Der Hornist Felix Klieser, der sein Instrument mit dem linken Fuß spielt
Felix Klieser  
Foto:  Maike Helbig

Felix Klieser beherrscht das Horn wie kaum ein anderer. Dass er ohne Arme auf die Welt kam, hat ihn nie daran gehindert, seine Ziele zu verfolgen. Fleiß, Ehrgeiz – aber auch Kreativität und ein großer Schuss Pragmatismus haben ihn dorthin geführt, wo er heute steht: an die Weltspitze.

Wer Felix Klieser schon einmal auf der Bühne erlebt hat, weiß: Dieser Musiker ist ein Phänomen. Nicht zu Unrecht überschlagen sich die Medien mit Lob, nicht von ungefähr füllt er Konzerthallen bis zum letzten Platz und mischt mit seinen CD-Aufnahmen in den oberen Rängen der Charts mit – nicht nur der Klassik-, sondern auch der Pop-Charts, wo im März 2021 „rätselhafterweise“ (wie er selbst sagt) sein bislang fünftes Album „Beyond Words“ eine Woche lang den 8. Platz behaupten konnte. Ein Phänomen war Felix Klieser bereits im Kindergartenalter. Zumindest sind außer ihm nur wenige historisch verbürgte Fälle überliefert, in denen ein Vierjähriger seinen Eltern so ausdauernd auf die Nerven ging, bis sie ihn zum heiß ersehnten Hornunterricht schickten. Wie er auf das nicht gerade alltägliche, schwer zu spielende und zu allem Überfluss für Kinder unter zwölf aus anatomischen Gründen eher ungeeignete Instrument kam, weiß er selbst nicht mehr. Aus einer Hornisten-Dynastie zumindest stammt er nicht. Heute aber gehört Felix Klieser zu den Wenigen, die als Horn-Solist eine internationale Karriere gemacht haben – und das, obwohl sein Weg nicht immer frei von Widerständen war.

„Als ich mich für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule anmelden wollte, dachten die, ich sei verrückt.“
Autor
Felix Klieser

„Als ich mich für die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule anmelden wollte, dachten die, ich sei verrückt“, erinnert sich der gebürtige Hannoveraner. Für viele, die einen Musiker weniger mit den Ohren als mit den Augen beurteilen, schienen die Berufsaussichten für einen Studenten mit Handicap nicht eben vielversprechend: Felix Klieser kam – warum, ist aus medizinischer Sicht bis heute ungeklärt – ohne Arme auf die Welt. Dass er auch ohne sie bestens zurechtkam, hatte der Jungstudent seinen Lehrern bald bewiesen, ebenso der Auswahlkommission für das Bundesjugendorchester, in dem er sich mehrere Jahre lang mit Wonne durchs große sinfonische Repertoire blies. Wie auf der großen Bühne, ist der mittlerweile 32-Jährige auch im Alltag von jeher gewohnt, sein Leben ohne Arme zu bewältigen. „Seit ich denken kann, lebe ich mit der Einstellung, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt. Und wenn es auf die eine Weise nicht klappt, probiere ich etwas anderes.“ Das gilt für jeden Bereich, egal ob es sich ums Autofahren, um Nintendo-Spiele oder eben um die fachgerechte Bedienung eines Horns handelt. Wie aber spielt man dieses Instrument, das immerhin nicht von allein in der Luft schwebt und dessen Ventilklappen gedrückt werden müssen, um die Töne zu verändern, wenn man keine Arme hat? „Wie gesagt: Es gibt für jedes Problem eine Lösung.“

Seine Spielweise hat Felix Klieser schon vor vielen Jahren entwickelt. „Als ich anfing, war das Horn, auf dem ich spielte, ungefähr so groß wie ich selbst“, sagt er, „ich saß auf dem Boden, das Horn lag vor mir, so dass ich bequem an das Mundstück herankam.“ Mit gesteigertem Anspruch – und gesteigerter Körpergröße – musste sich auch die Lage des Instruments im Verhältnis zum Spielenden ändern. Zu Felix Kliesers treuesten Begleitern im Konzertleben gehört der „berühmte“ Metallständer, der für ihn die Aufgaben von Armen und Händen übernimmt: kein genormtes Zubehörprodukt aus dem Handel, sondern ein Arbeitsgerät der Marke Eigenbau. „Ich hatte mir irgendwann diese Konstruktion überlegt“, berichtet er. „Ich würde nicht behaupten, dass es sich um eine überragende technische Erfindung handelt; es sind eher ein paar zusammengeschraubte Stangen, die aber durchaus ihren Zweck erfüllen.“ Im Übrigen sei es immer gut, Leute mit einer Leidenschaft fürs Basteln und Tüfteln an der Hand zu haben, die einem bei solchen Projekten zur Seite stehen. Gerade Instrumentenbauer*innen eignen sich hervorragend dafür.  „Das Ding benutze ich nun schon seit Jahren. Ich sehe jetzt auch keine große Notwendigkeit zur Weiterentwicklung“, sagt er lapidar. Der Clou der massiven Metallkonstruktion liegt einerseits in ihrer flexiblen Verstellbarkeit und zum anderen in der Einhängevorrichtung, die eine stabile Lage des Instruments garantiert: wie beim Aufliegen in der Hand. Hinzu kommt: „Der Ständer ist nicht schwerer als mein Horn, so dass ich ihn bequem durch die Gegend transportieren kann.“

Bild
Die Musiker Andrej Bielow, Herbert Schuch und Felix Klieser
Andrej Bielow, Herbert Schuch und Felix Klieser  
Foto:  Maike Helbig

Was die Bedienung der Ventilklappen angeht, greift Felix Klieser auf seine Ersatzhände zurück: die Füße bzw. den auf Schulterhöhe gebrachten linken Fuß mit seinen Zehen, deren Virtuosität der von entsprechend trainierten Fingern in nichts nachsteht. Wie auch sonst im Leben – beim Essen, Trinken, Daddeln oder Schreiben – leisten sie ihm beim Musizieren treue Dienste. Die Ferse seines Fußes ruht dabei, hier kommt er wieder ins Spiel, auf dem seitlich abstehenden Teil des Metallständers. „Ich weiß, dass viele Hornist*innen einen großen Materialfetisch haben. Sie können nicht genug Instrumente und Mundstücke besitzen und sind jede Woche aufs Neue der Meinung, sie hätten soeben etwas noch viel Tolleres entdeckt als je zuvor“, sagt Klieser mit ebenso amüsiertem wie nachsichtigem Blick auf die Schrullen seiner Kolleg*innen. „Ich habe in meinem ganzen Leben nur ein Horn besessen, mit dem ich seit Jahren sehr zufrieden bin.“ Dass es sich dabei um den Goldstandard für Hornisten handelt, versteht sich von selbst: das in B und F stimmbare Alexander Doppelhorn Modell 103 der Firma Gebrüder Alexander Rhein. Musikinstrumentenfabrik GmbH in Mainz.

Was ist anders an einem Instrument, das den Ansprüchen eines ohne Arme geborenen Hornisten genügen muss? „So gut wie gar nichts“, sagt Felix Klieser. Ein Serienmodell, wie bei einem Auto. „Lediglich eine der Ventilklappen ist leicht versetzt, damit ich mit dem Zeh besser drankomme.“ Ansonsten seien die Klappen wie üblich in fingerbreitem Abstand angebracht, jede*r andere Hornist*in wäre in der Lage, auf diesem Instrument zu spielen. Wäre damit alles zur Tonerzeugung gesagt? Nein, denn zu den Besonderheiten des Horns gehört die so genannte „Stopftechnik“, bei der die Hand in den Schalltrichter eingeführt wird, um, je nach Anwendung, den Ton zu dämpfen oder in seiner Höhe zu verändern: eine Technik, die Felix Klieser so nicht anwenden und ausnahmsweise auch nicht durch den Einsatz seiner Füße kompensieren kann. Doch was man nicht in den Beinen hat, muss man eben in den Lippen haben.

Mit zäher Experimentierlust hat Felix Klieser schon vor langer Zeit Ansatztechniken entwickelt, mit denen er genau dieselben klanglichen Wirkungen hervorbringen kann, die üblicherweise nur durch das Stopfen erreicht werden können. Wer schon darüber staunt, mit welcher Leichtigkeit seine Zehen über die Ventilklappen hinweghuschen, dürfte darüber noch viel erstaunter sein. Vor allem die „Leute vom Fach“, Kliesers Horn-Kolleg*innen stehen vor einem Rätsel. Das führt manchmal zu amüsanten Szenen. „Ich habe mal mit einem Hornisten zusammengesessen, der mir einen Vortrag darüber gehalten hat, dass das, was ich mache, anatomisch und physikalisch gar nicht möglich sei", berichtet er und kann sich dabei das Lachen kaum verkneifen. „Er hat mir auch lang und breit und völlig überzeugend ausgeführt, warum – nur dass ich daneben saß und mir dachte: ‚Du hast doch gesehen, dass es geht – und hörst trotzdem nicht auf zu reden.‘“

Nicht nur absurde Szenen wie diese, sondern auch zahllose Begegnungen mit Menschen, bei denen er das Gefühl hat, sie würden ihr Potenzial nicht wirklich ausschöpfen – ganz gleich ob mit oder ohne körperliche Beeinträchtigung – haben Felix Klieser dazu bewogen, sein Tätigkeitsfeld zu erweitern. Momentan arbeitet er an einem Buch, eine Art Ratgeber, der Menschen dabei helfen soll, sich ihrer Fähigkeiten bewusst zu werden und diese nutzbar zu machen. „Ich bin weiß Gott nicht als Naturtalent auf dem Horn auf die Welt gekommen“, sagt er, „ich glaube nicht einmal, dass es so etwas überhaupt gibt.“ Fleiß und Willenskraft haben ihn, neben der Begeisterung für die Musik, dorthin gebracht, wo er heute steht. Und ein guter Schuss kreativer Pragmatismus, mit dem er als Beispiel für viele dienen kann.   

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!