Das Jahrbuch der Zeitschrift «Opernwelt» 2017 ist erschienen. 50 KritikerInnen wählen darin die Höhepunkte der Saison:
Der Titel OPERNHAUS DES JAHRES geht in diesem Jahr erstmals nach Frankreich: an die Opéra de Lyon. Das ergab die Umfrage der Zeitschrift «Opernwelt» unter fünfzig unabhängigen Musikkritikerinnen und Musikkritikern in Europa und den USA. Gewürdigt wird ein Haus, das unter der Leitung des Intendanten Serge Dorny international Aufsehen erregt – mit einer klugen, experimentierfreudigen Programmpolitik, durch konstant hohe künstlerische Qualität sowie eine Kommunikationskultur, die tief in die Stadt und Region ausstrahlt und nicht zuletzt die jungen Generationen erreicht.
SÄNGERIN DES JAHRES ist Anja Harteros. Die Sopranistin erhielt den Titel – zum zweiten Mal nach 2009 – für ihre faszinierenden Charakterporträts der Maddalena in Umberto Giordanos «Andrea Chénier» und der Elisabeth in Richard Wagners «Tannhäuser» an der Bayerischen Staatsoper München sowie ihre Sieglinde in der Salzburger «Walküre».
SÄNGER DES JAHRES ist Matthias Klink. Der Stuttgarter Tenor machte vor allem als vokal wie spielerisch unvergleichlicher Aschenbach in Benjamin Brittens «Death in Venice» an der Oper Stuttgart Furore. Gefeiert wurde auch sein genial versponnener Alwa in Alban Bergs «Lulu» an der Hamburgischen Staatsoper. Auch der Titel NACHWUCHSKÜNSTLER DES JAHRES geht nach Stuttgart – an den jungen Choreografen Demis Volpi, der «Death in Venice» mit großer Sensibilität als melancholisch-erotische Weltabschiedselegie inszenierte. Ebenfalls aus Stuttgart kommt – zum siebten Mal seit 2002 – der CHOR DES JAHRES.
Als URAUFFÜHRUNG DES JAHRES schnitt das experimentelle Musiktheater «Infinite now» der israelischen Komponistin Chaya Czernowin ab – eine Koproduktion der Opera Vlaanderen (Antwerpen/Gent) und des Nationaltheaters Mannheim. Gewürdigt wird damit ein radikal entschleunigtes Werk, das in ungeahnte, unbekannte Grenzbereiche des Sprachlichen und Klanglichen vordringt.
Zum ORCHESTER DES JAHRES wählten die Kritikerinnen und Kritiker – bereits zum vierten Mal in Folge – das Bayerische Staatsorchester, das unter Chefdirigent Kirill Petrenko sein veritables Spielniveau kontinuierlich steigern konnte.
DIRIGENT DES JAHRES ist Hartmut Haenchen. Er erhielt die Auszeichnung für seine quellenkritische «Parsifal »-Durchleuchtung bei den Bayreuther Festspielen, für atemraubende «Elektra»- und «Tristan»-Exegesen beim Festival Memoires in Lyon sowie für sein vital-elektrisierendes «Così fan tutte»-Dirigat in Genf.
Die meisten Voten für die AUFFÜHRUNG DES JAHRES entfielen auf Alban Bergs «Lulu» an der Hamburgischen Staatsoper in der Regie von Christoph Marthaler, der Ausstattung von Anna Viebrock und unter der musikalischen Leitung von Kent Nagano; die Titelpartie verkörperte Barbara Hannigan. Überzeugt hat die Produktion nicht zuletzt mit einer Neudeutung des dritten Akts unter Verwendung von Bergs Violinkonzert «Dem Andenken eines Engels».
In der Kategorie REGISSEUR DES JAHRES entfiel die Mehrzahl der Stimmen auf Dmitri Tcherniakov, der in der «Opernwelt»-Umfrage 2012 bereits «Bühnenbildner des Jahres» war. Der russische Regisseur wurde vor allem für seine kühne Sicht auf Georges Bizets «Carmen» beim Festival in Aix-en-Provence gewürdigt.
Zum BÜHNENBILDNER DES JAHRES kürten die Kritikerinnen und Kritiker Romeo Castellucci –für den hermetisch-leeren Raum in Arthur Honeggers «Jeanne d’ Arc au bûcher» an der Opéra de Lyon und für seine «Tannhäuser»-Installationen an der Bayerischen Staatsoper München, in denen sich Archaik und multimediale Beweglichkeit ergänzen. KOSTÜMBILDNER DES JAHRES wurde Gianluca Falaschi. Die Auszeichnung brachten ihm seine fantasievollen, knallend karikaturesken Kostüme für Händels «Alcina» am Theater Basel sowie für Glucks «Armide» am Staatstheater Mainz ein.
Als WIEDERENTDECKUNG DES JAHRES liegt das Plädoyer des Landestheaters Linz für Paul Hindemiths Kepler-Oper «Die Harmonie der Welt» knapp vorn. Mit mehreren Voten gewürdigt wurden zudem das Triptychon «Der Diktator», «Schwergewicht oder die Ehre der Nation» und «Das Geheime Königreich» von Ernst Krenek an der Oper Frankfurt, Niccolò Zingarellis «Giuletta e Romeo» in Schwetzingen (Theater Heidelberg), Antonio Salieris «Falstaff« am Theater an der Wien sowie Franco Faccios «Amleto» bei den Bregenzer Festspielen.
In der Kategorie ÄRGERNIS DES JAHRES entfielen die meisten Voten diesmal auf einzelne Regiearbeiten. Das Unbehagen entzündete sich an der Berufung handwerklich unerfahrener big names, postdramatischer Deutungsverweigerung, effekthascherisch-hohlem Übereifer oder prätentiösen Aktualisierungsbemühungen.
Das BUCH DES JAHRES verfasste Michael Walter mit seiner Studie «Oper. Geschichte einer Institution» (Verlag Metzler/Bärenreiter). Die CD DES JAHRES hat Diana Damrau mit dem Orchestre de l’Opéra National de Lyon unter Emmanuel Villaume aufgenommen: «Meyerbeer: Grand Opéra» (Erato).