Das Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel ist «Opernhaus des Jahres» 2011. Das ergab die diesjährige Umfrage der Zeitschrift «Opernwelt». Befragt wurden 50 unabhängige Musikkritiker. Damit hat erstmals ein Haus außerhalb des deutschen Sprachraums den Titel erhalten. Und nach Graz (2001) und Basel (2009, 2010) ist Brüssel erst das dritte «Opernhaus des Jahres», das nicht in Deutschland steht. Intendant Peter de Caluwe, so die Begründung, ist ein Mann mit klaren Überzeugungen und langem Atem. Seine vierte Spielzeit in Brüssel hat sich durch Produktionen ausgezeichnet, die ästhetisch ins Offene weisen und doch in sich geschlossen wirken. Eine sorgfältige Auswahl der Stücke verband sich mit einer ebenso sorgfältigen Zusammenstellung der Teams. Zum vielfältigen Spielplan gehörten unter anderem die Uraufführung von Toshio Hosokawas «Matsukaze», choreografiert von Sasha Waltz (Dirigent: Pablo Heras-Casado), Leos Janáceks «Katja Kabanova», inszeniert von Andrea Breth (Dirigent: Leo Hussein), Richard Wagners «Parsifal», als Operndebüt inszeniert von Romeo Castellucci (Dirigent: Hartmut Haenchen) und Giacomo Meyerbeers «Les Huguenots», inszeniert von Olivier Py, dirigiert von Marc Minkowski.

Die Brüsseler Produktion von «Les Huguenots» wurde zudem zur «Aufführung des Jahres» gewählt. Ihre Qualität bestimmte sich einerseits durch eine fast ungekürzte Fassung, in der Meyerbeers Ästhetik erst wirklich erfahrbar wird, andererseits durch eine Besetzung, die den Komponisten (historisch vollkommen korrekt) von Gluck und Mozart her verstand.

Das wichtigste Opernhaus in Deutschland (und das zweite in der Gesamtwertung der Umfrage) ist – wie 2010 – die Oper Frankfurt, deren Orchester zum dritten Mal in Folge zum «Orchester des Jahres» gewählt wurde. In Frankfurt ist auch der «Sänger des Jahres» engagiert: Der Bariton Johannes Martin Kränzle wurde vor allem für seine Gestaltung des Alberich an der Mailänder Scala und der Staatsoper Berlin sowie für seine überragende Leistung in der Uraufführung von Wolfgang Rihms «Dionysos» bei den Salzburger Festspielen gewählt. Dieses durch Texte von Friedrich Nietzsche inspirierte Stück (vom Komponisten als «Opernphantasie» bezeichnet) ist zugleich die «Uraufführung des Jahres» (Dirigent: Ingo Metzmacher, Regie: Pierre Audi).

Die «Wiederentdeckung des Jahres» fand bei den Bregenzer Festspielen statt. Mieczyslaw Weinbergs Auschwitz-Oper «Die Passagierin» erzählt vom Genozid an den europäischen Juden. Das Werk ist die Trauerarbeit eines Verkannten, der seine Familie im Holocaust verlor, vor Hitlers Armee aus Warschau nach Moskau floh und dort vom stalinistischen Regime verfolgt wurde.

Für seine Deutung von Schönbergs komplexem Bekenntniswerk «Moses und Aron» an der Oper Zürich wurde Achim Freyer zum «Regisseur des Jahres» gewählt. Die Bayreuther Ratten, aber auch andere Kostüme in der «Lohengrin»-Inszenierung von Hans Neuenfels brachten Reinhard von der Thannen die Auszeichnung als «Kostümbildner des Jahres». «Bühnenbildner des Jahres» ist Martin Zehetgruber für verschiedene Arbeiten in der vergangenen Saison.

Mariss Jansons dirigiert nur selten in der Oper. Wenn er es tut, kommen stets herausragende Abende zustande, wie zuletzt bei einer Neuproduktion von Peter Tschaikowskys «Eugen Onegin» in Amsterdam. Dafür wurde Jansons zum «Dirigenten des Jahres» gewählt. Der «Chor des Jahres» gehört zur Staatsoper Stuttgart. Nachwuchssängerin ist die Russin Julia Lezhneva, deren Stimme sich kaum in eines der gängigen Fächer einordnen lässt.

Das «Buch des Jahres» hat der Hamburger Politologe Udo Bermbach geschrieben. In «Richard Wagner in Deutschland» (Metzler Verlag) erschließt er die Rezeption von Wagners Person und Werk bis in die frühen Jahre der Bundesrepublik und kommt zu einer Fülle erhellender Thesen. Für die «CD des Jahres» sorgte René Jacobs, dem es gelang, Mozarts «Zauberflöte» vollkommen neu erfahrbar zu machen.

Alle Voten der Kritikerumfrage beziehen sich auf die Spielzeit 2010/11. Sie sind im soeben erschienenen Jahrbuch der Zeitschrift «Opernwelt» dokumentiert. Im Jahrbuch «Oper 2011» finden sich Analysen und Interviews zu den Ergebnissen der Umfrage sowie Beiträge zum Thema «Oper und digitale Medien», zur Geschichte des «Rosenkavalier» und zu aktuellen Problemen der Opernregie. Eine Retrospektive ist dem Dirigenten Berislav Klobucar gewidmet, der an der Wiener Staatsoper mehr Vorstellungen leitete als alle seine Kollegen.

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