Beinahe wirkt es so, als sei die Zeit der endlosen Clubnächte, ausgelassenen Open-Airs, Konzerte und Festivals, die wir seit mehr als zwei Jahren vermisst haben, endlich zurückgekehrt. Ein Blick hinter die Kulissen allerdings macht deutlich, die Situation der Berliner Clubszene ist so unsicher, wie schon lange nicht mehr. Während die gesamte Veranstaltungsbranche noch mit Nachwirkungen der vergangenen Lockdowns zu kämpfen hat, rückt der Herbst mit besorgniserregenden Corona-Prognosen immer näher. Die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes sowie fehlende Förderungen und Hilfen stellen die gesamte Branche vor enorme Herausforderungen.

Es gibt sie wieder, die langen Schlangen vor den Clubs, die ausverkauften Konzerte und Festivals. Sie stellen allerdings die Ausnahme dar. Vermehrt berichten Betreiber:innen und Veranstalter:innen von Konzerten, Clubnächten und Festivals, dass sie nur einen Bruchteil ihrer Tickets verkaufen können. Speziell die Live-Musikbranche ist von abgesagten Tourneen, fehlendem Publikum, enormen finanziellen Einbußen und der Bedrohung ihrer Existenz betroffen. Die Realität der Clubkultur verdeutlicht, die Kulturlandschaft wird noch Jahre brauchen, bevor sie zum Normalbetrieb zurückkehren kann. Gerade die weniger kommerzielle, lokal verwurzelte und Community-orientierte Kultur hat zunehmend Schwierigkeiten, sich zu behaupten.

Im Rahmen der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, das am 23. September verabschiedet und ab dem 1. Oktober 2022 in Kraft treten soll, steht die (Club-)Kultur abermals vor enormen Herausforderungen. Nachvollziehbar ist aus Sicht der Clubcommission bei drohender Überlastung der Intensivstationen eine Wiedereinführung der Testpflicht, sofern diese erneut kostenfrei angeboten werden. Die vorgesehene Maskenpflicht in den Innenbereichen von Clubs und Musikspielstätten lässt sich jedoch nicht umsetzen. Ähnlich wie das Ende 2021 in Berlin verhängte Tanzverbot hätte dies die zwangsläufige Schließung dieser Orte auch ohne behördliche Anordnung zur Folge.

Dabei muss aus Sicht der Clubcommission unbedingt berücksichtigt werden, dass jede Beschränkung – auch die Antigen-Testpflicht – zu Besucher:innenrückgängen und damit zu existenzgefährdenden finanziellen Einbußen führt. Bislang wurden seitens der Politik jedoch keine Konzepte zu Überbrückungshilfen und Kurzarbeitergeld bekannt gegeben. Werden diese nicht mitgedacht, lässt sich im nun dritten Corona-Herbst/Winter ein Ausmaß an Verlusten prognostizieren, welches das der vorigen zwei Jahre übertreffen könnte. Davon bedroht sind insbesondere weniger kommerzialisierte Orte, Bühnen für Nachwuchs und soziale Räume, die einen wichtigen Beitrag zum kulturellen Leben und gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten.

Ohnehin steht die Berliner Clubkultur vor zahlreichen Herausforderungen: wegen der Beeinträchtigung globaler Lieferketten, der Nichtverfügbarkeit von Waren, der Inflation, der massiv gestiegenen Energiekosten, aufgrund offener Kredite aber vor allem wegen des andauernden Personalmangels. Viele langjährige Mitarbeitende haben das Vertrauen in die Veranstaltungsbranche als zuverlässige Arbeitgeberin verloren und sind in andere Berufsfelder abgewandert. Dass zusätzlich der ökonomische Druck vor allem in Großstädten wie Berlin weiter zunimmt, führt zu Kostensteigerungen, die unweigerlich ans Publikum in Form höherer Eintritts- und Getränkepreise weitergegeben werden müssen. Vor allem Besucher:innen mit geringem Einkommen sind davon betroffen. Dies gefährdet wiederum die Grundwerte einer unabhängigen und inklusiven Berliner Clubkultur.

Wie auch das Clubkombinat Hamburg in einem umfangreichen Lagebericht aufführt, haben sich Clubbetreiber:innen in Hinblick auf die Coronapandemie nicht nur kooperativ, sondern präventiv verhalten. Um die Existenz der Branche sichern zu können, bedarf es der Planungssicherheit und einer klaren Kommunikation bezüglich Hilfsprogrammen im Vorfeld, die von der Politik bis jetzt vollkommen unbeachtet geblieben sind. Alternative Lösungsansätze müssen diskutiert und die Bedeutung der (Club-)Kultur für unsere Gesellschaft und für ein demokratisches Zusammenleben erkannt werden. Zumindest auf der Berliner Landesebene setzt die Clubcommission Hoffnungen in die Entscheidungsträger:innen, dass die Umsetzung des geplanten Infektionsschutzgesetzes mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und Besonderheiten der Berliner Clubkultur erfolgt.


Pamela Schobeß, 1. Vorsitzende der Clubcommission:
“Sollte das Infektionsschutzgesetz zum Oktober in der geplanten Form in Kraft treten, wird die Lage für Clubs und Musikspielstätten bundesweit noch dramatischer, als sie es jetzt schon ist. Hinzu kommt, dass die Veranstaltungsbranche in besonders schweren Zeiten der letzten zwei Jahre nur aufgrund von Förderungen und Hilfsprogrammen überleben konnte. Dass für die kommenden Monate keine Förderungen geplant sind, gefährdet die Existenz vieler Clubs und Musikspielstätten.”

Lutz Leichsenring, Pressesprecher der Clubcommission:
“Wie vor jeder nahenden Corona-Welle können wir uns jetzt nur wiederholen: Clubkultur funktioniert nur ohne Maske und Abstand. Dennoch: Sichere Veranstaltungen sind auch in Zeiten möglich, in denen sich viele Menschen mit Covid infizieren. Das beweisen zahlreiche Modellprojekte, wissenschaftliche Studien und präzise sowie kostengünstige Testkonzepte. Genau auf diese Erfahrungen sollte nun gesetzt werden, um nicht im Herbst und Winter erneut die gesamte Veranstaltungsbranche stillzulegen.”