Der „Heidelberger Frühling“ gehört mit seinem innovativen Programmkonzept zu den führenden deutschen Klassikfestivals. Jetzt ist das Gesamtprogramm 2015 erschienen, das sich unter dem Titel „Freiheit wagen“ die aktuelle Debatte um die Chancen und Gefahren des digitalen Wandels aufgreift und in diesem Kontext insbesondere nach der Verantwortung der Künste und Künstler in Zeiten gravierender gesellschaftlicher Umbrüche fragt. Weit über 100 Veranstaltungen stehen vom 21. März bis zum 25. April auf dem Programm, darunter Konzerte mit dem Pianisten András Schiff, dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin und dem Cellisten Gautier Capuçon sowie eine Eigenproduktion gemeinsam mit John Neumeiers Bundesjugendballett. Auch zwei Kompositionsaufträge hat das Festival vergeben: Der polnische Komponist und Pianist Frederic Rzewski, dem ein Schwerpunkt bei der Festival Akademie gewidmet ist, schreibt ein Klavierwerk, das Igor Levit uraufführt. Rzewski selbst wird auch selbst als Mentor für junge Komponisten und Interpret bei mehreren Konzerten in Heidelberg zu Gast sein. Marko Nikodijević aus Serbien komponiert ein Werk für Klarinette und Orchester, das von Sabine Meyer und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen uraufgeführt wird.
Heidelberg gilt als Stadt des Liedes – nicht zuletzt durch Clemens Brentanos und Achim von Arnims Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Deshalb hat sich der „Heidelberger Frühling“ zur Aufgabe gemacht, die von vielen als hermetisch empfundene Gattung des Kunstliedes wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Neben der Lied Akademie unter der Leitung von Bariton Thomas Hampson stehen zahlreiche klassische Liederabende auf dem Programm, unter anderem mit dem Tenor Ian Bostridge und der Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller. Auch Thomas Hampson gibt ein Konzert mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, und mit dem Vokalensemble Amarcord und der Germanistin Veronika Haas kann man einen musikalischen Spaziergang durch die Liedstadt Heidelberg unternehmen. Ein besonderes Anliegen ist es dem Festival, Ansätze zu herauszuarbeiten, was die Tradition des Liedes in seiner mannigfaltigen Gestalt uns heute und in Zukunft noch zu sagen hat. Dies schlägt sich nieder im neuen Format „Lied.Lab“, bei dem jungen Sängerinnen und Sängern konzeptionellen Freiraum erhalten, ihre persönliche Vision davon zu entwickeln, wie für sie der Liederabend der Zukunft aussehen sollte. Ein Experiment mit neuen Formen, ungewöhnlichen Orten, überraschenden Kombinationen, Grenzaufhebungen. Auch das Projekt „Amo“ des Künstlerduos Schönherz & Fleer denkt gemeinsam mit der Schauspielerin Anna Thalbach und dem Schauspieler Peter Lohmeyer das Kunstlied weiter. Die Synthese aus Dichtkunst und Klang kreiert ein musikalisch-poetisches Hörerlebnis, bei dem Lyrik von Peter Handke, Dschalal Ad-Din, Leonard Cohen, Walt Whitman u. a. auf Klassik, Jazz, Pop und Weltmusik trifft.
Zum dritten Mal vergeben wird der mit 10 000 Euro dotierte Musikpreis des „Heidelberger Frühling“, diesmal an den österreichischen Pianisten und Kulturmanager Markus Hinterhäuser. Die vom Gründungspartner HeidelbergCement gestiftete Auszeichnung geht jährlich im Wechsel an einen Kulturschaffenden oder einen Kulturjournalisten, der sich substanziell und nachhaltig für die Vermittlung von klassischer Musik einsetzt. Übergeben wird die Auszeichnung am Sonntag, den 12. April im Rahmen eines Rezitals mit dem Pianisten Igor Levit, der in Heidelberg erstmals Bachs berühmte „Goldberg-Variationen“ auf einem modernen Flügel öffentlich aufführt.
Der fünfte Jahrgang der Festival Akademie bringt einige Neuerungen mit sich. Neben den Bereichen Lied (Künstlerischer Leiter: Thomas Hampson), Kammermusik (Künstlerischer Leiter: Igor Levit) und Komposition (Künstlerischer Leiter: Matthias Pintscher) gibt es erstmals auch eine Akademie für Kulturjournalismus unter der Leitung der Musikjournalistin Eleonore Büning. Zu den Open Classes in den Bereichen Lied und Kammermusik kommen unter dem Titel „Akademie Forum“ öffentliche Gesprächsrunden hinzu, bei denen hochkarätige Gäste musikalische Themen mit den Mentoren und Stipendiaten diskutieren.
Das Reflektieren und Diskutieren über Kunst und deren Wirken in der Gesellschaft gehört zu den Charakteristika des „Heidelberger Frühling“. Daher sind neben viel Musik auch zahlreiche Gesprächsformate geplant, häufig mit Bezug zum diesjährigen Themenschwerpunkt. Neben den erwähnten Akademie Foren gibt es das Symposium „Dialektik der Freiheit“, zwei Lesungen in Kooperation mit dem Kulturhaus Karlstorbahnhof sowie eine gemeinsam mit SPIEGEL-Journalist Georg Dietz konzipierte Gesprächsreihe, deren Teilnehmer noch bekanntgegeben werden. Auch die mittlerweile dritte Heidelberg Music Conference am 16. und 17. April greift das Festivalthema auf. Unter dem Titel „Die Kunst ist frei – aber wie lange noch?“ geht es um das Spannungsfeld von Ökonomisierungsdruck von Künstlern, Veranstaltern, Verlagen und Distributoren auf der einen Seite und künstlerischer Freiheit auf der anderen.
Konsequent setzt der „Heidelberger Frühling“ auch seine Beschäftigung mit unkonventionellen Präsentationsformen fort. Ein Beispiel ist die „MLP Late Night Lounge“, die die ritualisierte Atmosphäre klassischer Konzerthäuser bewusst aufbricht und den Konzertbesucher überrascht: mit dem Programm, an dem Ort, zu der Zeit. Die kreative Kraft des Hybriden, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile, ist Gegenstand der Reihe „off-spring“. Sie ist eine Einladung an Künstler, Räume abseits des klassischen „Frühling“ auszuloten, vor allem auch das künstlerische Potential des „Dazwischens“, der Unschärfe an den Rändern, und ist so vielleicht Geburtsstätte einer neuen Generation von Musikerfahrung. Zu hören sind in dieser Reihe unter anderem der Jazz-Bassist Avishai Cohen mit dem Stuttgarter Kammerorchester und ein Composer Slam.
Bereits vom 22. bis zum 25. Januar findet das Streichquartettfest in Heidelberg statt. Seit über zehn Jahren schafft das kleine Festival eine Atmosphäre der konzentrierten Entschleunigung, des Miteinanders von Künstlern und Besuchern, des Eintauchens in die Beschäftigung mit der Gattung Streichquartett. Von morgens bis in die Nacht gestalten herausragende Ensembles das anspruchsvolle Programm aus Workshops, Vorträgen und Konzerten. 2015 sind drei etablierte Streichquartette zu erleben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während das JACK Quartet mit Aufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten international Beachtung findet – in Heidelberg spielen sie eine deutsche Erstaufführung von Simon Holt –, hat sich das Modigliani Quartett u. a. mit einer Einspielung der großen Quartette ihrer Landsleute Debussy, Ravel und Saint-Saëns einen Namen gemacht. Heimatbezüge stellt auch das Pavel Haas Quartett mit Smetanas „Aus meinem Leben“ her. Zu entdecken gilt darüber hinaus als junge, aber bereits hochdekorierte Ensembles das Parker Quartet aus den USA und Quatuor Van Kuijk aus Holland. Workshops mit Radiomoderator, Regisseur und Drehbuchautor Daniel Finkernagel und dem Geiger Oliver Wille setzen sich erneut mit Fragen der Gestaltung und Interpretation auseinander.
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