Der Deutsche Städtetag schlägt angesichts neuer Daten zur Finanzlage der Kommunen Alarm und richtet einen Hilferuf an Bund und Länder. Die Präsidentin des kommunalen Spitzenverbandes, Oberbürgermeisterin Petra Roth aus Frankfurt am Main, sagte heute in Berlin: „Die Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise werden 2010 in den Kommunen immer stärker spürbar. Ein Teil der Städte steht vor dem Kollaps und droht handlungsunfähig zu werden. Dort ist die im Grundgesetz garantierte kommunale Selbstverwaltung in Gefahr.“ Der Deutsche Städtetag veröffentlichte im Rahmen seiner jährlichen Finanzpressekonferenz die aktuelle Prognose der kommunalen Spitzenverbände zur Finanzlage der Städte, Landkreise und Gemeinden in den Jahren 2009 und 2010.

„Die schon seit Jahren bestehenden strukturellen Finanzprobleme vieler Städte spitzen sich zur Zeit dramatisch zu. Rekorddefizite in zweistelliger Milliardenhöhe, eine explodierende Verschuldung durch kurzfristige Kredite, der stärkste Steuerrückgang seit Jahrzehnten und ungebremst steigende Sozialausgaben kennzeichnen die Situation“, erklärte die Städtetagspräsidentin und nannte folgende zentrale Fakten:

· In diesem Jahr befürchten die Kommunen ein Rekorddefizit von 12 Milliarden Euro. Das wäre fast die Hälfte mehr als das Defizit von 8,4 Milliarden Euro in der bisher schwersten kommunalen Finanzkrise im Jahr 2003. Auch in den Jahren 2011 bis 2013 werden zweistellige Milliardendefizite erwartet.

· Die kurzfristigen Kassenkredite der Kommunen betragen inzwischen 33,8 Milliarden Euro. Sie sind damit allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2009 um mehr als 4 Milliarden Euro gestiegen. Notleidende Städte brauchen diese Kredite regelmäßig, weil sie mehr Aufgaben erfüllen müssen als die Einnahmen hergeben.

· Bund, Länder und Kommunen hatten 2009 erhebliche Steuerverluste. Den stärksten Einbruch ihrer Steuereinnahmen – um gut 10 Prozent – mussten die Kommunen hinnehmen. Das Minus betrug 7,1 Milliarden Euro. Besonders stark stürzten dabei die Gewerbesteuereinnahmen ab, um 17,4 Prozent. Viele Städte erlitten dramatische Verluste von mehr als 40 Prozent.

· Die Sozialausgaben der Kommunen stiegen 2009 erstmals auf rund 40 Milliarden Euro – beinahe doppelt so viel wie kurz nach der Wiedervereinigung. 2010 wird ein weiterer Anstieg um fast 2 Milliarden Euro erwartet.

Petra Roth: „Unser Land braucht handlungsfähige Städte. Gerade in der Krise darf das Vertrauen der Menschen in die zahlreichen kommunalen Leistungen nicht erschüttert werden. Wir wollen diese Dienstleistungen in guter Qualität sichern, etwa die Kinderbetreuung weiter ausbauen, unseren Beitrag für die Schulen leisten und einen verlässlichen öffentlichen Nahverkehr anbieten. Diese Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger können aber für die Zukunft nur gesichert und verbessert werden, wenn Bund, Länder und Kommunen gemeinsam die Grundlagen dafür schaffen. Wir werden als kommunale Spitzenverbände in Kürze ein Gespräch mit dem Bundesinnenminister als Kommunalminister führen und sind zuversichtlich, dass dem weitere Gespräche mit Mitgliedern der Bundesregierung folgen. Wir möchten dabei erörtern, wie die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen wiederhergestellt und gesichert werden kann.“

Für die Arbeit der von der Bundesregierung geplanten Kommission zur Zukunft der Gemeindefinanzen nannte die Städtetagspräsidentin ein besonders wichtiges Anliegen der Städte: Die Kommission dürfe nicht allein die kommunalen Steuereinnahmen in den Blick nehmen. Zwingend müsse auch das Missverhältnis zwischen kommunalen Aufgaben und Ausgaben und den Einnahmen thematisiert und korrigiert werden.

„Entlastung brauchen die Städte besonders bei den erdrückend hohen Sozialausgaben, die Bund und Länder zu Lasten der Kommunen immer mehr ausgeweitet haben. Die Bundesbeteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose darf auf keinen Fall gesenkt werden. Hier bleiben wir hartnäckig und sehen mehrere Ministerpräsidenten an unserer Seite“, so die Oberbürgermeisterin. Wenn der Bundestagsbeschluss zur Bundesbeteiligung nicht korrigiert werde, drohe 2010 ein Anstieg der bundesweiten kommunalen Belastung mit Unterkunftskosten auf 11 Milliarden Euro – das wäre seit der Einführung von Hartz IV ein Zuwachs um 27 Prozent. Der Ausgabenanstieg bei den Unterkunftskosten im Jahr 2010 wird voraussichtlich – auch durch die steigende Arbeitslosigkeit bedingt – rund 1 Milliarde Euro betragen. Er würde dann sogar allein den Kommunen aufgebürdet, ohne dass der Bund Mehrkosten zu tragen hat.

Mit Blick auf die nach der Steuerschätzung im Mai geplante Entscheidung der Bundesregierung über weitere Steuersenkungen sagte Präsidentin Roth, die Städte könnten weitere Mindereinnahmen nicht verkraften. Der Städtetag lehne Steuersenkungen nicht generell ab, doch sei die Belastungsgrenze der städtischen Haushalte an dieser Stelle durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz bereits überschritten worden: „Die Rückgänge der Gewerbesteuer machen im übrigen deutlich, dass diese wichtigste städtische Steuer keine weiteren Eingriffe verträgt, sondern eher einer zusätzlichen Stabilisierung bedarf.“

Der Deutsche Städtetag veröffentlichte unter anderem folgende weitere Daten und Einschätzungen zum kommunalen Gesamthaushalt in den Jahren 2009 und 2010:

· Im Jahr 2009 ist der kommunale Finanzierungssaldo zwischen Einnahmen und Ausgaben regelrecht abgestürzt: Er ist um etwa 12 Milliarden Euro auf ein Defizit von minus 4,5 Milliarden Euro gefallen.

· Bei den kommunalen Steuereinnahmen ist auch für das Jahr 2010 keine Besserung in Sicht, die Steuereinnahmen sinken nochmals um 5 Prozent bzw. weitere 3,2 Milliarden Euro. Nach dem dramatischen Rückgang der Gewerbesteuereinnahmen (netto) der Kommunen in den Flächenländern um 5,4 Milliarden Euro in 2009 wird für 2010 ein weiteres Minus von 1,1 Milliarden Euro bzw. 4,4 Prozent erwartet. Das Gesamtaufkommen der Gewerbesteuer (brutto) einschließlich Stadtstaaten ging nach dem guten Steuerjahr 2008 im vergangenen Jahr voraussichtlich von 41 auf 33,6 Milliarden Euro zurück.

· Die kommunalen Sozialausgaben werden im Jahr 2010 die Grenze von 40 Milliarden Euro deutlich überschreiten. Die Steigerungsraten betragen voraussichtlich 3,3 Prozent in 2009 und 4,6 Prozent in 2010. Die Befürchtungen über einen explosionsartigen Anstieg der Arbeitslosigkeit sind glücklicherweise bisher nicht eingetreten. Dennoch werden die Kosten der Unterkunft für Langzeitarbeitslose deutlich ansteigen. Für das Jahr 2010 rechnet der Bund mit einem bundesweiten Ausgabenanstieg dieser Kosten von 6,7 Prozent. Auch andere Leistungen wie die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung oder die Grundsicherung im Alter führen zu ständigen Kostensteigerungen bei den Kommunen. Bei diesen Ausgabearten ist auch in konjunkturell guten Zeiten mit deutlichen Steigerungen zu rechnen.

· Die kommunalen Einnahmen sind im Jahr 2009 insgesamt um etwa 3,6 Milliarden Euro auf 171,3 Milliarden Euro zurückgegangen. Höher ausgefallen wäre das Minus ohne den Sondereffekt einer Einnahme von 1 Milliarde Euro in Süddeutschland. Gleichzeitig sind die Ausgaben um ca. 8,5 Milliarden Euro auf 175,75 Milliarden Euro angewachsen. Dieser Anstieg ist allerdings überzeichnet durch Sondereffekte von mehr als 2 Milliarden Euro in zwei Städten. Ursachen für den Ausgabenanstieg bei den Personalausgaben in Höhe von 4,8 Prozent sind vor allem die bereits beschlossenen Tarifabschlüsse und der Ausbau der Kinderbetreuung.
Im Jahr 2010 erklärt sich der nicht so hohe Einnahmerückgang von 1,4 Prozent besonders durch das Konjunkturpaket II. Die investiven Zuweisungen von Bund und Ländern steigen dadurch voraussichtlich um mehr als 40 Prozent. Die kommunalen Ausgaben erhöhen sich insgesamt voraussichtlich um 2,9 Prozent, vor allem bedingt durch das Konjunkturpaket und die Sozialausgaben.

· Die kommunalen Investitionen stiegen im Jahr 2009 um 1,7 Prozent. 2010 wird durch das Konjunkturpaket ein deutliches Plus von 14,2 Prozent erwartet. Der größte Teil der Mittel aus dem Konjunkturpaket wird voraussichtlich in diesem Jahr ausgegeben, da die Gelder – wie bei privaten Bauvorhaben auch – erst dann fließen, wenn die Projekte abgeschlossen sind. Allerdings gilt auch: Ohne die durch das Zukunftsinvestitionsgesetz angestoßenen zusätzlichen Investitionen wären Rückgänge bei den Investitionen unvermeidbar gewesen. Die hohen Rückgänge der Steuereinnahmen hinterlassen ihre Spuren beim Investitionsverhalten. Die regulären Investitionen außerhalb des Konjunkturpakets nehmen sowohl im Jahr 2009 wie auch im Jahr 2010 als Folge der kritischen Finanzlage deutlich ab.

· Für das Jahr 2009 wird bundesweit mit konstanten Gebühreneinnahmen in den Kommunalhaushalten gerechnet. 2010 erhöhen sich die Einnahmen der Kommunen aus Gebühren voraussichtlich um 200 Millionen Euro bzw. 1,1 Prozent auf 15,9 Milliarden Euro. In der Gesamtheit der ostdeutschen Kommunen ist dabei ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Es gibt 2010 durch die Finanzkrise bedingte Gebührenerhöhungen in einem Teil der Städte, ein flächendeckender starker Gebührenanstieg in den Kommunen ist durch die vorliegenden Umfragedaten aber nicht belegbar.

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