Kirchenmusik zu betreiben, ist keineswegs in allen Ländern ein Hauptberuf, sondern vielfach vor allem ein Nebenerwerb. In Deutschland steht das Berufsbild des hauptamtlich tätigen Kantors oder der hauptamtlichen Kirchenmusikdirektorin in einer langen Tradition, die durch Persönlichkeiten der Musikgeschichte wie Dietrich Buxtehude, Johann Sebastian Bach oder Felix Mendelssohn Bartholdy geprägt ist. Es ist somit auch Teil der nationalen kulturellen Identität. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich beim kirchenmusikalischen Hauptamt in Deutschland um eine besondere Erscheinung handelt, die in ähnlicher Weise und in ähnlichem Umfang lediglich noch in den staatskirchlichen Strukturen Skandinaviens und Großbritanniens zu finden ist.
Entwicklung des kirchenmusikalischen Hauptberufs in Deutschland
Auch historisch gesehen hat es einen kirchenmusikalischen Hauptberuf in Deutschland keineswegs immer in der heutigen Form gegeben. So waren die oben erwähnten berühmten Musiker Buxtehude, Bach und Mendelssohn beispielsweise allesamt bei der jeweiligen weltlichen Obrigkeit angestellt, sei es bei der Stadt Lübeck, der Stadt Leipzig oder am preußischen Hof in Berlin. Denn bis etwa zum Ende des 19. Jahrhunderts (und zwar insbesondere nach der Säkularisierung kirchlicher Besitztümer im Jahr 1806) oblag es der jeweiligen Landesobrigkeit, den kirchlichen Dienst zu ermöglichen, etwa durch den Bau von Kirchen, durch Besoldung von Pfarrern oder eben durch Bezahlung von Musikern.
Hatte im 18. Jahrhundert noch eine aus dem Reformationsjahrhundert stammende Verbindung von Lateinschulen (also den Vorläufern heutiger altsprachlicher Gymnasien) und Kirchenmusik bestanden, löste das Land Preußen diese im 19. Jahrhundert auf und koppelte stattdessen das Volksschullehreramt mit dem Amt des Organisten. Mit dieser Maßnahme wurde Preußen zum Vorbild für viele andere deutsche Landstriche: Zu Bachs Zeiten sangen die Gymnasiasten in den Stadtkirchen im Chor, der Kirchenmusikdirektor war in der Regel zugleich Musik- und Lateinlehrer am Gymnasium, zu Mendelssohns Zeiten hingegen unterwiesen die Volksschullehrerseminare die angehenden Lehrer zugleich auf der Orgel; regelmäßiger Chorgesang in den Kirchen wurde unüblich. Erst ab etwa 1880 bildeten sich wieder Kirchenchöre in Deutschland, zumeist als „Kirchengesangsverein“, die ihre Leitung auf dem freien Musikermarkt suchten.
Eine erhebliche Leistung des 20. Jahrhunderts war es in beiden großen christlichen Konfessionen, den kirchenmusikalischen Hauptberuf in Deutschland wieder zu etablieren, ab etwa 1930 zunächst vorwiegend in den evangelischen Landeskirchen, nach dem Zweiten Weltkrieg und später, inspiriert vom Zweiten Vatikanischen Konzil, zunehmend auch in den katholischen Diözesen. Bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts stieg die Zahl hauptamtlicher Kirchenmusikerinnen und -musiker in ganz Deutschland auf fast 4.000 Personen; aktuell liegt sie bei knapp 3.300. Bezogen auf die Berufsgruppe der Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer entspricht dies, zumindest im Bereich der evangelischen Kirche, allerdings nur einem Verhältnis von rund 1:8, da hauptberufliche Kirchenmusikstellen (meist als Kantoratsstellen bezeichnet) in der Regel nur an größeren und zentraleren Kirchen angesiedelt wurden. [1]
Nebenberufliche Kirchenmusik ergänzt hauptberufliche Kirchenmusik
Der Anteil der hauptberuflichen Kirchenmusikerinnen und -musiker an allen in Deutschland kirchenmusikalisch tätigen Organistinnen und Organisten bzw. Chorleiterinnen und Chorleitern dürfte in etwa nur zehn Prozent ausmachen, denn hinzu kommt eine große Zahl an neben- und ehrenamtlich Tätigen. Allein für den Bereich der katholischen Kirche ist nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft der Ämter und Referate für Kirchenmusik der Diözesen Deutschlands für das Jahr 2020 von rund 14.000 nebenamtlich oder ohne Vertrag Engagierten auszugehen (vgl. Abbildung 5). Sie leiten oder übernehmen eine große Zahl von Kirchenchören und den Orgeldienst in katholischen Messen und evangelischen Gottesdiensten. Die im 19. Jahrhundert begründete Verbindung des Volksschullehreramts mit dem Nebenamt des Organisten hat sich hier und da, insbesondere in traditionell evangelisch geprägten Landstrichen, de facto erhalten, dies jedoch keineswegs flächendeckend. Ebenso gibt es in einigen traditionell katholisch geprägten Gegenden noch eine Verbindung zwischen dem Amt des Mesners oder Küsters mit dem Organistendienst, auch dies jedoch mit abnehmender Tendenz.
„Viele Stellen prägt ein umfangreiches Konzertangebot vom Orgelkonzert bis zum Oratorium, vom Vokalensemblekonzert bis zur Gospelmesse.“
Ausbildung und Studium heute
Die traditionelle Terminologie kirchenmusikalischer Ausbildungs- und Studienabschlüsse lautet: Amateure können mit einer Ausbildungszeit von etwa 1-3 Jahren die so genannte „D-Prüfung“ anstreben, am Ende einer intensiveren Ausbildung steht die bereits recht anspruchsvolle C-Prüfung. Wer Kirchenmusik, meist darauf aufbauend, an einer Musikhochschule studiert, schließt zunächst ein B-Examen ab, optional ist durch ein Aufbaustudium noch das A-Examen möglich. Durch den Bolognaprozess heißen bisherige B-Examina heute zumeist „Bachelor Kirchenmusik“, die A-Abschlüsse sind zu Masterabschlüssen geworden. Dennoch ist, z. B. in Stellenbezeichnungen, häufig noch von „B-Stellen“ und „A-Stellen“ die Rede.
Junge Menschen, die über eine kirchenmusikalische Ausbildung nachdenken, stehen heute vor der Wahl, sich parallel zu Schulbesuch, Ausbildung oder einem anderweitigen Studium zu nebenberuflichen Kirchenmusikerinnen und -musikern ausbilden zu lassen und so die D- oder C-Qualifikation anzustreben oder aber eine Aufnahmeprüfung an einer Musik- bzw. Kirchenmusikhochschule für ein Vollzeitstudium abzulegen. Häufig ist die C-Ausbildung parallel zur gymnasialen Oberstufe eine geeignete Vorstufe zum Bestehen der Aufnahmeprüfung.
Fast alle Diözesen und Landeskirchen Deutschlands bieten eine kirchenmusikalische D- und C-Ausbildung mit entsprechenden Prüfungen an. Vielfach lassen sich diese Ausbildungen modular gestalten, getrennt für die Bereiche Orgel, Chorleitung, Bläserchorleitung und kirchliche Popularmusik. Da Ausbildungs- und Prüfungsordnungen jedoch in der Hoheit jeder einzelnen Landeskirche bzw. Diözese liegen, empfiehlt sich für Interessierte die Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Amt für Kirchenmusik beim Bistum oder in der Landeskirche. Diesen obliegt die Verantwortung für die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen und für die Organisation von Unterricht und Kursen, zum Teil in Zusammenarbeit mit kirchenmusikalischen Verbänden. Gemeinsam ist allen Ausbildungen, dass der praktische Unterricht, insbesondere in den Fächern Orgel, Gesang und Chorleitung, als Einzel- oder Kleingruppenunterricht und in aller Regel wohnortnah meist durch Kreis-, Bezirks- oder Regionalkantorinnen und -kantoren erteilt wird, während weitere Fächer wie Musiktheorie, Gehörbildung, Liturgik, Gregorianik und Deutscher Liturgiegesang bzw. Hymnologie, Theologische Information, Orgelbau etc. oft in kompakten Kurseinheiten zusammengefasst unterrichtet werden. Die Ausbildungsdauer hängt vom individuellen Fortschritt auf dem Instrument ab und beträgt bis zur D-Prüfung in der Regel mindestens ein Jahr, bis zur C-Prüfung in der Regel wenigstens zwei bis drei Jahre.
Abbildung 1 zeigt die jeweiligen Standorte einer solchen zentralisierten D- oder C-Ausbildung, zumeist bei den katholischen „Ämtern für Kirchenmusik“ und den evangelischen Landeskirchen. Als eine Besonderheit sind die C-Ausbildungsmöglichkeiten an oder in Verbindung mit großen Universitäten zu sehen (so in Vechta, Halle, Gießen und Erlangen-Nürnberg), die es Studierenden verschiedenster Fachrichtungen ermöglichen, parallel zum oder sogar im Rahmen des Studiums eine C-Ausbildung zu absolvieren.
Das Studium der Kirchenmusik gehört mit einer Fülle von Fächern zu den aufwändigsten Musikstudiengängen in Deutschland und ist auf jeden Fall als Vollzeitstudium mit zumindest acht Semestern (bis Bachelor/B-Prüfung) oder zwölf Semestern (bis Master/A-Prüfung) angelegt. Die Deutschlandkarte (Abbildung 1) zeigt ebenfalls alle staatlichen Musikhochschulen, an denen das Fach studiert werden kann, sowie die sechs evangelischen Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft (Bayreuth, Dresden, Heidelberg, Herford, Halle/Saale, Tübingen) und die zwei katholischen Hochschulen in Rottenburg und Regensburg. Während die staatlichen Musikhochschulen ein Studium mit Querverbindungen zu vielfältigen anderen Musikstudiengängen bieten, liegt die Stärke der wesentlich kleineren kirchlichen Hochschulen in der klaren Konzentration auf die Ausgestaltung des Studiengangs Kirchenmusik und oft auch in den übersichtlicheren Strukturen. Da es sich bei den kirchlichen Instituten allesamt um staatlich anerkannte Hochschulen handelt, sind die Abschlüsse mit denen der Musikhochschulen formal gleichrangig.
Wie jedes Studium an einer Musikhochschule in Deutschland kann auch das Kirchenmusikstudium nur nach bestandener Aufnahmeprüfung aufgenommen werden, die eine erhebliche, in der Regel jahrelange Beschäftigung mit den Instrumentalfächern Orgel und Klavier sowie mit Gesang, Chorleitung und Musiktheorie voraussetzt. Zudem ist ein bestandenes Abitur notwendig; in einzelnen Bundesländern existieren jedoch Ausnahmeregelungen für Musikstudiengänge. Lateinische Sprachkenntnisse sind im Beruf von Vorteil, da Chorleiterinnen und Chorleiter eine Fülle an lateinischen Texten zu vermitteln und zu gestalten haben.
Ein Studium der Kirchenmusik bietet umfassenden, vielseitigen Unterricht und ist daher für den Träger der Hochschule vergleichsweise teuer. Daher gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Studienplätzen – es werden heute nur noch rund 560 Studienplätze in ganz Deutschland vorgehalten (vgl. Abbildungen 2 und 3). Kirchenmusikabteilungen an Musikhochschulen haben daher häufig nur zwischen 10 und 20 Studierende aus allen Semestern, die eigenständigen Hochschulen für Kirchenmusik zwischen 20 und 60 Studierende insgesamt.
Veränderung des Studiums durch den Bologna-Prozess
Das Kirchenmusikstudium in Deutschland ist heute – wie fast alle Musikstudiengänge – mit wenigen Ausnahmen auf das Bachelor-Master-System umgestellt. Während das achtsemestrige Bachelorstudium ein sehr umfassendes Studium mit einer stark gefüllten Stundentafel darstellt, gibt es im darauf aufbauenden viersemestrigen Masterstudium weitaus mehr Raum für individuelle Schwerpunktsetzung. Hauptfächer des Studiums sowohl im Bachelor- als auch im Masterabschnitt sind Künstlerisches Orgelspiel, Liturgisches Orgelspiel (Improvisation) und Chorleitung. Im Zuge der Neugestaltung der Studiengänge während der Umstellung auf das Bachelor-Master-System ist der Praxisbezug des Studiums noch einmal deutlich verstärkt worden. Bereiche wie Musikpädagogik, Kinder- und Jugendchorleitung, Gemeindesingen und christliche Popularmusik gehören inzwischen ebenso dazu wie die Musik vergangener Jahrhunderte (von der Gregorianik bis zur klassischen Moderne) oder die zeitgenössische Musik.
Neben der Weiterqualifizierung durch einen Masterabschluss haben Absolventen des Bachelors Kirchenmusik auch die Möglichkeit, auf B-Stellen unmittelbar in den Beruf zu gehen. Häufig werden statt eines Masterstudiums Kirchenmusik im Anschluss an das Bachelorstudium auch Masterqualifikationen in persönlichen Schwerpunktfächern wie Chorleitung oder Orgelspiel hinzuerworben. Aber auch neu entwickelte Masterstudiengänge wie Musikvermittlung oder Popularkirchenmusik (ev.) / Neue Geistliche Musik (kath.) vermitteln geeignete Qualifikationen für den kirchenmusikalischen Dienst.
An wenigen Kirchenmusikhochschulen – und nur für den Dienst auf bestimmten Stellen in evangelischen Landeskirchen – werden mittlerweile Studiengänge mit dem Schwerpunkt kirchliche Popularmusik angeboten, als Bachelor-, Master- oder Weiterbildungsstudium. Diese neu entwickelten Studiengänge befähigen jedoch nicht zum Dienst auf jeder hauptberuflichen Kantoratsstelle in den evangelischen Landeskirchen.
Doppelqualifikationen
Das Studium der Schulmusik (für Lehramt an Gymnasien) ist ähnlich breit gefächert wie das Kirchenmusikstudium. Da es an fast allen staatlichen Musikhochschulen angeboten wird, kommt es häufig zu Berührungspunkten mit Kirchenmusikstudiengängen, z. B. im Pflichtfachunterricht und im Bereich Chorleitung. Da Schulmusik mit diversen instrumentalen Hauptfächern studiert werden kann, darunter auch Orgel, bietet sich ein Doppelstudium der Kirchen- und Schulmusik häufig an. Die Konzeption dieses Doppelstudiums ist individuell; jedoch liegen an den Hochschulen Erfahrungen hinsichtlich der anzurechnenden Leistungen und Prüfungen vor. An einigen Hochschulverbünden bzw. miteinander kooperierenden Hochschulen (Mannheim-Heidelberg, Universität und Kirchenmusikhochschule in Halle/Saale oder Kirchenmusikhochschule und Hochschule für Musik in Dresden) ist ein förmliches Doppelstudium durch Kooperationsverträge geregelt. Auch die Musikhochschulen in Köln und Leipzig bieten im Rahmen der Lehramtsstudiengänge Kirchenmusik als Schwerpunktfach an. Im Hinblick auf eine spätere mögliche Doppel-Berufstätigkeit ist allerdings das Landesrecht zu beachten: Während beispielsweise in Baden-Württemberg Doppelabsolventinnen und -absolventen der Kirchen- und der Schulmusik die Möglichkeit haben, sich als Ein-Fach-Musiklehrkraft zum Referendariat zu melden, ist in anderen Bundesländern ein Zweitfach für die Schullaufbahn erforderlich. In den meisten Bundesländern werden zudem zwei unabhängige Arbeitsverträge die Regel sein, da Staat und Kirche keine gemeinsamen Stellen bewirtschaften. Die zurzeit einzige Ausnahme bildet das Land Baden-Württemberg, wo es für die Zuweisung eines doppelqualifizierten Landesbeamten im Schuldienst an eine Kirchengemeinde zum kirchenmusikalischen (Teil-)Dienst einen ausreichenden rechtlichen Rahmen gibt.
Mit deutlich geringerem Aufwand ist in der Regel eine Zusatzqualifikation im instrumentalpädagogischen Bereich zu erwerben. In den an Musikhochschulen angebotenen Studiengängen für Lehrkräfte an Musikschulen oder in freier Berufsausübung können zahlreiche Fächer aus dem Kirchenmusikstudium angerechnet werden. So ist es beispielsweise denkbar, mit Zusatzaufwand im Bereich Klavier eine Doppelqualifikation in Kirchenmusik und Klavierpädagogik zu erwerben. Eine ebenfalls gut denkbare Fachrichtung für eine zusätzliche Qualifikation ist die Elementarpädagogik, da hier Berührungspunkte zum Bereich der Kinderchorleitung genutzt werden können.
Stellenentwicklung und Anstellungschancen
Bedingt durch die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft verlieren die großen Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten Mitglieder. Diese Entwicklung wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit fortsetzen. Hierbei sind weniger die teils von großem Medienecho begleiteten Zahlen aktiv aus der Kirche austretender Personen von Bedeutung als vielmehr die weit geringere Anzahl von Taufen im Vergleich zu Sterbefällen von Kirchenmitgliedern. Alle Diözesen und Landeskirchen stellen sich daher aus demographischen Gründen auf sinkende Kirchensteuereinnahmen ein. Dies ändert jedoch nichts an den aus heutiger Sicht hervorragenden Anstellungschancen für Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im Hauptberuf.
Seit der Jahrtausendwende sind Kantoratsstellen, obgleich sich die beschriebene Mitgliederentwicklung der Kirchen bereits seit längerem abgezeichnet, nur in geringem Umfang abgebaut worden. Eine Welle aktiver Austritte aus der evangelischen Kirche hat bis etwa Mitte der 1990erJahre zu einem Abbau vor allem kleinerer (B-)Kantoratsstellen und insbesondere solcher mit Beschäftigungsumfängen von unter 100 Prozent geführt. Seither ist die Stellenzahl mit leichten Schwankungen fast stabil. In den vergangenen zehn Jahren (seit 2010) hat sich die Anzahl hauptberuflicher evangelischer Stellen insgesamt zwar noch von 1.945 auf 1.876 Stellen vermindert (vgl. Abbildung 4), dennoch geben evangelische Kirchen heute auch jenseits der tariflichen Lohnkostensteigerung mehr Geld für hauptberufliche Kirchenmusik aus als noch vor zehn Jahren. Das ergibt sich jedenfalls aus deutlichen Anpassungen der Vergütungsgruppenpläne nach oben – ein Zeichen dafür, dass die Anzahl „gesunder Stellen“, die sicherlich oft hohe Ansprüche an die Stelleninhaberinnen und -inhaber beinhalten, die sich jedoch nicht zur Kürzung eignen, groß ist.
In der katholischen Kirche ist zeitversetzt eine sehr ähnliche Entwicklung zu beobachten. Hier lag die Kirchenaustrittswelle mit entsprechendem Fortfall kleiner, oft nur mit Teilzeitdeputaten versehener (B-)Kantoratsstellen in den Jahren bis 2005. Seitdem ist die Stellenzahl mit einigen leichten Schwankungen relativ konstant (vgl. Abbildung 5). Noch weitaus positiver als in der evangelischen Kirche haben sich hier die Vollzeitäquivalente entwickelt (vgl. Abbildung 6): Viele ehemalige Teilzeitstellen sind inzwischen Vollzeitstellen; die katholische Kirche gibt inzwischen jenseits der tariflichen Lohnkostensteigerung mehr als 20 Prozent mehr für ihre hauptamtliche Kirchenmusik aus aufgrund höherer Deputate. Damit verzeichnet in beiden großen Kirchen die Entwicklung des kirchenmusikalischen Stellenmarkts in den vergangenen zehn Jahren trotz Mitgliederrückgangs sogar noch einen positiven Trend.
Eine Konsequenz des – inzwischen weit in der Vergangenheit liegenden – Abbaus kleinerer Stellen in beiden großen Kirchen ist ein zeitversetzter Prozess, der heute Probleme bereitet: Seit der Jahrtausendwende ging die Zahl von Kirchenmusikstudierenden, insbesondere auf katholischer Seite, zunächst kontinuierlich zurück (vgl. auch Abbildung 2). Junge Menschen hatten zu wenig Vertrauen in die Kirchen als zukünftige „Monopol-Arbeitgeber“. Dies zog auf Seiten der Hochschulen wiederum einen Abbau von Studienkapazitäten nach sich. So wurde 2007 die katholische Hochschule für Kirchenmusik in Aachen überraschend geschlossen, die staatlichen Hochschulen in Essen und Bremen schafften im Rahmen hochschulinterner Strukturmaßnahmen die Kirchenmusikabteilungen ab. Seit 2012 ist hingegen wieder eine deutlich steigende Nachfrage nach den – nun weniger gewordenen – Studienplätzen zu beobachten, und dies aus Sicht der Bewerberinnen und Bewerber zu Recht: Da in Deutschland insgesamt nur rund 560 Studienplätze für Kirchenmusik zur Verfügung stehen, haben Absolventen des Studiengangs allerbeste Anstellungsvoraussetzungen. Selbst unter der – vermutlich viel zu pessimistischen – Annahme, dass sich im Zuge von Verkleinerungsprozessen der Kirchen die heutige Anzahl von Stellen in den nächsten Jahren um ein volles Drittel reduzieren wird, kann man dennoch davon ausgehen, dass begabte und motivierte Studienabsolventen bei entsprechender Wohnortflexibilität durchweg eine Stelle finden können, die ihren Vorstellungen entspricht. Solch eine positive Anstellungssituation, die ein auskömmliches Leben als vollzeitangestellte Berufsmusikerin bzw. -musiker ermöglicht, ist im Bereich der Musikstudiengänge die große Ausnahme. Die Vergütungen sind analog den Vergütungen von Angestellten im Öffentlichen Dienst gestaltet, zumeist in den Entgeltgruppen TVöD 10 bis TVöD 14. Dies entspricht etwa der Vergütung angestellter Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen.
Stellenstruktur und Berufsbilder in Landeskirchen und Diözesen
Während im Bereich des nebenberuflichen kirchenmusikalischen Diensts die Anstellungsverträge je nach Beauftragung oft nur wenige Wochenstunden umfassen (die genauen Berechnungsmodelle hierfür sind unterschiedlich), ist der hauptberufliche Dienst in drei grundlegende Stellentypen gegliedert, wobei die Dienstbezeichnungen deutschlandweit nicht ganz einheitlich sind:
- Gemeindliche Kantoratsstellen sind an größeren Kirchen, manchmal auch in Gemeindeverbünden oder Seelsorgeeinheiten angesiedelt. Kantorinnen und Kantoren sind hier in der Regel für den Orgeldienst, die Leitung von Amateurnsembles, oft verschiedener Generationen, und für die Gestaltung der liturgisch-gottesdienstlichen Musik zuständig; häufig kommen Konzerte hinzu. Je nach künstlerischer Ausprägung sind diese Stellen als „A-Stellen“ oder „B-Stellen“ ausgewiesen mit differenzierter Vergütung. [2] Gemeindliche Kantoratsstellen gibt es als Teilzeitstellen (ab 50 Prozent) und Vollzeitstellen (100 Prozent). Zur genauen Berechnung der Dienstpläne wird in der Regel die übliche Tarifarbeitszeit nach einem in jeder Landeskirche und Diözese unterschiedlich gestalteten Schlüssel in Dienste (Gottesdienste, Chorproben, Unterricht etc.) „übersetzt“. Auf Vollzeitstellen besteht für die Stelleninhaberinnen und -inhaber häufig eine sehr selbstbestimmte Möglichkeit der Arbeitseinteilung, jedoch auch eine hohe Verantwortung für den Arbeitsbereich.
- Übergemeindliche Kantoratsstellen leisten in der Regel ebenfalls gemeindliche Dienste, übernehmen jedoch zusätzlich Verantwortung für eine Region, ein Dekanat, einen Kirchenbezirk oder Ähnliches. Solche „Bezirkskantorate“, „Dekanatskantorate“, „Regionalkantorate“ oder „Kreiskantorate“ sind insbesondere für die Beratung von Kirchengemeinden und für die Aus- und Fortbildung nebenberuflicher Kirchenmusikerinnen und -musiker zuständig. Die Multiplikatorenfunktion übergemeindlicher Kantoratsstellen wird in den vergangenen Jahren von Diözesen und Landeskirchen zunehmend als entscheidend erkannt; daher sind übergemeindliche Beauftragungen heute im Stellenmarkt häufig anzutreffen. Auch diese übergemeindlichen Kantoratsstellen können als A-Stellen oder als B-Stellen dotiert sein, in aller Regel sind es 100-Prozent-Stellen.
- Landeskirchliche Funktionsstellen mit Dienstbezeichnungen wie „Landeskirchenmusikdirektor(in)“, „Diözesankirchenmusikdirektor(in)“, „Landesposaunenwart(in)“, „landeskirchlicher Popkantor(in)“ etc. leisten auf der Ebene einer Landeskirche oder Diözese Fachberatung in bestimmten Fachgebieten oder sind für die administrative Leitung der Kirchenmusik im Bistum bzw. in der Landeskirche zuständig. Masterabschlüsse sind hier selbstverständliche Voraussetzungen.
Das Berufsbild aller dieser Stellen ist in der Regel breitgefächert. Zentral ist selbstverständlich die musikalische Gestaltung von Messen und Gottesdiensten auf der Orgel, aber insbesondere auch mit Chören oder Chor und Orchester. Viele Stellen prägt daneben ein umfangreiches Konzertangebot vom Orgelkonzert bis zum Oratorium, vom Vokalensemblekonzert bis zur Gospelmesse. Die Arbeit mit Chorgruppen aller Altersstufen gehört häufig dazu, daneben sind musikpädagogische Aufgaben in der Aus- und Fortbildung nebenberuflicher Kirchenmusikerinnen und -musiker typisch. Für die Stelleninhaber kann sich im schlechteren Fall ein Spannungsverhältnis zwischen „Kirchendienst“ und „künstlerischer Freiheit“ ergeben. In aller Regel sind diese Aspekte jedoch in ein starkes und selbstständiges Bild der Tätigkeit eines Kantorats integriert, zumal die „Künstlerpersönlichkeit“ durch ehrenamtlich Engagierte in Chören und Ensembles unterstützt wird. Speziell das Gebiet der Orgelimprovisation, die im Kirchenmusikstudium zu den Hauptfächern gehört, ermöglicht oft eine öffentlichkeitswirksame Symbiose zwischen großen künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten und dem kirchlich-liturgischen Bedarf.
Im Bereich der Fort- und Weiterbildung von Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker sind insbesondere die Berufsverbände aktiv sowie die hierfür zuständigen Ämter und Referate für Kirchenmusik in Landeskirchen und Diözesen. In der Evangelischen Kirche beginnen Landeskirchen durch spezielle Modelle von bezahlten Praktikumsjahren oder Fortbildung in den ersten Dienstjahren, junge Kantorinnen und Kantoren besonders aufmerksam für die vielfältigen Aufgaben ihres Berufs vorzubereiten. Der Verband evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VeM) und der Bundesverband Katholischer Kirchenmusiker in Deutschland (BKKD) vertreten mit ihren jeweiligen landeskirchlichen und diözesanen Regionalverbänden die Belange der Kirchenmusikerinnen und -musiker gegenüber Kirche und Öffentlichkeit.
Fazit
Der kirchenmusikalische Dienst ist einer der vielseitigsten und interessantesten Musikberufe in Deutschland. Er ermöglicht Musikerinnen und Musikern im Haupt- wie im Nebenamt eine Tätigkeit, deren Grundlage oft das Musizieren mit Amateuren ist, zu der aber – gerade an Bischofskirchen und großen Stadtkirchen mit langer kirchenmusikalischer Tradition – auch künstlerische Höchstleistungen gehören. In großer stilistischer Vielfalt können sich Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in ihrer musikalischen Ensemblearbeit zwischen Bachkantaten, Orchestermessen, klassischen Oratorien, Gospel, Cross-over-Projekten und vielem mehr bewegen. Grundlage des Diensts bleibt dennoch in der Regel der gottesdienstlich-liturgische Dienst an der Orgel oder mit dem Kirchenchor.
Im Spannungsfeld zwischen der Mitwirkung an pastoralen Aufgaben und Gemeindeaufbau einerseits und musikalisch-künstlerischer Autonomie andererseits werden selbstsichere, vielseitig ausgebildete Musikerinnen und Musiker benötigt, die dennoch auch die Liebe zur kleinen Form und zum pädagogischen Tun bewahren. Kommunikationsfähigkeit und Lust am Umgang mit Menschen von jung bis alt sind daher neben der musikalischen Begabung wichtige Voraussetzungen für den Beruf, der in Deutschland eine hohe Reputation und ein gutes Sozialprestige bei zurzeit besten Berufsaussichten bietet.
Fußnoten
Der Terminus „hauptberuflich“ ist im Arbeits- und Tarifrecht unüblich; das Arbeitsrecht unterscheidet lediglich zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten. „Hauptberuflich“ meint hier die Beschäftigung auf A-/B-Kantoratsstellen, die als Teilzeitstellen ab 50 Prozent angeboten werden, zum überwiegenden Teil jedoch Vollzeitstellen darstellen. „Nebenberuflich“ bezeichnet im Beitrag hingegen die Tätigkeit auf C-Stellen, der meist nur Verträge mit geringem Stundendeputat zugrunde liegen und die daher in der Regel den Lebensunterhalt alleine nicht sichern kann, sondern sich als Nebentätigkeit neben Familienarbeit oder Hauptberuf anbietet.
Die Termini „A-Stelle“ und „B-Stelle“ sind nicht mehr in allen Diözesen und Landeskirchen gebräuchlich. Praktisch überall gibt es jedoch ein differenziertes Vergütungssystem, das etwa ein Viertel der Stellen („A-Stellen“) aufgrund der erhöhten künstlerischen Anforderungen (z. B. an großen Stadtkirchen oder Bischofskirchen) besser vergütet als einfachere Stellen („B-Stellen“). Aufgaben und Arbeitszeiteinsatz sind nicht prinzipiell verschieden, sondern prägen sich je nach den örtlichen Verhältnissen und Aufgaben aus. In der relativ flachen Vergütungsstruktur des kirchlichen und öffentlichen Diensts ergeben sich so für Kirchenmusikerinnen und -musiker dennoch gewisse „Karrieremöglichkeiten“, z. B. durch Wechsel von einer B-Stelle auf eine A-Stelle und später im Berufsleben auf eine Funktionsstelle.