrhunderts spezialisiert, das Tübinger Ensemble Ordo Virtutum u. a. auf szenische Aufführungen mittelalterlicher dramatischer Darstellungsformen. In Köln kümmern sich der Chorus Musicus und Das Neue Orchester um oratorische Werke des 19. Jahrhunderts, für die jedes Mal 50 und mehr Mitwirkende verpflichtet werden, und agieren in ungewöhnlichen Aufführungsprojekten wie dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms für Soli, Chor und Klavier zur vier Händen („Londoner Fassung“).

Anders als im klassisch-romantischen Repertoire gibt es in der Alten Musik keine Standardbesetzungen, die sich aus den Quellen ableiten ließen. Dies betrifft die Besetzungsgrößen genauso wie die klangliche Zusammensetzung. Bei der Gründung der Cappella Coloniensis orientierte man sich etwa am historischen Vorbild der Dresdner Hofkapelle im 18. Jahrhundert. Je nach verfügbarem Budget bieten die Ensembles flexible Besetzungen an, ergänzen oder lassen Continuo-Instrumente weg, reduzieren oder stocken die Streichinstrumente auf. Auch bei vokal und instrumental gemischten Besetzungen, etwa in der venezianischen Mehrchörigkeit, können Vokalstimmen jederzeit durch Instrumente ersetzt werden. Manchmal spielen auch Zufälligkeiten künstlerischer Begegnungen eine Rolle. Das junge norddeutsche Ensemble PRISMA etwa tritt in der Formation Blockflöte, Violine, Viola da gamba und Laute auf, für die wahrscheinlich kein einziges Werk in genau dieser Besetzung überliefert ist. Aber zur historisch informierten Aufführungspraxis gehört wesentlich, dass die musikalischen Quellen an die jeweiligen Möglichkeiten und künstlerischen Ambitionen angepasst werden.

Violinistin Katarzyna Wozniakowska und Artistic Partner Mitsuko Uchida vertieft in lebhafte Unterhaltung an einem Flügel
Foto:  Geoffrey Schied
Das Projekt "Feel the Music" vom Mahler Chamber Orchetra mit gehörlosen und hörgeschädigten Kindern. Ein kleiner Junge spürt die Vibration in der Violine, während die Musikerin für ihn spielt.
Das Projekt „Feel the Music“ vom Mahler Chamber Orchestra mit gehörlosen und hörgeschädigten Kindern  
Foto:  Holger Talinski
Pauker Martin Piechotta spielt für einen Jungen im Rahmen des Projekts "Feel the Music" mit gehörlosen und hörgeschädigten Kindern.
Foto:  Holger Talinski / Laif

Eine gern praktizierte Spezialisierung besteht zudem in einer regionalen Ausrichtung der Repertoires. Das Hamburger Ensemble Elbipolis Barockorchester kümmert sich schwerpunktmäßig um die Musik der Gänsemarktoper des 17. und 18. Jahrhunderts, Cantus und Capella Thuringia wiederum widmen sich der mitteldeutschen Musik und haben dazu das vom Thüringer Kultusministerium geförderte Projekt „Musikerbe Thüringen – Klingende Residenzen, Städte und Dörfer zwischen Reformation und Aufklärung“ initiiert. Die Hofkapelle München will das Musikleben Münchens und Bayerns zwischen 1600 und 1850 wiederentdecken und dem Musizieren in historischer Aufführungspraxis, das in Bayern anders als in Köln, Freiburg oder Berlin vergleichsweise wenig etabliert ist, Geltung verschaffen.

Stand in den ersten Jahrzehnten der Alte-Musik-Bewegung die Interpretation der bekannten Werke von Bach, Händel und Vivaldi in der damals neuen Klangsprache der historischen Aufführungspraxis im Vordergrund, heißt das Credo heute: Wiederentdeckungen. Vergessene Werke sollen dem Publikum präsentiert und damit Uraufführungen historischer Musik für unsere Zeit realisiert werden. Etwas anders gelagert ist die Situation indessen bei Ensembles, die aufgrund ihres internationalen Aktionsradius ein sehr breites Repertoire abdecken: Concerto Köln hat vor kurzem noch neue Einspielungen von Vivaldis „Le quattro stagioni“ und Bachs „Brandenburgischen Konzerten“ vorgelegt – Standardwerke der Alten Musik –, verfolgt aber gleichzeitig das Ziel, die Repertoiregrenzen in Richtung 19. Jahrhundert zu schieben, z. B. durch das groß angelegte, wissenschaftlich begleitete Vorhaben, Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ mit dem Dirigenten Kent Nagano aufzuführen. Auch das Freiburger Barockorchester, das mit ca. 100 Konzerten pro Jahr fast schon an eine Auslastungsgrenze gekommen sein dürfte, erklärt, ein möglichst breites Repertoire abdecken zu wollen: vom Frühbarock bis hin zum neu komponierten Auftragswerk. 

Neue Konzertformen und Education
Im normalen Konzertbetrieb auf kommunaler Ebene, bei den Festivals und bei privaten Kulturaktivitäten werden zunehmend nicht mehr nur konventionelle Konzertprogramme – selbst mit ausgefeilter Dramaturgie – nachgefragt. Vor allem, wenn es darum geht, Fördermittel einzuwerben, müssen die Ensembles erweiterte Angebote parat haben. Fast alle Ensembles veranstalten Gesprächskonzerte. Besonders intensiv tut dies seit Jahren Christoph Spering, zuletzt mit einem Zyklus aller Beethoven-Sinfonien im Konzerthaus Blaibach. Die Capella de la Torre hat mit ihrer „Zeitmaschine“ ein Format für allgemein bildende Schulen entwickelt und dafür den Förderpreis Musikvermittlung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und Musikland Niedersachsen gGmbH erhalten. Das Freiburger Barockorchester wiederum bietet u. a. regelmäßig Schulkonzerte und Workshops für Kinder und Jugendliche an und wirkt als Schirmherr des Landesjugendbarockorchesters Baden-Württemberg. Das Elbipolis Barockorchester hat eine „Barock Lounge“ kreiert, bei der in einer Clubatmosphäre Barockmusik mit einem darüber improvisierenden DJ zusammengebracht wird. Eine der erfolgreichsten CDs der Berliner Lautten Compagney war „Timeless“ mit Minimal Music von Philip Glass und Musik des Monteverdi-Zeitgenossen Tarquinio Merula.

Aus solchen Grenzgängen oder Überschreitungen der normalen Konzertform, welche die Alte-Musik-Ensembles nicht zuletzt aus Gründen der Marktpräsenz betreiben, hat sich in jüngerer Zeit das Betätigungsfeld des Konzertdesigns entwickelt. Zurückgehend auf den Bratschisten und späteren Agenten der Akademie für Alte Musik Berlin Folkert Uhde, werden in neueren Konzepten tradierte räumliche Situationen wie auch Programmabläufe (teilweise radikal) aufgebrochen – nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus, dass die traditionelle Konzertform des 19. Jahrhunderts eigentlich nicht zu den Repertoires der Alten Musik passt und oft auch nicht zu den Rezeptionsgewohnheiten des heutigen Publikums. Diese Kreation neuer Angebote ist damit ebenfalls ein wesentliches Verdienst der freien Szene mit ihren flexiblen Ensembles. 

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Im Kinderkonzert „Mitmach-Melodie der Großstadt“ sitzt eine Reihe Kinder vor den Mitgliedern der Kammerakademie Potsdam, die ihre Streichinstrumente in den Händen halten. Durch einen Vorhang scheint grünliches Licht.
Mitglieder der Kammerakademie Potsdam im Kinderkonzert „Mitmach-Melodie der Großstadt“  
Foto:  Fabian Schellhorn

Ensembles für zeitgenössische Musik

Im Bereich der zeitgenössischen Musik ist die Entstehung der ersten Spezialensembles eng mit den neuen Anforderungen an die Musiker*innen verbunden, welche die Komponist*innen mit ihren Werken ausformulierten. Nach wenigen Vorläufern in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (etwa 1946 das SWR Vokalensemble Stuttgart) kam es zu einer ersten größeren Welle von Ensemblegründungen zu Anfang der 1980er Jahre, darunter Formationen wie das Ensemble Modern (Frankfurt am Main, 1980) und das ensemble recherche (Freiburg, 1985). Bis zum Ende der 1990er Jahre entfaltete sich anschließend flächendeckend eine Szene von Spezialensembles für zeitgenössische Musik, und auch seit der Jahrtausendwende setzen sich die Gründungen (in etwas abgeschwächter Form) fort. Heute dokumentiert das MIZ mindestens 180 professionelle Ensembles in diesem Bereich. Statistisch exakt erfassen lässt sich diese „freie Szene“ jedoch nicht, schließlich deutet schon ihre Bezeichnung auf stetige Veränderungen und einen eher geringen Grad an Institutionalisierung hin. So werden auch die Auflösungen von Ensembles selten offiziell vollzogen. Viel häufiger ist eine faktische Auflösung durch Inaktivität, die nicht nur durch fehlende finanzielle und künstlerische Gestaltungsspielräume bedingt, sondern auch auf eine künstlerische oder räumliche Umorientierung einzelner Musiker*innen zurückzuführen sein kann. Mangelnde Kontinuität in der Ensemblearbeit gefährdet oftmals deren Stabilität, ist aber nahezu unvermeidbar, gründen sich Ensembles doch meist in der fließenden Übergangszeit zwischen dem Ende des Studiums und dem Beginn der beruflichen Tätigkeit und somit in einer persönlichen Orientierungsphase. Insbesondere Städte mit Musikhochschulen sind daher bevorzugte Orte für Ensemblegründungen. Diese erfolgen oftmals in einem Kontext, in dem die Gegenwartsmusik zwar präsent ist und auf Interesse stößt, aber dennoch ein gewisses institutionelles Vakuum existiert. So war Freiburg Anfang der 1980er Jahre – mit einem der deutschlandweit ersten Institute für Neue Musik, dessen Leiter Klaus Huber als international renommierter Komponist und Kompositionslehrer galt, der Anwesenheit weiterer prägender Komponisten wie Wolfgang Rihm oder Brian Ferneyhough und der Existenz des Experimentalstudios des SWR – zwar einerseits ein wichtiges Zentrum der zeitgenössischen Musik, andererseits gab es jedoch auf Seiten der Interpret*innen noch keine feste professionelle Formation in der Größe eines Kammerensembles, eine Lücke, die durch die Gründung des ensemble recherche geschlossen wurde. Die Gründung des Decoder Ensembles in Hamburg 2012 oder des Ensembles hand werk in Köln 2011 etwa erfolgte in ähnlichen Kontexten. So bildeten Studierende mit Interesse an zeitgenössischer Musik, die sich aus Hochschulprojekten oder anderen Kontexten wie etwa den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik bereits kannten, eigene Ensembles, um ihre Arbeit zu verstetigen und zu professionalisieren.

Das Ensemble Modern sitzt mit seinen Instrumenten vor einer Leinwand und wartet auf den Einsatz. Aufgeführt wird das Werk „ChaplinOperas“ von Benedict Mason. Auf der Leinwand zeigt Charlie Chaplin in einem seiner Filme.
Foto:  Walter Vorjohann
Das Ensemble Modern spielt Musik, während auf dem blauen Hintergrund die schwarze Silhouette eines Akrobaten zu sehen ist. Links auf der Bühne sitzt eine Frau vor einem beleuchteten Spiegel und trägt Make-Up auf.
Die Aufführung „Spectacle Spaces“ vom Ensemble Modern  
Foto:  Barbara Aumüller
Das Ensemble Modern sitzt während der Aufführung auf Stühlen. Die Mitglieder halten Schilder mit dem Wort "Silence" über ihre Köpfe.
Foto:  Kai Bienert

Eine große Bedeutung für den Erfolg der Ensemblearbeit gerade in der schwierigen Anfangszeit kommt hierbei immer wieder einzelnen Institutionen oder Personen zu, die etwa auf unbürokratische Weise Proberäume zur Verfügung stellen, Aufnahmen anregen oder Auftrittsmöglichkeiten vermitteln. Wichtige Orte der Begegnung sind neben den Musikhochschulen und Meisterkursen auch spezielle Institutionen wie die 2003 gegründete Internationale Ensemble Modern Akademie (IEMA). Diese bietet seit 2006 in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main einen einjährigen Masterstudiengang Zeitgenössische Musik an, wo hochqualifizierte junge Musiker*innen über längere Zeit zusammen spielen und dies häufig auch nach Ende des Studiums fortsetzen. So haben sich etwa Formationen wie das Ensemble Interface (2011) oder das Mobile Beats Ensemble (2015/16) in diesem Zusammenhang gegründet. 

Besetzung und Repertoire
Die Landschaft der Spezialensembles für zeitgenössische Musik lässt sich nach unterschiedlichen Kriterien wie etwa Anzahl der Mitglieder, Besetzung, Aktionsradius oder auch künstlerische Schwerpunktsetzungen differenzieren. Die Verteilung der Besetzungsgrößen scheint dabei recht ausgewogen zu sein: Etwa die Hälfte der Formationen setzt sich aus vier bis zehn Mitgliedern zusammen; die weiteren sind – annähernd paritätisch – entweder Duos und Trios oder größere Gruppierungen mit mehr als zehn Mitgliedern. Mittelgroße, projektbezogen erweiter- oder verkleinerbare Ensembles sind demnach die Regel. Als deutlich weniger ausgeglichen erweisen sich die Zusammensetzungen der Besetzungen. Etwa 40 Ensembles mit einer homogenen Besetzung, darunter sieben Streichquartette, drei Schlagzeugensembles und drei Saxofon-Quartette stehen mehr als 120 Ensembles in instrumentalen Mischbesetzungen gegenüber, die meist in unterschiedlichen Anteilen Holzbläser, Streicher, Klavier, Schlagzeug und schon seltener Blechbläser, Gitarren oder elektronische Klangerzeuger einbeziehen. Noch größer ist das Ungleichgewicht zwischen vokalen und instrumentalen Ensembles. Lediglich zehn Vokalensembles widmen sich schwerpunktmäßig der zeitgenössischen Musik, jedoch gibt es weit über 150 instrumentale Ensembles, von denen nur einige auch ab und zu Stimmen integrieren. Diese Fakten prägen auch das weitverbreitete Bild des typischen „Neue-Musik-Ensembles“, das aus fünf bis 15 Musiker*innen in einer gemischten Besetzung besteht. Vor allem weniger prominente Ensembles passen ihre Besetzung und Größe den jeweiligen Erfordernissen und Gegebenheiten an. 

Ein Blick auf die musikgeschichtlichen Entwicklungen der letzten 35 bis 40 Jahre zeigt, dass die Konstituierung von Ensembles und die Entstehung von Werken wechselseitig aufeinander bezogen sind. Seit der ersten Gründungswelle galten die Besetzungen kanonischer Werke der Moderne (in teils modifizierter Form) als Vorbild für neue Ensembles. Dies betrifft etwa das Ensemble Modern, dessen Besetzung sich ursprünglich an Arnold Schönbergs Kammersinfonie op. 9 ausrichtete, genauso wie das Freiburger ensemble recherche, dessen Besetzung (Flöte, Oboe, Klarinette, Violine, Viola, Violoncello, Schlagzeug, zwei Klaviere) letztlich auf Arnold Schönbergs „Pierrot Lunaire“ op. 21 (Stimme, Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier) zurückgeht. Insofern gerade für solcherart bedeutende Ensembles ein großes Repertoire mit vielen wichtigen Werken entstanden ist (das ensemble recherche etwa brachte seit der Gründung 1985 über 600 Werke zur Uraufführung), haben sie auch die Zusammenstellung von später gegründeten Ensembles beeinflusst. Dies betrifft in besonderer Weise die „Pierrot-lunaire“-Besetzung, die für die zeitgenössische Musik mittlerweile einen ähnlich kanonischen Rang einnimmt wie das Streichquartett in der klassischen Kammermusik. Ihr folgen u. a. etwa das Ensemble Interface, das Talea Ensemble sowie das Ensemble via nova.

Gerade in einer späteren Phase von Ensemblegründungen sind jedoch verschiedene Wege des Umgangs mit kanonischen Besetzungen zu beobachten. Während das Kölner Ensemble hand werk sich beispielsweise explizit für die klassische Besetzung aus Flöte, Klarinette, Violine, Violoncello, Klavier und Schlagzeug entschieden hat, um auf der Basis eines großen Repertoires Wiederaufführungen zu ermöglichen und somit dem kontrovers diskutierten Trend hin zu vielen Uraufführungen von Werken, die vielleicht nur einmal gespielt werden, entgegenzuwirken, ist jedoch auch der gegenteilige Weg zu beobachten: Einige Ensembles grenzen sich bewusst von klassischen Besetzungen ab, um dadurch das eigene Profil zu schärfen und die künstlerische Vielfalt zu fördern. Bisweilen wirken ungewöhnliche, aber sehr erfolgreiche Formationen wie etwa das Stuttgarter Ensemble ascolta (Trompete, Posaune, zwei Schlagzeuger, Klavier/Sampler, Violoncello/E-Cello und Gitarre/E-Gitarre/E-Bass), das seit seiner Gründung im Jahr 2003 über 250 Werke uraufgeführt hat, wiederum repertoirebildend. Dabei entsteht jedoch die Gefahr, dass Werke für eine so spezielle Besetzung nicht ohne weiteres von anderen Ensembles wiederaufgeführt werden (können).

Eine allgemeine Tendenz zur Segment- und Spartenbildung des Musiklebens spiegelt sich auch in der programmatischen Ausrichtung der Ensembles. So konzentrieren sich von den derzeit beim MIZ dokumentierten Formationen etwa 100 auf den Bereich der „klassischen“ neuen Musik. Nur knapp 20 Ensembles bewegen sich dezidiert im Grenzbereich zu Jazz und frei improvisierter Musik; Überschneidungen der Neuen-Musik-Szene mit unterschiedlichen Spielarten der sogenannten „U-Musik“ (Pop, Rock, Weltmusik o. ä.) sind noch seltener. Aber auch eine Durchmischung mit dem klassischen Repertoire ist nicht gerade häufig. Typisch sind viel eher Konzerte ausschließlich mit zeitgenössischer Musik, was einer (nicht immer glücklichen) Ausdifferenzierung und Spartenbildung des Musikbetriebs ebenso geschuldet ist wie diese verstärkt. Im Ergebnis wird die Pflege der Gegenwartsmusik nach wie vor in spezielle Reihen und Festivals ausgelagert, anstatt ein selbstverständlicher Bestandteil des Musiklebens zu sein. Zugleich liegt die Trennung zwischen klassischer und zeitgenössischer Musik aber auch in der Natur der Sache selbst. So existiert für die typische instrumentale Mischbesetzung des Neue-Musik-Ensembles kaum ein wichtiges vor 1900 entstandenes Repertoire. Ausnahmen gibt es insbesondere bei traditionsreichen Besetzungen wie dem Streichquartett. Ein Beispiel unter vielen ist das Kölner Minguet Quartett, das häufig klassische Streichquartettliteratur mit Werken des 20. oder 21. Jahrhunderts kombiniert. 

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Streicher des Mahler Chamber Orchestras spielen mit erhobenen Bogen unter der Leitung des Konzertmeisters Matthew Truscott
Das Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung von Matthew Truscott  
Foto:  Geoffrey Schied

Veranstaltungen, Vernetzungen und Synergien
Die Vernetzung von Veranstaltern und Ensembles ist ein für beide Seiten gewinnbringender Aspekt, von dem viele kleinere und in vielleicht noch stärkerem Maß die renommierten Ensembles profitieren. Das Gros der Formationen ist vorrangig in seiner Heimatregion aktiv und leistet dort die unverzichtbare Aufgabe, gleichermaßen die Musik von Komponist*innen zu pflegen, die vorrangig in der jeweiligen Region aktiv sind, sowie international bedeutende Entwicklungen bekannt zu machen. Von großem Wert ist für sie die Zusammenarbeit mit regionalen Veranstaltern, die es ermöglicht, regelmäßig in bereits etablierten Konzertreihen aufzutreten und damit eine Kontinuität in der Ensemblearbeit zu erreichen. Bisweilen finden auch Kooperationen verschiedener regionaler Veranstalter statt mit dem Ziel, ein Konzertprogramm etwa drei bis höchstens zehn Mal an unterschiedlichen Orten zu präsentieren. Für die Kontinuität der Arbeit wie für die Sichtbarkeit nach außen sind auch regelmäßige Konzertorte und -reihen bedeutsam. So spielt das Freiburger Ensemble Aventure in seiner Heimatstadt seit mehreren Jahren etwa ausschließlich in den Räumen der Elisabeth-Schneider-Stiftung. Die unter dem Dach des Vereins KlangNetz Dresden agierenden freien Ensembles der sächsischen Landeshauptstadt veranstalten gemeinsam eine themenbezogene Konzertreihe, für die das Deutsche Hygiene-Museum als Partner und Veranstaltungsort gewonnen werden konnte.

Während die meisten kleineren Ensembles nicht oder nur selten zu bedeutenden Festivals eingeladen werden, ist die enge Vernetzung von renommierten Ensembles und Festivals für beide Seiten wichtig. Dies zeigt eine knappe Auswertung von Festivalprogrammen unter der Fragestellung, welche Ensembles in den letzten zehn bis 15 Jahren auf bedeutenden Festivals aufgetreten sind. So lässt sich feststellen, dass zumeist etwa die Hälfte des Programms von Klangkörpern bestritten wird, die in regelmäßiger Folge eingeladen werden. Bei den Donaueschinger Musiktagen waren zwischen 2003 und 2016 das Ensemble Modern etwa fünf Mal zu Gast, das Ensemble Musikfabrik vier Mal, das Klangforum Wien sechs Mal und das SWR Vokalensemble Stuttgart – ein Ensemble des Veranstalters – acht Mal. Die Wittener Tage für neue Kammermusik haben zwischen 2001 und 2017 das Klangforum Wien sechs Mal zu Gast gehabt, das Arditti Quartet elf Mal und das ensemble recherche zwölf bzw. 13 Mal. Für das Berliner Ultraschall- Festival ist Ähnliches zu beobachten. 

Die Musikerin steht vor einem Gong, hat eine Trillerpfeiffe im Mund blickt konzentriert aufs Notenpult
Foto:  Ralf Brunner  /  SWR
Mitglieder des SWR Vokalensembles singen durch Trichter aus Pappe
Konzert des SWR Vokalensembles auf den Donaueschinger Musiktagen 2021  
Foto:  Ralf Brunner  /  SWR
Musiker des Klangforums Wien spielt Musik auf mit Wasser gefüllten Gläsern
Foto:  Ralf Brunner  /  SWR

Programmgestaltung und Vermittlung
Vor dem Hintergrund einer beeindruckenden ästhetischen Pluralität und programmatischen Vielseitigkeit, die seit Langem ein Kennzeichen der freien Szene ist, lassen sich für die letzten fünf bis zehn Jahre verschiedene Tendenzen erkennen, die sich gleichermaßen auf Präsentationsformen wie -inhalte beziehen. So zeigt sich etwa, dass Vermittlungsinitiativen zunehmend verbreiteter und selbstverständlicher werden. Nahezu alle „großen“ Ensembles partizipieren seit längerem an Education- Programmen oder haben eigene Formate entwickelt; aber auch für viele in weniger breitem Umfang operierende Ensembles ist die Vermittlung kultureller Bildung (etwa in Schulen) ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass die Beschäftigung mit Gegenwartsmusik durch Kontinuität an Selbstverständlichkeit gewinnt, ist jedoch auch bei solchen Formaten der Vermittlungsaspekt nicht zu vernachlässigen, die diesen nicht explizit kommunizieren. So lässt sich gewiss konstatieren, dass Angebote wie die Abonnementreihe des Ensemble Modern, das bereits seit 1985 in der Alten Oper Frankfurt regelmäßig neueste Werke und Entwicklungen präsentiert, zu einer größeren Akzeptanz von zeitgenössischer Musik und ihrer Wahrnehmung als selbstverständlicher Bestandteil der gegenwärtigen Musikkultur beigetragen haben. Insbesondere für die international renommierten Ensembles sind aber auch verschiedene Aus- und Weiterbildungsprojekte ein essenzieller Bestandteil ihrer Arbeit. So werden in Meisterkursen wie den Darmstädter Ferienkursen und der impuls-Akademie Graz oder auch in unterschiedlichen selbst entwickelten Programmen die eigenen Erfahrungen an noch studierende Instrumentalist*innen und Komponist*innen weitergegeben.

Andere wichtige Entwicklungen der letzten Jahre betreffen einen zunehmend selbstverständlichen Umgang mit elektronischen Medien und die Reflexion des Konzertformats selbst. So ist etwa nicht nur ein wachsender Einsatz elektronischer Klangmöglichkeiten (Live-Elektronik, Zuspiel, elektronische Instrumente etc.) zu beobachten, sondern auch visuelle Medien wie Video oder Lichtdramaturgie finden verstärkt Eingang in Konzertformate. Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass neue Technologien zunehmend preisgünstiger und einfacher zu handhaben sind, wenn auch der Aufwand zumeist noch so hoch ist, dass viele kleine Veranstalter und Ensembles diesen oft nicht stemmen können. Von einer flächendeckenden Verbreitung digitaler Medien kann also noch schwerlich die Rede sein. Hier sind es vor allem größere Veranstalter, die in der Entwicklung vorangehen, aber auch jüngere Ensembles, die diesem Aspekt eine gewisse Priorität einräumen, da der verstärkte Einsatz elektronischer Medien zumeist kein Selbstzweck, sondern Ausdruck einer Suche nach künstlerischer Aktualität ist. Bisweilen sind in diesem Zusammenhang auch habituelle Anleihen bei der Pop-Musik zu beobachten, etwa beim Hamburger Decoder Ensemble, das sich selbst als „Band für aktuelle Musik“ bezeichnet.

Heutige Kunst soll auch heutige Technik einbeziehen. Diese Überzeugung steht oftmals in Verbindung mit einer Reflexion des Konzertformats und einer Kritik an der herkömmlichen Präsentationsform, die ihren Ursprung im bürgerlichen Konzert des 19. Jahrhunderts hat und manchen Akteur*innen bisweilen überholt erscheint. Von verschiedenen Bestrebungen einer Modifikation des Konzertrahmens seien zwei herausgehoben: So ist zum einen seit einigen Jahren eine verstärkte Hinwendung zum Performativen zu beobachten, die neben klassischen Musikinstrumenten auch Alltagsgegenstände nutzt, den Raum einbezieht und bisweilen zu Grenzüberschreitungen zum Theater oder zur Performancekunst führt. Zum anderen lässt sich eine Tendenz zu inszenierten und/oder kuratierten Konzerten erkennen. Hier werden die Stücke eines Konzerts nicht nur thematisch aufeinander abgestimmt, sondern z. B. durch übergreifende Raum- oder Lichtkonzepte miteinander verbunden, wenn nicht gar durch musikalische oder performative Überleitungen zu einem Gesamtablauf verschmolzen mit dem Ziel, statt einer losen Folge einzelner Stücke zusammenhängende Ereignisse zu schaffen. 

Perspektiven

Die freien Ensembles sind aus der Musiklandschaft in Deutschland nicht mehr wegzudenken. Insgesamt können die jeweiligen Szenen heute als etabliert gelten und blicken auf eine nennenswerte Tradition und Entwicklung zurück. Dennoch hält die (wirtschaftliche) Situation nach wie vor vielfältige Herausforderungen bereit: Fehlende oder unzureichende institutionelle Absicherung, die Konkurrenz um (zu) gering dimensionierte Projektfördermittel und weitere Schwierigkeiten führen häufig zu problematischen, nachgerade prekären Arbeitsbedingungen. Doch die Freiheit der Ensemblearbeit ist Fluch und Segen zugleich. Aufgrund ihrer schlanken Organisationsstrukturen, der gemeinsamen Verantwortung und der demokratischen Entscheidungsfindung sind die freien Ensembles geradezu prädestiniert dafür, ein Motor der musikalischen Entwicklung zu sein und die Entstehung neuer Werke, Formate und Diskurse genauso zu fördern wie die Wiederentdeckung von Vergessenem und den frischen Blick auf scheinbar Bekanntes. Die Sicherung und Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Ensembles dieser Aufgabe auch in Zukunft nachkommen können. Die Gründung des Musikfonds im Jahr 2016, bundesweiter Förderfonds der zeitgenössischen Musik, oder die Gründung der Interessenvertretung FREO – Freie Ensembles und Orchester in Deutschland im Jahr 2018, mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen der freien Szene zu verbessern, sind wichtige, aber nur erste Schritte in eine richtige Richtung. 

Der Redakteur und Moderator Richard Lorber ist seit 1988 beim WDR tätig, seit 1996 mit den Fachgebieten Alte Musik und Oper. Er ist künstlerischer Leiter der Tage Alter Musik in Herne.

Tobias Eduard Schick studierte Komposition bei Mark Andre, Ernst Helmuth Flammer und Manos Tsangaris und promovierte zur Musik Matthias Spahlingers. Er lebt und arbeitet in Dresden.

Fußnoten

  1. Vgl. die Definition durch die 2018 von neun Ensembles gegründete Initiative „FREO – Freie Ensembles und Orchester“ unter http://www.freo.online/warum-freo (Zugriff: 25. Juni 2018).

  2. Vgl. Abbildung 2 im Beitrag „Orchester, Rundfunkensembles und Opernchöre“ von Gerald Mertens.

  3. S. dazu den Institutionenüberblick des Deutschen Musikinformationszentrums.