Erstmals in Deutschland wurde die Anreise des Publikums zu einer
Großveranstaltung so detailliert analysiert und ausgewertet. Zu TICKET TO RIDE, dem innovativen Mobilitätsprojekt von The Changency und Crowd Impact zusammen mit AnnenMayKantereit, gibt es nun die Ergebnisse und Erkenntnisse zur nachhaltigen Fanmobilität in einer praxisorientierten Projektzusammenfassung. Im Rahmen der AnnenMayKantereit Sommertour 2023 wurden bei insgesamt zehn Konzerten mit etwa 215.000 Besuchenden verschiedene Maßnahmen zur Förderung nachhaltiger Anreisemöglichkeiten umgesetzt. Mithilfe von Umfragen und in Kooperation mit Fridays For Future konnten zudem detaillierte Daten zum Anreiseverhalten von nahezu 5.000 Fans erfasst werden. Die gewonnenen Ergebnisse wurden im März 2024 an einem runden Tisch, unter Beteiligung von Entscheidungsträger*innen aus der Musik- und Veranstaltungsbranche, Verkehrswesen, Politik und Wissenschaft, intensiv diskutiert. Alle Erkenntnisse sind jetzt in einer kostenlosen Projektzusammenfassung verfügbar, die neue Impulse für nachhaltigere Mobilitätskonzepte der Musik- und Veranstaltungswirtschaft bietet.
“Die Zeit drängt, wenn wir die Erderwärmung begrenzen wollen. Mit den erhobenen und ausgewerteten Daten hoffen wir in der Zukunft noch weniger CO2 durch unsere Shows zu verursachen“, sagt Christopher Annen, Gitarrist von AnnenMayKantereit.
Auf deren Instagram-Kanal und über Mailouts der Ticketanbieter teilte die Band zu Beginn ihrer Sommertour Informationen, wie ihre Fans nachhaltiger anreisen können.
“Was für ein großartiges Projekt!”, kommentiert ein Fan darunter. So begeistert reagieren viele – und reisen am Ende tatsächlich umweltfreundlicher an. Das zeigen die Daten, die mit der Mobilitätsapp Crowd Impact und mithilfe von Fridays for Future im Laufe der Tour erhoben wurden: Die Besuchenden, die zur nachhaltigen Anreise informiert waren, haben 19 % weniger Anreise-Emissionen verursacht und 20 % mehr öffentliche Verkehrsmittel gewählt als die uninformierte Vergleichsgruppe. Ein großer Impact – vor allem, weil knapp mehr als die Hälfte der Besuchenden die Informationen zur nachhaltigen Anreise erreicht hat. Erfolgreichster Kommunikationskanal: die Mailouts über die Ticketanbieter.
Michael Birk, der Leiter des strategischen Kunden- und Projektmanagements der Deutschen Bahn, zeigt sich beim runden Tisch beeindruckt: “20 Prozent mehr Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln sind für den Bereich Mobilität Traum-Veränderungsquoten in einer ansonsten sehr zähen, recht unbeweglichen Branche. Und das mit einem so einfachen Mitteleinsatz – Kommunikation. Communication is key!!”
Die von The Changency initiierte Aktions- und Kommunikationskampagne auf der Sommertournee 2023 von AnnenMayKantereit umfasste zudem kreative Ideen zur Belohnung einer nachhaltigen Anreise.
„Für die Fans gab es Belohnungen und Anreize für eine umweltfreundliche Anreise, und 6.350 zusätzliche, bewachte Fahrradstellplätze“, erklärt Rosa Hoelger von The Changency als eine der Projektleiterinnen bei TICKET TO RIDE. Immerhin war es laut einer Zusatzbefragung 90 % der befragten Fahrradfahrenden wichtig oder sehr wichtig, dass Fahrradstellplätze sicher sind. Eine Infrastrukturanalyse zeigte zudem, an welchen Orten die ÖPNV-Anbindung mangelhaft war.
„Bei mehr als der Hälfte der Besuchenden war der ÖPNV im Konzertticket inkludiert. Es gab jedoch auch Spielstätten, an denen es an ÖPNV-Infrastruktur mangelt und die Fans mit dem Auto anreisen mussten. Hier setzten wir unter anderem Maßnahmen um, die Mitfahrgelegenheiten förderten, die trotz aller Kurzfristigkeit gut genutzt wurden“, erklärt Sarah Lüngen, Mitgründerin von The Changency. Andernorts hat das angebotene ÖPNV-Kombiticket ganze 30 % der mit dem ÖPNV anreisenden Fans in ihrer Entscheidung dafür beeinflusst. Dies aber vor allem an Orten mit guter öffentlicher Verkehrsinfrastruktur. Mit Blick in Richtung Politik ergänzt Sarah: “Neben solchen Maßnahmen brauchen wir dringend bundesweit eine Politik, die die nachhaltige Verkehrswende ernsthaft als Ziel verfolgt und angemessene Investitionen in den Ausbau von Infrastruktur tätigt.”
12,44 kg CO2 sind am Ende pro Besuchenden-Anreise im Durchschnitt entstanden. Denselben CO2-Fußabdruck hätten auch 18 Waschgänge oder die Produktion von 7 Liter Bier gehabt. Was im Einzelnen nach nicht viel klingt, macht in der Masse doch viel aus. Immerhin hat das Publikum von 215.000 Besucher*innen mit seiner An- und Abreise zu den 10 begleiteten Shows 1.196-mal die Welt umrundet. Und auch wenn dabei fast zwei Drittel der Fans umweltfreundliche Verkehrsmittel (zu Fuß, Rad, ÖPNV) gewählt haben, sind dabei 2.681 t CO2 entstanden. Besonders spannend ist hier allerdings, dass fast ein Drittel der Anreise-Emissionen durch die am weitesten angereisten 3 % der Besuchenden verursacht wurden.
„Hier schlagen besonders die Flüge zu Buche“, erklärt Laura Kleber von Crowd Impact. “Auch wenn nur 0,3 Prozent der Fans eine Flugreise gewählt haben, sind dadurch fast 7 Prozent aller Emissionen angefallen.”
Doch welche Stadt hat nun am Besten abgeschnitten?
“Spitzenreiter der geringsten pro-Kopf-Emissionen ist definitiv Zürich – nicht nur durch eine ausgezeichnete Infrastruktur, was den öffentlichen Verkehr angeht, sondern vor allem durch das sehr regionale Einzugsgebiet”, erläutert Julian Vogels, Laura Klebers Mitgründer und ergänzt: “Es macht daher grundsätzlich Sinn, dass eine Band zu den Fans reist und nicht umgekehrt.”
Das Projekt verdeutlicht, wie wichtig es ist, Wissen zu schaffen und dieses auch gezielt zu nutzen, um Maßnahmen und Dialoge anzustoßen. Daten sind die Grundlage für Veränderung und Entscheidungen.
„Unter anderem seit der PLANT A SEEED Studie wissen wir, dass unser größter Hebel für eine nachhaltige Veranstaltungswirtschaft in der Mobilität des Publikums liegt“, sagt dazu auch Johannes Everke, Geschäftsführer des BDKV. „Mit TICKET TO RIDE wurde jetzt nachgelegt und Lösungen angeboten, denn erst konkrete Lösungen bringen uns voran.”
Die neu erschienene Projektzusammenfassung kann auf www.tickettoride.net kostenlos heruntergeladen werden. Sie wurde von Verkehrs- und Energiewissenschaftler Dieter Seifried (Co-Autor Plädoyer “Mobilität für alle”, Wuppertal Institut) gegengelesen, und enthält neben den Erkenntnissen der Studie auch praktische Handlungsempfehlungen für Politik, Verkehrsbetriebe, Spielstätten, Ticketanbieter, Veranstaltende und Künstler*innen, die unter anderem an einem runden Tisch mit Beteiligten aus diesen Bereichen erarbeitet wurden.
„Fanmobilität kann man nicht nur messen, sondern auch konkret durch Kommunikation beeinflussen. Wir hoffen, dass die vielen entwickelten kreativen Ideen und Erkenntnisse die Leichtigkeit und Freude eines ansonsten schweren Themas transportieren und zur Nachahmung inspirieren“, hofft Katrin Wipper, Mitgründerin von The Changency.
TICKET TO RIDE wurde von The Changency und Crowd Impact in Kooperation mit AnnenMayKantereit ins Leben gerufen. Unterstützt wurde das Projekt von Landstreicher Booking und Fridays For Future. Gefördert wurde TICKET TO RIDE von der Initiative Musik und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.