Eine Umfrage des Verbands der Musik- und Kunstschulen (VdMK) bei seinen Mitgliedern hat ergeben, dass über 80 Prozent der Musik- und Kunstschulen das Bundessozialgerichtsurteil zu sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen von Musikschul-Honorarkräften (Az. B 12 R 3/20 R vom 28. Juni 2022) nutzen, um ihren Festangestelltenanteil zu überprüfen. Dabei ist in aller Regel das Ziel, den Lehrkörper durch mehr Festanstellungen zu stärken, oft in mehreren Schritten. Die Unterrichtsqualität soll damit unter den neuen Rahmenbedingungen gesichert und die Kontinuität des Unterrichts der Kinder und Jugendlichen gewährleistet werden. Weitere acht Prozent der Träger haben intern schon entschieden, ihre Honorarverträge in Angestelltenverträge umzuwandeln. Bei weiteren 12 Prozent haben sich die Entscheidungsträger noch nicht eingehend mit dem Thema befasst. Der VdMK als Fach- und Trägerverband begleitet beratend diese trägerinternen Entscheidungsprozesse.
Das sogenannte „Herrenberg“-Urteil des Bundessozialgerichts stellte im Fall einer klagenden Klavierpädagogin fest, ab wann eine Musikschullehrkraft in ihrer Institution eingegliedert ist und damit automatisch Anspruch auf umfassende soziale Absicherung wie eine Angestellte hat. Der vom Gericht entwickelte Kriterienkatalog hierfür ist dergestalt gefasst, dass in der Praxis fast alle regelmäßig unterrichtenden Musik- und Kunstschulpädagogen diesen umfassenden sozialversicherungsrechtlichen Anspruch haben. Zugleich drohen den Schulträgern bei Nichtbeachtung dieser Absicherungspflicht hohe finanzielle Forderungen der Sozialversicherungen – auch rückwirkend – und den Verantwortlichen persönliche Haftungsrisiken.
In Brandenburg ist der Anteil der Honorarkräfte an den öffentlichen Musikschulen im bundesweiten Vergleich mit 73,7 % besonders hoch. Gut 1.100 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten in Brandenburg heute als Honorarkräfte an den Musik- und Kunstschulen mit öffentlichem Bildungsauftrag. Für die Talentförderung wichtige Musikschulen wie die Kreismusikschule Potsdam-Mittelmark „Engelbert Humperdinck“ haben bereits Entscheidungen für eine weitgehende Umwandlung der Honorarverträge in Festanstellungen getroffen, andere Musikschulträger stehen kurz davor.
Die Honorarkräfte in Festanstellung zu überführen, wird in den verschiedenen Landkreisen und Städten in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erfolgen. Dabei gibt es die Sorge, dass sich die Unterschiede zwischen den verschiedenen Musik- und Kunstschulen vertiefen, abhängig von der Finanzkraft der jeweiligen Stadt, des Landkreises oder des Trägervereins. Vor dem Hintergrund des Mangels an hoch qualifizierten Musik- und Kunstschulpädagogen fordert der VdMK eine Musik- und Kunstschulinitiative der Landesregierung. Zentrales Element der Initiative ist eine gehaltsmäßige Gleichstellung der Lehrerinnen und Lehrer an den öffentlichen Musik- und Kunstschulen mit denen der öffentlichen Grundschulen.
Christian Jaschinski, Landrat des Landkreises Elbe-Elster und Mitglied im Vorstand des Verbands der Musik- und Kunstschulen Brandenburg e.V. (VdMK): „Das sogenannte „Herrenberg“-Urteil stärkt das Recht auf soziale Absicherung vieler Pädagogen an den Musik- und Kunstschulen. Das ist gut. Es ist ein Baustein, die Arbeit an den Musik- und Kunstschulen für viele attraktiver zu machen. Natürlich kommen Obergerichtsurteile, die Geld kosten, nie zu einem guten Zeitpunkt. Die Landkreise tragen schon heute einen überwältigenden Anteil der Finanzierung der öffentlichen Musik- und Kunstschulen. Hier ist das Land zukünftig stärker gefragt. Denn eines ist sicher: Unsere Kinder und Jugendliche brauchen leistungsfähige Musik- und Kunstschulen mit ihren vielfältigen Angeboten, die das öffentliche Bildungssystem für jedermann bietet.“
Winnetou Sosa, Geschäftsführer des VdMK: „Ein Gerichtsurteil hat den aktuellen Entwicklungsschub der Musik- und Kunstschulen ausgelöst. Nicht die Politik. Aber diese bleibt in der Verantwortung. Die Politik auf kommunaler Ebene, um die Musik- und Kunstschulen mit ihren Vertragsverhältnissen an die aktuelle Gesetzesauslegung anzupassen. Mit maßgeschneiderten Lösungen für jede einzelne Musik- und Kunstschule. Und die Politik auf Landesebene, um die Musik- und Kunstschulen mit öffentlichem Bildungsauftrag so zu stärken und finanziell auszustatten, dass weiterhin jedes Kind ein Musikinstrument oder künstlerische Techniken auf hohem Niveau erlernen kann.
Die Dimension der erforderlichen Anpassungen birgt Chancen und Risiken. Es wird auch nach dem Urteil weiter Honorarverträge an den Musik- und Kunstschulen geben. Das Urteil schreibt nur die Bedingungen für eine sozialversicherungsrechtliche Absicherung fest, aber keine Vertragsform. Dabei nimmt das Gericht die tatsächliche Situation vor Ort in den Blick und schafft damit Sicherheit für Schulträger wie auch die Beschäftigten. Wer aber jetzt die flächenmäßigen Honorarverträge als schützenswertes Wesenmmerkmal von Musik- und Kunstschule verklärt, verkennt die soziale Realität vieler Beschäftigter. Ich bin zuversichtlich, dass die Schulträger und das Land sich ihrer finanziellen Verantwortung bewusst sind und die Musik- und Kunstschulen mit öffentlichem Bildungsauftrag gestärkt aus diesem Um- und
Aufbruch hervorgehen.“