Der Dr. Otto Kasten-Preis zeichnet für 2021 gleich fünf im Lockdown entstandene Projekte herausragender jüngerer Theaterschaffender aus: vier digitale Arbeiten sowie einen analog-poetischen Austausch zwischen künstlerischem Team und Publikum.

Der Förderpreis, der seit 1985 von der Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein im Zweijahresrhythmus an Künstler:innen aller Sparten vergeben wird, ist mit insgesamt € 10.000 dotiert. Er wird für das Jahr 2021 zu gleichen Teilen an fünf Einzelkünstler:innen und Gruppen für sehr unterschiedliche Projekte verliehen: Regisseurin Sapir Heller und Dramaturgin Lena Wontorra, Regisseurin Franziska Angerer, die Performance-Gruppe pulk fiktion, die Performerin Jana Zöll sowie die Online-Inszenierung „Wir sind noch einmal davongekommen“ des Studiengangs Schauspiel der Theaterakademie August Everding.

Über die Preisträger:innen wird auf Basis von Vorschlägen aus dem Kreis der Intendant*innengruppe in Zusammenarbeit vom Präsidenten der Dr. Otto Kasten-Preis-Stiftung Dr. Carsten Brosda mit dem Vorstand der Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein entschieden. Die Preisverleihung war für Januar vorgesehen, musste jedoch pandemiebedingt verschoben werden. Es ist nun angedacht, die Feier im Juni im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Deutschen Bühnenvereins in Oldenburg nachzuholen.

„Cecils Briefwechsel“ von Regisseurin Sapir Heller und Dramaturgin Lena Wontorra entstand, nachdem die Proben zur Uraufführung „Gott Vater Einzeltäter - Operation Kleist“ von Necati Öziri am Nationaltheater Mannheim auf Grund der Pandemie unterbrochen werden mussten. Die Theaterfigur Cecil wandte sich an ihr Publikum und lud im Lockdown zum Inszenieren am (Küchen-)Tisch ein. Es entstand ein reger Austausch zwischen Theater und Publikum, der seine Spuren auch in der Bühneninszenierung hinterlassen wird.

Mit diesem Projekt wurde der Aspekt der Inszenierung auch für das Publikum zu einer sinnlichen Erfahrung. Weil das Projekt als Briefwechsel angelegt war – Cecil forderte die Adressat:innen auf, ihr zu antworten –, entstand ein im hohen Maße kommunikativer und im besten Sinne analoger, poetischer Austausch zwischen künstlerischem Team und Publikum.

Das Musiktheaterprojekt "Dichterliebe" von Regisseurin Franziska Angerer am Staatstheater Darmstadt verlegt Christian Josts Rekomposition von Robert Schumanns berühmtem Liedzyklus in den digitalen Raum und greift den assoziativen Strom der Musik in filmischen Bildern auf. In den Räumen des Theaters und in der Natur entstand gemeinsam mit acht Sänger:innen aus dem Opernensemble und neun Musiker:innen aus dem Staatsorchester eine filmische Reise, die von Isolation, Sehnsucht und dem Wunsch nach Verschmelzung erzählt.

Mit großem technischen Aufwand wird hier klassisches Musiktheater in ein neues Medium übersetzt und auf verschiedenen Ebenen inszeniert: Die Musik wird durch eine szenisch-performative Ebene angereichert und schließlich mit der Ebene der Natur verbunden. Dabei entstehen eindringliche Bilder vom Aufkeimen und Zerbrechen einer rätselhaften Liebe, geheimnisvolle Räume voll Schönheit und Schmerz.

Der „Homewalk“ der Kölner Performancegruppe pulk fiktion ist ein partizipatives Walk-Hörtheater-Format, in dem drei verschiedene Wohnungen zu einer geografischen Einheit namens Wohnanien verschmelzen. Zwei Kinder und die Reiseleiterin sind über die Kommunikations-Plattform Jitsi verbunden. Gemeinsam erleben sie so Situationen und sammeln Erfahrungen.

Das Projekt fördert einerseits Einfühlungsvermögen, Vorstellungskraft, Konzentration und Improvisationstalent und ermöglicht andererseits durch seine interaktive Natur, Kindern in der Zeit der Pandemie Begegnungen mit Freunden, die sie ggf. nicht sehen können, oder ein Kennenlernen neuer Menschen. Der „Homewalk“ wird nicht zuletzt zu einem lustvoll lebendigen Ereignis für alle Beteiligten.

Die Leipziger Performerin, Schauspielerin, Tänzerin und Autorin Jana Zöll beschäftigt sich in der interaktiven Online-Performance „ich bin“ per Zoom-Konferenz mit dem Körper, der Identität, mit Selbst- und Fremd-Zuschreibungen. Sie interessiert besonders, inwiefern unsere Neigung, Dinge und Personen in Kategorien einzuordnen, dem Wunsch nach einer offenen Gesellschaft widerspricht. „Ich bin” war der Auftakt der Spielzeitreihe „Challenge Accepted” am Theater der Jungen Welt (TDJW) Leipzig.

Die interaktive Auseinandersetzung mit dem Körper und körperlichen Einschränkungen greift mit ihren Fragestellungen rund um Geschlecht, Behinderung, Herkunft oder Sexualität Kategorien auf, die bei dem jungen Zielpublikum zentrale Bausteine der Identitätsbildung darstellen. Außerdem leistet die Performance einen in die Zukunft gerichteten wichtigen Beitrag zum Thema Barrierefreiheit.

Die Produktion des Studiengangs Schauspiel an der Theaterakademie August Everding von Thornton Wilders Stück "Wir sind noch einmal davongekommen" musste pandemiebedingt abgesagt werden. Die neue Situation verschaffte dem Stück über Katastrophen der Menschheitsgeschichte jedoch auf eine gespenstische Art und Weise eine ganz neue und eigene Aktualität. Das Projektteam der Schauspiel-Studierenden um Regisseur Marcel Kohler entschied sich für die Umsetzung des Stücks als virtuellen Theaterabend mit zwei Livestreams auf YouTube.

Die Neukonzeption der Probenprozesse im digitalen Raum forderte völlig neue Arbeits- und Denkstrukturen von allen Beteiligten, insbesondere von den neun Schauspieler*innen hinter ihren Webcams. Beeindruckend am Ergebnis sind die Form, die Ästhetik aber auch der gekonnte Umgang mit der digitalen Technik.

Dr. Otto Kasten-Preis
„Förderpreis der deutschen Intendant*innen“

Stiftungskuratorium:
Dr. Carsten Brosda (Vorsitzender)
Cathérine Miville (stellv. Vorsitzende und Geschäftsführerin)
Holger Schultze (Vorstandsmitglied)