Die Sonne ist schon lange untergegangen und die Bühne wird von einem tiefen Schwarz eingehüllt. Gleißend flackern die ersten Scheinwerfer auf und Lichtkegel schießen über die Köpfe des Publikums hinweg. Dicht gedrängt stehen die Fans an diesem Abend vor der Bühne, nun endlich geht es los. Eine aufbrandende Welle des Jubels und der Vorfreude auf das Konzert dringt lautstark aus 20.000 Kehlen. Lange haben sie gewartet, bis ihre Helden endlich wieder auf der Bühne stehen. Wie ein dumpfer Herzschlag setzt das Schlagzeug ein, peitscht die Menge noch stärker an. Rick Allen, der Drummer der Band Def Leppard, heizt die Menge auf, und die Fans singen jeden Song mit, so wie sie es seit Jahrzehnten tun. Das Konzert vergeht für alle viel zu schnell, trotz der Spielzeit von 90 Minuten und einiger Zugaben.
Rick Allen verbeugt sich gemeinsam mit den anderen Musikern am Ende des Konzerts, und erst hier sieht man, was ihn von anderen Drummern unterscheidet: Er hat nur einen Arm. Die Fans wissen um seine „Behinderung“, und im Grunde ist es ihnen auch egal. Bereits 1985 verlor der Schlagzeuger bei einem Autounfall seinen Arm und ist trotzdem einer der besten Drummer, die es gibt.
Niemand auf dieser Welt würde im Zusammenhang mit einer Band wie Def Leppard von einer Inklusionsband sprechen oder gar die vermeidliche Behinderung von Rick Allen besonders hervorheben. Keiner würde auf die Idee kommen, mit Mitleid zu reagieren und ihm sein Können als Drummer abzusprechen (Ableismus). Im Vordergrund steht nicht seine scheinbare Einschränkung, sondern die Musik, die seit über 40 Jahren von den Fans gefeiert wird.
Einfluss der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Veranstaltungssektor
Seit 2009 hat sich Deutschland verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention (UN‑BRK) anzuerkennen und mit ihrer Umsetzung die Rechte von Menschen mit einer Behinderung zu achten und zu schützen. Im kulturellen Rahmen regelt der Artikel 30 „Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit und Sport“ die Vorgaben. Doch auch die Artikel 9 „Zugänglichkeit“ und Artikel 20 „Persönliche Mobilität“ sind bei Veranstaltungen und der Umsetzung von Inklusion und Barrierefreiheit relevant. Rechtlich gesehen ist nicht nur die UN‑BRK ein Faktor für Veranstaltende, sondern auch die gesetzlichen Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes (BFSGV), des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und des Bundesteilhabegesetzes (BTHG).
In den Anfangsjahren der Verabschiedung der UN‑BRK blieb diese zumeist unbeachtet. Auch die Themen Inklusion und Barrierefreiheit wurden oftmals von Veranstaltenden nicht als verpflichtend wahrgenommen. „Inklusion Muss Laut Sein“ ist eines der ersten Projekte, welches gezielt zum Thema Barrierefreiheit auf Konzerten, im Eventbereich und in der Kulturszene aktiv wurde. [1] 2006 bereits begannen die Arbeiten an einem Verzeichnis zu rollstuhlgängigen Clubs und der Verknüpfung mit Konzert- und Tourdaten.
Heute gibt es einige weitere Projekte und Initiativen, welche beratend tätig sind, darunter „barrierefrei feiern“. [2] Auch in den Studiengängen des Eventmanagements wurden Teile zur Planung von barrierefreien Events aufgenommen, so 2023 in einen Kurs zu Raum und Gestaltung der TU Gießen. Diese sind allerdings zumeist noch auf bauliche Verpflichtungen begrenzt.
Auf Branchentreffen findet das Thema ebenfalls zunehmend Beachtung. Veranstaltungen wie das Future of Festivals, das Reeperbahn Festival oder auch der Festival Playground bieten seit einigen Jahren neben Speaker*innen auch einen Einblick in die unterschiedlichen Neuerungen im Eventbereich. Barrierefreiheit ist einer dieser Themenbereiche, welcher unter den Aspekt der Nachhaltigkeit und Diversität fällt.
Aufgrund der Vielzahl der Veranstaltungen in Deutschland ist es schwierig genau zu sagen, wie viele Veranstaltungsorte komplett zugänglich sind und auf welchem Stand sie sich befinden. Entsprechende Untersuchungen fehlen. Es ist jedoch zu beobachten, dass das Thema für immer mehr Veranstaltende relevant ist.
2018 veröffentlichte die Deutsche Fußball Liga (DFL) eine Übersicht zur Barrierefreiheit in den Stadien der einzelnen Vereine der Bundesliga. [3] Viele der Stadien werden auch als Orte für Konzerte und Festivals genutzt, was die Untersuchung auch für den Musikbereich interessant macht.
Im Allgemeinen besteht für den privatwirtschaftlichen Veranstaltungssektor keine rechtliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit. Zu den oben genannten Gesetzen gibt es zahlreiche Ausnahmen, und es ist für juristische Laien, wie es Veranstalter*innen oft sind, nicht einfach, sich über die verschiedenen Regelungen, Empfehlungen und Vorschriften Klarheit zu verschaffen, zumal diese nicht immer stringent erscheinen. So steht der fehlenden Verpflichtung der Barrierefreiheit entgegen, dass Festivalveranstalter*innen und Clubbetreiber*innen Menschen mit Behinderung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht diskriminieren dürfen. Wem beispielsweise der Zugang zu einem Festival oder Club aufgrund einer Behinderung verweigert wird, kann dagegen über die Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder eines Landes Beschwerde einlegen oder klagen. Dies kann ein Veranstalter wiederum mit Hinweis auf fehlende barrierefreie Rettungswege kontern (er ist ja nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet) – womit die eine Regelung die andere aushebelt. Der Weg zur Barrierefreiheit ist also alles andere als frei von Barrieren.
Allerdings fassen viele Akteur*innen der privatwirtschaftlichen Veranstaltungsbranche die UN‑BRK mittlerweile als freiwillige Selbstverpflichtung auf und bemühen sich zunehmend um Barrierefreiheit – sei es aus wirtschaftlichem Eigeninteresse oder aus einer veränderten Erwartungshaltung heraus, die nicht zuletzt dadurch entstanden ist, dass Gäste mit Behinderung vor dem Hintergrund der UN‑BRK ihre Teilhabeforderungen zunehmend selbstbewusst äußern.
Abgrenzung Inklusion und Barrierefreiheit
Inklusion ist ein sozialer Prozess, der den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema Behinderung und einen großen Teil der Bevölkerung betrifft. In Deutschland sind etwa 10 Millionen (nach anderen Hochrechnungen sogar 13,5 Millionen) Menschen von unterschiedlichen körperlichen, kognitiven oder psychischen Behinderungen betroffen. 7,8 Millionen Menschen haben einen Schwerbehindertenausweis.
Initiativen wie „barrierefrei feiern“ oder „Inklusion Muss Laut Sein“ fordern daher, schon bei der Planung einer Veranstaltung Menschen mit Behinderung als relevante Ziel- und Beratungsgruppe zu sehen und deren Expertise einzuholen, um einen gleichwertigen Zugang aller Menschen zu kulturellen Veranstaltungen zu gewährleisten.
Barrierefreiheit – ob baulich oder strukturell – sorgt dafür, dass Kulturfans überhaupt eine Zugänglichkeit erfahren können. Mit einer Rampe oder einer behindertengerechten Toilette ist es dabei nicht getan. Inklusion auf Veranstaltungen umfasst viel mehr: die Bereiche der Gäste vor der Bühne, die der Künstler*innen auf der Bühne und die des Personals hinter der Bühne. Inklusion ist erst dann erreicht, wenn in allen Bereichen Menschen mit Behinderungen gleichwertig auftreten können, ohne jegliche Sonderstellung.
Stand der Barrierefreiheit
Auch heute noch ist ein Großteil der Veranstaltungen aus dem privatwirtschaftlichen Veranstaltungssektor (Festivals, Konzerte) nicht barrierefrei. Oftmals fehlt es an den baulichen Möglichkeiten oder einem passenden Konzept. Das heißt, es ist nicht für alle möglich, an einer solchen Veranstaltung selbstbestimmt und eigenständig (ohne Begleitperson) teilzunehmen. Die Vielfalt der Barrieren ist dabei besonders zu berücksichtigen, da sie je nach Art der Behinderung variieren können. Ob eine Person mit Begleitung oder alleine kommt, macht hierbei ebenfalls einen Unterschied. Trotz dieser Herausforderungen zeigt sich jedoch eine positive Entwicklung: In den letzten Jahren ist die Sensibilität für das Thema Barrierefreiheit spürbar gestiegen, begleitet von verstärkten Bemühungen, diese Hürden zu überwinden.
Bei den Festivals kam der Anstoß vor rund 15 Jahren von einzelnen Besucher*innen und Veranstalter*innen. Das Summer Breeze Open Air hatte bereits 2009 erste Überlegungen zur Barrierefreiheit angestellt. Im Austausch mit einem Besucher, der auf einen Rollstuhl angewiesen war, konkretisierten die Veranstalter*innen 2012 ihr Konzept, um dem Besucher die Möglichkeit zu geben, das Festival selbstbestimmt erleben zu können. Dieses Konzept wird bis heute fortgeschrieben. Hierzu beziehen die Veranstalter*innen weiterhin Gäste mit ein und bieten die Möglichkeit zur Rückmeldung. In den frühen Jahren gab es keinen ausgewiesenen Campingplatz für Menschen mit einer Behinderung. Heute verfügt das Festival über Stromanschlüsse zum Laden von Rollstühlen und medizinischen Gerätschaften. Der Campground ist abgetrennt, mit Licht ausgestattet und auch die Toiletten haben sich im Laufe der Jahre immer mehr verbessert. Wo es einst nur Dixi-Toiletten gab, stehen heute Toiletten-Container mit Pflegeeinheiten. Damit stellte das Summer Breeze schon 2012 einen Grundpfeiler für Inklusion dar.
Heute können Fans mit einer Behinderung immer mehr Festivals mehr oder weniger gut besuchen. Im Bereich der Inklusion hat sich die Wahrnehmung auch unter den Besucher*innen im Laufe der Zeit verändert. Die großen Festivals wie Wacken Open Air, Summer Breeze Open Air, Rock am Ring oder Rock im Park waren immer die Vorreiter für Inklusion. Sie schufen erste Ansätze wie behindertengerechte Toiletten, Campingmöglichkeiten oder auch Rampen und Podeste. In ihrer Kommunikation setzen sie heute vermehrt auf die Sichtbarkeit aller Fans. Allerdings haben auch einige kleinere Festivals nach ihren Möglichkeiten immer versucht, Teilhabe zu ermöglichen, so z. B. das lokale Ab geht die Lutzi oder das Headbangers Open Air.
Zunehmend kümmern sich auch Initiativen und Agenturen darum, Menschen mit Behinderungen den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen zu erleichtern und Veranstalter professionell zum Thema Barrierefreiheit zu beraten. Das Spektrum, mit dem sie es zu tun haben, ist dabei äußerst breit gestreut, denn die Ursachen für die Minderung von Teilhabe sind sehr facettenreich – genauso facettenreich wie die Formen von Behinderung. Die Bedürfnisse eines Menschen mit einer Sehbehinderung sind schließlich andere als die eines Menschen, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Barrieren, Denkmalschutz und Brandschutz
Bei Veranstaltungsgebäuden, darunter Musikclubs, liegt eine wesentliche Ursache für die Minderung von Teilhabe im Denkmal- und im Brandschutz. Dieser umfasst oft strenge Vorschriften und Bestimmungen für den Erhalt historischer Gebäude und die Sicherheit bei ihrer Nutzung. Diese Vorschriften können den Einbau moderner barrierefreier Elemente und Anpassungen erschweren oder teuer machen. Beispielsweise könnten Treppen, enge Türen und schmale Flure in historischen Gebäuden den Zugang für Menschen mit Behinderungen erschweren. Gleichzeitig können Brandschutzvorschriften zusätzliche Barrieren schaffen, da sich barrierefreie Zugänge nicht unbedingt als Rettungswege eignen, Stichwort Aufzug. In der Folge ist es beispielsweise Clubs ohne barrierefreie Rettungswege schlicht nicht möglich, Menschen mit Behinderung Zugang zu gewähren – es sei denn, sie tun dies auf eigenes Risiko und haften dementsprechend im Falle eines Unfalls. Die Balance zwischen Denkmalschutz, Brandschutz und Barrierefreiheit ist also nicht leicht zu finden.
Grundsätzlich besitzen historische Gebäude Bestandsschutz und müssen zwar die Vorschriften von Brand- und Denkmalschutz einhalten, nicht jedoch Vorgaben zur Barrierefreiheit erfüllen. Dies ändert sich jedoch bei einem Umbau oder einer Neugestaltung, dann greift die DIN 18040‑1.
Die DIN 18040‑1 ist eine deutsche Norm, die sich mit der Barrierefreiheit im Bauwesen beschäftigt. Sie enthält Richtlinien und Anforderungen zur Gestaltung von barrierefreien Gebäuden und Anlagen. Im Hinblick auf den Umbau von Clubs oder anderen öffentlichen Veranstaltungsorten regelt sie grundlegende Aspekte wie:
- Zugänglichkeit (Festlegung der Anforderungen an die Gestaltung von Zugängen, Türen, Treppen, Rampen und Aufzügen, um sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen diese ohne Einschränkungen nutzen können),
- Bewegungsflächen (Regelung der Mindestgröße und Beschaffenheit von Bewegungsflächen, um ausreichend Raum für Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zu gewährleisten),
- Barrierefreie Sanitäranlagen (Regelung der Anforderungen für die Gestaltung von barrierefreien Toiletten und Waschräumen),
- Informationszugang (Forderung, dass Informationen und Kommunikation auch für Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen zugänglich sind, beispielsweise durch taktilen Bodenbelag oder Gebärdensprachdolmetscher).
Die Norm dient dazu, die Zugänglichkeit und die Nutzbarkeit von öffentlichen Gebäuden (hierzu zählen auch Clubs) und Veranstaltungsorten für Menschen mit Behinderungen sicherzustellen. Wenn Clubs umbauen oder neue Veranstaltungsorte planen, müssen sie die Anforderungen der DIN 18040‑1 beachten, um sicherzustellen, dass sie barrierefrei sind und die gesetzlichen Vorschriften erfüllen.
Die einzelnen Bestimmungen zu Fluchtwegen, Rettungsplänen und Unfallverhütungsvorschriften (Berufsgenossenschaft) decken sich allerdings nicht immer mit den Bedürfnissen der Gäste. Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung sehen daher eine gute Beratung zu den einzelnen Themengebieten als wichtige Voraussetzung an, um eine Grundlage für die Umsetzung von barrierefreien und sicheren Veranstaltungen zu schaffen.
Maßnahmen zur Förderung der Barrierefreiheit
Ein Vergleich der Maßnahmen, die in der privatwirtschaftlichen Veranstaltungsbranche in puncto Barrierefreiheit ergriffen werden, zeigt, dass es keine Standardrezepte gibt und die Maßnahmen grundsätzlich individuell auf die jeweilige Location (Festivalgelände, Club, Freifläche usw.) anzupassen sind. Die Ziele sind jedoch häufig ähnlich, sodass sich die Handlungsfelder auf bestimmte Punkte konzentrieren. Diese können hier nur in einem groben Überblick benannt werden, da Barrierefreiheit, wenn sie für alle Formen von Behinderung gedacht wird, ein sehr weites Feld ist. Exemplarisch seien daher die Bereiche Kommunikation, Begleitperson, Awareness, Rampen und Podeste sowie Toiletten aufgeführt.
Kommunikation
Eine basale Maßnahme, die gleichwohl noch nicht durchgängig umgesetzt wird, liegt in der Kommunikation. Dazu gehört eine barrierefreie Webseite, die Alternativtexte (Beschreibungen für blinde und sehbehinderte Nutzer*innen) ebenso bereithält wie spezielle Informationen für Gäste mit Behinderungen.
Voraussichtlich wird zukünftig eine Verpflichtung zur digitalen Barrierefreiheit auch bei Veranstaltungen immer wichtiger werden. Nach dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) müssen ab 2025 bereits bestimmte digitale Dienstleistungen barrierefrei angeboten werden und weitere dürften folgen, wovon vermutlich auch die Musikbranche betroffen sein wird.
Begleitperson/Buddie
Eine Maßnahme, die von vielen Veranstalter*innen umgesetzt wird, um mehr Menschen mit Behinderung die Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen zu ermöglichen, ist der kostenfreie Zugang von Begleitpersonen. Das bedeutet, dass ein Gast mit einer Behinderung eine Person der eigenen Wahl kostenfrei mitnehmen darf. Was vor einigen Jahren von vielen Veranstalter*innen noch abgelehnt wurde, entwickelt sich heute zu einem Standard. Eine gesetzliche Grundlage für die kostenfreie Mitnahme einer Begleitperson gibt es nicht. Es liegt also im Ermessen des Veranstaltenden, ob diese Begleitung kostenfrei ist.
Für viele Veranstalter*innen stellen Begleitpersonen auch bei kostenlosen oder reduzierten Ticketpreisen einen positiven Faktor dar, weil sie statt eines zahlenden Gastes zwei Gäste bekommen, die im besten Falle verzehren, Merchandise kaufen und bei einer entsprechend guten Umsetzung der Barrierefreiheit neue Gäste anziehen. Im weltweiten Vergleich stellt die kostenlose Mitnahme von Begleitpersonen allerdings eine Ausnahme dar; in den USA sind Begleitpersonen z. B. nicht kostenfrei. Hier gibt es jedoch andere Vergünstigungen wie kürzere Warteschlangen oder Plätze mit extra Sitzmöglichkeiten für die Begleitungen. Auch in den europäischen Nachbarländern zahlen Begleitpersonen in der Regel für ihre Tickets. Einheitliche europäische Vorgaben gibt es für Veranstaltungen bisher nicht. In den vergangenen Jahren entwickeln sich aber immer mehr Vorgaben, die in den einzelnen Ländern der EU umzusetzen sind. Hier zu nennen wäre die Testphase eines EU-weit gültigen Schwerbehindertenausweises, der die Reisefreiheit erleichtern soll. Ebenso ist die digitale Barrierefreiheit, die bis 2025 für alle privaten Anbieter von Waren und Dienstleistungen verpflichtend ist, etwas, was EU‑weit gültig ist. Seit einigen Jahren wird ebenfalls über die Barrierefreiheit von Veranstaltungen und deren Zugänglichkeit diskutiert. Es ist also anzunehmen, dass auch hier eine Vorschrift erlassen wird, die den Vorgaben der UN‑BRK gerecht werden soll.
Die kostenlose Mitnahme von benötigten Begleitpersonen oder Assistenzen dürfte von vielen Menschen mit Behinderung begrüßt werden. Umstritten ist jedoch, Gästen mit einem Schwerbehindertenausweis pauschal Tickets zu stark reduzierten Preisen anzubieten, da dies suggeriert, dass diese Menschen nicht arbeiten, arm oder finanziell schlechter gestellt sind. Das mag zwar bei vielen Menschen in einem Werkstattverhältnis der Fall sein, entspricht aber nicht den Lebensrealitäten aller Menschen mit einer Behinderung, denn allein 1,35 Millionen von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach. Die Initiative „Inklusion Muss Laut Sein“ schlägt daher vor, reservierte Tickets für Menschen mit einer Behinderung bereitzustellen, damit diese die Möglichkeit erhalten, auch bei stark nachgefragten Veranstaltungen Tickets zu erwerben und ansonsten Vergünstigungen an Einkommensgrenzen zu knüpfen. Die großen Ticketanbieter sind bisher noch nicht in der Lage, Tickets für Menschen mit einer Behinderung online so zur Verfügung zu stellen, dass sie eigenständig gebucht werden können. Bei großen Tickethändlern wie eventim oder Ticketmaster müssen noch entweder Hotlines bemüht oder ein Formular für die Begleitperson ausgefüllt werden. Auch hier findet gerade ein Umdenken statt, und erste Veranstaltungen werden mit sogenannten Rollstuhltickets ausgestattet. Dieses entspricht aber nicht den vollen Bedürfnissen der Gäste, denn auch hier werden oftmals Menschen mit kognitiven Einschränkungen, blinde Besucher*innen usw. vergessen.
Awareness-Teams
Viele Clubs und Festivals haben im Kontext von #metoo und Black Lives Matter sogenannte Awareness-Teams gebildet, die Regeln für einen diskriminierungsfreien Umgang auf einer Veranstaltung aufstellen und die Ansprechpartner für Gäste sind, die dennoch diskriminierendes Verhalten auf einer Veranstaltung erleben, seien es Erfahrungen mit Ableismus, Rassismus, Sexismus, Homophobie oder anderem. Ziel ist, dass sich alle Gäste wohl und sicher fühlen. Die Teams kümmern sich also nicht nur, aber auch um die Belange von Menschen mit Behinderung. Für deren konkrete Belange sind die Teams in der Regel nicht aufgestellt, da es ihnen an medizinischer und psychologischer Expertise fehlt.
Einen Standard für die Arbeit von Awareness-Teams gibt es bisher nicht, doch wird der Bereich zunehmend professionalisiert. So hat die Berliner Clubcommission die Awareness Akademie ins Leben gerufen, die sich um Wissensvermittlung, Austausch und Fortbildung kümmert. Auch Initiativen wie Act Aware aus Berlin oder die Initiative Awareness aus Leipzig befassen sich im Veranstaltungsbereich mit der Thematik.
Rampen und Podeste
Bei Festivals wird das Thema Barrierefreiheit häufig reduziert auf die Zugänglichkeit des Geländes für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind. Dementsprechend wird der Fokus auf Rampen, Rollstuhlmatten oder Podeste gelegt in der Annahme, dann sei alles für die Barrierefreiheit getan. Gäste mit einer anderen Behinderung finden demgegenüber weniger Beachtung, doch auch den Bedürfnissen von Rollstuhlnutzer*innen werden die Veranstalter*innen mit den Maßnahmen oft nicht gerecht.
Agenturen, die Festivals zum Thema Barrierefreiheit beraten, betonen daher, dass Lösungen stets individuell und im Austausch mit den jeweiligen Zielgruppen erarbeitet werden müssen und nicht jede mögliche Maßnahme auch unbedingt umgesetzt werden muss. Oftmals kommen z. B. Rollstuhlmatten unnötigerweise zum Einsatz. Sie werden verwendet, wenn Untergründe nicht ganz eben erscheinen, doch ihr Nutzen wird anschließend nicht immer geprüft. Bei fehlerhafter Verlegung entstehen Stolperfallen oder die Matten verschieben sich.
Auch Podeste sind keineswegs immer beliebt. Gerade jüngere Fans und Gäste möchten mitten in einer Veranstaltung teilnehmen fühlen sich auf einem Podest exkludiert. Ihnen gegenüber stehen aber Besucher*innen, die ein Podest als Freiraum sehen und so nicht auf ein solches verzichten wollen. Wichtig ist bei der Planung, die richtige Bemessung der Größe und der Bewegungsflächen.
Toilettensituation auf Festivals und bei öffentlichen Veranstaltungen
Auf vielen Festivals gehören mobile Behindertentoiletten mittlerweile zum Standard. Für die Belange von schwer- und mehrfach behinderten Menschen ist ihre Ausstattung allerdings häufig nicht geeignet, da sie zu klein sind und wichtige Ausstattungselemente zur Hygieneversorgung fehlen. Das Projekt „Toiletten für alle“ [4] fordert daher Sanitäreinrichtungen, die ausreichend Platz für eine Person im Rollstuhl und zwei Betreuer*innen bieten und darüber hinaus über eine Liegefläche zum Wickeln von Erwachsenen und einen (Decken-)Lifter zur Erleichterung des Transfers von Rollstuhl auf die Liege verfügen. Die bestehenden DIN-Normen, DIN 18040‑1 Behindertentoiletten und DIN 18024‑2 Sanitärräume, welche Größe und Ausstattung regeln, sollten entsprechend erweitert werden.
Fördermöglichkeiten von Maßnahmen
In der Veranstaltungsbranche ist es oft schwierig, Förderungen für Umbaumaßnahmen zu erhalten. Die gemeinnützige Organisation Aktion Mensch, die eine Vielzahl von Projekten und Initiativen zur Unterstützung der Belange von Menschen mit Behinderung unterstützt, fördert beispielsweise keine kommerziellen Veranstaltungen. Bei einigen Events stehen jedoch Vereine als Träger hinter dem Event oder Festival. Diese können wiederum förderfähig sein. [5]
Eine weitere Möglichkeit der Förderung von Umbaumaßnahmen sind öffentliche Gelder. Diese sind oft mit umfangreichen Anträgen verbunden. Solche Fördertöpfe gibt es auf kommunaler, Landes-, Bundes- und europäischer Ebene. Diese Förderungen sind allerdings nicht regelmäßig verfügbar, daher ist eine gründliche Recherche erforderlich.
Ausblick
Es gibt keine Einheitslösung für Inklusion in Clubs und auf Konzerten, da die möglichen und nötigen Maßnahmen ebenso divers sind wie die Menschen, für die sie ergriffen werden. So muss jedes Mal aufs Neue entschieden werden, welche Lösungen Sinn ergeben, und welche nicht. Zusätzliche Hürden stellen die oftmals begrenzten finanziellen Mittel und teils widersprüchliche gesetzliche Vorgaben dar. Doch zeichnen sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten positive Entwicklungen ab, die nicht zuletzt durch individuelles Engagement sowie von Initiativen und Vereinen vorangetrieben werden und sicher dazu beitragen, dass in Zukunft alle Menschen gleichberechtigt und selbstständig an musikalischen Veranstaltungen teilnehmen können.
Fußnoten
Vgl. https://www.i-m-l-s.com (Zugriff: 28. November 2023)
Vgl. https://barrierefrei-feiern.de, https://news.wheelmap.org (Zugriff: 28. November 2023).
Vgl. https://www.dfl.de/de/ueber-uns/publikationen/barrierefrei-im-stadion (Zugriff: 28. November 2023).
Vgl. https://www.toiletten-fuer-alle.de (Zugriff: 28. November 2023).
Genauere Informationen dazu finden sich auf der Webseite von Aktion Mensch, einschließlich der Förderbedingungen und Förderhöhe, vgl. https://www.aktion-mensch.de/foerderung (Zugriff: 29. November 2023).