Die rund 250 Jahre verschollene Oper „Motezuma" von Antonio Vivaldi (1678-1741) darf im September zum ersten Mal seit der Uraufführung 1733 beim altstadtherbst kulturfestival düsseldorf über die Bühne gehen. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hob am 16. August in einem Eilverfahren ein Verbot der Vorinstanz aus formalen Gründen auf. Die Einstweilige Verfügung war nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Auch inhaltlich sah das Oberlandesgericht die Sache anders als das Landgericht. Da das wieder entdeckte Exemplar aus einer bekannten Kopisten-Werkstatt Venedigs stamme und kein Original Vivaldis sei, könne davon ausgegangen werden, dass die Oper im 18. Jahrhundert vervielfältigt und verbreitet worden sei. Damit gelte das Werk als bereits erschienen und die Klägerin, die Berliner Sing-Akademie, sei nicht im Besitz der von ihr in Anspruch genommenen Leistungsschutzrechte. „Das OLG hat nach unserer Überzeugung die richtige Entscheidung getroffen“, erklären Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen, die künstlerischen Leiter des 1991 gegründeten Festivals. Seit einigen Jahren tritt das altstadtherbst kulturfestival düsseldorf mit innovativen Musiktheater-Produktionen in Erscheinung, wobei man sich vor allem Werken der sogenannten Alten Musik zugewendet hat – zuletzt szenischen Deutungen der Händel-Oratorien „Belsazar“ und „Susanna“ sowie des Oratoriums „Caino o il primo omicidio“ von Alessandro Scarlatti.

Aztekische Schutzgötter, rauschhafte Träume, Menschenopfer und Dämonen bevölkern die Oper „Motezuma“ von Antonio Vivaldi. Beim altstadtherbst wird nun die szenische Erstaufführung des fragmentarisch erhaltenen Stückes mit einem hochkarätigen Sängeraufgebot und in zeitgemäßer Deutung präsentiert: kein klassisches Bühnenbild bestimmt die Optik, sondern ein Raum, der offen bleibt für Video-Szenografie. „Treibende Kraft der Inszenierung ist die Neugier gegenüber dem Stoff. Bis heute ist es rätselhaft, was die kleine spanische Heerschar unter Führung des Hernando Cortés den etwa 50.000 Azteken in ihrer Hauptstadt Tenochtitlan unter der Führung Motezumas überlegen machte, sagt Regisseur Uwe Schmitz-Gielsdorf, „wir werden die Geschichte vom Untergang des Aztekenreiches in der Deutung erzählen, die ich mit Paolo Atzori (Raum und digitale Videobilder) und Amélie Haas (Kostüme) entwickelt habe“. „Wir haben nicht entschieden, ob die Spanier oder die Azteken die Guten oder die Bösen sind, aber wir zeigen, dass es bei historischen Umbrüchen immer die Jugend ist, die sich opfert und geopfert wird.“

„Die Kraft, den juristischen Attacken standzuhalten und die künstlerische Vorbereitung unbeirrt fortzusetzen, gab uns die ungewöhnlich lebendige Musik Antonio Vivaldis“, sagt Motezuma-Dirigent Federico Maria Sardelli , der mit seinem Orchester Modo Antiquo zahlreiche wieder entdeckte Opern des berühmten Komponisten in Zusammenarbeit mit dem Westdeutschen Rundfunk eingespielt hat und als Vivaldi -Experte internationalen Ruf genießt. Obwohl auch einzelne Sänger des in Italien bereits gefeierten Motezuma-Ensembles mit einstweiligen Verfügungen und daraus resultierenden Ordnungsgeldern im Fall der Aufführung bedroht wurden, hat sich das Team um Sardelli und Schmitz-Gielsdorf nicht entmutigen lassen und sieht nun der Aufführung der Original-Version in Düsseldorf mit großem inneren Engagement entgegen.

„Alle Versuche, im vorhinein eine Verständigung mit der Berliner Sing-Akademie herbeizuführen, sind gescheitert“, stellen Christiane Oxenfort und Andreas Dahmen klar, „denn die gestellte Bedingung, den Dirigenten Sardelli von den Aufführungen auszuschließen, konnten wir künstlerisch und menschlich nicht akzeptieren.“ Umso glücklicher sind die Macher des altstadtherbstes über die Entscheidung und hoffen, dass der Rechtsstreit nun beendet ist. Seit der Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf am 11. Juli 2005 durften zum Schaden des altstadtherbstes keine Eintrittskarten mehr verkauft werden.

Die Premiere von Motezuma mit Tobias Scharfenberger (Motezuma), Jörg Waschinski (Cortez), Elisabeth Scholl (Asprano), Angélique Noldus (Mitrena), Lucia Sciannimanico (Ramiro) und Silvia Vajente (Teutile) findet am 21. September 2005, 20.30 Uhr in Düsseldorf in der Halle am Wasserturm auf dem Gelände der Böhlerwerke statt. Drei weitere Aufführungen folgen am 23., 24. und 25. September 2005.

Karten gibt es über die Ticket-Hotline 0211/6170617 und Fax 0211/322203, im Internet über www.altstadtherbst.de oder www.dticket.de bzw. die Ticket-Online angeschlossenen Vorverkaufsstellen in ganz Deutschland.


Zur Vorgeschichte:

Die Oper „Motezuma“ von Antonio Vivaldi, die am 14. November 1733 unter der Leitung des Komponisten im venezianischen Theater Sant’Angelo uraufgeführt wurde, galt lange als verschollen. Erst vor wenigen Jahren entdeckte der Hamburger Musikwissenschaftler Steffen Voss eine Handschrift mit der (nicht ganz vollständigen) Musik im Archiv der 1791 gegründeten Singak-Ademie zu Berlin e.V. Dieses Archiv war im 2. Weltkrieg verschwunden und erst in den 90er Jahren in Kiew wieder aufgefunden worden. Es wurde aufgrund des Vertrages zwischen Deutschland und der Ukraine vom 17. Januar 2001 wieder zurückgeführt.

Die altstadtherbst gGmbH hatte im Rahmen des von ihr veranstalteten altstadtherbst kulturfestival düsseldorf im September 2005 mehrere szenische Aufführungen der von Steffen Voss und dem Vivaldi-Dirigenten Federico Maria Sardelli für heutige Aufführungsgepflogenheiten bearbeiteten Oper vorgesehen. Bereits am 16. und 17 Juli wollte sie als Koproduzentin an entsprechenden Aufführungen beim Opernfestival im italienischen Barga mitwirken.

Die Berliner Sing-Akademie, die sich als Eigentümerin der Handschrift und deren Herausgeberin (sie hat die Handschrift im Januar 2005 als kopierte, gebundene Vervielfältigung auf ihrer Internet-Seite zum Verkauf angeboten) auch im Besitz der Aufführungsrechte sah, verweigerte die Zustimmung zur altstadtherbst-Produktion und erwirkte am 11. Juli 2005 beim Landgericht Düsseldorf eine einstweilige Verfügung, die der altstadtherbst gGmbH Aufführungen der Oper und die entsprechende Werbung unter Androhung von Ordnungsmitteln untersagte. Daraufhin hatte die altstadtherbst gGmbH Berufung eingelegt; in Barga hatte man eine Version des Motezuma-Stoffes mit Arien aus anderen Vivaldi-Opern auf die Bühne gebracht.