Die zahlreichen Absagen von Konzerten, die Einschränkungen im Musikunterrichts- und Probenbetrieb bedeuten für die Musiker*innen und Musikpädagog*innen massive Beeinträchtigungen. Und zwar sowohl in wirtschaftlicher wie in sozialer und psychologischer Hinsicht. Dies ist das Ergebnis der zweiten Online-Befragung im Auftrag des Landesmusikrats NRW, die als Follow-Up-Studie von Prof. Dr. Heiner Barz, Heinrich-Heine-Universität, durchgeführt wurde. Beteiligt haben sich an der im Januar und Februar 2022 online verfügbaren Erhebung 235 Befragte. Auch wenn sich die Situation inzwischen objektiv einigermaßen entspannt zu haben scheint, bleibt für die freischaffenden Musiker*innen das Gefühl großer Unsicherheit und Ungewissheit prägend: Man muss gewissermaßen jederzeit mit den nächsten Absagen und Einschränkungen rechnen. Planungssicherheit und stabile wirtschaftliche Verhältnisse sind so für viele in weite Ferne gerückt.
Einige Eckdaten der Studie: 69% der Befragten erwirtschaften ihre Einkünfte ausschließlich aus selbstständigen Tätigkeiten. Bei den anderen findet sich der in der Musikszene typische Mix aus Einkünften aus unselbständigen Beschäftigungsverhältnissen und verschiedensten freiberuflich erwirtschafteten Honoraren. Mit einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 1.611 EUR (2020: 2.028 EUR) aus der Sparte Musik oder 2.135 EUR (2020: 2.492 EUR), wenn man sonstige Einkünfte einbezieht, liegen die Musiker*innen und Musikpädagogen*innen in NRW deutlich unter dem, was das Statistische Bundesamt als deutsches Durchschnittseinkommen ausweist: Nämlich für 2021: 4.100 EUR (2020: 3.975 EUR). Die Studie dokumentiert auch erneut die bekannten Einkommensunterschiede („gender pay gap“) zwischen weiblichen und männlichen Befragten – wenngleich in einer etwas abgemilderten Dimension.
Die Zufriedenheit mit dem gewählten Musik-Beruf bleibt bemerkenswert hoch: Die überwiegende Mehrheit von 69% (2020: 71%) sagt, dass sie sich erneut dafür entscheiden würde. Es finden sich nach wie vor hohe, über 80% liegende Zufriedenheitswerte „im Hinblick auf Aspekte wie Sinn und Bedeutung“. Dieser Befund steht in einem starken Spannungsverhältnis zur beruflichen Zufriedenheit im Hinblick auf die Einkommenssituation, die deutlich weniger positiv bewertet wird: Hier tendieren 63% zum Pol der Unzufriedenheit.
Die Folgen der Corona-Krise werden von einer deutlichen Mehrheit der Befragten (79%; 2020: 74%) als problematisch erlebt. Insbesondere Konzert- und Auftrittsabsagen sowie negative finanzielle Auswirkungen werden von den Befragten beklagt. Wie auch in 2020 werden die sozialen und psychischen Folgen der Corona-Krise als belastend beschrieben und in Begriffen wie „Vereinsamung“, „Perspektivlosigkeit“ und „soziale Ängste“ artikuliert. Der von einigen als neue und durchaus positive Erfahrung verbuchte Zwang zu Online-Formaten wird von anderen eher unter die negativen Aspekte verbucht: Digitale Unterrichtsformate wurden als notwendig, aber „unzureichend“ und „unbefriedigend“ beschrieben und von den Befragten eher als Notlösung gesehen, welche zusätzlich mit einem höheren Arbeitsaufwand und einem Qualitätsverlust des Musizierens verbunden war.
Erneut nennen viele Befragte auch positive Aspekte der Erfahrungen in der Corona-Krise: Hier finden sich stärker als noch 2020 insbesondere Berichte über finanzielle Unterstützungen durch Stipendien oder staatliche Finanzhilfen. 64% der Befragten haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, staatliche Hilfsgelder zu beantragen. Ca. 45% der Studienteilnehmer*innen geben trotzdem an, dass sie durch die staatlichen Finanzhilfen den wirtschaftlichen Schaden nicht oder nicht nennenswert kompensieren konnten. Über Rückzahlungspflichten in Bezug auf die erhaltenen staatlichen Hilfsgelder berichten 55% derer, die einen Antrag gestellt hatten. Von 64% der Betroffenen werden die Rückzahlungsforderungen als nicht gerechtfertigt angesehen. Insbesondere wurden die zu hohen Rückzahlungssummen sowie die sich häufig ändernden Bedingungen der Bewilligung von den Befragten bemängelt. Aus den Angaben derjenigen, die hier konkrete Summen genannt haben, lassen sich Mittelwerte bilden: Für die beantragte Hilfe ergibt sich ein Betrag von durchschnittlich ca. 9.700 EUR, für die erhaltene Hilfe ein Betrag von ca. 8.600 EUR und für die Rückzahlungsforderungen ein Betrag von ca. 5.800 EUR. Dabei ist zu berücksichtigen, dass spezifische Angaben zur Höhe der Rückzahlungsforderung nur von einem Teil der Befragten vorliegen.
Erneut lassen sich die von uns befragten Musikschaffenden trotz aller Corona-Einschränkungen und trotz finanzieller Knappheit weder die Freude an ihrem Beruf noch den Optimismus für die Zukunft nehmen. Allerdings zeigen sich unverkennbar Erschöpfungseffekte, insofern die Prozentzahl der Optimisten leicht rückläufig ist: 54% blicken tendenziell mit eher positiven Erwartungen ins Jahr 2022 (2020: 59%), 37% formulierten eher negativ getönte Erwartungen (2020: 24%). Unter denjenigen, die Ende Januar, Anfang Februar eher sorgenvoll auf das Jahr 2022 blickten, spielen Gefühle der Unsicherheit und Ungewissheit, insbesondere im Hinblick auf die berufliche Situation, eine große Rolle.
Eine Rolle spielt dabei auch das „Erwartungsmanagement“. D.h. man möchte weitere Enttäuschungen vermeiden: „Nicht wieder planen, hoffen und dann enttäuscht werden.“ Oft wird befürchtet, dass die ungerechte, unfaire und schlechte Bezahlung der freiberuflichen Musiker*innen und Musikpädagog*innen, die auch schon vor der Corona-Krise zu beklagen war, weiterhin anhält. Nicht selten klingen auch geradezu apokalyptische Töne durch: „Unsicherheit Perspektivlosigkeit Schwarzes Loch; als ‚systemirrelevante Freizeitindustrie‘ abgeschrieben.“