In Anerkennung ihrer herausragenden Verdienste um das Werk Karl Amadeus Hartmanns, des bedeutendsten deutschsprachigen Symphonikers des 20. Jahrhunderts und Gründers der musica viva-Konzertreihe, beschlossen die Mitglieder der Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft e. V. einstimmig, Patricia Kopatchinskaja die Ehrenmitgliedschaft der Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft im Jahr 2023 zu verleihen. Im Rahmen eines Gesprächskonzertes am 25. Juni 2023, um 14.30 Uhr, in der Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft / Hartmann-Center (Franz-Joseph-Str. 20, 80801 München), wird der Direktor, Geschäftsführer und Künstlerische Leiter Andreas Hérm Baumgartner der Künstlerin die Urkunde sowie eine faksimilierte Autografenseite aus Hartmanns Violinkonzert Concerto funebre überreichen.
Patricia Kopatchinskaja widmet sich seit vielen Jahren mit Verve und Leidenschaft dem Werk Karl Amadeus Hartmanns und seinem humanitären, humanistischen und weltoffenen Ideal. Insbesondere ihre außergewöhnlichen Aufführungen von Hartmanns Violinkonzert Concerto funebre geraten in ihrer individuellen Interpretation weltweit zu ergreifenden Ereignissen. Bereits 2011, bei einem Konzert mit dem Tonhalle Orchester Zürich, „bewies Kopatchinskaja im ‚Concerto funebre‘ von Karl Amadeus Hartmann, dass sie zu den großen Geigerinnen der Gegenwart gehört.“ (Neue Zürcher Zeitung, 12.07.2011)
Zehn Jahre später – anlässlich einer Aufführung des Werkes gemeinsam mit Kirill Petrenko und den Berliner Philharmonikern im Jahr 2021 – konstatierte Jens Lehmann (rbb, 17.09.2021), es wäre, „als würde Patricia Kopatchinskaja einen Stecker einstecken und den ganzen Saal unter Strom setzen. Wenn Sie in den ersten Takten ein klagendes Hussitenlied spielt, dann kann man Stecknadeln fallen hören. […] Ich habe selten eine Musikerin erlebt, die so in ihrem Spiel aufgeht, ganz ungekünstelt. Und so macht sie sich eben auch zur Anwältin von Hartmann.“
Ihre visionäre Programmkonzeption spiegelt sich auch in Kopatchinskajas Einspielung des Concerto funebre wider, über die Norman Lebrecht in seinem Blog Lebrecht listens schrieb: „I don’t think I have ever heard the piece better played.[…] The playing of Pat Kop and the Camerata Bern captures the ear and supends disbelief. No living violinist comes close to this scale of adventure.”
Patricia Kopatchinskaja gelingt es stets, ihre Interpretationen der Werke Hartmanns zu einem fesselnden und erschütternden Ereignis werden zu lassen, das die seismographischen Fähigkeiten des Zeitdiagnostikers Karl Amadeus Hartmann in den Mittelpunkt rückt. In kongenialer Weise versteht sie es, höchste Expressivität und Kraftentfaltung mit klanglicher Transparenz und höchster Empfindsamkeit in Einklang zu bringen.
Neben den Dirigenten Kirill Petrenko, Fabio Luisi und Ingo Metzmacher, dem Geiger Ingolf Turban, dem Münchener Kammerorchester sowie dem verstorbenen Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez, ist Patricia Kopatchinskaja erst das siebte Ehrenmitglied.
Zu den Mitgliedern der Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft zählen neben Musikinteressierten und Wissenschaftlern vor allem auch Persönlichkeiten des nationalen wie internationalen Kulturlebens.
Infos zu Karl Amadeus Hartmann (1905 – 1963)
Karl Amadeus Hartmann (1905 – 1963) ist, neben Schostakowitsch, der wohl wirkmächtigste Symphoniker in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der Schweizer Komponist Rolf Liebermann konstatierte 1995: „Ich halte Karl Amadeus Hartmann für den bedeutendsten Symphoniker seit Gustav Mahler. Niemand in diesem Jahrhundert kann sich an Tiefe der Empfindung, an Ehrlichkeit des Ausdrucks und an Reichtum der Einfälle mit ihm vergleichen.“ In der Musikwelt wird Hartmann aber auch als der deutsche antifaschistische Komponist schlechthin wahrgenommen. Er verweigerte er sich rigoros jeglicher Vereinnahmung durch das totalitäre Regime in Deutschland und zog sich dort in die „innere Emigration“ zurück, während er gleichzeitig im Ausland umso beredter zu sprechen versuchte und tatsächlich als Symbol für ein „anderes Deutschland“ – das Kultur und Humanismus gegen Barbarei setzte – wahrgenommen wurde. Dabei verwendete er zum einen Musik- und Textfragmente verfemter und verbotener Künstler; zum anderen griff Hartmann auf jüdische Melodien zurück, die sich als Klage- und Anklagechiffren erheben.
Hans Werner Henze drückte dies in einer postumen Laudatio 1980 mit folgenden Worten aus:
„Die Niederschrift seiner Opera hatte für Hartmann etwas von subversiven Handlungen, wie das Verfassen von Flugblättern oder das Abhalten unerlaubter Versammlungen. Es ist ja so, dass diese Werke einen deutlich vernehmbaren Ton enthalten, der sich in allem (...) von dem unterscheidet, was damals öffentlich aufgeführt wurde. Dieser Ton ist antifaschistisch und humanitär, auch humanistisch und weltoffen. (...) Die Musik Hartmanns wird von der Solidarität mit den unter dem nazifaschistischen Terror leidenden Völkern bestimmt und von der Auffassung, dass Musik moralische Aufgaben hat und dass neue Musik erfunden wird durch gesellschaftliche Forderungen an sie, fortschrittliche Forderungen und nicht restaurativ-affirmative.“
Infos zur Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft e. V. / Hartmann-Center
Die Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft mit ihrem Hartmann-Center im ehemaligen Wohnhaus des Komponisten ist das Zentrum der Hartmann-Forschung. Zentrale Aufgabe der Gesellschaft ist es, die Verbreitung und das Verständnis der Werke des Komponisten zu fördern und seiner Person wie seinem Schaffen ein dauerhaftes Forum zu bieten. Dies geschieht zum einen durch Sammeln und Archivieren des Materials von und über Hartmann, die wissenschaftliche Erschließung seines Schaffens und seiner Biographie sowie die Bereitstellung des Archivguts für Interpreten, Wissenschaftler und eine interessierte Öffentlichkeit. Dazu werden nicht nur wissenschaftliche Arbeiten und Publikationen betreut und herausgegeben, sondern auch neue Wege der Vermittlung beschritten, wie z. B. durch Fortbildungen für angehende Musiklehrer, Kooperationen mit Schulen und lebendige, die Kreativität der Schüler einfordernde Education-Projekte.