Der Vorstand des Deutschen Kulturrates (Prof. Dr. Max Fuchs, Christian Höppner, Dr. Georg Ruppelt) hat sich für seine neue Wahlperiode (2009 bis 2011) ein Arbeitsprogramm gegeben, in dem er ausgehend von den aktuellen kulturpolitischen Herausforderungen fünf Handlungsschwerpunkte skizziert, auf die er in den kommenden zwei Jahren seine Aufmerksamkeit verstärkt richten wird.
Zur Situation
Kulturpolitik ist keine gesellschaftliche Oase, sondern vielfältig mit Entwicklungen in der Gesellschaft verbunden. Zum einen will sie gestaltend in die Gesellschaft hineinwirken (Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik). Zum anderen werden gesellschaftliche (also soziale, ökonomische, politische und natürlich vor allem kulturelle) Entwicklungen in besonderer Weise für sie relevant. Kulturpolitik hat viele Akteure. Insbesondere spielt die (organisierte) Zivilgesellschaft, die einen hohen Prozentsatz des kulturellen Lebens in Deutschland erfasst, neben dem Staat als Akteur eine wichtige Rolle. Kulturpolitik ist nicht nur Aufgabe des Staates, sondern auch entschieden Aufgabe gesellschaftlicher Akteure (Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe).
Gerade angesichts dramatisch zu nennender Entwicklungen – und hiermit sind nicht nur die ökonomischen Entwicklungen gemeint – werden alle Akteure in den nächsten Jahren auf eine harte Probe gestellt. Denn wir haben es zur Zeit mit einer Umbruchphase zu tun, die bereits jetzt zu einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Staat und Markt in der Wirtschaftspolitik geführt hat. Es gibt – parallel zu diesen ökonomischen Entwicklungen – außerdem im kulturellen Leben selbst gravierende Umbrüche, die alle relevanten kulturpolitischen Handlungsfelder (demographischer Wandel, Medienentwicklung, multiethnische Gesellschaft etc.) berühren und verbinden. Eine zentrale Herausforderung ist dabei die unter dem Stichwort „Digitalisierung“ zusammenzufassende Entwicklung, die bei weitem nicht nur die Medienpolitik i.e.S. berührt: Es werden ganz grundsätzlich Fragen des kulturellen Lebens (von rechtlichen Regelungen bis zu Formen des Zusammenlebens) davon erfasst. Alle diese Fragen werden in der UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt systematisch erfasst, so dass es sinnvoll ist, die Umsetzung dieser Konvention – quasi als organisierendes Prinzip – in den Mittelpunkt der Tätigkeit zu stellen. Der Vorstand des Deutschen Kulturrates hat daher für seine Tätigkeit Schwerpunktthemen ausgewählt, wobei die satzungsgemäßen Kernaufgaben (Erhaltung und Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Kultur und die darin beschäftigten Menschen) weiterhin im Mittelpunkt stehen.
In besonderer Weise geht es zur Zeit um die Sicherung der kulturellen Infrastruktur.
Allzu leicht und allzu oft spricht man – auch in der Kulturpolitik – von Krisen und Herausforderung. In der Tat erfordert es eine ständige Intervention, wenn die finanziellen und personellen Grundlagen des kulturellen Lebens in Deutschland erhalten oder vielleicht sogar weiterentwickelt werden sollen. Eine Gefahr dieser häufigen Krisenrhetorik besteht allerdings darin, dass bei gefährlichen Krisen und äußerst bedrohlichen Perspektiven die geeigneten Worte fehlen.
Es ist fast sicher, dass es in naher Zukunft zu einer solchen krisenhaften Entwicklung kommen könnte. Denn die derzeitigen Rettungsversuche des Staates, das Bankensystem und darüber hinaus die „Realwirtschaft“ nicht weiter in die (jetzt schon) größte Krise der Nachkriegszeit abrutschen zu lassen, kostet sehr viel Geld, das nicht vorhanden ist. Es werden Konjunkturprogramme finanziert, es werden Bürgschaften in astronomischer Höhe übernommen, deren Finanzierung völlig unklar ist.
Spätestens nach der Bundestagswahl, voraussichtlich bei dem Koalitionsvertrag (gleichgültig, welche Parteien die Regierung stellen) werden wir erfahren, mit welchen drastischen Sparmaßnahmen wir zu rechnen haben. Es steht dabei jetzt schon fest, dass die öffentlichen Kulturausgaben die Begehrlichkeiten auf sich ziehen werden. Dies liegt u.a. daran, dass nur ein sehr kleiner Teil dieser öffentlichen Ausgaben auf allen Ebenen unseres Gemeinwesens eine stabile gesetzlich Absicherung hat. Gleichzeitig bricht auch die Finanzierungsmöglichkeit privater Kulturförderer, etwa der Stiftungen und Unternehmen, zusammen. Zudem werden bewährte Systeme der sozialen Sicherung von Künstlern (wie die Künstlersozialkasse) bedroht.
Dies ist daher die dringlichste Aufgabe des Deutschen Kulturrates und seiner Gremien und damit natürlich auch des Vorstandes: Möglichkeiten zu finden und zu nutzen, massive Eingriffe in die kulturelle Infrastruktur in Deutschland zu verhindern.
Handlungsschwerpunkte
- Ein wichtiger Schritt wird darin bestehen, die bereits jetzt erkennbaren Ansätze für eine gesetzliche Absicherung von Kultur- (und Bildungs-)ausgaben zu forcieren und in konkrete Handlungsvorschläge an Regierungen und Parlamente umzusetzen. Der Vorstand schlägt vor, eine bereits geplante Arbeitsgruppe in einen formellen Fachausschuss „Gesetzliche Absicherung“ umzuwandeln und hierbei wichtige Akteure einzubinden (kommunale Spitzenverbände, Länder, Bundesebene).
- Gleichzeitig muss ausgelotet werden, ob bereits vorhandene rechtliche Regelungen ausreichend genutzt werden. Dies betrifft u. a. die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt als neues völkerrechtliches Instrument, das auch Verpflichtungen für die beteiligten Staaten formuliert. Dieses neue Instrument hat bislang noch gar keine Wirkung in der Praxis entfaltet. Der Deutsche Kulturrat steht in der Verantwortung, als die zentrale zivilgesellschaftliche Organisation in der Kulturpolitik auf Bundesebene einen deutlichen Beitrag zur Entwicklung und Implementierung brauchbarer politischer Instrumente zu leisten.
- Quer zu allen Arbeitsfeldern liegt die eingangs unter dem Label „Digitalisierung“ angesprochene Entwicklung. Diese betrifft sowohl grundsätzliche Fragen des Urheberrechts. Sie betrifft aber auch die unterschiedlichsten Dimensionen des Umgangs der Menschen mit sich, mit anderen und mit kulturellen Traditionen. U. a. sind folgende Fragen relevant: Welche Rolle werden Zeitungen und Bücher in der Zukunft spielen? Wie wird das Internet die Kommunikationskulturen in Zukunft weiter verändern? Welcher Wandel wird in Hinblick auf individuelle Freiheits- und Schutzrechte (was ist „privat“, was ist „öffentlich“?) stattfinden? Der Vorstand wird geeignete Initiativen anregen, die dazu dienen, die Komplexität dieser Entwicklung in ihren Auswirkungen auf die verschiedenen Dimensionen zu erfassen.
- Die neue kulturpolitische Bedeutung der EU ist spätestens seit der entsprechenden „Mitteilung“ und dem Beschluss der Kulturminister im Jahre 2007 für jeden sichtbar geworden. Der Vorstand muss sich dafür einsetzen, dass der Deutsche Kulturrat in den nunmehr entwickelten Organen im Rahmen der Umsetzung der „Methode der offenen Koordinierung“ seinen Sachverstand einbringen kann.
- Neben der Gestaltung von Rahmenbedingungen, die im wesentlichen in den Fachausschüssen begleitet und weiterentwickelt wird, darf die inhaltliche Begründung für dies geforderte finanzielle Engagement der öffentlichen Hand und der anderen Akteure nicht vernachlässigt werden. Gerade in Zeiten einer Wirtschaftskrise entsteht bei den Menschen ein erhöhter Bedarf an Orientierungen und Reflexionsmöglichkeit, weil vorhandene Werte und Ordnungsvorstellungen plötzlich zur Disposition stehen. Der Vorstand wird diesen inhaltlichen Aspekt der Tätigkeit des Deutschen Kulturrates – etwa im Bereich der kulturellen Bildung, aber auch in Hinblick auf den kulturellen Wandel in der Gesellschaft – im Blick behalten und entsprechende Argumentationen und Analysen zur Diskussion stellen.