Die russische Komponistin Sofia Gubaidulina erhält in diesem Jahr den Preis der Europäischen Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd. Die Stadt Schwäbisch Gmünd ehrt damit Sofia Gubaidulina für ihre hochrangigen und ausdrucksstarken Beiträge zur Geistlichen Musik. Mit ihrem kompositorischen Schaffen, das durch intensive Expressivität, Spiritualität und zutiefst persönliche Ausdrucksweise berührt, hat sie der Geistlichen Musik jenseits alltäglichen Zeiterlebens neue Horizonte eröffnet. Oberbürgermeister Wolfgang Leidig übergibt den mit 5.000 Euro dotierten Preis während des Festivals Europäische Kirchenmusik (17. Juli bis 9. August) am 21. Juli in der Augustinuskirche. Die Laudatio hält Hans-Ulrich Duffek, Hamburg. Vor der Preisverleihung werden Werke von Sofia Gubaidulina aufgeführt, unter anderem der "Sonnengesang“ für Violoncello, Kammerchor und Schlagzeug (1997). Interpreten sind der Latvian Radio Choir unter Leitung von Sigvards Klava mit Ramon Jaffé als Solisten.

Seit 1999 verleiht die Stadt Schwäbisch Gmünd den Preis der Europäischen Kirchenmusik zum elften Mal. Geehrt werden mit ihm hochrangige Interpreten und Komponisten für wegweisende Leistungen im Bereich der Geistlichen Musik. Den Preis erhielten bisher die Komponisten Dieter Schnebel, Petr Eben, Krzysztof Penderecki, Arvo Pärt und Klaus Huber. Zu den weiteren Preisträgern gehören der Kammersänger Peter Schreier, der Stockholmer Chordirigent Eric Ericson, der französische Organist Daniel Roth sowie die Stuttgarter Dirigenten Frieder Bernius und Helmuth Rilling.

"Ich schaue immer nach oben“, bekundete Sofia Gubaidulina zur Aufführung ihres jüngsten Violinkonzertes "In tempus praesens“ (2008), von dem Anne-Sophie Mutter sagt, es habe sie zu einem neuen Menschen gemacht. Gubaidulinas Musik geht mit der Kraft zur inneren Sammlung über das rein Musikalische hinaus. Dies vermitteln sowohl groß besetzte Werke, wie die im Jahr 2000 entstandene "Johannes-Passion“, als auch Kompositionen für kammermusikalische Formationen, darunter ein "De profundis“ für Akkordeon solo. In allen Werken der tiefreligiösen Komponistin sind Bezugnahmen auf den christlichen Glauben eingeschrieben, die schon durch den Werktitel zum Ausdruck kommen. Gubaidulinas voraussetzungslos wirkende Musik ist von ausbalancierter Architektur. Neue Kompositionsmittel verbinden sich mit traditionellen Formen (zu ihren wichtigen Bezugsfiguren gehört Johann Sebastian Bach), und formale Perfektion geht Hand in Hand mit künstlerischer Spontaneität. "Für mich ist es die humane Kraft, welche die Musik Gubaidulinas so stark macht. Hier trifft sich bei perfektem Einsatz musikalischer Mittel spontane Sinnlichkeit mit natürlich austarierter Form“, betont Programmdirektor Dr. Ewald Liska mit Blick auf die Ehrung der Komponistin.

Sofia Gubaidulina wurde am 24. Oktober 1931 in Tschistopol (Republik Tatarstan) geboren und lebt seit 1992 in der Nähe von Hamburg. Sie studierte Klavier und Komposition in Kasan. Bis 1959 setzte sie ihr Kompositionsstudium bei Nikolai Pejko, einem Assistenten von Dmitri Schostakowitsch, am Moskauer Konservatorium fort. Aufgrund ihres unabhängigen Geistes und ihrer Weigerung, eine Musik zu schreiben, die den ästhetischen Richtlinien der sowjetischen Kulturfunktionäre entsprach, litt Sofia Gubaidulina seit Mitte der 1960er Jahre unter ideologischen Anfeindungen. 1975 gründete sie gemeinsam mit anderen Komponisten die Gruppe "Astraea“, die auf seltenen Instrumenten der russischen Volksmusik improvisierte und so zu neuen musikalischen Erfahrungen gelangte, was ihr Schaffen wesentlich beeinflusste. Seit Beginn der achtziger Jahre gelangten ihre Werke rasch in die westlichen Konzertprogramme. Ihr Erfolg im Westen wurde vor allem von Gidon Kremer unterstützt, der ihr Violinkonzert "Offertorium“ 1981 uraufführte. Seit über zwei Jahrzehnten gehört Sofia Gubaidulina, zusammen mit Alfred Schnittke und Edison Denissow, zu den führenden, weltweit anerkannten Komponisten Russlands der Ära nach Schostakowitsch. Dies bekunden die vielen Aufträge namhafter Institutionen (darunter BBC, Berliner Festwochen, The New York Philharmonic) sowie die stattliche Zahl der CD-Einspielungen.

Sofia Gubaidulina ist Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, der Freien Akademie der Künste in Hamburg sowie der Königlichen Musikakademie Stockholm. Im Jahre 1999 wurde sie in den Orden "Pour le mérite“ aufgenommen. Zu den zahlreichen nationalen und internationalen Preisen gehören unter anderem der Koussevitzky International Record Award (1989 und 1994) für die CD-Einspielungen ihres Violinkonzerts "Offertorium“ und ihrer Sinfonie "Stimmen ... verstummen ...“, der Russische Staatspreis (1992), der japanische Kaiserpreis Praemium Imperiale (1998), die Ehrenmedaille der Stockholmer Konzerthausstiftung in Gold (2000), die Goethe-Medaille der Stadt Weimar (2001), der Polar-Musikpreis (2002), das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (2002) sowie der Hamburger Bach-Preis (2007). Im Rahmen der Cannes Classical Awards wurde sie zum Living Composer 2003 gewählt.