Das Brahms-Institut an der Musikhochschule (MHL) hat gestern Abend den digitalisierten Nachlass des Komponisten Theodor Fürchtegott Kirchner präsentiert. Rund 9.000 Seiten aus der Sammlung des Instituts sind ab sofort auf der Website unter www.brahms-institut.de verfügbar und geben Einblick in die Werkstatt des bedeutenden, weitgehend unbekannten Komponisten.
Theodor Fürchtegott Kirchner (1823–1903), Zeitgenosse und Freund von Johannes Brahms, gehörte zu den produktivsten Komponisten des 19. Jahrhunderts. Neben einigen Liedern, einem ambitionierten Streichquartett und kleineren Kammermusikwerken widmete er mit über 1.000 Einzelstücken den größten Teil seines Schaffens dem Klavier. Rund 9.000 Einzelseiten aus seinem Nachlass wurden nun über ein Jahr lang bibliothekarisch erschlossen und digitalisiert.
Als besonderen Schatz sieht Institutsleiter Prof. Dr. Wolfgang Sandberger die Erstdrucke der Werke Kirchners, die der Komponist selbst mit zahlreichen handschriftlichen Eintragungen versah: "Das Online-Projekt bietet hier wertvolle Informationsquellen für musikhistorische Fragestellungen von Interpreten und Musikwissenschaftlern, ohne dass die empfindlichen Originale in Anspruch genommen werden müssten.“ Kirchners Klavierstücke beschrieb Brahms als "das Zarteste vom Zarten“. Bestimmend für Kirchners musikalischen Weg war auch die Begegnung und Freundschaft mit Robert Schumann, der 1843 sein Opus 1 wohlwollend besprach und ihn 1853 in seinem berühmten Artikel "Neue Bahnen“ zu den "hochaufstrebenden Künstlern der jüngsten Zeit“ zählte. 1843 trat er als erster Schüler mit der "Matrikelnummer 1“ in das von Mendelssohn Bartholdy neu gegründete Leipziger Konservatorium ein. Mit der jung verwitweten Clara Schumann verband ihn über mehrere Jahre eine enge Liaison. Ein Umstand, über den auch ein goldener Füllfederhalter von Robert Schumann in Kirchners Nachlass gelangte. Kirchner führte ein unstetes Leben, immer wieder erlag er der Spielsucht. In seinen späteren Lebensjahren wohnte er krank und verarmt in Hamburg, wo er 1903 starb und auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt wurde.
Über Kirchners letzten Klavierschüler Conrad Hannss gelangte der Nachlass in das Brahms-Institut. Mit der Online-Präsentation hat das Lübecker Institut einen weiteren Meilenstein der Digitalisierung seiner Sammlung erreicht. Das Land Schleswig-Holstein ermöglichte das Projekt durch eine Förderung in Höhe von 100.000 Euro. Insgesamt rund 42.000 Seiten mit Fotos, Stichvorlagen, Autographen und Briefen aus der wertvollen Sammlung des Instituts sind mittlerweile online verfügbar.
Das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck wurde 1991 mit der weltweit größten privaten Brahms-Sammlung des Professorenehepaares Renate und Kurz Hofmann gegründet. Das Institut steht seit 1999 unter Leitung von Wolfgang Sandberger, der die Sammlung stetig erweitert und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Das Brahms-Institut residiert in einem klassizistischen Landhaus am Rand der Lübecker Altstadt, wo es mit Konzerten, Vorträgen und kleinen Ausstellungen Einblick in seine Forschungsarbeit gibt (Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck, www.brahms-institut.de, Jerusalemsberg 4, 23568 Lübeck).