Der Yiddish Summer Weimar (kurz: YSW), eines der größten jiddischen Kulturfestivals weltweit, ist in diesem Jahr Gastgeber eines herausragenden musikethnografischen Projekts: Das durch das Klezmer Institute ins Leben gerufene Kiselgof-Makonovetsky Digital Manuscription Project hat es sich zur Aufgabe gemacht, rund 1400 Melodien und Textnotizen aus Manuskripten, die in der Vernadsky Nationalbibliothek der Ukraine aufbewahrt werden, zu digitalisieren und erkunden. Diese handgeschriebenen Notizbücherentstanden im Laufe einiger Expeditionen durch Osteuropa kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit dem Ziel, jüdische Musik und Kultur zu dokumentieren und zu schützen. Dies geschah neben Fotografien und Tonaufnahmenvor allem durch die Transkription traditionell gespielter und gesungener Melodien.

Das Projekt nähert sich dem Quellmaterial mit einem innovativen Ansatz: In einem gemeinschaftlichen Prozess sind Jiddist*innen, Klezmermusiker*innen und Sprachkundige mit ihrer Expertise eingeladen, die handgeschriebenen Notizen zu deuten und zu übertragen. Seit dem letzten Jahr wurde durch die Arbeit zahlreicher Freiwilliger fast ein Drittel des gesamten Repertoires transkribiert. “Es ist uns wichtig das Projekt so offen und zugänglich wie möglich zu gestalten. Jede*r kann auf das Manuskript als PDF zugreifen und mit dieser Methode konnten wir bisher eine internationale Gemeinschaft aus rund 200 Freiwilligen gewinnen, um die Notizen lesbar zu machen, zu transkribieren und zu übersetzen.” erklärt Christina Crowder, Direktorin des Klezmer Institute und fügt hinzu: “Dieser Ansatz spiegelt den kreativen Impuls wider, der dem ethnografischen Sammeln vorausgeht. Wir hoffen, diesen nun auch in die Konzerthalle und viele andere Veranstaltungsorte zu bringen!”

Historische Quellen zu nutzen, um sie in den kreativen Prozess einzubeziehen wird auch in diesem Jahr einer der Hauptbestandteile des Yiddish Summer Weimar sein. Ein Großteil der diesjährigen Workshops wird sich damit befassen, wie ethnographische Materialien als Mittel kreativen Austauschs zwischen Lernenden und Lehrenden genutzt werden. Die Ergebnisse werden während der Festivalwoche vom 3. bis 7. August und bei weiteren Konzerten des YSW in ganz Thüringen zu hören sein (Daten folgen).

Die Entwicklung interdisziplinärer Konzepte für das Studium und die Aufführung traditioneller Musik war von Beginn an ein integraler Bestandteil des Yiddish Summer Weimar. “Seit 20 Jahren verfolgt der YSW einen angewandten, projektbasierten Ansatz in der Lehre und der Weitergabe von jiddischer und ihr verwandten Kulturen. Dies geschieht durch die gemeinsame kreative Zusammenarbeit von Wissenschaftler*innen, Künstler*innen und dem Publikum.” sagt der Festivalgründer und künstlerische Leiter Dr. Alan Bern. “Die Beschäftigung mit dieser weitestgehend mündlichen weitergegebenen Kultur erfordert eine Reihe von Fähigkeiten, die bisher noch nicht Teil der üblichen westlichen Musik-Ausbildung sind” fügt Bern hinzu.

Die Kooperation zwischen Yiddish Summer Weimar und dem Klezmer Institute ist ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines transnationalen Rahmens in der Auseinandersetzung mit aschkenasischer Kultur: “Klezmer ist mehr als ‘nur’ eine Musikrichtung: Es ist ein Element, das uns den größeren Zusammenhang zwischen jiddischer Sprache, Gebet, Tanz und dem vokalen und instrumentalen Repertoire aufzeigt”, erklären Bern und Crowder gemeinsam. “Allerdings gab es bisher noch keinen institutionellen Unterbau für die Erhaltung, Übertragung und Weiterentwicklung dieses Wissens als Ganzes. Genau diese Lücke wollen wir als Team mit dem Yiddish Summer Weimar und dem Klezmer Institute gemeinsam schließen.”

Yiddish Summer Weimar entwickelte sich 1998 aus einem Workshop der Band Brave Old World in Weimar. Unter der Leitung des US-amerikanischen Musikers und Philosophen Dr. Alan Bern ist das Festival zu einer der wichtigsten Institutionen der internationalen Szene geworden. YSW wird von der 2006 gegründeten Other Music Academy e.V. organisiert, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Bildung. Wissenschaft, Soziales und Kultur in seinen Projekten gleichberechtigt zusammenzubringen.

The Klezmer Institute wurde im Herbst 2018 gegründet, um Forschung, Erhaltung und Aufführung aschkenasisch-jüdischer kultureller Ausdrucksformen voranzutreiben. Das Ziel ist es, Kommunikation und Kooperation zwischen Interessierten und professionellen Akteur*innen auf der ganzen Welt zu fördern, sei es im Tanz, in der Musik oder der Forschung. Das Institut tritt dafür ein, aschkenasische Kultur als wichtiges Mittel zum Verständnis der Vergangenheit jüdischer Kultur zu begreifen. Gleichzeitig soll sie auch Sprungbrett sein, um neue Generationen zu inspirieren, sich mit diesem wichtigen kulturellen Erbe auseinanderzusetzen.

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