In der Politik und in den Medien spricht man zurzeit von einem Jammerland der Kultur. Obwohl die Sparbeschlüsse der Bayerischen Staatsregierung die Staatstheater mit einer Wucht getroffen haben, die selbst in Berlin nicht denkbar wäre, jammert die Bayerische Staatsoper nicht. Sie ist aber verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass die angeordneten Sparmaßnahmen aus juristischen und ökonomischen Gründen nicht zu realisieren sind, es sei denn, man wolle dem Staatshaushalt mehr schaden als nützen. Wir haben Verständnis für die Bemühungen, den Staatshaushalt zu sanieren und werden auch alles uns Mögliche dazu beitragen. Überfallartige Ausgabenreduzierungen können aber nicht der richtige Weg sein.
Die Bayerische Staatsoper verfolgt das Ziel, möglichst viel, möglichst variabel, möglichst gut und dabei auch möglichst ökonomisch zu spielen. Sie hat sich auf diese Weise seit langem in die Reihe der international ersten Häuser gespielt und dieses Niveau gehalten. Was Produktivität, Variabilität des Spielplans, Spielfrequenz, Zuschauerauslastung und Eigeneinnahmen betrifft, ist kaum ein Haus der Welt mit ihr vergleichbar. Die Bayerische Staatsoper produziert aber nicht nur Kunst auf höchstem Niveau, sie ist auch ein Wirtschaftsmotor mit hoher Schubkraft. Positive gesamtökonomische Aspekte für die Stadt und das Land - Umsatz- und Wertschöpfungsaspekte bis hin zur Steigerung der lokalen Identität und des internationalen Ansehens - sind messbar.
Pro Spielzeit sind 6-7 Opernneuproduktionen und zwei neue Ballettproduktionen vorgesehen, werden über 45 verschiedene Opernproduktionen und 20 Ballettproduktionen gezeigt und zahlreiche Konzerte veranstaltet. Damit erreicht die Bayerische Staatsoper pro Jahr im Nationaltheater und in den sonstigen Spielstätten mehr als 340 Veranstaltungen und nahezu 600 000 Zuschauer. Zahlen, die eine Auslastung von 96% bei der Oper und 90% beim Ballett bedeuten. Dabei sind die Eigeneinnahmen durch Ticketverkauf seit 1994 von 15,65 Mio. auf die Rekordsumme von 22,8 Mio. im Jahre 2003, also um 45 %, gestiegen. Das Publikum ist offenbar bereit, für große Leistung auch Geld auszugeben - selbst in wirtschaftlich kritischen Zeiten.
Die Staatsoper mit ihrem außerordentlich hohen Personalbedarf (ca. 82% des Gesamtbudgets) erfordert hohe finanzielle Aufwendungen; kein Opernhaus der Welt kommt in der Sache ohne Subventionen aus, es sei denn, es könnte die Kosten voll auf den Eintrittspreis umlegen. Das Gesamtjahresbudget der Staatsoper liegt 2003 (ohne Baumaßnahmen) bei 77 Millionen Euro. 27 Millionen Euro davon können selbst erwirtschaftet werden (das sind mehr als 34 Prozent, eine Zahl, die kein Theater in Deutschland auch nur annähernd erreicht; der Bundesdurchschnitt bei allen Theatern beträgt 16%). Der Betriebszuschuss der öffentlichen Hand beträgt derzeit pro Jahr etwa 50 Millionen Euro. Er ist weniger eine Subvention, sondern vielmehr ein Mittel dazu, die Oper erschwinglich und damit zugänglich zu machen.
Die Bayerische Staatsoper hat Instrumentarien entwickelt, mit denen die Kosten budgetiert und der Kostenfluss kontrolliert werden. Den Erfolg dieser Bemühungen hat sogar der Bayerische Oberste Rechnungshof anerkannt. Durch konsequente Sparpolitik ebenso wie durch harte Arbeit zur Erzielung von Mehreinnahmen (insbesondere durch Ticketverkauf und durch Gewinnung von Sponsoren) hat die Staatsoper schon massive Haushaltsrestriktionen der letzten Jahre überwunden. Im gesamtwirtschaftlich besonders schweren Jahr 2003 hat sie sogar das beste wirtschaftliche Ergebnis ihrer Geschichte erreicht.
Das Ansehen, das die Bayerische Staatsoper weit über die Grenzen Deutschlands hinaus genießt, verdankt sie ihrer eigenen Arbeit, aber nicht minder den vorbildlichen Leistungen ihres Rechtsträgers. Dabei musste der Staatsregierung bislang nicht vermittelt werden, dass für die erfolgreiche Arbeit der Staatsoper Planungssicherheit aus künstlerischen und ökonomischen Gründen unabdingbar ist. Diese entspricht der vom Rechtsträger gestellten Forderung, Dispositionen frühzeitig zu treffen und die Verträge mit den Solisten, Dirigenten, Regie- und Choreographenteams ebenso frühzeitig abzuschließen - eine Voraussetzung auch dafür, internationale Spitzenkräfte an die Bayerische Staatsoper zu binden. Einer der Kernpunkte der langjährigen Berliner Opernkrise ist, dass die nötige Planungssicherheit nicht gewährleistet ist. In München waren Berliner Opernverhältnisse dieser Art bislang undenkbar. Seit ein paar Wochen ist dies nicht mehr so.
Die drei Bayerischen Staatstheater müssen jetzt ihre auf der Grundlage des Staatshaushalts 2003/2004 angesetzten Ausgaben im Jahre 2004 um insgesamt 4,8 Millionen Euro senken. Die Bayerische Staatsoper trifft dies mit 2,8 Millionen Euro. Hinzukommt, dass die Landeshauptstadt München auch ihren Zuschuss zum Betrieb der Bayerischen Staatsoper kurzfristig um 360 000 Euro gesenkt hat. Die Bayerische Staatsoper hat also im Jahr 2004 mehr als 3,2 Millionen Euro einzusparen. Sie hätte bislang falsch gewirtschaftet, wenn sie jetzt sagen könnte, dies wäre auch nur annähernd möglich.
Faktum ist: Das Spardiktat betrifft einen Zeitraum, für den alle Dispositionen getroffen und vertraglich festgelegt sind. Die Neuproduktionen sind in Arbeit. Alle Verträge mit dem künstlerischen Gastpersonal sind geschlossen. Auch das feste Personal ist bis weit über die Jahresgrenze 2004/2005 so verpflichtet, dass eine Beendigung der Arbeitsverträge juristisch unmöglich wäre. Für eine Einsparung von 3,2 Millionen Euro hätten zum Beispiel bereits zum 1. Januar 2004 ca. 60 Mitarbeiter fristlos gekündigt werden müssen, wozu selbst der Sparbeschluss der Staatsregierung keine juristische Grundlage gäbe.
Insgesamt sind für 2004 nur 9 Millionen Euro (11%) des Gesamtetats noch nicht vertraglich gebunden. 3,2 Mio. wären mehr als 30 Prozent davon. In Wahrheit liegt die verfügbare Masse jedoch weit unter der genannten Summe, da diese Mittel für den Ablauf der Neuproduktionen und der Vorstellungen nicht zu entbehren sind, z.B. die Materialkosten für die Ausstattung, die Heiz- und Stromkosten für das Zuschauerhaus, das Einlass- und Garderobenpersonal usw. Hinzukommt, dass die Bayerische Staatsoper für 2004 ihre Sparpotentiale schon weitestgehend ausgeschöpft hat. Zum Beispiel durch den Verzicht auf eine Neuproduktion der "Zauberflöte", durch Einsparung von Stellen etc. (Seit 1992 wurde die Zahl des festangestellten Personals bereits um ca. 10 Prozent gesenkt). Insbesondere der Sachhaushalt, der in den letzten Jahren verstärkt zu Einsparungen ausgepresst wurde, kann nicht weiter belastet werden, ohne dass der Spielbetrieb oder gar die Sicherheit der Mitarbeiter gefährdet würden. Auch die Ausstattungskosten betragen schon jetzt nur noch die Hälfte der Summe von 1998; eine leere Bühne ist nicht das, was das Publikum sehen und wofür es bezahlen will.
Die Staatsoper hat dem Bayerischen Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst vor wenigen Tagen Vorschläge unterbreitet, aufgrund derer im Jahr 2004 bei äußersten Anstrengungen weitere 1,5 Millionen Euro eingespart werden können, und zwar zusätzlich zu konkreten Sparmaßnahmen in derselben Höhe, die wir bereits im Frühjahr 2003 eingeleitet haben. Die Maßnahmen verteilen sich auf viele einzelne Punkte im Bereich der Sach- und Personalkosten. Damit ist allerdings eine Grenze erreicht, jenseits derer durch weitere Reduzierung von Ausgaben ohne Rücksicht auf den Ertrag die Staatsoper und damit auch der Staatshaushalt nur Schaden nähme. Denn in einem produzierenden Betrieb - das ist die Staatsoper im Gegensatz zu einer typischen Verwaltungsbehörde - kann es nicht auf die absolute Höhe der Ausgaben ankommen, sondern nur auf die Differenz von Ausgaben und Einnahmen. Offenbar haben die Vordenker des Bayerischen Ministerpräsidenten nicht verstanden, dass sich ein Betrieb wie die Bayerische Staatsoper ein kameralistisches Denken dieser Art nicht mehr leisten kann.
Wir sagen stets: das Theater ist ein Spiegel der Gesellschaft. Deswegen können und wollen wir uns nicht weigern, die notwendigen gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen, auch haushaltspolitischen, Änderungen mitzutragen. Wir verlangen deshalb auch, was die Richtung der jetzigen Entwicklung betrifft, keinen Sonderweg. Selbst derjenige, der für künstlerische Argumente kaum zu haben ist, muss aber verstehen, dass überfallartige Haushaltsreduktionen bei uns aus juristischen und ökonomischen Gründen nicht zu realisieren sind. Die Oper braucht, wie ein vollbeladener Tanker, mehr Zeit zum Bremsen oder auch nur für Richtungsänderungen. Umso mehr auch für Strukturveränderungen, die nicht in wenigen Tagen diskutiert und realisiert werden können. Es sei denn die Staatsregierung habe vor, die Effizienz, die Attraktivität und die Ausstrahlung eines Hauses mit 350jähriger Geschichte und nahezu beispielloser Erfolgstradition zu brechen. Oder sie wolle sagen, die Kultur, mit deren Pflege sie sich seit Jahrzehnten in Deutschland gebrüstet hat, sei ihr mit einem Mal nichts mehr wert.
Die Bayerische Staatsoper beweist durch ihre tägliche Arbeit, dass Kunstschöpfung auch Wertschöpfung ist, und zwar gesamtwirtschaftlich gesehen, gesellschafts- und kulturpolitisch. Eine Sparpolitik der beschriebenen Art wird dazu führen, dass in wenigen Jahren bei uns Oper, Ballett und Konzert immer seltener gespielt werden. Das Angebot wird zurückgehen, die relativen Kosten pro Aufführung werden immens wachsen und natürlich die Kartenpreise auch. Die Bayerische Staatsoper wird daran nicht zugrunde gehen; das zeigt das Beispiel der Mailänder Scala, deren Ruf ungebrochen ist, wiewohl sie kaum mehr hundertmal im Jahr ihre Pforten öffnet - für die Reichen und die Schönen.
Weniger Oper für wenige. Kann das ein Ziel sein?
Bayerische Staatsoper
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