Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges gab es in Syrien – von jeher Schmelztiegel unterschiedlicher Religionen und Kulturen – eine lebendige und vielfältige Musikszene. Inzwischen haben über vier Millionen Menschen das Land auf der Flucht vor Terror und Zerstörung verlassen. Das Elbphilharmonie-Festival »SALĀM SYRIA«, unternimmt vom 16. bis 18. März den Versuch, wenigstens einige Facetten des Reichtums der syrischen Musikkultur 4000 Kilometer weiter nordwestlich aufblitzen zu lassen, in Hamburg. Daran beteiligt sind syrische und Hamburger Künstler, und zum Publikum werden über 400 Menschen gehören, die fürs erste hier Zuflucht gefunden haben. Auf der Bühne wird die erste Bigband des Orients zu erleben sein, das erste syrische Exilorchester und ein eigens gegründeter deutsch-syrischer Projektchor. Der international gastierende Klarinettist und Komponist Kinan Azmeh, der im Januar an der Seite des Weltklasse-Cellisten Yo-Yo Ma seinen Einstand in der Elbphilharmonie gab, tritt mehrfach in Erscheinung, unter anderem mit seinem Trio Hewar, das arabische Musik, Jazz und Klassik verbindet. Die Veranstaltungen des Festivals sind bereits ausverkauft, das Konzert von Hewar und Gäste am 18. März wird per Live-Stream auf www.elbphilharmonie.de übertragen.
HEIMAT IN DER MUSIK
»Wenn ich von meiner Heimat singe, dann ist es das einzige, das mir niemand nehmen kann. Syrien, so wie ich es kenne, existiert nicht mehr. In der Musik aber besteht es weiter.« Hana Alkourbah aus Homs, die heute in Geesthacht lebt, singt seit Oktober 2016 gemeinsam mit Hamburgern im Projektchor des »SALĀM SYRIA«-Festivals und bringt auf den Punkt, was viele ihrer Landsleute beschäftigt: das Bewahren der verlorenen Heimat in der Musik. Die traditionelle Musik Syriens ist zunächst arabisch; insbesondere der Nordosten des Landes aber war immer ein Melting Pot, ebenso geprägt von Armeniern und Kurden wie von assyrischer und frühchristlicher Kultur, von der Musik der Beduinen und den religiösen Liedern der Jesiden. Pop und Jazz kamen Ende des 20. Jahrhunderts dazu. Das Festival »SALĀM SYRIA« versteht sich als Einladung zur Begegnung mit dieser äußerst kostbaren und vielgestaltigen Musiklandschaft. Dabei richtet es sich ausdrücklich auch an Geflüchtete, die in Hamburg leben. Das Team der Elbphilharmonie, das schon länger in Kooperation mit mehreren Initiativen kostenlose Konzertpatenschaften organisiert, hat mehr als 400 Flüchtlinge zum Konzertbesuch eingeladen.
»SALĀM SYRIA« wird am 16. März mit einem gemeinsamen Konzert der NDR Bigband und Solisten der Syrian Bigband eröffnet. Im Zusammenspiel von Musikern aus der westlichen und der östlichen Welt steht oft die Frage im Raum, wie das »Maqam«-System des Orients und das diatonische System des Okzidents zueinander finden können. Doch hier gelingt beispielhaft, wo die Politik so oft versagt: Der Austausch beflügelt beide Welten, ganz Neues kann entstehen. Im Jazz, wo offene Ohren unabdingbar sind, funktioniert das besonders gut. Die Syrian Bigband wurde 2004 von Hannibal Saad, der einige Jahre in den USA gelebt hatte, in Damaskus gegründet und erspielte sich schnell eine begeisterte Hörerschaft. 2011 bereitete der Bürgerkrieg dem Ensemble ein jähes Ende. Erste Kontakte zur NDR Bigband wurden 2009 im Rahmen des Morgenland Festivals in Osnabrück geknüpft. Für den gemeinsamen Konzertabend in der Elbphilharmonie hat der mit vielen Musiksprachen der Welt vertraute Hamburger Musiker und Komponist Wolf Kerschek eine Suite aus acht syrischen Stücken geschrieben.
Das zweite Konzert gestaltet Kinan Azmeh, der als Artist in Residence des Festivals mehrfach zu erleben ist – als Klarinettist und als Komponist. Azmeh, einer der Besten seines Fachs, hat in New York studiert, tritt mit klassischen Sinfonieorchestern auf, spielt in verschiedenen Jazz-Formationen und reist mit Yo-Yo Mas umjubeltem Silk Road Ensemble um die Welt. Die arabische Musik hat Azmeh erst in New York wirklich für sich entdeckt. Inzwischen wird für ihn die Kultur seiner Heimat, die er seit vier Jahren nicht mehr mit eigenen Augen gesehen hat, immer wichtiger. Seine Kunst ist auch eine Antwort auf das, was in Syrien geschehen ist und weiterhin geschieht. Wie es in seinem Innenleben aussieht, zeigt er bei »Home within«, begleitet durch Live-Paintings von Kevork Mourad. Musik und Bilder verschmelzen zu einer eindrücklichen Reflexion der syrischen Revolution und ihrer Folgen. »Home within« war bereits in Nordamerika und Europa auf Tournee, um auf die Lage der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Und zugleich beantwortet der Titel auch die Frage darauf, wo das eigentlich ist, Zuhause, Heimat: within.
Zum Abschluss des Festivals bringt Kinan Azmeh dann sein Trio Hewar nach Hamburg. Hewar ist das arabische Wort für Dialog. Die drei Musiker Kinan Azmeh (Klarinette), Dima Orsho (Gesang) und Issam Rafea (Oud, Gesang) überwinden spielend die Grenzen zwischen traditioneller arabischer Musik, Jazz und Klassik, zwischen Improvisation und Komposition, Altem und Neuem. Als Gäste haben sie mit dem armenischen Duduk-Virtuosen Jivan Gasparyan eine lebende Musikerlegende hinzugeladen, außerdem den versierten französischen Tubaspieler Michel Godard, der auch dem Serpent, einem schlangenähnlich geformten Horn, waghalsigste Improvisationen entlockt. Das Konzert wird auf www.elbphilharmonie.de live gestreamt. Im Anschluss legt DJ Ipek, eine der angesagtesten Protagonistinnen der Berliner Clubszene, im Foyer des Kleinen Saales ihre Auswahl an traditioneller und moderner Musik aus Syrien auf.
Der syrisch-armenische Sänger und Multi-Instrumentalist Ibrahim Keivo ist der herausragende Interpret für die Liedkultur Mesopotamiens. Aufgewachsen in einem Umfeld kultureller Vielfalt, spricht er sieben Sprachen und singt auf Arabisch, Kurdisch, Aramäisch, Assyrisch und Armenisch. Seit Jahren sammelt er die Lieder seiner Heimatregion, die nun auch beim Festival zu hören sind.
Klassische arabische Musik, interpretiert von einem Trio aus Absolventen und Lehrenden des Higher Institute of Music in Damaskus, erklingt in der zweiten Hälfte dieses Doppelkonzertes: Der Ney-Spieler Moslem Rahal präsentiert gemeinsam mit seinen Kollegen Feras Charestan an der orientalischen Zither und Firas Hassan an den Perkussionsinstrumenten Riqq und Darbuka auch eigene Kompositionen.
Der mittlere Festivaltag steht ganz im Zeichen der hamburgisch-syrischen Begegnung: Die Musiker des Syrian Expat Philharmonic Orchestra (SEPO) stammen alle aus Syrien, die meisten von ihnen sind geflüchtet. Der Kontrabassist Raed Jazbeh hat das Orchester von Bremen aus initiiert. Die Mitglieder leben in ganz Deutschland und Europa verteilt. Auf das Debüt 2015 folgten Auftritte in Schweden und in Berlin, dort gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern. In Hamburg bringt das SEPO Werke syrischer Komponisten zur Aufführung – gemeinsam mit Hamburger Instrumentalisten und dem internationalen »SALĀM SYRIA«-Projektchor, der 2016 von der Elbphilharmonie und dem Morgenland Festival Osnabrück ins Leben gerufen wurde. Ebenfalls mit dabei ist die Sängerin Dima Orsho, die zum Festival-Programm nicht nur ihre Stimme, sondern auch eine eigene Komposition beisteuert. Viele Mitglieder des SEPO und des Projektchores sind nicht nur im Konzert zu hören, sondern haben auch beim Projekt »Heimatbilder« mitgemacht: Sie haben Fotos von Lieblingsorten in ihrem Heimatland und kurze Kommentare zu einem Album beigesteuert, das als Broschüre kostenlos ausliegt.
Gleichgesinnte finden und sich künstlerisch ausprobieren – darum geht es auch im Kreativ Camp »Salām Syria«, einer Kooperation mit K3 - Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg. Das Camp, das bereits ausgebucht ist, richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene aus Hamburg, Syrien und der ganzen Welt. Die Ergebnisse werden in einem Abschlusskonzert im Kaistudio 1 präsentiert.