Zwölf Uraufführungen, gefeierte Koproduktionen, eine Fachtagung der Konzert- und Festivalbranche, neun Hörfunkmitschnitte, Livestreams der Lied Akademie mit 41.000 Zuschauern weltweit und umfassende Berichte in regionalen, nationalen und internationalen Me-dien – der "Heidelberger Frühling“ zieht 2017 eine herausragende Bilanz. Wenn Baden-Württembergs größtes Musikfestival am morgigen Samstag mit einem ausverkauften Kon-zert des Mahler Chamber Orchestra und des Pianisten Daniil Trifonov unter Leitung von Mikhail Pletnev seine 21. Saison beendet, werden 46 500 Besucher die diesjährigen 128 Veranstaltungen erlebt haben, von denen fast die Hälfte ausverkauft war.
Der "Heidelberger Frühling“ stand 2017 unter dem Leitgedanken "In der Fremde“. Es war der erste Teil einer Trilogie, die sich bis 2019 mit Kerngedanken der Aufklärung ausei-nandersetzt. Ein zentraler Aspekt aufklärerischen Denkens ist der Kampf gegen Vorurteile und für (auch religiöse) Toleranz. Diesen Aspekt stellte das Festival in den Vordergrund, indem es die Frage danach stellte, wie wir mit dem Fremden umgehen und dem Anderen begegnen.
"In den vergangenen Wochen bin ich vor dem Hintergrund des Festival-Leitgedankens im-mer wieder gefragt worden, ob denn Musik politisch sein könne“, so Thorsten Schmidt, Intendant des "Heidelberger Frühling“. "Meine Haltung dazu ist, dass wir als Festival, als ver-antwortliche Programmgestalter ein Bekenntnis ablegen können und müssen – über die Themen, die wir mit unserem Programm setzen, über die Auswahl der Werke, die Künstler, die wir einladen, und über den dramaturgischen Leitfaden. Selten zuvor war es in den letzten Jahrzehnten so notwendig, Haltung zu zeigen und nicht jenseits dessen zu agieren, was die Welt bewegt. Musiker interpretieren Musik, das ist ihre Berufung. Manche von ihnen mischen sich jenseits dieser Berufung ein in den gesellschaftlichen Diskurs. Viele nicht. Das ist in Ordnung. Aber wir als Festival können uns dieses Nicht-Einmischen nicht leisten. Aus der Vergangenheit wissen wir, dass nur die Wahrnehmung der Verpflichtung eines mündigen Bürgers die Demokratie sichert. Wer kann, sollte seine Stimme erheben. Die Verhaltensweise eines mündigen Bürgers muss meines Erachtens auch ein Festival über seine Gestalter an den Tag legen.“
Mehrere Projekte des "Heidelberger Frühling“ näherten sich dem Leitgedanken mit künstlerischen Mitteln. Dazu gehörten Burkhard Kehrings "Divan of Song“ unter dem Titel "STATI-ONEN“, der musikalisch-kulinarische Abend mit dem Pera Ensemble unter dem Titel "Jerusalem“ und das illuminierte Wandelkonzert "Im Osten und im Westen“, das sich im Refor-mationsjahr der Vielfalt christlicher Konfessionen widmete.
Auch die zweite Ausgabe des Kammermusikfests "Standpunkte“ griff den Leitgedanken "In der Fremde“ in drei Konzertformaten auf: den "Erzählungen“, den "Begegnungen“ und den "Erkundungen“. In den "Erzählungen“ kamen Festivalkünstler und berichteten redend und musizierend über sich selbst. In den "Begegnungen“ trafen Kammermusiken aus zwei Kulturen aufeinander; und in den Erkundungen wurden die Grenzen der Klassik weit in alle Stilrichtungen geöffnet. Neben Künstlern, die in mehreren Kulturen beheimatet sind, wie der Cellist Isang Enders (Korea/Deutschland), der Cembalist Mahan Esfahani (Iran/Großbritannien) und der Pianist Igor Levit (Deutschland/Russland) wirkten unter anderem mit: der deutsche Cellist Daniel Müller-Schott, der britische Tenor Ian Bostridge, der amerikanische Pianist und Komponist Uri Caine und die vier Musiker der Cairo Jazz Station, die aus Portugal, der Türkei, Italien und Ägypten stammen. Uri Caine trat auch als Komponist beim "Heidelberger Frühling“ in Erscheinung: Seine "4 Wunderhorn Songs“, ein Auftragswerk des Festivals, wurden durch das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von Kristjan Järvi uraufgeführt, Solistin des Abends war Claudia Barainsky.
Mit der Gründung des Internationalen Liedzentrums, unter dessen Dach Anfang März Thomas Quasthoffs internationaler Gesangswettbewerb "Das Lied“ erstmals in der Liedstadt Heidelberg stattfand, hat der "Heidelberger Frühling“ sein Profil als Advokat des Kunstliedes weiter geschärft. Die drei ersten Preisträger – der deutsche Bariton Samuel Hasselhorn, die US-amerikanische Mezzosopranistin Clara Osowski und der isländische Bariton Jóhann Kristinsson – präsentierten sich mit einer Matinee im Rahmen von "Neuland.Lied“, dem Liedfestival des "Frühling“ mit 16 Konzerten an vier Tagen. Neben klassischen Liederabenden von Größen wie Annette Dasch und Piotr Beczała bot "Neuland.Lied“ auch viel Raum für frische Ideen: Lied traf auf Tanz, Literatur, Videokunst und Drama, deutsches Lied traf auf Gesänge aus Japan, China, Korea, Indien, dem Iran und Israel, alte westliche Lieder begegneten neuer arabischer Musik, Komponiertes traf auf Improvisiertes. Erstmals bot "Neuland.Lied“ mit "s t i l l“ auch eine Bühnenproduktion, eine Meditation über das Wesen der Zeit mit Liedern des 17. Jahrhunderts. Darüber hinaus feierte bei "Neuland.Lied“ ein neues Melodramen-Programm von Thomas Quasthoff Premiere, ebenso das Format "Brotzeitkonzert“ mit der Band The Erlkings und Schubert-Liedern. Bei der Zweitauflage des Mitmachprojekts "Heidelberg singt“ lud der "Heidelberger Frühling“ zu 53 kostenlosen Konzerten in der gesamten Stadt ein. Rund 800 Mitwirkende und mehr als 5.000 Zuhörer machten einen ganzen Tag lang die Liedstadt Heidelberg für die breite Öffentlichkeit erlebbar.
Für die Heidelberg Music Conference hatte der "Heidelberger Frühling“ erstmals einen externen Kurator eingeladen, das Themenspektrum und die Expertenrunden zusammenzustellen: Benedikt Stampa, Intendant des Konzerthauses Dortmund und designierter Intendant des Festspielhauses Baden-Baden, der das Thema "Wachsen statt Wuchern – wie sich Kulturinstitutionen nachhaltig und substantiell verändern müssen“ gewählt hat. Noch stärker als in den Vorjahren spielten dabei Impulse von Experten aus unterschiedlichsten Branchen eine Rolle. Neben Brancheninsidern wie Markus Hinterhäuser und Iván Fischer waren unter anderem David Görges (Borussia Dortmund) (RWE) und Karsten Schmidt (Ravensburger) zu Gast. Moderiert wurde die zweitägige Conference von den Journalisten Holger Noltze und Holger Hettinger. Als Kooperationspartner berichtet Deutschlandradio Kultur in den Sendungen "Studio 9“ und "Fazit“ über die Heidelberg Music Conference.
Der Musikpreis des "Heidelberger Frühling“ 2017 ging an den Hotelier Klaus Lauer. Lauer hat über Jahrzehnte sein Hotel Römerbad in Badenweiler zu einem Zentrum zeitgenössischer Musik und zum Ort zahlreicher bedeutender Uraufführungen gemacht. Pierre-Laurent Aimard, Freund und Wegbegleiter des Hoteliers, hielt die Laudatio bei der Preisverleihung. Der Musikpreis des "Heidelberger Frühling“ ist mit 10 000 Euro dotiert – gestiftet von Gründungspartner HeidelbergCement – und wird an Persönlichkeiten vergeben, die sich in besonderer Weise um die Vermittlung von Musik verdient gemacht haben.
Neben Stammgästen wie dem Pianisten Sir András Schiff, der Geigerin Julia Fischer und dem Perkussionisten Martin Grubinger waren auch zahlreiche bedeutende Künstler erstmals beim "Heidelberger Frühling“ zu hören. Dazu gehörten unter anderem der Pianist Daniil Trifonov, der Geiger Nikolaj Znaider und der Countertenor Valer Sabadus.