Im Vergleich zu einem Song-Ende mit kraftvollem, harmonischem Schluss führt ein ausgeblendetes Lied-Ende zu einem verlängerten Erleben des Songs beim Hörer. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Musikpsychologie an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (HMTMH) unter der Leitung von Prof. Dr. Reinhard Kopiez. Die Musikpsychologen der HMTMH plädieren deshalb dafür, die Praxis vieler Radiosender aber auch Diskotheken grundsätzlich neu zu überdenken, denn bisher werden Songs mit sogenanntem „Fade-out“ vorzeitig durch einen abrupten Wechsel zum nächsten Musiktitel beendet.
Wenn ein Popmusikstück nicht mit einem kraftvollen, harmonischen Schluss, sondern mit einer Ausblendung – dem Fade-out – endet, klingt die Musik in der Vorstellung der Hörer paradoxerweise noch weiter, obwohl sie längst zu Ende ist. „Auf die abnehmende Lautstärke eines Songs reagieren wir mit einer Verlagerung der Musikpulsation in unserer Vorstellung – als ob unsere Wahrnehmung die verklingende Musik und den mit ihr verbundenen emotionalen Zustand aufrecht erhalten möchte“, erläutert Professor Dr. Reinhard Kopiez, führender Musikpsychologe an der HMTMH.
Schon seit den 1940er Jahren werden in der populären Musik Songs nicht nur durch eine kurze Kadenz als harmonische Schlusswendung, sondern alternativ durch eine langsame Lautstärkenreduktion beendet. Solch ein Fade-out-Schluss findet sich in bekannten Songs wie "Strawberry Fields" von den Beatles, "Cheri, Cheri Lady" von Modern Talking oder "Another Star" von Stevie Wonder. Lange stand diese in der populären Musik weit verbreitete Art ein Stück zu beenden unter dem Verdacht des Ideenmangels von Songwritern und Musikproduzenten, einen „richtigen“ Schluss zu finden. Die Arbeitsgruppe um den Wissenschaftler Prof. Dr. Reinhard Kopiez konnte nun in einem Experiment eindeutig nachweisen: „Ein Fade-out verursacht so etwas wie einen ‚emotionalen Nachhall in unserer Wahrnehmung, bei dem der Puls der Musik in unserer Vorstellung noch einige Sekunden nach dem physikalischen Ende des Stücks weiterläuft.“
Für das Experiment an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover erhielten die Studienteilnehmer die Aufgabe, zum Puls eines Songs mit einem Finger auf einem Drucksensor, dem sogenannten Sentographen, synchron mitzuklopfen. Insgesamt 80 Probanden klopften jeweils ca. drei Minuten den Song der Hamburger Songwriterin Cornelia Schwarz, den das Popinstitut der HMTMH mit zwei verschiedenen Schlüssen produzierte: dem originalen arrangierten Ende mit Kadenz und zusätzlich in einer Version mit einem ausgeblendeten Ende (Fade-out). Gemessen wurde die Fortsetzungsdauer des Klopfens nach dem jeweiligen physikalischen Schluss. Das Ergebnis dieser Untersuchung erstaunte die Musikpsychologen: Bei der der Fade-out-Version setzten die Studienteilnehmer ihr Synchronklopfen nach Ende des Songs durchschnittlich 2,5 Sekunden länger fort als die Hörer des arrangierten und kurzen harmonischen Schlusses.
Die Musikpsychologen der HMTMH plädieren deshalb dafür, die Praxis vieler Radiosender, aber auch Diskotheken grundsätzlich neu zu überdenken. Bisher werden Songs mit Fade-out vorzeitig durch einen abrupten Wechsel zum nächsten Musiktitel beendet. Das Abwarten der originalen Ausblendung könnte für Hörer eine neue und angenehme Musikerfahrung sein, weil sie einen sanfteren Übergang in den nächsten Sendeinhalt oder „zurück“ in die Alltagswelt ermöglicht und auch dem menschlichen Verhalten entspricht, angenehme Zustände möglichst lange aufrecht zu erhalten. Weitere Forschungsperspektiven dieser Studie ergeben sich in Bezug auf den Ohrwurm. So vermuten die Wissenschaftler, dass Songs mit Fade-out-Ende durch die imaginäre Fortsetzung im Zuhörer ein weit höheres Ohrwurm-Potenzial besitzen als Songs mit kurzem harmonischem Schluss ohne Fade-Out-Ende.
Die Ergebnisse der Hannoverschen Studie sind in der Fachzeitschrift „Psychology of Music“ veröffentlicht: Kopiez, R., Platz, F., Müller, S. & Wolf, A. (Online first Publication, 5. Dezember). When the pulse of the song goes on: Fade-out in popular music and the pulse continuity phenomenon. DOI: 10.1177/0305735613511505.
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