Das Beethoven-Haus kann seine umfangreiche Sammlung von Beethoven-Briefen um einen bemerkenswerten Brief erweitern. In dem Schreiben an die Gräfin Erdödy vom Mai 1816 gibt der berühmte Komponist ein Stück seiner Lebensphilosophie preis.
Das Bonner Beethoven-Haus beherbergt die umfangreichste Sammlung von Beethoven-Briefen weltweit. Ein wesentlicher Grundstock wurde durch die Sammlung des Schweizer Beethoven-Sammlers H.C. Bodmer gebildet, der bereits mehrere hundert Beethoven-Briefe zusammen getragen hatte. Vor nunmehr 50 Jahren hinterließ er seine Sammlung dem Beethoven-Haus in Bonn. Heute umfasst die Briefsammlung des Beethoven-Hauses über 550 Briefe des Komponisten. Hinzu kommen noch etliche an Beethoven gerichtete Schreiben sowie Briefe, die in seinem Auftrag geschrieben wurden. Damit sind heute ca. die Hälfte aller erhaltenen Beethoven-Briefe in seiner Geburtsstadt beheimatet.
Das Beethoven-Haus bemühte sich stets darum, diesen Bestand nach Möglichkeit zu ergänzen. Dies gelang nun mit einem besonders inhaltsreichen Brief. Er konnte aus dem Nachlass des renommierten Musikantiquars Albi Rosenthal, Oxford, erworben werden. Rosenthal gehörte viele Jahre dem Vorstand des Vereins Beethoven-Haus an. Als er 1999 altersbedingt sein Vorstandsmandat zurück gab, schenkte er dem Haus ein Blatt aus einem Taschenskizzenheft Beethovens zur Missa solemnis.
Der Erwerb des Briefes war nur dank Zuschüssen der Gielen-Leyendecker-Stiftung und der Hans-Joachim-Feiter-Stiftung sowie einer privaten Spende möglich.
Dem Brief, den Beethoven am 13. Mai 1816 an die ihm nahestehende Gräfin Marie Erdödy in Padua richtete, darf man eine Sonderstellung einräumen. Er ist sowohl umfangmäßig als auch inhaltlich besonders ergiebig. Wie in ganz wenigen anderen Schriftstücken gibt Beethoven hier aus einer prekären Lebenssituation heraus ein Stück seiner Lebensphilosophie preis. Er schrieb den Brief vor dem Hintergrund des Todes seines Bruders Kaspar Karl im November des Vorjahres und der daraus resultierenden Sorgen um das Wohl seines Neffen Karl, den er von da an wie seinen eigenen Sohn betrachtete. Jahrelang stritt er um die Vormundschaft, um den Jungen unter allen Umständen vor der Mutter zu schützen, die Beethoven sehr verachtete. Zunächst brachte er den Neffen in einem Erziehungsinstitut unter, später nahm er ihn zeitweise zu sich.
Der Brief sagt viel über Beethovens Persönlichkeit und seine innere Verfassung zwischen tiefstem Ernst und erleichterndem Humor aus: Auf seinem Höhepunkt, wenn der Komponist auf Gott und fundamentale Lebensmaximen eingeht, erhält er eine abrupte Wendung und besteht dann nur noch aus den von Beethoven so meisterhaft beherrschten und exzessiv ausgebreiteten Wortspielen.
Bei der Adressatin handelt es sich um die Beethoven nahestehende Anna Maria (Marie) Gräfin Erdödy, geb. Gräfin Niczky (1778-1837), die seit 1796 mit Peter Graf Erdödy zu Monyorokerék und Monte Claudio verheiratet war, seit 1805 aber von ihm getrennt lebte. Sie war im September 1815 von Wien abgereist, hielt sich dann zuerst in Kroatien, später in Padua auf.
Die Gräfin, eine gute Pianistin und glühende Verehrerin von Beethovens Kunst, hatte drei Kinder: Maria Philipina Jakobina (Mimi), Friederike (Frizi) und August (Gusti). Letzterer war, wie Beethoven erst zwei Tage später erfuhr, am 18. April verstorben. Die Formulierung “ich drücke es in einem Terzett aus" lässt vermuten, dass Beethoven dem Brief eine Komposition für drei Stimmen beilegen wollte. Er hatte eben auch die beiden Sonaten für Klavier und Violoncello op. 102 vollendet. Ursprünglich wollte er sie der Gräfin widmen. Nun musste er seine Ankündigung revidieren, da er glaubte, sie dem Engländer Charles Neate zueignen zu müssen. Die Originalausgabe dieser Werke erschien im darauffolgenden Jahr bei Simrock in Bonn, erstaunlicherweise ohne jede Widmung. Beethoven hat sein Versprechen später aber doch noch eingehalten. Eine Wiener Originalausgabe, die 1819 erschien, nennt die Gräfin Erdödy als Widmungsträgerin.
Erwähnt werden in dem Brief ferner Joseph Linke sowie Joseph Xaver Brauchle. Linke war ein der Gräfin eng verbundener hervorragender Cellist (und Komponist). Bis 1816 war er Mitglied des Rasumowsky-Quartetts, seit 1823 Mitglied des Schuppanzigh-Quartetts. Er wirkte bei zahlreichen Uraufführungen Beethovenscher Werke mit. Joseph Xaver Brauchle, selbst ein dilettierender Komponist, diente der Gräfin als Erzieher, Musiklehrer und Sekretär, ebenso wie ein gewisser Sperl als Oberamtmann. Beethoven war im Vorjahr besonders häufig mit Brauchle und Linke im Hause Erdödy zusammen getroffen. Er hatte sie damals auf die ihm eigene Art im Kanon "Brauchle, Linke" WoO 167 musikalisch auf den Arm genommen, damit zugleich aber auch verewigt.
Übertragung des Brief-Textes
Beethoven an Gräfin Erdödy, 13. Mai 1816
"Vien am 13ten May 1816
Mein werthe liebe Freundin!
Sie dörften vieleicht u. mit Recht glauben, daß ihr Andenken völlig in mir erloschen sey, unterdessen ist es nur der schein, meines Bruders Tod verursachte mir großen Schmerz alsdenn aber große Anstrengungen um meinen mir lieben Neffen vor seiner verdorbenen Mutter zu retten, dieses Gelang, allein bis hieher konnte ich noch nichts besseres für ihn thun, als in ein Institut zu geben, also entfernt von mir, u. was ist ein Institut gegen die unmittelbare Theilnahme Sorge eines Vaters für sein Kind, denn so betrachte ich mich nun, und sinne hin u. her, wie ich dieses mir theure Kleinod näher haben kann, um geschwinder u. vorteilhafter auf ihn wirken zu können - allein wie schwer ist das? für mich! - Nun ist meine Gesundheit auch Seit 6 Wochen auf schwankenden Füßen, so daß ich öfter an meinen Tod jedoch nicht mit Furcht denke, nur meinem armen Karl stürbe ich zu früh. - wie ich aus ihren lezten Zeilen an mich sehe, leiden sie wohl noch sehr meine liebe Freundin, Es ist nicht anders mit dem Menschen, auch hier soll sich seine Kraft bewähren d.H. auszuhalten ohne zu murren u. seine Nichtigkeit zu fühlen u. wieder seine Vollkommenheit zu erreichen, deren unß der höchste dadurch würdigen will. - linke wird nun wohl schon bey ihnen seyn, möge er ihnen Freude auf seinen Darmsaiten erwecken - Brauchle wird sich vom Brauchen wohl nicht entfernen, u. sie werden wie immer Tag u. Nacht von ihm Gebrauch machen - was den vogel Sperl betrift, so höre ich, daß sie nicht mit ihm zufrieden sind, worin dieses besteht weiß ich nicht, sie suchen wie ich höre einen andern Hofmeister, übereilen sie sich doch nicht, u. machen sie mich mit ihren Ansichten u. Absichten hierin bekannt, vieleicht kann ich ihnen gute Anzeigen machen, vieleicht thun sie aber dem sperlim Käficht unrecht? - - ihre Kinder umarme ich u. drücke es in einem Terzett aus, sie werden wohl täglich fortschritte machen in ihrer Vervollkommung. - laßen sie mich recht bald sehr bald wißen, wie sie sich auf dem kleinen Nebelfleck der Erde, wo sie jezt sind, befinden, ich nehme gewiß, wenn ich es auch nicht immer gleich anzeige oder aüßere, großen Theil an ihren leiden u. Freuden? wie lange bleiben sie noch, wo werden sie künftig leben? - mit der Dedication der ViolonschellSonaten wird eine Verändrung geschehen, die Sie aber u. mich nicht verändren wird. -
liebe theure Gräfin - in Eil ihr Freund
Beethowen."
A Madame la Comtesse d’Erdödy Nee Comtesse Nizky a Padua (en italie)
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