Die Gefängnisband "El Mono" bei einem Auftritt
Die Band „El Mono“ mit Inhaftierten der sächsischen Justizvollzugsanstalt Zeithain.  
Foto:  Olivier Colin
Musik im Strafvollzug – unter diesem weit gefassten Titel werden im Folgenden Grundlagen musikalischer Fördermaßnahmen und Aktivitäten im Rahmen eines rechtlich und institutionell begründeten Freiheitsentzuges vermittelt. Neben der Klärung von Grundsatzfragen samt begrifflicher und systemischer Aspekte zeigt der Text internationale Perspektiven, Praxisbeispiele sowie mögliche Arbeitsfelder.

Der Teilbereich Musik im Strafvollzug ist in der deutschsprachigen Musikpädagogik noch recht jung. Aufgrund der föderalistischen Struktur des Justizsystems und unterschiedlichen Haltungen von Verantwortlichen sind die Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten des Einbezugs von Musik in die Gestaltung des Strafvollzugs zudem äußerst heterogen. Die konkreten Kontexte, Bereitschaften, Möglichkeiten können somit von Standort zu Standort stark variieren. Einführend lässt sich daher lediglich eine grobe Orientierung über musikbezogene Voraussetzungen, Potenziale und Grenzen dieses Handlungsfelds geben. Zugleich kann damit das Bewusstsein für ein besonderes sowie äußerst vielfältiges und interessantes Arbeits- und Forschungsfeld geschärft werden.

Begrifflichkeiten, Formen und Rahmenbedingungen

Gegenstand des deutschen Strafvollzugs, der sich auf das Strafvollzugsgesetz (StVollzG) von 1977   sowie seit 2008 auf verschiedene Ländervollzugsgesetze stützt, ist die Umsetzung der gerichtlich verhängten Freiheitsstrafe. Dabei gibt es unterschiedliche Vollzugsarten (offener und geschlossener Vollzug, Sicherheitsverwahrung) und Haftformen (z. B. Straf-, Untersuchungs-, Abschiebehaft), die wiederum auf die Zielgruppen Männer und Frauen sowie Jugendliche und Erwachsene in unterschiedlicher Art und Weise ausdifferenziert Anwendung finden.

Um die Vollzugsziele der Resozialisierung und des Bevölkerungsschutzes gemäß StVollzG §2 zu realisieren, erfolgt die Unterbringung in Form des sog. geschlossenen Vollzugs in Justizvollzugsanstalten (JVA) bzw. in geschlechtlich getrennten Jugendarrestanstalten (JAA) oder Freizeitarresträumen. Der Zugang für Außenstehende erfolgt in der Regel über eine frühzeitige Antragstellung und Sicherheitsüberprüfung und innerhalb der Institution über die Sicherheitsschleuse sowie zahlreiche, sicherheitstechnisch abgetrennte Gänge mit Videoüberwachung. Die Unterbringung in Hafträumen wird durch verschiedene Aktivitäten unterbrochen: Dazu zählen Phasen der Mitarbeit in den institutionseigenen Betriebseinheiten und Werkstätten, ferner Schule/Ausbildung, Kursteilnahme, therapeutische bzw. sozialpädagogische Angebote sowie sonstige Aufschlusszeiten (z. B. für die Essensausgabe, Dusche, Begegnung in Gemeinschaftsräumen) und den i. d. R. täglichen Aufenthalt im Freien. Der Haftalltag ist mit vielen Einschränkungen für die Inhaftierten verbunden, sehr klar geregelt und durchstrukturiert; er ist hinsichtlich der Folgen für die Einzelnen und die Gemeinschaft mit Blick auf die Bildung eigener Verhaltens- und Regelsysteme und den Umgang mit Einsamkeit, Drogen, Gewalt nicht unproblematisch. [1]

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Ein Klarinettist spielt hinter vergittertem Fenster
Das Projekt „Music in Prison“ der britischen Organisation „The Irene Taylor Trust“: Gefangene werden unterstützt, eine Band zu gründen und ihre eigene Musik zu produzieren. Die Musik wird professionell aufgenommen; die CDs werden an die Teilnehmenden und ihre Familien verschickt.  
Foto:  Lizzie Coombes, courtesy of the Irene Taylor Trust, irenetaylortrust.com

Diese spezifische Rahmung wirkt sich auch auf musikalische bzw. musikpädagogische Praxen aus. So sind die Möglichkeiten kreativen, ästhetischen Erlebens im Rahmen der individuellen Vollzugspläne zahlreichen Sachzwängen, Sicherheitsvorschriften und Vorgaben unterworfen. Musikalische Angebote finden dabei neben Sport, Kultur (z. B. Lesungen, Theater) und sonstigen Freizeitangeboten (z. B. Basteln, Schreibwerkstätten) statt. Sie werden von unterschiedlichen Akteur*innen initiiert und geleitet (s. u. „Wer ist beteiligt?“). 

Legitimation und Bedeutung von Musikangeboten im Strafvollzug

Durch den Aufenthalt in der jeweiligen Hafteinrichtung finden sich Menschen unterschiedlicher Altersgruppen, beginnend vom Jugend- bis zum Seniorenalter, in einem stark fremdbestimmten System wieder: Seitens der Justiz werden sie bezüglich ihrer Freiheits- und Handlungsräume sehr limitiert, seitens der Mitinhaftierten bzw. -arrestierten werden sie mit einem „subkulturellen Regelsystem konfrontiert, das u. a. die Hierarchie in der Insass*innenschaft konstituiert und aufrechterhält“. [2] Außerdem weisen straffällig Gewordene häufig stark krisenbehaftete Lebensverläufe auf, die wiederum durch weitere Krisenerfahrungen im Haftalltag (z. B. durch die Trennung von Partner*innen und Kindern) verstärkt werden. Um das übergeordnete Vollzugsziel der Resozialisierung zu erreichen, ist per Gesetz geregelt, wie der Vollzug zu gestalten ist: So ist das Leben im Vollzug „den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen“ (§ 3 Abs. 1 StVollzG) und der Vollzug „darauf auszurichten, dass er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern“ (§ 3 Abs. 3 StVollzG). „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken“ (§ 3 Abs. 2 StVollzG).

Die Einrichtung und Ausgestaltung von Musikangeboten im Strafvollzug lässt sich aus ihrem spezifischen Wert im Hinblick auf die Resozialisierung festmachen: So können Musikangebote inmitten des fremdbestimmten und restriktiven Haftalltags sichere Räume bieten, in denen sich die inhaftierten Menschen als selbstwirksam und selbstbestimmt erleben können. Die Musizierpraxis mit ihren Interaktionsformen bietet hier ein geeignetes Feld für Probehandeln, indem soziale Verhaltensweisen (z. B. zuhören bzw. sich als Teil einer Gruppe erleben und einbringen) gleichzeitig geübt werden können.

Musikangebote sind an den Hafteinrichtungen in der Regel im Rahmen des kreativen/kulturellen Freizeitbereichs verankert, [3] der auch die Bereiche Kunst, Literatur und Theater einschließt. Ein Großteil der Gefangenen hat „geplante und zielorientierte Freizeitbeschäftigungen weder kennengelernt noch praktiziert“. [4] Durch die Teilnahme an diesen Angeboten können ihnen Perspektiven einer erfüllenden Freizeitbeschäftigung aufgezeigt werden. In diesem Sinne weisen Musikangebote einen besonderen Wert für die Entwicklung eines strukturierten Freizeitverhaltens auf, indem hier neu erlernte Verhaltensmuster und Kompetenzen auch nach der Entlassung Perspektiven für eine alternative Freizeitgestaltung bieten. Nicht zuletzt lösen Musikangebote das Recht auf umfassende Bildung und Teilhabe und damit ein fundamentales Menschenrecht ein. So geht aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hervor, dass jeder Mensch das Recht hat, „am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“. [5]

Musikalische Angebote und Praxen im Strafvollzug

An bundesdeutschen Justizvollzugsanstalten [6] findet eine Vielzahl an Musikangeboten statt, deren Art und Dimensionen je nach Hafteinrichtung variieren. So ergab eine nationale Bestandsaufnahme, dass gut drei Viertel aller an der Umfrage teilnehmenden und befragten JVAs im Rahmen ihres kreativen Freizeitbereichs Musikangebote anbieten. [7] Die Einrichtungen der insgesamt 152 teilnehmenden Personen untergliedern sich in solche, in denen Erwachsene (n = 114) und/oder nach Jugendstrafrecht verurteilte junge Menschen untergebracht sind. [8] Der Studie zufolge steht instrumentales Musizieren im Rahmen dieser Angebote im Vordergrund, z. B. in Form von angeleiteten Bands, Instrumentalunterricht/-kursen (einzeln oder in der Gruppe) mit den Instrumenten Schlagzeug, Keyboard und Gitarre. Darüber ist die Chorarbeit eine zentrale musikbezogene Praxis im Strafvollzug, die vor allem von der Altersgruppe der Erwachsenen angenommen wird. Oftmals handelt es sich bei den Chören um Kirchenchöre, die auch zur Mitgestaltung von Gottesdiensten eingebunden sind, z. B. der Chor der JVA Lübeck. Auf diese Weise wird den inhaftierten Menschen neben den regelmäßigen Proben eine Bühne geboten, um einstudierte Lieder zu präsentieren und hierdurch mitverantwortlich für die musikalische Ausgestaltung des Gottesdienstes zu sein.

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Ein niedersächsischer Justizvollzugsbeamte reicht Häftling mit Gitarre ein Plektrum
Abwechslung und Selbstwirksamkeit: In der Justizvollzugsanstalt Uelzen können Inhaftierte das Gitarrespiel erlernen.  
Foto:  Justizvollzugsanstalt Uelzen

Weitere musikbezogene im Strafvollzug vertretene Praxen sind das kreative Musikgestalten (z. B. Songwriting oder Hip-Hop), das Improvisieren von Musik und die Verbindung von Musik mit anderen Kunstformen. Der Umfrage nach auch, aber deutlich weniger vertreten sind Percussion-Angebote, das Produzieren von Musik oder die Kombination aus Bewegung und Tanz. Ein Großteil der Musikangebote (86 %) findet regelmäßig in Form von Freizeitgruppen statt. Weiterhin werden das Format „Konzerte und Künstler*innenvorträge“ von jeder zweiten JVA (51 %) als Arbeitsform genannt, gefolgt von punktuell stattfindenden Workshops (41 %) und Projekten (3 %). [9] Insgesamt bildet die Populäre Musik den mit Abstand am häufigsten musizierten Genrebereich, jedoch zeigen sich bei den Altersgruppen signifikante Unterschiede: Das Genre Hip-Hop/Rap wird etwa im Jugendbereich stärker präferiert als im Erwachsenenalter, in dem die Rockmusik an erster Stelle steht. [10]

Strafvollzug als Arbeitsfeld

Die Gruppe derjenigen, die in Hafteinrichtungen Musikangebote ausgestalten, ist vielfältig. Sie umschließt zum einen externe Akteur*innen (z. B. Musikpädagog*innen, Community Musicians, Künstler*innen und vereinzelt Musiktherapeut*innen) und zum anderen interne Akteur*innen (z. B. Gefängnisseelsorger*innen (45 %), Personen des Allgemeinen Vollzugsdienstes (27 %) sowie des Pädagogischen (20 %) und des Sozialen Dienstes (15 %). [11] Je nach Anstalt können hier aber auch noch andere Personen hinzukommen (z. B. Ehrenamtliche). Selbst wenn Projekte durch externe Akteur*innen angeboten werden, bedarf es der Unterstützung durch Personen aus dem Vollzug, z. B. in logistischer Hinsicht. Daher finden viele Musikangebote auch in Form von Kooperationen zwischen dem Personal der JVA und externen Akteuren (29 %) statt: Genannt werden hier vor allem kulturelle Institutionen (17 %) sowie Bildungsinstitutionen (9 %), ferner Studierende (24 %), Musiktherapeut*innen (14 %) und Sozialarbeiter*innen (3 %). [12]

Das Spannungsverhältnis zwischen einem restriktiven, stark fremdbestimmten System und gezielten Maßnahmen zur Förderung stellt die Entwicklung und Durchführung entsprechender Musikprojekte im Kontext des Strafvollzugs vor besondere Herausforderungen. Diese umfassen ein für Außenstehende unklares Bild über Rahmenbedingen eines musikbezogenen Engagements im System Strafvollzug [13] und den erschwerten Zugang zur Institution. [14] Für einen sensiblen Umgang mit der Zielgruppe relevant ist u. a. ein Bewusstsein für die schwierigen Lebenslagen der überwiegend männlichen Zielgruppe, [15] die häufig durch ein wenig unterstützendes Umfeld, gesellschaftliche Benachteiligung und biografische Brüche gekennzeichnet sind (z. B. im Hinblick auf Gewalt-, Drogenerfahrung, Schulabbruch). In Bezug auf den Umgang mit Musik sind auch heterogene musikalische Vorerfahrungen, Musikpräferenzen und musikalische Praxen vor dem Hintergrund einer ausgeprägten interkulturellen Diversität der Inhaftiertengruppe zu nennen. Musikalische (Übe-)Praxis wird in der Regel durch strenge Vorgaben bezüglich des Instrumentariums und evtl. Musikelektronik in den Hafträumen eingeschränkt, Ensemblearbeit auf wenige, strikt geregelte Zeitfenster angelegt.

Angesichts dieser besonderen Bedingungen erfordert die musikalische Anleitung und Ermöglichung im Haftkontext zunächst auf Seiten der Verantwortlichen Mut und eine aufgeschlossene und resiliente Grundhaltung. Weiterhin bedarf es einer sorgfältigen Planung und Vorbereitung mit klaren Absprachen in Bezug auf Aspekte der Durchführung und Unterstützung seitens der Hafteinrichtungen (z. B. in Bezug auf die anstaltsinterne Kommunikation, Logistik und Zuführung der Gefangenen zu spezifischen Zeitpunkten zu den Musikangeboten). Darüber hinaus sind ein breit gefächertes Spektrum an musikalischen bzw. musikpädagogischen Kompetenzen, Offenheit für unterschiedliche Musikformen, soziale Kompetenz sowie Flexibilität und Akzeptanz wichtig. Im Rahmen des Strafvollzugs können vielfältige ästhetische Primärerfahrungen durch Erlernen eines Instruments, durch Ensemblemusizieren, durch Musikproduktion mit digitalen Medien etc. initiiert sowie Reflexionsangebote zu Musik, Texten und sozialen Aspekten geschaffen werden. Verbunden sind damit umfangreiche Ziele in Bezug auf die jeweilige Selbstwirksamkeit bzw. das Selbstkonzept, ästhetische und soziale Dimensionen, Perspektiven für die künftige Lebensgestaltung und somit ganz allgemein: in Bezug auf bildungs-, kultur- und lebensperspektivisch relevante Aspekte.

Um einen stärkenorientierten Kontrapunkt zum defizitorientierten und fremdbestimmten Kontext Strafvollzug zu setzen, sollten Musikangebote im Sinne eines Empowerments so gestaltet werden, dass die teilnehmenden Gefangenen ihre eigenen Ressourcen erkennen und sich als selbstwirksam erleben, um idealerweise in ihrem Alltag auf diese Erfahrungen und erworbenen Kompetenzen zurückgreifen zu können. Hierfür müssen Räume für aktive Partizipation geöffnet werden, in denen die Inhaftierten selbstständig mitentscheiden und agieren können.

Praxisbeispiele

Der konkrete Einbezug von Musik in den Haftalltag kann in sehr unterschiedlicher Weise erfolgen. Dies lässt sich bereits mit zwei Beispielen grob skizzieren:

  • Beispiel 1: In dem 2018 entstandenen Prison Partnership Project an der York St. John University (GB) arbeitet Catherine Birch wöchentlich als Community Musician mit Frauen in einem Gefängnis in Form von Songwriting- und Gesangsworkshops. Praxis und Forschung von Birch liegt dabei ein traumasensibler Ansatz zugrunde, da Frauen im Strafvollzugsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit Traumata erlitten haben. Werte, wie Sicherheit, Vertrauenswürdigkeit, Entscheidungsfreiheit, Zusammenarbeit und Empowerment, und eine Haltung der Gleichberechtigung sind die Grundlage für die musikalische Arbeit mit den Frauen. [16]
  • Beispiel 2: Im Rahmen einer musikpädagogischen Lehrveranstaltung bekommen Studierende der Musikhochschule Lübeck die Möglichkeit, jeweils eine ganze Woche lang ein vielfältiges musikalisches Bildungsangebot für die zu diesem Zeitpunkt in der Jugendarrestanstalt Moltsfelde untergebrachten Jugendlichen auszugestalten: Instrumentenkarussell, Songwriting, Samba-Percussion, Improvisation und viele weitere Inhalte strukturieren hierbei die Musikwochen an der JAA Moltsfelde. Betreut werden Sie hierbei durch Annette Ziegenmeyer und Philipp Möhler. Ein besonderer Wert dieses mittlerweile verstetigten Lehr- und Kooperationsprojekts ist der Perspektivwechsel, den alle Beteiligten (Studierende, Jugendliche, Mitarbeiter*innen) im Laufe der Musikwochen erleben. [17]

Forschungsstand

Während  „Musik im Strafvollzug“ in der deutschsprachigen musikpädagogischen Forschung bislang nur von wenigen Autor*innen in den Blick genommen wurde, ist der Themenbereich international schon weiter fortgeschritten. In Deutschland wurde das Feld zunächst aus der Perspektive der Sozialen Arbeit [18] bearbeitet. In der Musikpädagogik ist das Feld insbesondere durch den Sammelband Musik im Strafvollzug [19] vertieft worden. Auch einzelne Studien wurden durchgeführt, darunter die oben genannte Bestandsaufnahme von Musikangeboten in Hafteinrichtungen, sowie spezifische Themenbereiche theoretisch aufgearbeitet. [20] Die musikbezogene Perspektive auf das Handlungsfeld Strafvollzug/Arrest ist überdies Bestandteil von Projektberichten und -beschreibungen sowie musikpädagogischen Qualifikationsarbeiten. Auch in anderen Disziplinen, wie etwa der Theaterpädagogik, wird der Themenbereich bearbeitet. [21]

International ist das Themenfeld fester Bestandteil der Community-Music-Forschung und -Praxis mit Schwerpunkten wie traumasensible Praxis, Desistance oder dem Perspektivwechsel von Bestrafung hin zu Heilung, Versöhnung und Wiedergutmachung. Im International Journal of Community Music wird seit seiner Gründung 2007 regelmäßig von internationalen Autor*innen (u. a. aus Portugal, Irland, Schottland, England, Brasilien, USA, Israel) zum Thema veröffentlicht; Music in prisons ist darüber hinaus auch Bestandteil eines Sonderhefts (IJCM, 3/1, 2010). Die Monografien Music-Making in U.S. Prisons: Listening to Incarcerated Voices (Cohen 2022) und Empowering Song: Music Education from the Margins (De Quadros und Amrein 2022) nehmen eine kritische Haltung gegenüber dem Strafvollzugssystem ein. [22]

Ausblick

Die hier behandelte Thematik ist ein selten betrachtetes, gesellschaftlich relevantes Arbeits- und Forschungsfeld, das hinsichtlich ausbildungsbezogener und beruflicher Perspektiven, Kooperationen, Netzwerkbildung sowie präventiver Ausgestaltung des Strafvollzugs viele Potenziale bietet. Das Thema braucht jedoch mitsamt seinen Chancen in Deutschland künftig noch größere Beachtung; möglicherweise kann es dadurch schließlich einen Perspektivwechsel bewirken: weg von Bestrafung, hin zu Unterstützung. Als Teilaspekt von Resozialisierungsprozessen kann Musik eine wichtige Rolle spielen und Menschen neue Lebensperspektiven sowie einen „Raum für ihre Stimme“ geben.

Netzwerk


Mary Cohen und Alexis Kallio haben 2022 eine internationale Initiative gestartet: das „International Music and Justice Inquiry Network“ (IMAJIN). Momentan trifft sich die internationale Gruppe, bestehend aus Mitgliedern aus 14 Ländern, monatlich online mit dem Ziel, die eigene Praxis zu teilen und Forschung im Bereich Musik in Gefängnissen zu unterstützen.

Alicia de Bánffy-Hall ist Professorin für Musik in der Sozialen Arbeit / Community Music an der Hochschule Düsseldorf. Sie hat europaweit als Community Musician gearbeitet und ist Vorständin des Community Music Netzwerk, Mitglied des Editorial Boards des International Journal for Community Music, Research Fellow am Wilfrid Laurier Music in the Community Centre (Kanada) und Vorsitzende der Community Music Activity Commission (International Society of Music Education).

Daniel Mark Eberhard ist seit 2015 Professor für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und Leiter des MA-Studiengangs Inklusive Musikpädagogik / Community Music. Er ist u. a. Mitglied im Bundesfachausschuss Bildung des Deutschen Musikrats und international tätiger Musiker. Seine künstlerische, pädagogische und wissenschaftliche Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet.

Annette Ziegenmeyer ist Professorin für Musikpädagogik an der Musikhochschule Lübeck, wo sie auch das Zentrum für Lehrkräftebildung leitet. Neben der aktiven Mitarbeit in Verbänden (z. B. BMU) ist sie Mitherausgeberin der Zeitschrift „Diskussion Musikpädagogik“.

Fußnoten

  1. Vgl. Johann Endres, Maike Breuer: Wie funktioniert das Gefängnis? Was Sie über den Strafvollzug wissen sollten, wenn Sie dort tätig werden wollen, in: Alicia de Bánffy-Hall, Daniel Mark Eberhard, Annette Ziegenmeyer (Hrsg.): Musik im Strafvollzug. Perspektiven aus Forschung und Praxis, Münster/New York 2021, S. 17–36, hier S. 26–27.
  2. Klaus-Peter Dahle, Werner Greve, Daniela Hosser & Thomas Bliesener: Das Gefängnis als Entwicklungsraum. Ein Plädoyer für eine erweiterte Perspektive auf den Justizvollzug. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 14, S. 3–21, hier S. 16. Verfügbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s11757-019-00569-w (Zugriff: 17. April 2023).
  3. Die Einbindung explizit kreativer Angebote ist in unterschiedlicher Deutlichkeit in den einzelnen landesspezifischen Gesetzen verankert (siehe etwa das Jugendstrafvollzugsgesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, demzufolge Angebote zur Förderung der Kreativität und damit auch im Bereich der Musik zu entwickeln sind (§ 39 Abs. 2 JStVollzG NRW).
  4. Theo Hartogh, Hans Hermann Wickel (Hrsg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit, Neuaufl., Weinheim 2019, S. 453.
  5. Vereinte Nationen (o. J.): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Online unter https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte (Zugriff: 14. April 2023)
  6. Die Zahl 179 bezieht sich auf die offiziell kommunizierte Anzahl aller Justizvollzugsanstalten in Deutschland und in den einzelnen Bundesländern (geschlossener und offener Vollzug) im Jahr 2018. Vgl. Statistisches Bundesamt: Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzugs jeweils zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November eines Jahres. Online unter: https://www.statistischebibliothek.de/mir/receive/DEHeft_mods_00095973 (Zugriff: 14. April 2023).
  7. Annette Ziegenmeyer, Clara Marie Mühlinghaus: Musikangebote im Strafvollzug – Relevanz, Vielfalt und Perspektiven vor dem Hintergrund des Vollzugsziels, in: de Bánffy-Hall /Eberhard /Ziegenmeyer, Musik im Strafvollzug. Perspektiven aus Forschung und Praxis. Münster/New York 2021, S. 69–86.
  8. Ebd., S. 72. Bei Letzteren ist zu unterscheiden zwischen Anstalten, in denen die Jugendstrafe vollzogen wird (n = 44), und Jugendarrestanstalten (n = 24), in denen das Zuchtmittel des Jugendarrests vollzogen wird. Außerdem haben jeweils eine Person zweier Justizvollzugskrankenhäuser, einer Abschiebehaftanstalt und einer reinen Untersuchungshaftanstalt teilgenommen.
  9. Alle bis hierhin genannten Daten ebd., S. 74.
  10. Ebd., S. 75.
  11. Ziegenmeyer/Mühlinghaus, Musikangebote im Strafvollzug, S. 77 f.
  12. Ebd.
  13. Gemeint sind diesbezüglich die für Außenstehende in der Regel unbekannten Abläufe und Vorschriften, die eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten, die räumliche, ausstattungsbezogene und zeitliche Rahmenbedingungen sowie weitere arbeitsrelevante Faktoren.
  14. Vgl. Endres/Breuer, Wie funktioniert das Gefängnis?, S. 17.
  15. Vgl. ebd. und S. 21.
  16. Catherine Birch: Emerging voices – Arbeit mit Frauen im britischen Strafvollzugsystem, in: de Bánffy-Hall/Eberhard/Ziegenmeyer, Musik im Strafvollzug, Münster/New York 2021, S. 123–136.
  17. Siehe hierzu das Dokumentationsvideo „Die Perspektive wechseln – Musikpädagogisches Projekt in der Jugendarrestanstalt Moltsfelde“, online unter https://youtu.be/7qbvOG5bzQs [Zugriff: 14. April 2023].
  18. Z. B. Theo Hartogh, Hans Hermann Wickel (Hrsg): Musik im Strafvollzug, In: Dies. (Hrsg.): Handbuch Musik in der Sozialen Arbeit (Neuauflage), Weinheim/Basel 2019, S. 453–463; Hans Hermann Wickel (2018): Musik im Strafvollzug. In: Ders.: Musik in der Sozialen Arbeit. Münster und New York 2018, S. 112–120; Theo Hartogh (2007): Musikprojekte mit jungen Straftätern, in: Burkard Hill & Elke Josties (Hrsg.): Jugend, Musik und Soziale Arbeit. Anregungen für die sozialpädagogische Praxis. Weinheim/Basel 2007, S. 107–120.
  19. de Bánffy-Hall/Eberhard/Ziegenmeyer, Musik im Strafvollzug, Münster/New York 2021.
  20. Z. B. Kai Koch & Lara Kolisius: Herausforderungen bei der Chorarbeit im Strafvollzug. In: de Bánffy-Hall/Eberhard/Ziegenmeyer, Musik im Strafvollzug, S. 183–193.
  21. Z. B. Anja Lily Deu: Gefängnistheater. Theater zwischen Freizeitbeschäftigung, Kunstprojekt, Persönlichkeitsförderung und Resozialisierung, Saarbrücken 2018; Mona Leonhardt: Mehr Bühne für Resozialisierung. Gefängnistheater als Resozialisierungsmaßnahme im Strafvollzug, Berlin 2017.
  22. Vgl. hierzu national die allgemein-kritischen Positionen in Bezug auf die Inhaftierung, u. a. bei Thomas Galli: Weggesperrt: Warum Gefängnisse niemandem nützen. Hamburg 2020.