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Die Auflagen des Köchel-Verzeichnisses von 1862 bis 2024  
Foto:  Wolfgang Lienbacher  /  Internationale Stiftung Mozarteum

Das Köchel-Verzeichnis ist seit mehr als 160 Jahren das Verzeichnis der musikalischen Werke von Wolfgang Amadé Mozart. Die erste Auflage dieses Werkkatalogs legte Ludwig Ritter von Köchel 1862 bei Breitkopf & Härtel vor – ein Meilenstein in der Musikforschung und Muster für viele spätere Werkverzeichnisse. Um das rapide wachsende Wissen über alle Aspekte von Mozarts Schaffen darzustellen, kam es in der Folge zu mehreren Neuauflagen – zuletzt 1964, vor nunmehr 60 Jahren. Das Köchel-Verzeichnis konnte damit dem Anspruch, das Wissen über Mozart kompakt und verlässlich darzustellen, schon lange nicht mehr gerecht werden.

Nun wurde die in jahrzehntelanger Arbeit von Grund auf neu erarbeitete Auflage des Köchel-Verzeichnisses vom Verlag Breitkopf & Härtel und der Internationalen Stiftung Mozarteum in Mozarts Heimatstadt Salzburg erstmals vorgestellt. Das musikalische Schaffen des großen Komponisten wird auf fast 1.400 Seiten auf dem aktuellen Stand der Forschung präzise beschrieben. Insbesondere wurden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Gesamtausgabe (Neue Mozart-Ausgabe, hrsg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum, von 1954 beim 2007 beim Bärenreiter-Verlag Kassel erschienen) integriert. Auch wurden der Briefwechsel der Familie Mozart, die in verschiedenen Publikationen gesammelten historischen Dokumente zu Leben und Werk sowie nahezu 1.800 wissenschaftliche Publikationen ausgewertet. Alle Daten wurden in den letzten Jahren systematisch geprüft und ergänzt. Das Buch erscheint übrigens erstmals unter dem Titel Köchel-Verzeichnis, der sich umgangssprachlich längst eingebürgert hat.

Herausforderungen der Neuausgabe

Die erste Ausgabe des Köchel-Verzeichnisses von 1862 enthielt ursprünglich 626 chronologisch geordnete Einträge, nämlich von Nr. 1 (zwei Klavierstücke, die der junge Mozart eigenhändig in das Notenbuch seiner Schwester Maria Anna eingetragen hatte) bis zum Requiem KV 626, das Mozart wegen seines frühen Todes nicht fertigstellen konnte, mit einem Nachtrag von 2 Fughetten als Nr. 154a. Ein Eintrag konnte sich aber nicht nur auf eine Oper mit bis zu 30 Einzelsätzen beziehen, sondern er kann auch viele Einzelstücke, beispielsweise bis zu 20 Menuette, umfassen. Zusätzlich gab es schon bei Köchel einen Anhang mit fast 300 Nummern. Köchels Ordnungsidee war eine chronologische Reihenfolge; er wollte damit den Entwicklungsgang Mozarts vom Wunderkind zum frühverstorbenen Meister nachzeichnen. Köchel glaubte damals, dass in diese Ordnung auch die vielen undatierten Werke einbezogen werden könnten. Fast mit jeder Ausgabe gab es aber für diese Kompositionen neue Erkenntnisse zu den Entstehungsumständen; konsequenterweise musste dann auch eine neue Nummer vergeben werden. Manche Kompositionen haben daher in den maßgeblichen Ausgaben von 1862, 1937 und 1964 drei verschiedene Nummern. Das hierdurch entstandene Nummernkonstrukt mit unzähligen Querverweisen wurde immer komplizierter und hat sich letztlich weder in der Mozart-Forschung noch in der Musikpraxis durchgesetzt. Eine zusätzliche Herausforderung ist, dass immer wieder Nummern eingefügt oder gelöscht und Kompositionen zwischen Hauptteil und Anhang verschoben wurden.

Die Neuausgabe des Werkverzeichnisses wurde von Neal Zaslaw, Professor an der Cornell University in Ithaca/NY, erarbeitet und vom wissenschaftlichen Bereich der Internationalen Stiftung Mozarteum unter Leitung von Ulrich Leisinger minutiös zum Druck vorbereitet. Der Benutzer profitiert zusätzlich von der Kompetenz des Verlags Breitkopf & Härtel in der Erstellung komplexer Werkverzeichnisse. Die allgemein verständlichen Kommentare informieren über Entstehungshintergründe, Beziehungen zu anderen Werken sowie über Besonderheiten und Probleme der Werk- und Quellenüberlieferung. Hierdurch ist ein benutzerfreundliches Werkverzeichnis entstanden, das auf lange Sicht einen verlässlichen Überblick über Mozarts Gesamtschaffen, die zugehörigen Quellen sowie über wichtige Literatur bietet.

„Alte“ und mehr als 90 „neue“ Nummern

Eine Grundsatzentscheidung war es, die Nummerierung zu vereinfachen. Alle authentischen Werke des Hauptteils stehen jetzt unter der Nummer, unter der sie dort erstmals verzeichnet waren. Für die meisten für die musikalische Praxis relevanten Kompositionen sind dies die Nummern aus der ersten Auflage von 1862, für die mehr als 100 Mozart’schen Fragmente die der dritten Auflage von 1937. Die verwirrenden Mehrfachnummerierungen wurden rückgängig gemacht. Die Neuausgabe enthält zudem 95 Einträge für Kompositionen, die in keiner der bisherigen Ausgaben des Werkverzeichnisses mit einer eigenen Nummer im Hauptteil standen. Da die Zeitfolge als Ordnungsprinzip aufgegeben wurde, können diese neuen Nummern einfach beginnend mit KV 627 angehängt werden. Über die Entstehungszeit kann man sich jetzt (zusätzlich zu den Einzeleinträgen) in einer Chronologischen Übersicht informieren. Eine thematische Übersicht nach Werkgruppen, eine Konkordanz und eine chronologische Übersicht erleichtern den Zugang. Das Köchel-Verzeichnis bietet nun wieder allen Musikerinnen und Musikern, der Wissenschaft und allen Mozart-Freunden einen detaillierten Überblick über das Schaffen Wolfgang Amadé Mozarts.

Wichtiger denn je sind die gänzlich neu gestalteten Anhänge, die seit der 6. Auflage von 1964 systematisch angelegt wurden. Nicht jede Notenzeile, die Mozart mit eigener Hand geschrieben hat, ist auch ein musikalisches Werk von Mozart, ein Stück, das er mit Blick auf eine Aufführung zu schreiben begonnen hat. Mozart hat Stücke anderer Komponisten arrangiert, beispielsweise Sonatensätze von Johann Christian Bach und anderen als Klavierkonzerte bearbeitet oder Oratorien von Händel für Aufführungen eingerichtet. Diese Bearbeitungen standen bislang im Hauptteil und wurden jetzt zu den Abschriften fremder Werke in Anhang A gestellt. Dieser Anhang besteht nun aus 63 Einträgen, wobei ein Eintrag auch mehr als ein Einzelwerk umfassen kann.

Kadenzen für eine Arie oder ein Konzert haben nur innerhalb des Werks, für das sie bestimmt waren, einen musikalischen Sinn. Alle Kadenzen sind jetzt übersichtlich in einem neu geschaffenen Anhang, Anhang G, vereinigt. Dieser hat zwar nur 46 Anhang-A-Nummern. Hierunter verbergen sich aber – wenn man nicht nur alle Kadenzen zu einem einzigen Konzert, sondern die verschiedenen Fassungen einer Kadenz einzeln zählt – 156 Einzeleinträge, eine kaum vorstellbare Zahl.

Die größte systematische Änderung betrifft den neuen Anhang H, der Studien, Unterrichtsmaterial und sonstige musikalische Aufzeichnungen versammelt. Diese waren bislang nur unsystematisch und bruchstückhaft erfasst und über verschiedene Stellen des Werkverzeichnisses verstreut. Hierzu gehören viele kontrapunktische Studien, aber auch Themenaufzeichnungen oder Incipits, die Mozart aus unterschiedlichen Gründen notiert hat. Insgesamt sind dies 306 Einzeleinträge, darunter allein 81 Kanons und 29 Fugen zu Studien-, nicht zu Aufführungszwecken.

Jede musikalischen Aufzeichnung Mozarts, egal wie umfangreich, ist nun mit einer eigenen Nummer, auf die verwiesen werden kann, versehen. Dies war bislang nicht der Fall.

Wesentliche Änderungen im neuen Köchel-Verzeichnis im Überblick

Das neue Köchel-Verzeichnis versteht sich als die moderne Fortsetzung des von Köchel initiierten Zugangs zu Mozarts musikalischen Werken:

  • die Einträge wurden weiter systematisiert
  • zwischen verschiedenen Fassungen eines Werks wird klar unterschieden
  • Annahmen über die Datierung und Echtheitsfragen werden begründet
  • Erstausgaben in Partitur und Stimmen werden konsequent nachgewiesen
  • weitere wichtige Ausgaben werden benannt
  • erstmals werden auch die Textquellen konsequent berücksichtigt
  • auf Wertungen wird verzichtet
  • die Anhänge wurden vollständig neu konzipiert

Neue Mozart-Stücke entdeckt

Während der Arbeit an der Neuausgabe wurden auch neue Mozart-Stücke entdeckt. Ein Teil davon hatte in früheren Ausgaben des Köchel-Verzeichnisses bereits Platzhalter, z. B. das sogenannte Freudenlied „Per la ricuperata salute di Ofelia“ KV 477a, die Arie „Die neugeborne Ros entzückt“ KV 365a oder das 2021 als „94 Sekunden neuer Mozart“ vorgestellte Klavierstück KV 626b/16 (jetzt KV Anh. A 66). Seit dem Mozart-Jahr 2006 wurden mehrere Klavierstücke des jungen Mozart erstmals aufgefunden oder als Werke des jungen Komponisten identifiziert, darunter der erste Konzertsatz Mozarts, der ohne Autorenbezeichnung im sogenannten „Nannerl-Notenbuch“, dem Klavierbuch seiner Schwester Maria Anna, steht und jetzt als KV 636 verzeichnet ist. Zudem konnte eine „Serenate ex C“ aus der Musikbibliothek der Leipziger Städtischen Bibliotheken als ein Jugendwerk von Mozart verifiziert werden. Das bislang völlig unbeachtet gebliebene Werk, das jetzt die Nummer KV 648 erhalten hat, besteht aus sieben Miniatursätzen für Streichtrio, die zusammen nur etwa 12 Minuten dauern. Die einzige erhaltene Quelle schreibt die Komposition „Wo[l]fgang Mozart“ zu. Dies weist bereits auf eine Jugendarbeit hin, denn seit der ersten Italienreise von 1769 hat Mozart seinen Vornamen regelmäßig um „Amadeo“, ab 1777 um „Amadé“ ergänzt. Auch der Kompositionsstil weist auf die 1760er-Jahre hin. Für Ulrich Leisinger, den Wissenschaftlichen Leiter der Internationalen Stiftung Mozarteum und Redakteur der Neuausgabe des Köchel-Verzeichnisses, ist das Trio ein bedeutender Mosaikstein: „Der junge Mozart ist uns bislang hauptsächlich als Komponist von Klaviermusik, von Arien und von Sinfonien bekannt. Aus einer Aufstellung von Leopold Mozart wissen wir aber von vielen weiteren kammermusikalischen Kompositionen aus der Jugendzeit, die leider allesamt verloren gegangen sind. Es sieht so aus, als ob sich in Leipzig durch eine Verkettung günstiger Umstände ein vollständiges Streichtrio erhalten hat. Da die Vorlage dazu offenbar von Mozarts Schwester stammt, ist es reizvoll, sich vorzustellen, dass sie das Werk als Erinnerung an ihren Bruder aufbewahrt hat. Vielleicht hatte er das Trio eigens für sie zu einem Namenstag komponiert.“

Historisches

Ludwig Ritter von Köchel (1800–1877) wurde nach seinem Jurastudium Hauslehrer der vier Kinder von Erzherzog Karl von Österreich. Mit Ende der Unterrichtstätigkeit 1842 erhielt er den Adelstitel und eine großzügige Pension, die ihm ein sorgenfreies Leben als Privatgelehrter ermöglichte. Er hatte vielfältige Interessen: Pädagogik, Botanik, Geologie, Musik (hier vor allem die Musikgeschichte Wiens). Die Kombination von musikalischen und historischen Interessen mit systematischem naturwissenschaftlichen Denken haben Köchel zur Arbeit am Katalog der Werke Mozarts prädestiniert. Köchel war übrigens nicht der Erste, der an einem Mozart-Katalog gearbeitet hat: Bereits 1768 legte Leopold Mozart Kaiser Joseph II. ein Verzeichniß alles desjenigen was dieser 12 Jährige Knab seit seinem 7ten Jahre Componiert, und in originali kann aufgezeiget werden vor, und ab Februar 1784 trug Mozart seine neuen Kompositionen eigenhändig in das Verzeichnüß aller meiner Werke ein, das er bis zu seinem Tod gewissenhaft führte. Hierauf und auf verschiedenen anderen Vorarbeiten, vor allem der Verlage Breitkopf & Härtel in Leipzig und Johann Anton André in Offenbach, sowie auf Aufzeichnungen des Mozart-Biographen Otto Jahn konnte Köchel aufbauen. Das Köchel-Verzeichnis war eine große Pionierleistung und ein Meilenstein in der Musikliteratur.

Die erste Ausgabe des Köchel-Verzeichnisses erschien 1862 beim selben Verlag wie heute, bei Breitkopf & Härtel (damals Leipzig, heute Wiesbaden), unter dem Titel Chronologisch-thematisches Verzeichniss sämmtlicher Tonwerke Wolfgang Amade Mozart’s. Nebst Angabe der verloren gegangenen, unvollendeten, übertragenen, zweifelhaften und unterschobenen Compositionen desselben.

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