Lastwagen mit Bühne als Anhänger
Bühne des SingBus der Deutschen Chorjugend  
Foto:  Deutsche Chorjugend

Um mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland in ihrer Freizeit zum Singen zu bringen, hat die Deutsche Chorjugend ein besonderes Gefährt angeschafft. Das Programm „Kinderchorland“ zieht mit dem SingBus durch die Lande. So soll die Chorarbeit in strukturschwachen Gegenden unterstützt werden.

Deutschland ist nicht nur das Land der Dichter und Denker, die Heimat traditionsreicher Autohersteller und Fußballvereine. Es ist auch „Kinderchorland“, wie ein Programm der Deutschen Chorjugend (DCJ) die hiesige Fülle und Vielfalt des vokalen Amateurmusizierens mit Kindern und Jugendlichen in seinem Namen schlicht zusammenfasst. Unter dem Dach des Deutschen Chorverbands verzeichnet die DCJ von der Nordseeküste bis zu den Bayerischen Alpen in ihrer Mitgliederliste rund 3.500 Vokalgruppen; darin tummeln sich rund 100.000 Menschen vom Kindes- bis zum jungen Erwachsenenalter, die sich vom Riesenchor bis zum Mini-Ensemble zusammentun, um gemeinsam in der Freizeit zu singen. Ob Klassik, Volkslied, Gospel, Musical oder Pop: Schon die Repertoire-Bandbreite zeigt, wie bunt die Kinderchorlandschaft in Deutschland ist. Dennoch weist sie ein paar langweilige weiße Flecken auf. Hier Abhilfe zu schaffen, hat sich das von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstützte „Kinderchorland“-Programm mit seiner Kampagne „In jedem Ort ein Kinderchor“ zur Aufgabe gemacht.

„Wir verfolgen im Wesentlichen drei Ziele“, erläutert Clara Schürle, zuständige Projektmanagerin bei der DCJ. „Zum einen wollen wir dabei helfen, neue Kinderchöre zu gründen. Zum anderen geht es darum, Unterstützung bei einer Chorarbeit zu leisten, die Kinder auf Augenhöhe miteinbezieht. Und schließlich möchten wir dazu beitragen, dass sich die Kinderchöre untereinander besser vernetzen.“ Dass der Verband und seine Mitarbeiter*innen über das hierfür notwendige Knowhow verfügen, ist unbestritten. Allein, wie will man vom Zentralsitz Berlin aus die verschiedenen Winkel der Republik mit ihren 16 Bundesländern und unzähligen Verwaltungseinheiten erreichen? Das geht nur, wenn man mobil ist.

„Man sollte Spaß am Singen haben und einen guten Draht zu Kindern. Alles Weitere lässt sich erlernen“
Autor
Lisa Meier

 

Station mit Interaktion

Aus diesem Grund hat die DCJ ein besonderes Fahrzeug angeschafft: den SingBus. Schon von weitem erkennbar in den DCJ-Farben Blau und Orange lackiert, braust das stattliche Gefährt über bundesdeutsche Autobahnen. Mit an Bord sind neben den beiden musikpädagogischen Tourmanagerinnen Lisa Meier und Carole Martiné auch eine interaktive „Sing- und-Kling“-Ausstellung für Besuche an Schulen und Kitas sowie eine ausfahrbare Bühne für öffentliche Darbietungen. Ein Vorbild hierfür war der Jugendherbergsbus, mit dem das Deutsche Jugendherbergswerk 2019 unter dem Hashtag #JugendherbergeMobil durch die Lande rollte, um das Image dieser altehrwürdigen, jedoch leicht angestaubten Institution aufzuhübschen. „So ein Bus steht nicht nur für Mobilität“, sagt Lisa Meier, „er hat auch einen gewissen Werbeeffekt.“

Bild
Personen beim Aufbau einer Bühne im Freien
Probeaufbau der Bühne im Herbst 2020 in Berlin  
Foto:  Deutsche Chorjugend

Die Orte, an denen der SingBus Station macht, waren nicht von Anfang an festgelegt. Man musste sich bewerben, ganz gleich, ob man einen neuen Kinderchor ins Leben rufen oder am sogenannten Patenchor-Programm teilnehmen wollte – eine weitere Möglichkeit, das Angebot zu nutzen. Hierbei übernehmen bereits bestehende Ensembles für die Dauer eines Jahres die Patenschaft für einen Chor in seiner Gründungsphase, wobei sie von den Tourmanagerinnen in der Zusammenarbeit unterstützt werden. „Unter unseren Bewerbern wollte ungefähr ein Fünftel etwas komplett Neues auf die Beine stellen“, sagt Lisa Meier. „Das waren zum Teil Privatpersonen, die Kenntnis davon hatten, dass es interessierte Kinder und Jugendliche in ihrer Gemeinde gibt, aber nicht wussten, welche Schritte sie gehen müssen, um einen Chor zu gründen.“ Neben Einzelpersonen wendet sich das Programm auch an Vereine, Gemeindeverwaltungen und Schulen mit entsprechenden Ambitionen.

Holzoberfläche mit Mikrofonen und bunten Knöpfen
Rhythmus-Roulette  
Foto:  Deutsche Chorjugend
Der Singbus steht auf einem Marktplatz
Der Singbus bei der zweiten Station in Bremen  
Foto:  Deutsche Chorjugend
Kind lauscht an einem Trichter mit Schlauch
Stimmen-Modell  
Foto:  Deutsche Chorjugend
Kind mit Kopfhörern bedient ein Display
Sing-Dusche  
Foto:  Deutsche Chorjugend

Da deutschlandweit nur ein Bus zur Verfügung steht und die Kapazitäten der „Kinderchorland“-Mitarbeiterinnen bei allem Engagement begrenzt sind, können nicht alle Bewerbungen berücksichtigt werden. „Vor allem Neugründungen werden bei uns bevorzugt behandelt“, sagt Lisa Meier. „Ein wichtiges Kriterium ist aber auch die Infrastruktur.“ Wo die fehlt, ist der SingBus zur Stelle. Während einige Regionen Deutschlands, etwa der Südwesten, eine große Anzahl bestens organisierter und vernetzter Kinder- und Jugendchöre aufweist, gibt es an anderen Orten großen Nachholbedarf. Jenseits der großen Städte und Ballungszentren finden sich vor allem in nördlichen und östlichen Bundesländern wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt ganze Regionen, die noch keinen Anschluss ans „Kinderchorland“ haben. Ein Zustand, der wegen der Corona-Pandemie länger andauert als geplant.

Tour unter Pandemiebedingungen

Seine geplante Route konnte der SingBus nämlich zunächst nicht aufnehmen. „Wir waren 2019 bereits intensiv in die Planung eingestiegen“, berichtet Lisa Meier, „und im Mai 2020 hätte es ganz regulär losgehen sollen.“ Doch dann kam Corona und warf sämtliche Vorarbeit über den Haufen. Mit einem Mal hatte sich, aus virologischer Sicht, das Singen im Chor von einem gemeinschaftsfördernden Hobby zum Gesundheitsrisiko gewandelt. Da zum vorgesehenen Starttermin an Reisen nicht zu denken war, nutzten die Programm-Verantwortlichen die vergleichsweise entspannte Pandemiephase im Sommer, um ein Hygiene-Konzept auf die Beine zu stellen. Der nächste Rückschlag für den SingBus folgte jedoch auf den Fuß. „Als die Tour im Oktober 2020 in Hessen starten sollte, kam der zweite Lockdown.“ Nun beginnt die Tour im Juni 2021, mit einem Auftakt in Niedersachsen. Ein knappes halbes Jahr lang wird die Route durch sämtliche 16 Bundesländer führen; in Thüringen geht sie voraussichtlich im November zu Ende.

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Klebestreifen mit Aufschrift „Bitte Abstand halten! mind. 1,5 m“ auf dem Boden
Abstandsregeln als Teil des Hygienekonzepts des SingBus  
Foto:  Deutsche Chorjugend

„Corona wird uns auch in diesem Sommer noch begegnen“, sagt Lisa Meier. „Wegen der Hygieneregeln werden wir deshalb nicht alles so durchführen können, wie wir es ursprünglich geplant hatten.“ Die vier Bausteine, auf denen das SingBus-Angebot beruht, werden aber auch in der um Online-Veranstaltungen ergänzten abgespeckten Version beibehalten. „Zunächst geht es um die Unterstützung bei der Akquise neuer Chormitglieder. Dann möchten wir Workshops rund um die Chorarbeit anbieten; dabei geht es sowohl um musikpädagogische Aspekte als auch um Chormanagement und Chorbetreuung. Als dritter Baustein kommt eine gemeinsame Chorprobe hinzu und schließlich eine Aufführung, bei der die Ergebnisse öffentlich präsentiert werden.“ Wozu bräuchte man sonst einen Bus mit einer Bühne?

Mündiges Musizieren

Zwei „Mindestvoraussetzungen“ müsse man für die Arbeit mit dem SingBus-Team allerdings mitbringen. „Man sollte Spaß am Singen haben – und einen guten Draht zu Kindern. Alles Weitere lässt sich erlernen“, sagt Lisa Meier, die selbst seit Jahren in der Kinderchorarbeit aktiv ist. Ergänzend fügt sie hinzu: „Das macht es auch so wichtig, dass sich die Chöre untereinander vernetzen. Gerade in praktischen und musikalischen Fragen können Anfänger*innen von den Erkenntnissen erfahrener Chorleiter*innen profitieren.“

Ein wesentlicher Grundsatz, dem alle ehrenamtlich in der DCJ Engagierten verpflichtet sind, ist der des mündigen Musizierens. „Diesen Gedanken möchten wir bei unserer Arbeit mit dem SingBus vermitteln.“ In ihm spiegelt sich eine musikpädagogische Haltung wider, nach der Kinder und Jugendliche in Kinderchören nicht nur in ihrer Musikalität und Kreativität gefördert werden sollen, sondern auch Unterstützung in ihrer Entwicklung hin zu einem mündigen Menschen erfahren. „Das beinhaltet, dass man den Kindern die Möglichkeit gibt, die Arbeit in der Gruppe mitzugestalten, und nicht nur auf ein einseitiges Machtgefälle zwischen ihnen und den Erwachsenen zu setzen.“

Von den Chorleitenden erfordert dies ein hohes Maß an Reflexion, die angesichts der oft überbordenden Aufgabenfülle, die sie als ehrenamtliche Kräfte zu bewältigen haben, nicht immer geleistet werden kann. Doch auch hier bietet das „Kinderchorland“-Programm Perspektiven, indem es Chören hilft, ihre strukturellen Rahmenbedingungen zu verbessern. Unter dem Motto „Lieber im Team als allein“ leistet es Unterstützung bei der Team-Organisation, um die Arbeitslast der Bereiche „Musik und Pädagogik“, „Organisation und Finanzen“ sowie „Betreuung und soziales Miteinander“ chorintern auf mehrere Schultern zu verteilen. Ein Bus voller Ideen, der mit einer engagierten Besatzung durch die Lande rollt.

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!