Klimakonzert Nationaltheater Mannheim
Klimakonzert Nationaltheater Mannheim  
Foto:  Maximilian Borchardt

Klimakrise, Energiekrise, Coronakrise: Das Musikleben steht vor vielen Herausforderungen. Im Interview erklärt Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, was jetzt Aufgabe der Kulturpolitik ist.

MIZ: Wir leben in Zeiten der Energiekrise, und hinter uns liegt ein Dürresommer mit alarmierendem Ausmaß. Dadurch hat natürlich auch das Thema Klimaschutz neue Aufmerksamkeit bekommen. Wo steht die Musikkultur in diesem Prozess?

HÖPPNER: Die Musikkultur steht mitten im Leben, und so ist sie Teil der aktuellen Veränderungsprozesse. Die Menschen, die sich im Musikleben engagieren, sind ja auch als Bürgerinnen und Bürger davon betroffen. Ich kenne niemanden, der die Klimaveränderung ernsthaft in Frage stellt. Stärker könnte vielleicht noch das Bewusstsein werden, dass wir in einer Zeitenwende leben. Die globalen Veränderungen betreffen uns längst auch hier.

MIZ: Sehen Sie eine starke Betroffenheit oder eine Aufbruchstimmung, einen Veränderungswillen? Sorgen sich die Akteure in der Musikkultur, dass man ohnehin nichts tun kann, oder ist der Wille zur Veränderung stärker?

HÖPPNER: Es ist sicher beides, aber ich merke sehr deutlich einen Aufbruch und auch die Neugier und die Überraschung, was alles veränderbar ist. Natürlich darf man nicht übersehen, dass die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, im Zusammenhang multipler Krisen stehen. Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Energiekrise und die Inflation betreffen uns unmittelbar, aber auch die Zunahme der weltweiten Krisen mit ihren Flüchtlingsbewegungen wirkt sich aus. Insofern gibt es im Musikleben auch viel Verzweiflung und Existenzängste und zwar quer durch alle Sparten bei Profis und Amateuren. Wir sehen zum Beispiel immer öfter, dass junge Menschen sich entscheiden, ein Musikstudium nach bestandener Aufnahmeprüfung nicht anzutreten oder nach dem Abschluss einen anderen Beruf zu wählen, weil sie im Musikleben keine Zukunft für sich sehen – auch das ist eine Form von fehlender Nachhaltigkeit, wenn auch nicht unter ökologischen Aspekten. Aufbruchstimmung gibt es dagegen bezogen auf die Frage, was wir konkret tun können, etwa um den CO2-Ausstoß zu senken oder Müll zu reduzieren.

MIZ:  Braucht es in diesem Krisenmodus ganz besonders eine starke öffentliche Hand und eine klare Politik, die uns sagt, wo es lang gehen soll, und uns lenkt?

HÖPPNER: Es bräuchte einen guten Mix. Ich wünsche mir eine stärkere Kommunikation auf der politischen Entscheidungsebene, auf allen föderalen Ebenen, dass Veränderungen auch etwas Gutes bewirken können. Der Fokus liegt zu sehr auf dem Negativen. Es ist doch toll, wenn wir uns darüber verständigen können, wie wir CO2-Werte verringern können, weil es uns dann allen besser geht. Zweitens fehlt mir in der Kommunikation auch, dass klar wird, dass die Nachhaltigkeit, über die wir reden, nicht nur meint, den CO2-Ausstoß zu verringern. Ausgangspunkt sind vielmehr die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die 2015 verabschiedet wurden, die Agenda 2030 mit den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen. Darin ist der Klimaschutz natürlich enthalten, aber grundlegende Ziele sind eben auch, den Hunger auf der Welt zu beenden, Gesundheit für alle und Frieden zu sichern und gute Bildung zu schaffen. Dieser Kontext muss an die Zivilgesellschaft vermittelt werden. Natürlich müssen wir uns um die Umwelt kümmern und dürfen das Thema Klimaschutz nicht aus den Augen verlieren. Doch das wird nicht ausreichen, wenn wir hier auf der Erde alle friedlich zusammenleben wollen.  

MIZ: Um diese Ziele zu erreichen, braucht es doch erst recht konkrete Vorgaben?

HÖPPNER: Die öffentlichen Institutionen, die die Kultur schützen, fördern und mitfinanzieren, werden tatsächlich immer konkreter beim Thema Klimaschutz. Mag sein, dass das vielleicht noch ein bisschen stärker geht, doch es hat sich schon einiges verändert. Flugreisen innerhalb Deutschlands sind zum Beispiel nicht mehr zuwendungsfähig, also ist die Bahn zu nutzen. Es ist allerdings ein Balanceakt, Rahmenbedingungen für das Kulturleben so zu steuern.

MIZ: Inwiefern?

HÖPPNER: Die Auswirkungen solcher Eingriffe sind schwer zu bestimmen. Sie könnten hier und da schnell in die künstlerische Freiheit hineingehen, und sie könnten auch kontraproduktiv werden bei der Rolle von Kunst und Kultur, Begegnungen zu schaffen, Menschen zu erreichen, Menschen zu berühren. Den CO2-Ausstoß durch ein Regelwerk der öffentlichen Hand um jeden Preis zu senken, wäre für mich zu weitgehend. Wenn wir reisen, müssen wir uns natürlich fragen, wie wir das möglichst klimaneutral oder eben mit geringem CO2-Ausstoß machen können. Und damit meine ich ganz sicher nicht den Ablasshandel, der durch die sogenannten Kompensationen etwa bei Flugreisen betrieben wird. Damit erkauft man sich ein vermeintlich reines Gewissen und macht im Zweifelsfall weiter wie bisher.

„Bis vor wenigen Jahren haben sich nicht wenige Musiker*innen in den sozialen Netzwerken damit gerühmt, wo sie gerade wieder überall hinfliegen. Das ‚traut‘ sich heute niemand mehr.“
Autor
Christian Höppner

MIZ: Hat der Klimaschutz in der Kultur- und Förderpolitik im Vergleich zur Situation vor zehn oder gar 20 Jahren einen größeren Stellenwert bekommen?

HÖPPNER: Eindeutig ja, ganz klar. Das hat schon bei der Vorgängerin der aktuellen Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Claudia Roth, bei Monika Grütters begonnen, ebenso im Bundesfamilienministerium; beide sind unsere direkten Ansprechpartnerinnen beim Deutschen Musikrat. Da ist ein gewaltiger Umbruch erfolgt, im Bewusstsein sowohl der Politik als auch der Menschen. Bis vor wenigen Jahren haben sich ja übrigens auch nicht wenige Musiker*innen in den sozialen Netzwerken damit gerühmt, wo sie gerade wieder überall hinfliegen. Das „traut“ sich heute niemand mehr und viele finden das exzessive Reisen, insbesondere für Kurztrips, sicher auch nicht mehr richtig.

MIZ: Sehen Sie konkrete klimapolitische Anforderungen auf den Musikbereich zukommen in den nächsten zehn Jahren? Es gibt das Ziel der Treibhausgas-Neutralität bis 2045 mit festgelegten Zwischenschritten bis 2030 und 2040. Welche Dinge sind Ihnen bekannt, die umgesetzt werden sollen und die auch den Musikbereich betreffen, um auf dem Weg zum Gesamtziel 2045 voranzukommen?

HÖPPNER: Ich sehe eher, dass die Selbstaktivierung des Musikbereichs weiterhin wichtig ist, statt auf weitere Verordnungen zu warten. Da bin ich auch sehr positiv gestimmt, denn es passiert ja einiges. So hat das Netzwerk „Orchester des Wandels“ einen Leitfaden aufgesetzt für Nachhaltigkeit im Konzertbetrieb, auch die Vereinigung unisono, früher DOV, hat dazu eine Handreichung herausgegeben. Das Bundesumweltministerium hat einen Leitfaden für nachhaltige Veranstaltungen erstellt, den die Veranstaltungswirtschaft nutzen kann, und die Kulturstiftung des Bundes hat 2021 Informationen über nachhaltiges Produzieren im Kulturbereich herausgebracht. Das sind nur einige wenige Beispiele. Es ist unsere eigene Verantwortung, die Dinge jetzt umzusetzen. Man muss die globalen Zusammenhänge sehen und kommunizieren, aber auch schlicht bei sich selbst anfangen. Und das tun ja jetzt auch viele – nicht zuletzt wegen der Steigerungen bei den Energiekosten. Wir sehen diese Veränderungen übrigens auch nicht nur bei der jungen Generation, sondern ich erlebe das quer durch alle Altersgruppen im Profi- und im Amateurbereich.

MIZ: Die Selbstaktivierung findet also statt. Weshalb ist dies besser als eine klare Vorgabe, nach der sich alle zu richten haben?

HÖPPNER: Vielleicht habe ich das missverständlich ausgedrückt. Ich glaube, wir brauchen beides und zwar parallel und sinnvoll: zum einen die gesellschaftliche Diskussion, die aktuell läuft. Man kann sich informieren, und keiner kann sagen: Ich habe vom Klimawandel nichts gewusst. Wir brauchen aber gleichzeitig eine Politik, die den schwierigen Spagat zwischen Vorgaben und gesellschaftlicher Akzeptanz dieser Vorgaben schafft. Nötig ist hierfür eine gute Kommunikation, gerade wenn es zu Einschränkungen kommt. Und wir brauchen eine positive Besetzung von Veränderungsprozessen, denn es kann ja zum Beispiel sein, dass mit einer Einschränkung auch eine Verbesserung einhergeht.

„Jetzt mit der Begründung des Energiesparens alles kalt zu lassen und Kulturorte zu schließen, geht aus meiner Sicht nicht. Da wäre für mich eine rote Linie erreicht.“
Autor
Christian Höppner


MIZ: Die Realität erleben allerdings viele Menschen als Verschlechterung, und selbst Positives wird in der aktuellen Situation sicher häufig überformt von den verschiedenen Problemen wahrgenommen. Wie kann Selbstaktivierung trotzdem gelingen?  

HÖPPNER: Tatsächlich hat die Corona-Krise befördert, dass alle in ihrem Kokon sitzen. Wir haben im Moment einen Publikumsrückgang in Konzerten und bei anderen Kulturveranstaltungen, die Menschen begegnen sich weniger. Aber Begegnung ist die Essenz, um sich über gemeinsame Ängste auszutauschen und gemeinsamen Ängsten entgegenzutreten, sich miteinander zu solidarisieren. Ängste sind der größte Treiber für Ausgrenzung, und die Angst vor dem Unbekannten, vor der Veränderung ist Teil unserer gesellschaftlichen Krise. Deshalb wäre es absolut falsch zu sagen, wir schließen wegen der Energiekrise öffentliche Orte. Es muss weiterhin Orte der Begegnung geben, und da ist nicht nur der Staat gefordert, sondern auch die Kirchen, und ihre kulturellen Wärmestuben, so nenne ich es gern, müssen die Menschen in ihren Räumen willkommen heißen. Wenn das aber jetzt nicht mehr wegen Corona, sondern mit der Begründung des Energiesparens wieder zurückgefahren wird, sodass alle in ihren eigenen vier Wänden bleiben und möglichst nicht rausgehen, ist das gesamtgesellschaftlich gesehen eine Katastrophe. Jetzt einfach alles kalt zu lassen und die Kulturorte zu schließen, geht aus meiner Sicht nicht. Da wäre für mich eine rote Linie erreicht.

MIZ: Klimaschutz steht so gesehen also im Konflikt mit dem gesellschaftlichen Klima …

HÖPPNER: Wir brauchen definitiv diese kulturellen Wärmestuben. In der aktuellen Situation und in der Klimakrise ist das natürlich ein Balanceakt zwischen den CO2-Einsparungen, die wir alle wollen, und den Auswirkungen, die einzelne Maßnahmen haben.

MIZ: Gerade diesen Balanceakt kann man aber in der Selbstverantwortung nicht auflösen.

HÖPPNER: Die “starke öffentliche Hand”, die Sie ansprechen, kann diesen Balanceakt aber auch nicht pauschal regeln: Wenn Kultureinrichtungen die Aufforderung haben, 20 Prozent Energiekosten einzusparen, die bei der Zuwendung auch abgezogen werden, ist man zum Handeln gezwungen. Eine Kultureinrichtung, die aber zum Beispiel in einem ehemaligen Industriegebäude ansässig ist, kann dieser Aufforderung im Zweifel nicht nachkommen, weil das Gebäude gar nicht geeignet ist für so eine Maßnahme. Sie kann es dann eben nur schließen. Das heißt, die Vorgabe ist zu wenig ausdifferenziert und zerstört womöglich mehr als sie befördert. Es heißt allerdings nicht, dass man nicht trotzdem konsequent und schneller als bisher im Regelwerk vorangehen kann.

MIZ: Im Föderalismus haben wir oft viele Varianten gleichzeitig. Wenn der eine es so handhabt, kann es sein, dass es die andere ganz anders macht, das haben wir ja auch in der Corona-Krise erlebt. Ist das die Chance, viele Lösungsansätze und ihre Wirksamkeit parallel zu erleben, oder ist das eher ein Hindernis, weil die verschiedenen Ansätze sich im Weg stehen?

HÖPPNER: Ich sehe es eher als Chance. Mit dem Föderalismus haben wir ein Riesengeschenk, er unterstützt im besten Fall den Wettbewerb um die guten Ideen. Der Bund könnte seine Rolle aber an zwei Punkten stärker wahrnehmen. Zum einen, indem er in diesem Kontext selbst mehr Pilotprojekte als Anreiz auflegt und damit auch Initiativen vor Ort unterstützt. Zum anderen kann der Bund bei der Finanzierung Veränderungen wirksamer befördern. Die Prozesse, die angestoßen werden müssen, damit mehr Geld bei den Kommunen oder auch bei den Ländern ankommt, funktionieren nicht optimal und sollten entsprechend verbessert werden.

MIZ: Wie könnte der Wettbewerb im Musikbetrieb helfen, sich im Klimaschutz noch besser aufzustellen, die Möglichkeiten besser zu nutzen? Es gibt ja viele Ideen. Kann man dies steuern, indem man die Förderung an das Wettbewerbsprinzip knüpft?

HÖPPNER: Steuerungen sind ein Balanceakt zwischen “Wir ordnen an” und “Wir regen an”. Ich persönlich sehe die bessere Chance, indem man Veränderung anregt. Das betrifft uns auch im Musikrat. Nehmen wir “Jugend musiziert”, wo viel Reisebewegung stattfindet, auch bei unseren anderen Wettbewerben und unseren Ensembles. Hier muss das Ziel sein, dass wir uns fragen, wieviel CO2-Ausstoß wir vermeiden können – aber auch, wo die Begegnung über der Reduzierung des CO2-Ausstoßes steht.

„Ich bin davon überzeugt, dass wir alles, was die Begegnung von Menschen ermöglicht und fördert – und zwar live und in Farbe – nicht beschneiden sollten. Stattdessen sollten wir fragen, wie wir diese Aktivitäten CO₂-reduziert und bestenfalls CO₂-neutral umsetzen können.“
Autor
Christian Höppner

MIZ: Sind im Musikbetrieb schmerzhafte Einschnitte überall vorstellbar? Oder gibt es Bereiche, die trotz Notwendigkeit des Klimaschutzes nicht in Frage gestellt werden sollten?

HÖPPNER: Ich kann nur für den Musikrat sprechen, und dort sind wir am Anfang des Diskussionsprozesses. Ganz persönlich bin ich davon überzeugt, dass wir alles, was die Begegnung von Menschen ermöglicht und fördert – und zwar live und in Farbe – nicht beschneiden sollten. Stattdessen sollten wir hier die Frage in den Mittelpunkt stellen, wie wir diese Aktivitäten CO2-reduziert und bestenfalls CO2-neutral umsetzen können. Die Begegnung an sich muss bleiben, denn davon lebt die Gesellschaft, davon leben auch die Künstler*innen. Und man muss bedenken: Die Online-Begegnung ist ja auch nicht CO2-neutral; die Verbrauche von Smartphones, von Computern und Servern sind klar bezifferbar. Wir sind zum Glück immer noch analoge Wesen, und als solche brauchen wir Begegnung.

MIZ: Im Konzertbetrieb sind nicht nur die Künstler*innen mobil, sondern auch das Publikum, das dorthin reist, wo die Künstler*innen sind, für die man sich interessiert. Am Ende haben sich dann womöglich zwei über weite Strecken bewegt. Ist es weiterhin richtig, dass alle an allen Orten präsent sind?  

HÖPPNER: Ich bin da persönlich ganz klar der Auffassung, dass Künstler*innen überall auftreten und Orchester reisen dürfen müssen. Der Hebel für eine Reduktion wäre eher, Flugreisen teurer zu machen, denn Bahnreisen kosten im Vergleich dazu unverhältnismäßig viel. Das Steuerungsinstrument ist nicht das Verbot, sondern die Preisgestaltung bei den Verkehrsmitteln.

MIZ: Dann reist das Publikum mittelfristig vielleicht nicht nur aus Überzeugungs-, sondern auch aus Kostengründen weniger. Das könnte beispielsweise für Musikfestivals zum Problem werden, weil sie oft auf ein internationales Publikum ausgerichtet sind.

HÖPPNER: Da sollte man rechtzeitig gegensteuern. Wir kommen ja zum Teil schon wieder zu einer Deglobalisierung und zu einer neuen Regionalisierung, wirtschaftlich, aber auch politisch. Kultur muss da gegenwirken. Wir müssen doch Horizonte öffnen und nicht nur das sichtbar machen, was jenseits des Gartenzauns passiert, sondern auch, was in der Welt passiert.

MIZ: Fährt das Bundesjugendorchester also bei der nächsten Südamerika-Tournee mit dem Schiff?

HÖPPNER: Das weiß ich nicht, aber so viel nachhaltiger wäre das vielleicht am Ende auch gar nicht.

MIZ: Welche konkreten Ansätze gibt es bei den Projekten des Deutschen Musikrats, nachhaltiger zu arbeiten? Was tun die Ensembles, was die Wettbewerbe, die ja allesamt viele Reisebewegungen erzeugen?

HÖPPNER: Das Bundesjugendorchester achtet zum Beispiel bei Konzertreisen möglichst genau auf den CO2-Ausstoß; bedacht werden dort auch eine nachhaltige Verpflegung des Orchesters auf den Reisen und die Vermeidung von Einwegmaterial. Es ist dieses Bewusstsein für Details, das wir brauchen. Die Frage des Probenorts ist für unsere Ensembles ebenfalls wichtig: Wo kommt man zusammen, wie weit muss dafür gefahren werden? Wie verkehrsgünstig ist der Ort gelegen, und wie kann man dort hinkommen? Wie klimafreundlich ist die Ausstattung, wie nachhaltig ist das Haus aufgestellt?

Wir haben eine Arbeitsgruppe im Deutschen Musikrat, die sich mit der Frage befasst, wie wir unseren Beitrag leisten können; es gibt aber noch kein Regelwerk. Eine Änderung des Bewusstseins ist bei uns im Generalsekretariat und in Bonn bei der Projektgesellschaft jedoch auch an Kleinigkeiten spürbar: Es bleibt eben kein Licht mehr brennen, wenn niemand im Raum ist; wir achten auf die Heizung, und wenn Räume nur wenig benutzt werden, dann werden die eben auch nur wenig bzw. gar nicht beheizt. Der Papierverbrauch ist ein Punkt und natürlich auch die Frage, wo wir bestellen und welches Material wir benutzen. Die Reisebewegungen unserer Fachausschüsse haben wir reduziert, indem wir dank Videomeeting die Anzahl der Präsenztreffen verringert haben. Früher waren es mindestens zwei Termine im Jahr, jetzt gibt es nur noch einen.

MIZ: Welchen Stellenwert hat das Thema Klimawandel in Bezug auf die Ziele des Deutschen Musikrats?

HÖPPNER: Wir werden den Themenkomplex Klimawandel und Nachhaltigkeit dem UNESCO-Ziel Schutz und Förderung der Kulturellen Vielfalt, das inhaltlich unser Bezugspunkt ist, gleichstellen. Darüber denken wir aktuell nach, auch wenn wir in der Außenkommunikation noch nicht so weit sind. Und natürlich sind wir dazu im Austausch mit unseren Mitgliedsverbänden, von denen viele im Bereich Klimaschutz schon sehr stark engagiert sind. Der Kulturbereich, der Musikbereich stehen hier in einer Mitverantwortung. Trotzdem müssen wir die Balance herstellen zu unserem Ziel der Kulturellen Vielfalt.

MIZ: Vor dem Hintergrund dessen, was wir aktuell erleben: Wie wird sich das Musikleben aus Ihrer Sicht in den nächsten 20 oder 30 Jahren verändern?

HÖPPNER: Ich sehe es leider pessimistisch und glaube, dass wir in eine Verarmung hineinkommen. Das würde ich nicht direkt aufhängen an der möglichen Einschränkung durch die Klimafolgen, sondern die viel größere Gefahr ist es, dass wir jungen Menschen nicht die Bandbreite der Kulturellen Vielfalt vermitteln – weder kontinuierlich noch nachhaltig. Das Bedürfnis, sich nicht nur über Worte auszudrücken, sondern auch nonverbal über künstlerische Wege, wird ganz sicher bleiben. Die Bandbreite wird aber kleiner werden, als wir das aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kannten. Dieser Entwicklung, die aus meiner Sicht bereits begonnen hat, konstruktiv und kreativ entgegenzuwirken und auch bei den Themen Musikalische Bildung und Förderung des Musiklebens eine größere Nachhaltigkeit zu erreichen – dieser großen Aufgabe fühlt sich der Deutsche Musikrat mit seinen Partnern in Politik und Zivilgesellschaft verpflichtet.

Das Interview fand am 3. November 2022 statt. Die Fragen stellte Christiane Schwerdtfeger.

Prof. Christian Höppner ist Generalsekretär des Deutschen Musikrates, dessen Präsidiumsmitglied bzw. Vizepräsident er von 2000 bis 2004 war. Zudem ist er Präsident des Deutschen Kulturrates und engagiert sich in führender Position in zahlreichen Musikverbänden. Seit 1986 unterrichtet er Violoncello an der Universität der Künste Berlin. Für sein nationales und internationales Engagement für die Entwicklung und Pflege des Musiklebens auf allen gesellschaftlichen Ebenen wurde er 2016 von Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet.
Prof. Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates