Der Deutsche Musikrat gründete im August 2021 mit einem Auftaktkonzert in der Philharmonie Berlin sein drittes Jugendensemble zur Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses: den Bundesjugendchor. 50 exzellente junge Chorsängerinnen und -sänger erarbeiten in mehreren Arbeitsphasen im Jahr Konzertprogramme mit Werken von der Renaissance bis in die Gegenwart. Der Bundesjugendchor steht jungen Sängerinnen und Sängern im Alter von 18 bis 26 Jahren offen. Für die kontinuierliche gesangspädagogische Arbeit an einem homogenen, charakteristischen Klang des Bundesjugendchores ist Anne Kohler als künstlerische Leiterin verantwortlich. Stimmbildung erhalten die Teilnehmenden von renommierten und erfahrenen Sängerinnen und Sängern – etwa von Sibylla Rubens und Thilo Dahlmann.
2022 steht die künstlerisch-programmatische Arbeit des Bundesjugendchores unter dem übergeordneten Thema „Mensch & Wald“. Im Verlauf der Musikgeschichte ist der Wald in unzähligen Werken präsent – als Schauplatz von Mythen, als verklärt-romantisches Sinnbild klingender Natur oder gar als Elektro-Pop konkreter Sounds von knackenden Ästen und surrenden Insekten.
Der Bundesjugendchor streift 2022 musikalisch durch das Unterholz und nähert sich mit seinem Konzertprogramm der Beziehung des Menschen zum Wald und zur Natur: Ein Sehnsuchtsort der Stille, ein geheimnisvoller Ort des Schreckens bewohnt von furchteinflößenden Fabelwesen, ein Ort, der den Menschen nährt, ein Ort der Jagd und der Gefahren, ein Ort der Magie versprühen lässt mit Wölfen, tanzenden Bären, singenden Steinen und klarem Wasser.
Während der Arbeitsphase in Weikersheim wird u.a. das Auftragswerk „Ode an das Sägemehl“ von Jan Kopp (*1971) erarbeitet und in der TauberPhilharmonie uraufgeführt. Mit seiner Komposition setzt sich Kopp mit einem hochaktuellen Gedicht des russischen Lyrikers Alexej Porvin (*1982) auseinander, welcher in seinem gleichnamigen Werk wiederum den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine anhand der Materialität des Waldes poetisch reflektiert.
Im August 2022 trifft der Bundesjugendchor mit Anne Kohler auf den Polnischen Nationalen Jugendchor unter der Leitung von Agnieszka Franków-Żelazny und gibt Konzerte in Görlitz, Wrocław und Kraków.
Programm
Mittwoch, 01.06.2022 | 19.30 Uhr
TauberPhilharmonie Konzertsaal
Mensch & Wald
Bundesjugendchor
Leitung: Anne Kohler
MAX REGER (1873-1916)
DREI CHÖRE OP 39
1. SCHWEIGEN
2. ABENDLIED
3. FRÜHLINGSBLICK
ROBERT SCHUMANN (1810-1856)
IM WALDE OP. 75 NR. 7
DER TRAURIGE JÄGER OP. 59, NR. 5
FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY (1809-1847)
JAGDLIED
AUS: IM FREIEN ZU SINGEN OP. 59
MAURICE RAVEL (1875-1937)
TROIS CHANSONS
I. Nicolette
II. Trois beaux oiseaux du Paradis
III. Ronde
PAUSE
RICHARD STRAUSS (1864-1949)
DER ABEND OP 34, NR. 1
JAN KOPP (*1971)
ODE AN DAS SÄGEMEHL
URAUFFÜHRUNG
Kompositionsauftrag des Deutschen Musikrates, finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung.
R. MURRAY SCHAFER (1933-2021)
MAGIC SONGS
Jan Kopp
Jan Kopp (*1971 in Pforzheim) begann 1981 zu komponieren. 1987-91 war er Vorstudent bei Wolfgang Rihm. Danach studierte er Germanistik und Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg (Magisterarbeit über Hermann Broch) und Komposition bei Helmut Lachenmann und Marco Stroppa. Er lebt und arbeitet in Stuttgart als freischaffender Komponist, Publizist, Dramaturg und Pädagoge.
Sein Interesse gilt insbesondere der Vokal- und Kammermusik und dem Grenzbereich zwischen Musik, Sprache, Szene und bildender Kunst. Eine langjährige Zusammenarbeit verbindet ihn u.a. mit dem KlangForum Heidelberg, dem Ensemble Phorminx und dem Countertenor Daniel Gloger. Kompositorisch wie didaktisch widmet er sich der Frage nach partizipativen Ansätzen in Neuer Musik, u.a. in Kompositionen für Laienchöre und kompositionspädagogischen Projekten. Seit 2002 leitete er zahlreiche Workshops für Neue Musik. 2005-2017 war er Koleiter von „Jugend komponiert Baden-Württemberg“. Seit 2016 unterrichtet er Kompositionspädagogik an der Musikhochschule Stuttgart.
Als Publizist schrieb er zahlreiche Beiträge für Rundfunksender und Fachzeitschriften. Gefördert wurde er durch die Studienstiftung des deutschen Volkes, die Kunststiftung Baden-Württemberg, die Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR, die Mozart-Stiftung Frankfurt/Main, die Liz-Mohn- und die Heinrich-Haake-Stiftung. 2010 hatte er eine Residenz im Kleinen Markgräflerhof Basel. Aufträge erteilten ihm u.a. das Siemens Arts Programm, der SWR und die Staatsopern Berlin und Stuttgart. Seine Musik war zu hören bei den Festivals Eclat, Heidelberger Frühling, MaerzMusik, den Tagen für Neue Musik Zürich, der Daegu Contemporary Music Universiade (Südkorea), dem Festival ATEMPO in Caracas (Venezuela) und in verschiedenen Rundfunksendern.
Alexej Porvin (*1982)
ist ein junger Lyriker aus Sankt Petersburg, der seit vielen Jahren an einer poetischen Reflexion des Russland-Ukraine-Konflikts arbeitet.
„Die Ode an das Sägemehl“
Kann das Gewissen zerfallen in infinitesimale
Winzigkeiten, kann sich die Gewaltfreiheit
wie ein Baum unter die Säge legen? Sie können das,
falls klar ist, das wächst auch wieder zusammen.
Das Sägemehl zu besingen, das die Böden bedeckt
der Verhörräume, die winzigsten Späne zu besingen,
deren scharfe Kanten die Klinge spiegeln
des Hobels, der sie generiert hat.
Die Splitter zu besingen, die sich der Haut injizieren,
die schwere Luft in den Gefängnissen und Bahnhöfen,
zu preisen diese ganze hölzerne Spreu,
die der Wind höher hebt als jede Flagge.
Die russischen Wälder gehen in ukrainische über
nicht in echt zwar, aber die Leute sagen so,
die russischen Wälder gehen in Pulver über,
um als Sägemehl alles Gegebene aufzusaugen.
Erst von den Spänen, erst vom Sägemehl gelegt
unter die Körper der Leute, werden ihre Wörter aufgenommen,
ihr Schweiß, Verzweiflung und Hoffnung – getränkt damit
wird sich alles wieder verkleben, verwachsen zu einem Strunk.
Der all das besungen hat, hört ein Rascheln in sich
wie es wieder aufkommt, prall vor Nässe
und Salz, das so lang in den Körpern verborgen war,
und nicht mehr zu unterscheiden ist von den Wörtern "Waffen weg".