Nach fünfzig Jahren Quellenstudium und editorischer Detailarbeit ist es nun geschafft: Die „Neue Bach-Ausgabe“ (NBA) ist abgeschlossen. Der letzte Band der Edition wurde gestern in einem Festakt in der Leipziger Thomaskirche symbolisch an die Öffentlichkeit übergeben.
Mit dem Erscheinen des letzten Notenbandes der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke Johann Sebastian Bachs findet ein einzigartiges Editionsprojekt in diesem Jahr seinen Abschluss. Bachs musikalischer Kosmos umfasst insgesamt über 100 Bände und füllt mehr als vier Regalmeter. Zu jedem Band gehört ein Kritischer Bericht. Dazu kommen sechs Addenda-Bände, ein Supplementband und acht Dokumenten-Bände. Den größten Raum nimmt Bachs Kantatenwerk mit 41 Notenbänden ein. Es folgen die Klavier- und Lautenwerke mit zwölf und die Orgelwerke mit elf Bänden. Professor Frieder Meyer-Krahmer betont die außergewöhnliche Leistung der an der Edition beteiligten Wissenschaftler: „Wenn Musikwissenschaftler heute wissen wollen, wie die künstlerische Entwicklung des Komponisten verlief, so sind sie auf detektivischen Spürsinn angewiesen. Für die vorliegende Bach-Ausgabe analysierten die Experten Papier und Wasserzeichen und identifizierten Notenschreiber.“
Herausgeber sind das Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen und das Bach-Archiv Leipzig. Die Edition erscheint im Bärenreiter-Verlag Kassel, dessen Verleger Karl Vötterle 1950 erste Anregungen zur Ermittlung der Möglichkeiten und Ziele einer solchen Edition geliefert hatte. 1951 wurde das Johann-Sebastian-Bach-Institut Göttingen als Editionsinstitut für die NBA ins Leben gerufen und blieb bis zu seiner Auflösung 2006 federführend. Das neu gegründete Bach-Archiv Leipzig trat 1953 offiziell der NBA als Mitherausgeber bei. Wie die beiden Forschungsinstitutionen kooperierten seit 1954 der Bärenreiter-Verlag Kassel und der VEB Deutscher Verlag für Musik Leipzig (DVfM) bei der Herstellung der Edition. Nach dem Ende der deutschen Teilung und der Auflösung des DVfM wurde Bärenreiter zum alleinigen Verlag.
Von Anfang an wurde das Projekt aus öffentlichen und privaten Mitteln gefördert – mit zehn Millionen Euro vor allem aus dem Akademienprogramm des Bundes und der Länder, das von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert wird. Mit Mitteln aus dem Akademienprogramm können inzwischen 18 musikalische Gesamtausgaben editiert werden. Der Staatssekretär im Bundesforschungsministerium, Professor Frieder Meyer-Krahmer, hob die einzigartige Bedeutung des Programms hervor: „Mit einem Finanzvolumen von rund 45 Millionen Euro allein in diesem Jahr ist das Akademienprogramm eines der bedeutendsten geisteswissenschaftlichen Forschungsprogramme; es leistet einen essentiellen Beitrag zum Erhalt des deutschen Kulturguts.“ Den Anteil der Länder leisteten das Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen und (seit 1992) das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst.
Bereits 1976 hat die Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz die Göttinger Arbeitsstelle der Neuen Bach-Ausgabe zusammen mit einer Reihe von langfristigen musikwissenschaftlichen Forschungsprojekten von der Stiftung Volkswagenwerk in ihre koordinierende Betreuung übernommen. Unter maßgeblicher Beteiligung der damals in der Akademie Mainz Verantwortlichen ging das Vorhaben dann ab 1978/79 in die Förderung durch das Akademienprogramm über, und fünf Wissenschaftlerstellen wurden im Göttinger Bach-Institut geschaffen. 1992 konnte im Rahmen der Überführung von Projekten aus den neuen Bundesländern in das Akademienprogramm auch die Leipziger Arbeitsstelle im Bach-Archiv mit zwei weiteren Wissenschaftlerstellen eingerichtet werden; auch hieran war die Mainzer Akademie maßgeblich beteiligt.
Mit dem Abschluss dieses Projekts liegt das Gesamtwerk eines der wichtigsten deutschen Komponisten in einer Weise vor, die bis heute Vorbildcharakter für alle folgenden großen Musiker-Gesamtausgaben besitzt. Wissenschaft und Praxis profitieren von den bahnbrechenden Editionsmethoden der NBA. „Mit der jetzt fertig gestellten Bach-Ausgabe liegt erstmals eine verlässliche Chronologie des Werkes dieses großen Komponisten vor“, sagte Professor Frieder Meyer-Krahmer bei dem heutigen Festakt in Leipzig. Aufgrund der Aufsehen erregenden Erkenntnisse, die im Zusammenhang mit den Arbeiten an der NBA anfielen, kam der Bach-Forschung stets eine Vorreiterfunktion innerhalb des Faches zu. Wasserzeichen- und Schriftuntersuchungen wurden in der Folge – zum Teil in modifizierter Form – auch in anderen Zweigen der Forschung angewandt und bestimmten maßgeblich die Methodendiskussion in den 1960er- und 1970er-Jahren. In ihrem Ergebnis spiegelt die Neue Bach-Ausgabe als ein gesamtdeutsches Unternehmen ein beträchtliches Stück deutsch-deutscher Geschichte und Wissenschaftsgeschichte wider.
Nach Abschluss der Arbeiten schloss das Göttinger Bach-Institut zum 31. Dezember 2006 seine Tore. Wesentliche Bestände der dortigen Bibliothek und des wissenschaftlichen Nachlasses wurden dem Bach-Archiv Leipzig übertragen.
Bach-Archiv und Bärenreiter-Verlag haben eine kontinuierliche wissenschaftliche Aktualisierung und Überarbeitung älterer Bände vereinbart.
Absätze
Quelle
http://www.bach-leipzig.de