Auch in diesem Jahr stehen die Donaueschinger Musiktage ganz im Zeichen der Suche nach neuen Präsentations- und Wahrnehmungsformen von Musik. Vorgestellt werden nicht schlechthin neue Kompositionen, die wie üblich eigens für das Festival vom Südwestrundfunk in Auftrag gegeben wurden, sondern grundlegend neue Konzepte zur Wiedergabe und Rezeption von zeitgenössischer Musik. Im konzeptionellen Mittelpunkt des Festivals steht einmal mehr die Frage, was Musik heute ist oder noch sein kann, selbstverständlich mit dem immer erneuten Versuch, das Staunen bei uns Hörern zu beflügeln. Einmal mehr ist dieses weltoffene Festival aktueller Kunstmusik damit ein Treffpunkt von Künstlern aus vielen Nationen. Allein 23 Komponisten aus 12 Nationen haben sich auf den Weg gemacht, um neue Ideen in diesen Findungsprozess einzubringen. Hinzu kommen noch solch herausragende Interpretenformationen wie das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, das Arditti Quartet aus London, das Schönberg Ensemble aus Amsterdam, das Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche. Mithin musikalische Spitzenklasse auf engsten Raum, fokussiert auf ein Wochenende vom 20. bis 22. Oktober 2006.
Konzerte, Performances und Installationen sind die Pole, zwischen denen sich die musikalischen Angebote bewegen. Ein besonderes Ereignis verspricht die Eröffnungsperformance am Freitag, 20. Oktober um 17.30 Uhr zu werden. Der amerikanische Künstler Alvin Curran hat für sein Werk "Oh Brass on the Grass Alas" 350 Laien-Blasmusiker eingeladen, um auf einem großen freien Feld vor der Erich Kästner-Halle das Verhältnis von Klang und Bewegung, Ferne und Nähe, Vordergrund und Hintergrund sowie unterschiedliche Kommunikationsmodelle auszuloten. Seine überdimensionale Blasmusikkomposition, bei der das Publikum in der Halle sitzen wird, während die Musiker im Freien agieren, zielt auf Auge und Ohr und ist wie eine große Theaterinszenierung zu verstehen.
Neue Konzepte suchen die Donaueschinger Musiktage seit einigen Jahren im Bereich zwischen Konzert und Installation. Dieser Weg wird in diesem Jahr in qualitativ neuer Form fortgesetzt. Waren es bislang kammermusikalische Besetzungen, die für diese Präsentationsform in Frage kamen, die wir in Ermangelung eines besseren Wortes einstweilen "Konzert-Installationen" nennen, so hat der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas mit seinem Entwurf "Lichtmusik" das Prinzip erstmals auf das Orchester übertragen. Ergänzt wird die klangliche Seite durch eine riesige Lichtinstallation der Stuttgarter Künstlerin rosalie. Versuche, Musik und Bildende Kunst miteinander zu verzahnen, hat es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gegeben. Gerade wenn es um die Verbindung von Licht und Musik geht, bediente man sich auf der Suche nach dem integralen Kunstwerk dabei immer wieder synästhetischer Mittel. Das vorliegende Konzept sieht hingegen eine bislang einzigartige Klang-Licht-Kombination vor, die über das rein Synästhetische hinausgeht. Klang und Licht werden hier als gleichwertige, quasi kontrapunktische Elemente den Wahrnehmungsakt bestimmen.
Einzigartig ist zudem die technische Realisierung. Der gesamte Veranstaltungsort wird von einem ca. zwei Meter hohen Lichtband umgeben sein, so dass das Publikum inmitten des Lichtes sitzt. Hierfür kommen ca. 3.500 LED-Bausteine und Plastikeimer als Lichtgefäße zum Einsatz, deren Lichtbewegung über einen Computer gesteuert werden. Diese LED-Bausteine ermöglichen einen kontinuierlichen Lichtfluss zwischen den unterschiedlichen Farbtönen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die Kombination mit der Musik von Georg Friedrich Haas, deren Qualität von kontinuierlichen Klangbändern dominiert wird. Das installative Moment wird auch von der Musik geprägt. Während das Orchester um das Publikum herum sitzt, wird sich dieses frei im Raum bewegen können. Feste Stuhlreihen wird es nicht geben. Damit handelt es sich bei diesem Entwurf um das erste Installations-Konzert, das für ein Sinfonieorchester entworfen wurde. Jeder einzelne Gast hat damit die Möglichkeit, seine ganz individuelle Perspektive auf das Licht/Klang-Ereignis zu suchen. Darbietungsraum und Wahrnehmungsraum fließen auf diese Weise nahtlos ineinander.
Die Donaueschinger Musiktage sind traditionell aber immer auch ein Autorenfestival. Ganz besonderes Augenmerk der Öffentlichkeit liegt in diesem Jahr auf der Wiederkehr einiger Altmeister wie Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm und Brian Ferneyhough nach Donaueschingen. Während Mauricio Kagel sich für ein heiteres Ensemblestück entschied, das er nicht zufällig "Farce für Ensemble" überschrieb, komponierte Wolfgang Rihm ein neues Stück für Streichquartett und Stimme, dessen Texte er bei dem englischen Dichter, Maler und Graphiker William Blake entlieh. Von Brian Ferneyhough wird das in der Szene seit langem erwartete neue Orchesterstück "Plötzlichkeit" zu hören sein.
Donaueschingen wäre nicht Donaueschingen, wenn nicht auch weniger bekanntere Nachwuchsautoren ihr Podium bekämen. In diesem Jahr sind Richard Ayres aus England/Niederlanden, Ole-Henrik Moe aus Norwegen, Saed Haddad aus Jordanien, Alberto Posadas aus Spanien, Dmitri Kourliandski aus Russland und Kirsten Reese aus Deutschland zu nennen. Weiterhin werden Werke von Nicolaus Richter de Vroe, Adriana Hölzsky, Julio Estrada, Robin de Raaff, Jörg Widmann und Manfred Stahnke zu hören sein.
Einen ganz besonderen Interpretenschwerpunkt bietet das Konzert am Sonntag, 22. Oktober 2006 um 12.00 Uhr in der Stadtkirche St. Johann: die Koinzidenz zweier Weltklasse-Ensembles, deren ursprüngliche Funktionen nicht vereinbar scheinen. Das eine Ensemble beschäftigt sich vornehmlich mit Musik des Barock und der Klassik und das andere stellt sich den Anforderungen der Musik der Zeit. In Donaueschingen machen sich das Freiburger Barockorchester und das ensemble recherche jedoch auf den Weg, um nach Gemeinsamkeiten zu suchen, die über das rein kompositions- und interpretationstechnische hinausgehen. Wie könnte eine Musik klingen, für solch eine Stimmung, Spielpraxis, für solch ein Selbstverständnis, Ausdrucksvermögen und solch eine Zielsetzung diametral entgegengesetzter Ensembles? Das ist die Herausforderung der sich Martin Smolka aus Tschechien, Wolfgang Mitterer aus Österreich und Chris Newman aus England gestellt haben. Sie werden zu drei sehr unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.
Im Bereich der Klangkunst stellt das Festival in diesem Jahr Hans Peter Kuhn in den Mittelpunkt. Der Berliner Klangkünstler und Komponist stellt gleich drei Arbeiten vor, die abgestimmt auf den Marstall, das Fischhaus im Schlosspark und das Gewölbe der F.F. Bibliothek neue Dimensionen des Sehens und Lauschens erforschen.
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