Mit einem Peenemünder Konzert endete gestern Abend das 27. Usedomer Musikfestival. Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Alan Gilbert und der junge Violoncellist Sheku Kanneh-Mason beschlossen damit die Saison 2020 der länderverbindenden Veranstaltungsreihe, die ganz im Zeichen norwegischer Musik stand, und jedes Jahr die Musik eines der Ostseeländer zum Schwerpunktthema macht. In Mecklenburg-Vorpommerns größtem Industriedenkmal, zugleich einer der geschichtsträchtigsten Orte des Bundeslandes erklang erstmals die "Ballade des Aufruhrs“ des Komponisten Harald Sæverud, der symbolische erste Schuss des norwegischen Widerstandes gegen die deutschen Besatzer. Das Konzert beschloss auch die Saison im Musikland MV. Den Abend eröffneten der Staatspräsident der Republik Polen a. D. und Friedensnobelpreisträger Dr. h.c. mult. Lech Wałęsa und der Bundestagspräsident a. D. und Direktor der Konrad-Adenauer-Stiftung Prof. Dr. Norbert Lammert mit Reden, nachdem Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters und hochrangige Landespolitiker das 27. Usedomer Musikfestival am 12. und 19. September eröffneten.
Prof. Dr. Norbert Lammert nahm ein Zitat des NDR-Chefdirigenten Alan Gilbert zum Anlass in seiner Rede zu betonen, nach 30 Jahren Deutscher Einheit die Potentiale eines gemeinsamen Europas stärker auszuschöpfen. Der Friedensnobelpreisträger Lech Wałęsa sagte: "Populisten und Demagogen zerstören die Idee eines vereinten Europas. Sie tun es nur deshalb, weil es keine Führung in Europa gibt. Seit 20 Jahren versuche ich Deutschland zu überzeugen, diese Führungsposition zu übernehmen.“
Als eines der ersten Festivals in Deutschland konnte das Usedomer Musikfestival unter Coronabedingungen komplett stattfinden. Trotz sich verschärfender Coronarestriktionen in Norwegen und Dänemark war es den Festivalmachern möglich alle kurzfristig entfallenen neun Konzerte von insgesamt 36 Veranstaltungen hochkarätig neu zu besetzen. Durch die strikte Einhaltung von Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen reduzierte sich die Gesamtbesucherzahl auf rund 1/3 der sonst rund 14.000 Festivalgäste. Alle Veranstaltungen waren stets restlos ausverkauft. Festivalintendant Thomas Hummel zieht trotz der schwierigen Situation eine positive Bilanz: "Vieles, was quantitativ, aufgrund der notwendigen Coronabeschränkungen und im Hinblick auf die Besucherzahlen nicht erreicht werden konnte, überbot die Qualität der musikalischen Darbietungen bei Weitem, denn für viele Musiker waren es die ersten Konzerte nach mehrmonatiger Pause. Sehr freut mich, dass unsere Angebote zur Förderung des musikalischen Nachwuchses genauso realisiert werden konnten, wie das länderverbindende Engagement des Usedomer Musikestivals auch in diesem Jahr breiten Zuspruch fand.“
Hohe Hygiene- und Sicherheitsstandards
Ein Hauptanliegen des Usedomer Musikfestivals 2020 war die Gewährleistung hoher Hygiene- und Sicherheitsstandards für die anwesenden Festivalgäste und -künstler, um eine Ausbreitung von Covid-19 zu unterbinden. Neben den von öffentlichen Institutionen geforderten Hygieneplänen und deren Umsetzung, wurden dazu spezielle Entlüftungsgeräte an allen Veranstaltungsorten installiert. Die strikte Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen überwachte zudem in vielen Konzerten Sicherheitspersonal. "Ein Festival unter Coronabedingungen zu organisieren, ist eine gewaltige Herausforderung. Das dies dennoch gelungen ist und alle geplanten Konzerte unter Auflagen stattfinden konnten, verdanken wir unserem Team und Unterstützern, aber auch all unseren Sponsoren, die dem Festival allesamt treu geblieben sind“, so Intendant Thomas Hummel weiter.
Glanzlichter aus Norwegen in schweren Zeiten
Die Musiker des 27. Usedomer Musikfestivals begeisterten das Festivalpublikum in ausverkauften Konzerten. Davor durchlebten viele von ihnen, gerade junge Künstler, harte Zeiten "Karrieretechnisch, beruflich war das Jahr 2020 für die meisten ein absolutes Desaster. Mir sind alle Konzerte und alle Probenspiele komplett weggebrochen. Darum ist es schön beim Usedomer Musikfestival zu sein. Es ist eine tolle Bereicherung für die Region“, meint der Baltic Sea Philharmonic-Musiker Maximilian Procop. Das vom Usedomer Musikfestival gegründete junge Orchester Baltic Sea Philharmonic läutete die 27. Saison unter der musikalischen Leitung von Stardirigent Kristjan Järvi unter dem Beifall von Publikum und Kritik mit einem Sonderkonzert anlässlich von 30 Jahren Deutscher Einheit ein. Zum Eröffnungskonzert ersetzte das Ensemble kurzfristig den norwegischen Jazzsaxofonisten Jan Garbarek, der wegen sich verschärfender Corona-Restriktionen in Norwegen absagen musste.
Andere hochkarätige Musiker aus Norwegen konnten erscheinen, weil sie auf Tournee waren, einige Zeit im Ausland verbrachten oder bereit waren die strikten norwegischen Quarantäneauflagen für einen Auftritt beim Usedomer Musikfestival auf sich zu nehmen. So ermöglichten Konzerte mit der Spitzensopranistin Marianne Kielland, dem Jazztrompeter Nils Petter Molvaer, dem Pianisten Christian Ihle Hadland, dem Violinvirtuosen Jan Bjøranger und vielen mehr unvergessliche Stunden mit Musik aus Norwegen. Das strenge Corona-Restriktionen auch positive Effekte zeitigen können, zeigte ein Konzert mit dem international renommierten, aus Norwegen stammenden Bariton Johannes Weisser, begleitet vom gefragtesten Liedbegleiter Deutschlands, dem Pianisten Daniel Heide. Sie sprangen kurzfristig für das Nordic String Quartet ein. Somit konnte das Usedomer Musikfestival insgesamt drei Spitzenbaritone der jüngeren Generation präsentieren: neben Johannes Weisser, auch Thomas E. Bauer und den 27-jährigen Konstantin Krimmel. Er erhielt den mit 5000 Euro durch die Oscar und Vera Ritter-Stiftung dotierten Usedomer Musikpreis, im Rahmen eines von Festivaldramaturg Dr. Jan Brachmann moderierten Beethoven-Salons, anlässlich des 250. Jubiläums des Komponisten.
Von Hardangergeige bis Bauerntanz: Klänge des ländlichen Norwegens
Norwegen setzte die länderverbindende Veranstaltungsreihe an den schönsten Konzertorten der Insel Usedom in Szene, die historisch auch von skandinavischen Ländern geprägt ist. Ein Schwerpunkt des 27. Usedomer Musikfestivals lag auf der Musik des ländlichen Norwegen. Spielmannsklänge und der Slått, ein norwegischer Bauerntanz, begeisterte das Publikum genauso wie ihre Anverwandlung durch die große romantische Musiktradition, die vor allem mit dem Namen des bekanntesten norwegischen Komponisten in Verbindung steht: Edvard Grieg. Dabei durchzog norwegische Folklore beinahe jedes Konzert. Der Violinist Jan Bjøranger begeisterte in gleich drei Konzerten auch auf der Hardanger-Fiedel, ein reich verziertes Instrument der norwegischen Volksmusik mit besonderer Konstruktion und Klang. Das ein Slått auch zum Aufruf des Widerstands werden konnte, verdeutlichte das Abschlusskonzert mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester, dirigiert von Alan Gilbert, zu dem zum ersten Mal die "Ballade des Aufruhrs“ erklang, symbolischer erster Schuss des norwegischen Widerstandes gegen die deutschen Besatzer in den Jahren 1940 bis 1945.
Norwegens Vielfalt und rockiger Barock: Länderverbindende Klänge auf Usedom
Darüber hinaus erlebten Besucher Konzerte, die auch weniger bekannte norwegische Komponisten einem größeren Publikum näher brachten. Das Phaeton Piano Trio präsentierte etwa Werke des Norwegers Ole Bull, auch "Paganini des Nordens“ genannt oder von Christian Sinding, der genauso wie Edvard Grieg in Deutschland studierte. Die Organistin Ines Maidre setzte mit dem jungen Trompeter Carlos Navarro ein breites Spektrum weltlicher und sakraler Musik für Orgel und Trompete in der St. Petri Kirche in Wolgast in Szene. Der Schauspieler Ulrich Noethen entführte im Kaiserbädersaal, im Herzen der kaiserzeitlichen Seebäder – Ahlbeck, Bansin und Heringsdorf – mit dem Piano Duo Grau Schumacher in der Mythen- und Märchenwelt des Nordens. Und Fans Alter Musik konnten in der polnischen Nachbargemeinde Swinoujscie mit dem Gitarren-Virtuosen Krzysztof Meisinger, dem Kammerorchester "Poland baROCK“ und in der Ev. Kirche Benz mit der Mezzosopranistin Marianne Kielland und dem Consortium Sedinum nicht nur beeindruckend "rockige“ Barockmusik aus Norwegen, Pommern und dem Ostseeraum erleben, sondern auch länderverbindende Musikfeste mit Musikern aus Polen, Deutschland und Norwegen feiern.
Education-Engagement: Weltklassekünstler fördern musikalischen Nachwuchs
Auch die zahlreichen Education-Angebote des Usedomer Musikfestivals für talentierte Nachwuchsmusiker und Schüler der Region standen im Zeichen des Norwegenthemas und des Beethovenjubiläums. Der international renommierte Violoncellist David Geringas gab im ländlichen Ambiente von Schloss Stolpe auf Usedom seine internationale Cello-Meisterklasse im Rahmen des Ostsee Musikforums, das vom Norddeutschen Rundfunk, dem Tonkünstlerverband Mecklenburg-Vorpommern und dem Usedomer Musikfestival gefördert wird. In diesem Jahr nahmen junge Meisterschüler aus Norwegen, Deutschland, der Türkei und weiteren Ländern das Schloss für eine Woche in Besitz. Zur Eröffnung begeisterte David Geringas, gemeinsam mit dem Ausnahmevirtuosen am Bajan, dem Norweger Geir Draugsvoll das Publikum. Darüber hinaus sprang der vielseitige Violoncellist gemeinsam mit dem Pianisten Jascha Nemtsov und Geringas’ ehemaligen Meisterschüler Joel Blido für den norwegischen Solistenchor in Ev. Kirche in Usedom Stadt ein – ein begeistert gefeiertes Konzert und ein Lehrstück spontanen Musizierens mit Werken von Grieg, Silvestrov und Weinberg sowie mehreren Zugaben.
Die Veranstaltungen des Jungen Usedomer Musikfestivals – gefördert von der Achterkerke-Stiftung für Kinder und der Stiftung der Sparkassen Vorpommern – brachten für fünf Tage Workshops, Schulkonzerte und Kita-Mitmach-Konzerte zu den Schülerinnen und Schülern sowie Kita-Kindern der Region. In diesem Jahr standen die Jugendveranstaltungen unter dem Motto "Ludwig Fun – Wir feiern Beethoven“, anlässlich des 250. Geburtstages des Komponisten. Das beliebte Preisträgerkonzert der Musikschulen fand erstmals im Historischen Kraftwerk in Peenemünde statt, an jenem Ort, wo die Peenemünder Konzerte des 1994 gegründeten Usedomer Musikfestivals 2002 fulminant durch Mstislaw Rostropowitsch und über 250 Musikern aus Großbritannien, Deutschland und Russland begannen – Zeichen des Friedens, im durch Kriege und Politk lange Zeit geteilten Ostseeraum.