Der Leipziger Bach-Forscher Dr. Peter Wollny hat im Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels eine Notenhandschrift von Johann Sebastian Bach entdeckt. Darüber informierten heute das Heinrich-Schütz-Haus und das Bach-Archiv Leipzig in einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die Abschrift einer Messe des italienischen Komponisten Francesco Gasparini (1661-1727) hat sich in der Sammlung der ehemaligen Ephoralbibliothek Weißenfels erhalten. Fund und Identifizierung gelangen dem stellvertretenden Direktor des Bach-Archivs im Rahmen des von der Gerda Henkel Stiftung Düsseldorf geförderten Forschungsprojektes "Bachs Thomaner". Die Handschrift wird vom 7. Juni bis zum 14. Juli 2013 in der Ausstellung des Heinrich-Schütz-Hauses gezeigt.
Die 1705 in Venedig entstandene "Missa canonica" von Francesco Gasparini für vierstimmigen Chor und Basso continuo gilt als ein kontrapunktisches Meisterwerk. Bach fertigte die Abschrift der Messe um 1740 für Aufführungen in den beiden Leipziger Hauptkirchen St. Thomas und St. Nikolai an. Die Handschrift bietet wesentliche Einblicke in Bachs Beschäftigung mit dem sogenannten Stile antico, die in berühmten Spätwerken des Komponisten wie h-Moll-Messe, Musikalisches Opfer und Kunst der Fuge ihren Niederschlag fand.
Die Musikaliensammlung der ehemaligen Ephoralbibliothek Weißenfels ist der überlieferte Altbestand des Kantoreiarchivs der evangelischen St. Marienkirche, deren Pfarrer bis zum Ende des 20. Jahrhunderts als Superintendenten das Ephorat Weißenfels verwalteten. Das Heinrich-Schütz-Haus übernahm die Sammlung im Jahr 2005 von der evangelischen Kirchengemeinde als Leihgabe in sein Archiv, um sie der Forschung zugänglich zu machen und für die Musikpraxis zu erschließen. Mehrere Wiederaufführungen ausgewählter Werke konnten erfolgreich realisiert werden.
Die Sammlung enthält 351 handschriftliche Musikalien, zusammengetragen von den Weißenfelser Kantoren des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Sie belegen eine reiche Ausgestaltung der gottesdienstlichen Musik in der Stadtkirche St. Marien. Die Entdeckung der Bach-Handschrift bestätigt die Vermutung, dass Teile der Weißenfelser Sammlung ursprünglich Leipziger Provenienz sind. Zwei Weißenfelser Kantoren, Carl Ludwig Traugott Gläser (Kantor 1771-1797) und Karl Heinrich Reinicke (Kantor 1797-1798) absolvierten ihre Ausbildung im Leipziger Thomanerchor und an der Universität Leipzig. Vermutlich legte Gläser den Grundstock für die Musikaliensammlung, indem er zahlreiche Manuskripte von Leipziger Musikern erwarb.
Die Handschrift wurde in dem Aufführungsmaterial zu einer anonymen Messe gefunden. Da in lutherischen Gottesdiensten nur die ersten beiden Teile einer Messe gesungen wurden, sind Kyrie und Gloria überliefert. Bach fügte den Singstimmen der Messe klangverstärkende Streicher- und Bläserstimmen hinzu. Insgesamt 4 von 13 Stimmen stammen aus der Feder von Bach, die anderen 9 Stimmen wurden von einem Kopisten angefertigt. In dieser Bearbeitung fand das Werk offensichtlich das Interesse der Weißenfelser Kantoren, die auffällig viele Werke mit reicher Bläserbesetzung für die Haupt- und Festgottesdienste an St. Marien sammelten.
Johann Sebastian Bach (1685-1750) wirkte ab 1713 als Komponist für den Weißenfelser Hof, von 1729 bis 1736 führte er den Titel eines Hofkapellmeisters „von Haus aus“. Obwohl die neu aufgefundene Notenhandschrift vermutlich nicht mit Bachs Tätigkeit für Weißenfels im Zusammenhang steht, ist ihr Fund von großer Bedeutung für die Stadt, deren Musikgeschichte eng mit dem mitteldeutschen Kulturraum verbunden ist.
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