Standfahrräder zur Versorgung der Pedal Power Stage des Futur 2 Festivals
Standfahrräder zur Versorgung der Pedal Power Stage des Futur 2 Festivals  
Foto:  Malte Metag

Seit 2018 leistet das FUTUR 2 FESTIVAL in Hamburg Pionier­arbeit in Sachen Nach­haltigkeit. Vom CO₂-Ausstoß bis zur Müll­vermeidung werden Umwelt­schutz­maßnahmen von Anfang an in die Planung mit einbezogen. Es zeigt sich: Kreislauf­fähigkeit mindert den Festivalspaß nicht – auch wenn man hierfür manchmal kräftig in die Pedale treten muss.

Östlich der HafenCity, nur zwei Stationen vom Hauptbahnhof entfernt, liegt direkt am Fluss der Elbpark Entenwerder. Die idyllische Halbinsel mit ihren hohen, dicht bewachsenen Bäumen und saftigen Wiesen dient seit 1997 als Naherholungsgebiet für Hamburger*innen. In der Nachbarschaft ist sie aber auch als Ort ausufernder Technopartys verschrien. Der eine oder die andere Anwohner*in dürfte daher zunächst mit Sorge auf die Ankündigung reagiert haben, dass hier bald ein neues Festival für alternative und elektronische Musik stattfinden würde; noch dazu ein kostenloses, das neben Lärm vermutlich auch einen Berg von Müll produzieren würde, vollgestopfte und vollgeparkte Straßen sowieso und auch sonst alles, was man von Veranstaltungen dieser Art so kennt. Umso größer die Überraschung, als Ende Mai 2018 die erste Ausgabe des FUTUR 2 FESTIVAL im Elbpark Entenwerder über die Bühne ging und keine der erwähnten Folgen eintrat. So gut wie niemand war mit dem Auto gekommen, von den ohnehin moderaten Musik- und Feiergeräuschen war ab etwa 22.00 Uhr nichts mehr zu hören, bei einer Besucher*innenzahl von 5.000 Personen fielen gerade einmal 150 kg Müll an. Kein Grund also für Beschwerden.

„Die Idee eines kreislauffähigen Festivals war uns erstmals beim Barcamp des Netzwerks Green Events Hamburg gekommen“, berichtet Wiebke Schumacher, die gemeinsam mit Björn Hansen und Jochen Bader das FUTUR 2 FESTIVAL organisiert. In die Pläne, wie man ein Konzertevent nicht nur möglichst ressourcenschonend, sondern komplett energieautark organisieren kann, war die Politik von Anfang mit eingebunden. „Die meisten Festivals werden von einer Kulturbehörde unterstützt“, sagt Wiebke Schumacher. „Wir bekommen unsere Förderung von der Umweltbehörde.“ Zwar würde niemand bestreiten wollen, dass beim FUTUR 2 FESTIVAL wie bei anderen vergleichbaren Events auch die Musik im Vordergrund steht. Doch eine so umfassende Beschäftigung mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ gibt es sonst bei keiner Konkurrenzveranstaltung. „Wir wollen nicht nur bestehende Abläufe in ökologischer Hinsicht verbessern oder optimieren. Wir wollen sie von Grund auf anders angehen – auf jeder Ebene.“ Und bei einem Festival gibt es viel zu beachten.

Da wäre zum einen das Problem der Energiegewinnung, wenn man nicht auf den Strom aus der Steckdose zurückgreifen möchte. Seit der ersten Festivalausgabe dabei sind die beiden Bühnen, auf denen die Bands und DJs auftreten. Sie weisen jeweils eine energietechnische Besonderheit auf. „Unsere Hauptbühne wird mit Sonnenenergie versorgt“, erläutert Wiebke Schumacher, „hierfür haben wir eine große Solaranlage mit entsprechenden Batteriespeichern. Unsere zweite Bühne wird mit Muskelkraft angetrieben.“ Kein Scherz, denn tatsächlich müssen die Besucher*innen des FUTUR 2 FESTIVAL sportlich aktiv werden, wenn sie hier etwas hören und sehen möchten. Der Strom auf der Pedal-Power Stage wird durch Generatoren erzeugt, angebracht an den Hinterreifen von Standfahrrädern. Nur wenn das Publikum kräftig in die Pedale tritt, können Mikrofone, Boxen oder Verstärker ans Laufen gebracht werden. Das Strampeln hält nicht nur fit, sondern macht auch Spaß – und sollte den Radelnden einmal der Puste ausgehen, feuern die anderen kräftig an.

Futur 2 Festival 2019
Futur 2 Festival 2019  
Foto:  Robin Hinsch
Solaranlage auf dem Futur 2 Festival
Die Solaranlage trägt zu einem Teil der Energieversorung des Futur 2 Festivals bei.  
Foto:  Robin Hinsch
Nachhaltigkeitsworkshop auf dem Futur 2 Festival 2019
Nachhaltigkeitsworkshop auf dem Futur 2 Festival 2019  
Foto:  Robin Hinsch
Standfahrräder zur Energieversorgung der Pedal Power Stage
Nächtliches Radfahren auf den Standfahrrädern zur Energieversorgung der Pedal Power Stage auf dem Futur 2 Festival 2019  
Foto:  Robin Hinsch

Bei seiner dritten Ausgabe 2022 – in den beiden Jahren zuvor musste es pandemiebedingt pausieren – setzte das FUTUR 2 FESTIVAL erstmals auf eine weitere nachhaltige Energiequelle: auf Wasserstoff, der aus Windkraft gewonnen wurde und statt schädlichem CO2 als Restprodukte beim Betrieb nur Wasser und reinen Sauerstoff hinterlässt. Im Gegenzug entsteht genug Strom, um das gesamte Festivalgelände zu versorgen. Zwar lassen sich andere CO2-Fallen nicht so einfach beseitigen, doch auch hier bemühen sich die Festivalmacher*innen um weitgehend klimaschonende Lösungen. Das Hauptaugenmerk liegt, neben der An- und Abreise der eingeladenen Acts sowie der Anlieferung und dem Aufbau von Bühnen und Equipment, auf der Mobilität des Publikums. „Da es sich um eine eintägige Veranstaltung handelt ohne Campingmöglichkeiten, kommen die Gäste vor allem aus der unmittelbaren Umgebung und haben keine weite Anreise“, erklärt Wiebke Schumacher. „Wir kommunizieren den Leuten vorher, dass sie den öffentlichen Nahverkehr nutzen sollen. Das hat bisher auch sehr gut geklappt.“ Nicht zuletzt aus Gründen der Nachhaltigkeit wurde viel Wert auf die gute Erreichbarkeit des Veranstaltungsorts gelegt. „Parkplätze für Autos gibt es hier keine, dafür aber genügend bewachte Stellplätze für Fahrräder.“

Ein weiterer Punkt ist die Vermeidung von Müll mithilfe eines Zero-Waste-Prinzips, das sämtliche auf dem Festival verkaufte Speisen, Getränke und sonstigen Produkte in einen Recyclingkreislauf einbindet, von der Pfandflasche bis zur wiederverwendbaren Pommesschale. Darüber hinaus werden die Bar- und Gastronomie-Betreiber*innen im Vorfeld dazu verpflichtet, keine Materialen für den einmaligen Gebrauch auszugeben. „Was hinterher als Müll anfällt, ist eigentlich nur das, was die Festival-Besucher*innen selbst mitgebracht haben.“ Und auch hier zeigt die Bilanz einen erfreulichen Trend. Schon bei der zweiten Festival-Ausgabe 2019 konnte man den ohnehin geringen Abfall des Vorjahrs bereits um ein Drittel reduzieren. Was übrig blieb, passte genau in eine Tonne. Mittlerweile herumgesprochen haben dürfte sich darüber hinaus, dass auch die Ernährungsweise des Menschen Einfluss auf das Klima hat. Aus diesem Grund hat das FUTUR 2 FESTIVAL sein gastronomisches Angebot angepasst. „Seit dem letzten Festival verzichten wir komplett auf Fleisch-Produkte und bieten ausschließlich vegetarische und vegane Gerichte an.“ Wie die Nachfrage vermuten lässt, scheinen sie dem Publikum ebenso zu schmecken, wie das regionale Bio-Bier, das eigens für das Festival gebraut wurde.

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Kopfhörerkonzert auf dem Futur 2 Festival
Um Anwohner nicht zu stören, hört das Publikum des Futur 2 Festivals die Musik ab 22 Uhr über Kopfhörer.  
Foto:  Robin Hinsch

Den Macher*innen des FUTUR 2 FESTIVALS ist es wichtig, den Besucher*innen nicht einfach etwas vorzusetzen, sondern sie aktiv in die Nachhaltigkeitsarbeit einzubinden; ohne Belehrungen und Verzichtsaufforderungen. Auf dem Festivalgelände erhalten die Teilnehmenden Informationen zum Thema Nachhaltigkeit und können sich in Workshops über die Herstellung und den Umgang mit umweltfreundlichen Materialien kundig machen: Vom eigenen Waschmittel bis zum Bienenwachstuch (Fans der ehemaligen WDR-Sendung Hobbythek werden sich erinnert fühlen) gibt es ein breites „Do-it-yourself“-Angebot. Doch damit nicht genug. „Wenn es um Emissionen geht, darf man bei einem Festival nicht nur an CO2 oder andere umweltschädliche Stoffe denken“, sagt Wiebke Schumacher. Auch die von einer solchen Freilichtveranstaltung ausgehende Musik- und Geräuschkulisse muss bei der Planung berücksichtigt werden. „Neben den Anwohnenden gibt es auch noch Tiere, die sich gestört fühlen können.“ Aus diesem Grund finden beim FUTUR 2 FESTIVAL ab 22.00 Uhr die Konzerte lautlos statt – zumindest für Außenstehende, denn die Besucher*innen haben die Möglichkeit, die DJ-Sets mit Kopfhörern anzuhören und dazu zu tanzen.

Ein weiterer, vielleicht nicht klimapolitisch aber doch gesellschaftlich relevanter Aspekt der Nachhaltigkeit betrifft das Programm. So hatte das FUTUR 2 FESTIVAL 2022 ausschließlich weibliche Acts eingeladen. Vielfach wurde gerade in der jüngeren Vergangenheit darüber geredet, dass die männliche Dominanz bei Musikfestivals aufgebrochen werden, mehr Diversität zugelassen werden sollte. Während anderenorts noch diskutiert wird, haben die Organisator*innen des FUTUR 2 FESTIVALs bereits gehandelt und sind auch damit ihrer Zeit wieder ein Stück voraus.

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!