Mit der Anhörung Kultur endete am 02.06.2006 die größte Anhörung des Deutschen Bundestags seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Beispiellos im Vergleich zu den bisherigen Verfassungsänderungen wurde in insgesamt acht gemeinsamen Anhörungen des Deutschen Bundestags und des Bundesrats ausgelotet, welche Auswirkungen die geplante Föderalismusreform auf die Handlungsfähigkeit des Bundes, der Länder und auf die Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger haben wird.

Von der ersten Anhörung am 15.05.2006 bis zur letzten am 02.06.2006 wurde immer wieder intensiv über die geplante Veränderung in der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union (Art. 23, Abs. 6 Grundgesetz neu) und über die Finanzhilfen des Bundes an die Länder (Art. 104b Grundgesetz neu) debattiert.

Der Deutsche Kulturrat ist erfreut, dass die von ihm vorgetragenen Bedenken gegenüber dem geplanten Kooperationsverbot von Bund und Ländern sowie der Außenvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Fragen von Kultur, Schule und Rundfunk gegenüber der Europäischen Union von den angehörten Verfassungsjuristen und Verbandsvertretern geteilt wurde. Der Deutsche Kulturrat wurde in seiner Position zur Föderalismusreform damit bestätigt.

Der Deutsche Kulturrat hofft, dass die klaren ablehnenden Worte, die auch von ehemaligen Verantwortungsträgern aus den Ländern wie z.B. dem ehemaligen niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst Johann-Tönjes Cassens gegenüber der geplanten Reform in den genannten Punkten gefunden wurden, bei den anstehenden Beratungen in den zuständigen Ausschüssen des Deutschen Bundestags und des Bundesrats genau geprüft werden.

Der Vorsitzende des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates Minister Dr. Ralf Stegner, der im Wechsel mit dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses des Bundesrats Andreas Schmidt, MdB, die Sitzungen leitete, sagte zum Abschluss der Anhörungen am 02.06.2006, dass die mündlichen und schriftlichen Statements der Expertinnen und Experten ernsthaft erwogen werden müssten. Dieses gebiete bereits der Respekt vor dieser Anhörung.

Keine ausführliche Diskussion erfolgte in der Anhörung zum Kulturbereich am 02.06.2006 zur Verankerung von Berlin als Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland und der Klarstellung, dass die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt Aufgabe des Bundes ist. Die angehörten Experten waren sich einig, dass es sich hierbei um eine Selbstverständlichkeit handelt. Als ebenso selbstverständlich wurde angesehen, dass die Repräsentation des Gesamtstaats vor allem im kulturellen Bereich erfolgt. Kultur ist ein einendes Element des Gesamtstaates und hat in Deutschland den angehörten Experten zufolge auf Grund der verspäteten Gründung des Nationalstaats eine herausragende Bedeutung. Prof. Dr. Hans Meyer (Humbold-Universität Berlin) erinnerte an Deutschland als Kulturnation.

Große Einigkeit herrschte ebenfalls mit Blick auf die Zuweisung des Schutzes deutschen Kulturgutes vor der Abwanderung in das Ausland an den Bund. Hier findet ein Wechsel von einer Rahmengesetzgebung in eine ausschließliche Gesetzgebung des Bundes statt. Dieses wurde allgemein als sinnvoll erachtet.

Die geplante Veränderung zur Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union wurde bereits in der ersten allgemeinen Anhörung am 15.05. und 16.05.2006 behandelt. Von den anwesenden Experten wurde begrüßt, dass der Bund künftig in fast allen Fällen unstreitig die Vertretung gegenüber der Europäischen Union wahrnimmt. Dieses gilt selbstverständlich auch für die Bereiche, in denen die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz an die Länder abgegeben wurde. Diese Klarstellung mache Deutschland, so die Expertenmeinung, innerhalb der Europäischen Union handlungsfähiger. Unterschiedlich wurden die Auswirkungen auf den Kulturbereich eingeschätzt. Die einen vertraten die Meinung, dass die für den Kulturbereich vorgesehene Regelung, dass die Vertretung im EU-Kulturministerrat durch einen Ländervertreter erfolgen muss, wenn ausschließliche Gesetzgebungskompetenzen der Länder angesprochen werden, ins Leere läuft, da die Länder keine ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse im Kulturbereich haben. Andere eher länderfreundliche Stimmen, wie die des Vorsitzenden des Deutschen Kulturrates Prof. Dr. Max Fuchs, machten deutlich, dass die Länder sehr wohl sehr eng umgrenzte Gesetzgebungskompetenzen haben, die es im Zweifel erforderlich machen könnten, dass innerhalb einer Sitzung die Vertretung der Bundesrepublik Deutschland wechseln müsse. Dieses könnte zu erheblichen Irritationen führen und würde eine stringente Verhandlungsführung unmöglich machen. Von der Mehrzahl der Angehörten wurde daher Neuregelung als verfehlt erachtet. Das Grundgesetz wird hierdurch nicht europatauglicher.

Ebenso wurden die geplanten Änderungen zu den Finanzhilfen des Bundes als verfehlt angesehen. Ganz besonders in der Anhörung zu bildungspolitischen Fragen am 29.05.2006 wurde scharf kritisiert, dass der Bund künftig kaum mehr Mittel für bildungspolitische Maßnahmen ausgeben darf. Der Verfassungsjurist Prof. Dr. Hans-Peter Schneider (Deutsches Institut für Föderalismusforschung) bezeichnete das geplante Kooperationsverbot von Bund und Ländern in Bildungsfragen als „deutschen Sonderweg“. In anderen auch stark föderal organisierten Staaten wie z.B. Kanada oder den USA ist es selbstverständlich, dass der Bund für Bildungsaufgaben Mittel bereit stellt. Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrates Prof. Dr. Max Fuchs unterstrich in der Anhörung Kultur, dass sowohl mit Blick auf die Modellvorhaben im Bereich der kulturellen Bildung, das Ganztagsschulprogramm als auch die künstlerischen Wettbewerbe sich die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bewährt hat. Er machte deutlich, dass es nicht darum gehen kann, Bund und Länder gegeneinander auszuspielen, sondern vielmehr darum die Bildung und speziell die kulturelle Bildung zu stärken.

Der Verfassungsjurist Prof. Dr. Rupert Scholz vertrat in der Anhörung die Auffassung, dass es die „Kulturhoheit der Länder“ nicht gibt. Eine solche Zuweisung ist dem Grundgesetz eigentlich fremd und wurde erst später im Zuge des Bedeutungsverlusts der Länder durch den europäischen Einigungsprozess eingeführt. Seines Erachtens sollte viel stärker auf die unterschiedlichen Aufgaben von Bund und Ländern in der Kulturpolitik abgehoben werden. Dabei besteht die Kulturpolitik der Länder seines Erachtens vor allem aus exekutiven Aufgaben und die des Bundes aus legislativen.

Der Vorsitzende des Deutschen Kulturrates, Prof. Dr. Max Fuchs, sagte nach der Anhörung: „Es muss endlich aufgeräumt werden mit dem Märchen, dass wer für die Kulturpolitik des Bundes eintritt sich gegen die so genannte Kulturhoheit der Länder ausspricht und für einen Zentralismus stark macht. Wer dieses behauptet, verkennt die Realität. Unbestritten sind es vor allem die Kommunen und dann die Länder, die den größten Teil der Kulturfinanzierung übernehmen. Ebenso unbestritten hat der Bund die Verantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen im Urheberrecht, im Steuerrecht, im Arbeits- und Sozialrecht und anderem mehr. Und ebenso unstreitig hat sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte ein kooperativer Kulturföderalismus etabliert, der dem gesamten kulturellen Leben zu Gute kommt. Wenn diese bewährte Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Kulturbereich nunmehr aufgegeben oder zumindest erschwert werden soll, werden die Leidtragenden die Kultureinrichtungen vor Ort und die Künstlerinnen und Künstler sein. Sie werden es ausbaden müssen, wenn der Bund sich aus Förderungen zurückziehen muss oder keine neuen mehr übernehmen kann. Und sie werden es zu spüren bekommen, wenn eine effektive Vertretung der deutschen Interessen auf europäischen Ebene nicht mehr möglich sein wird. Bei der anstehenden Föderalismusreform geht es um mehr als um Schlagworte wie die Eigenstaatlichkeit der Länder oder deren Kulturhoheit. Es muss vielmehr darum gehen, wie in einer komplexen globalisierten Welt deutsche Interessen am besten vertreten werden und wie Bund und Länder gesellschaftliche Aufgaben übernehmen können. Die geplante Föderalismusreform lässt diese Zukunftsvisionen bislang vermissen.“

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