Portrait of Diana Marsh and Stephan Schulmeistrat
Diana Marsh (SOUNZ Centre for New Zealand Music) und Stephan Schulmeistrat (Deutsches Musikinformationszentrum)  

Vor welchen Herausforderungen steht die IAMIC heute? Und welche Erwartungen gibt es an die Tagung in Bonn? IAMIC-Präsidentin Diana Marsh und der Leiter des miz Stephan Schulmeistrat im Interview mit der neuen musikzeitung.

Andreas Kolb (nmz): Es gibt derzeit 33 Musikinformationszentren weltweit, die in der IAMIC, der International Association of Music Information Centres, zusammengeschlossen sind. Was sind die Aufgaben eines Musikinformationszentrums?

DIANA MARSH: Die IAMIC hat Mitglieder auf der ganzen Welt, die meisten in Europa, aber auch in Neuseeland, woher ich komme, und Australien, den USA und Kanada. Zu den Kernaufgaben der meisten Musikinformationszentren gehören Dokumentation, Archivierung und das Bereitstellen von Informationen über die Musik und das Musikleben ihres jeweiligen Landes oder ihrer Region, unter Einbezug einer Vielzahl an Musikgenres. Auch die Produktion von Musik sowie die Interessenvertretung und die Fortbildung von Künstlerinnen und Künstlern spielen für viele unserer Partner eine wichtige Rolle. Bei allen Gemeinsamkeiten unterscheiden sich unsere Aktivitäten in Teilen aber auch. Einige Mitglieder vertreten ihr Land auf internationaler Ebene, dementsprechend widmen sie sich verstärkt den Fragen des Musikexports.

nmz: Welche Funktion nimmt die IAMIC ein, und warum ist der internationale Austausch für die Zentren so wichtig?

MARSH: Die IAMIC versteht sich als ein Netzwerk. Wir unterstützen die internationalen Beziehungen zwischen unseren Mitgliedern und schaffen Vernetzungsmöglichkeiten. Damit wollen wir die Wertschätzung und das Verständnis von Musik weltweit fördern und erhöhen. Mit ihren Strukturen und Angeboten erleichtert die IAMIC den Austausch von Wissen und Fachkenntnissen und sorgt so für mehr internationale Kooperation. Wir tauschen uns über die Musik und das Musikleben unserer Länder, über unsere Projekte und Konzepte aus und können dadurch Standards und Zugänge zur Musik in unseren Ländern verbessern.

nmz: Seit wann gibt es die IAMIC, und seit wann gibt es eigentlich Musikinformationszentren?

MARSH: In vielen Ländern haben Musikinformationszentren eine lange Tradition. New Music USA (ehemals American Music Centre) wurde bereits 1939 gegründet, nach dem Zweiten Weltkrieg kamen zum Beispiel die Niederlande und Kanada hinzu. 1959 wurde dann unter der Schirmherrschaft des Internationalen Musikrates ein internationaler Zusammenschluss, heute die IAMIC, gegründet. 1962 wurde dieser dann wiederum zu einem konstituierenden Zweig der International Association of Music Information Libraries, Archives and Documentation Centres, der IAML. Anfang der 1990er Jahre endete die Verbindung zur IAML jedoch, und die IAMIC wurde eine unabhängige Organisation. Nachdem in den 1990er Jahren nocheinmal viele Musikinformationszentren ins Leben gerufen worden waren wie in Österreich, Deutschland, Island, Bulgarien, Georgien und Neuseeland, wurde die IAMIC 2009 schließlich als juristische Person nach belgischem Recht anerkannt.

nmz: Das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) war also eines der letzten Zentren, die gegründet wurden? Warum geschah dies in einem so musiktraditionsreichen Land erst so spät?

STEPHAN SCHULMEISTRAT: Es ist richtig, das miz wurde relativ spät eröffnet, nämlich 1998. Forderungen nach einer Dokumentationsstelle für das Musikleben bestanden jedoch schon seit den 1970er Jahren – mit vielen unterschiedlichen Konzepten. 1986 erschien erstmals der vom Deutschen Musikrat herausgegebene Musik-Almanach als Nachschlagewerk zum Musikleben, jedoch gab es zu dieser Zeit noch immer keine zentrale Informationsstelle, um Daten und Fakten zusammenzuführen und zu systematisieren. Der Almanach war letztlich die Keimzelle für das heutige miz mit seinen vielfältigen Angeboten. Hinzu kam sicherlich auch, dass viele der Aufgaben, die von Musikinformationszentren in anderen Ländern wahrgenommen werden, in Deutschland traditionell von verschiedenen Organisationen abgedeckt werden. Das Deutsche Musikarchiv beispielsweise sammelt zentral Noten und Tonträger, die zeitgenössische Musik hatte schon immer eine lebendige Szene mit unterschiedlichen Einrichtungen. Daher versteht sich das miz bis heute als eine Art Netzwerk, in dem Informationen zu zentralen Themen des Musiklebens zusammenlaufen. Die Daten werden von uns geprüft, aufbereitet und vermittelt. Dies war schließlich das Konzept, das vom Deutschen Musikrat und der Politik Ende der 1990er Jahre verwirklicht wurde.

nmz: Worin unterscheiden sich die Aufgaben des miz von denen anderer Zentren?

SCHULMEISTRAT: Das miz ist eine Art Schnittstelle, ein Kursbuch zum Musikleben.  Wir bieten eine Gesamtschau über fast alle Themen und Genres. Ob es sich um statistische Fragen handelt, beispielsweise wie viele Menschen in ihrer Freizeit musizieren, wie hoch der Frauenanteil in Führungspositionen der öffentlich finanzierten Orchestern ist oder welche Umsätze die einzelnen Branchen der Musikwirtschaft erzielen. Oder um Strukturen des Musiklebens: Über unsere Website www.miz.org stellen wir systematisch mehr als 10.000 Einrichtungen vor, wir informieren mit Fachbeiträgen über Entwicklungen, Trends und Hintergründe, dokumentieren aktuelle kulturpolitische Diskussionen, wir bündeln deutschlandweit  Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. Das miz hat also ein sehr breites Portfolio und versteht sich als Ansprechpartner für Kulturpolitik und Verbände, Medien und Wissenschaft sowie Musikprofis und -amateure.

 
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Konzert im tschechischen Musikinformationszentrum
Konzert im tschechischen Musikinformationszentrum  
Foto:  Anna Baštýřová

nmz: Wer finanziert die Musikinformationszentren? Sind es ausschließlich öffentlich getragene Einrichtungen?

MARSH: Die Finanzierung der Musikinformationszentren ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Ein Großteil bezieht seinen Etat aus öffentlichen Mitteln oder aus Verwertungsgesellschaften. Aber wir sind uns alle einig, dass gerade in diesen Zeiten nachhaltige Finanzierungsquellen erforderlich sind, um den Erfolg und die Lebensfähigkeit unserer Organisationen zu sichern. Ich würde sogar angesichts der Herausforderungen unserer Zeit sagen, dass Musikinformationszentren heute wichtiger sind denn je. Dennoch sehen sich viele unserer Kolleginnen und Kollegen aktuell mit finanziellen Hürden konfrontiert. Hier gilt es, seitens der Kulturpolitik klare Perspektiven zu schaffen, um unsere Arbeit nachhaltig zu stärken.

nmz: Im Mai erwarten Sie Vertreter der Musikinformationszentren in Bonn zur Jahreskonferenz der IAMIC. Welche Erwartungen verbinden Sie mit der Tagung nach der langen Corona-bedingten Pause?

SCHULMEISTRAT: Zunächst einmal sind wir sehr froh, dass die Tagung nun endlich stattfinden kann. Eigentlich war sie schon im Beethoven-Jahr 2020 geplant, aber dann mussten wir sie wegen Corona zweimal verschieben. Wir sehen dem internationalen Austausch mit großer Spannung entgegen, weil das Musikleben seit Beginn der Pandemie international vor großen Herausforderungen steht und insgesamt ein starker Innovationssdruck herrscht. Die Covid-Pandemie, die viele Themen wie unter einem Brennglas beschleunigt hat, wird ein wichtiges Thema für uns sein. Wie sind die anderen Länder damit umgegangen? Wie haben sie gegengesteuert? Welche Perspektiven sehen sie?

nmz: Es wird auch einen öffentlichen Tagungsteil geben. Welche Themen werden dort behandelt?

SCHULMEISTRAT: Die IAMIC öffnet traditionell einen Tag ihrer ansonsten geschlossenen Konferenz. Wir haben diesem Tag ein übergeordnetes Motto gegeben: „Musikleben an der Schnittstelle zwischen Tradition und Zukunft“. Die Musikwelt erlebt seit den letzten Jahrzehnten so große Veränderungen wie nie, und darüber werden wir in vier Panels sprechen. Wir wollen betrachten, wie Internationalisierung und Globalisierung auf verschiedene Bereiche des Musiklebens einwirken. Im Mittelpunkt stehen dabei die Themen zeitgenössische Musik und Urheberrecht sowie Fragen der Programmgestaltung, der Nachwuchsförderung und der Musikvermittlung. Dabei werden als roter Faden die Aspekte Digitalisierung, Klimaschutz und Diversität ebenso beleuchtet wie die Frage, welche Lehren aus der Covid-19-Pandemie gezogen werden können.

Es ist uns gelungen, über 20 hochkarätige Expertinnen und Experten zu gewinnen, mit denen wir diskutieren werden. Wer Interesse hat, dabei zu sein, kann sich am 24. Mai online in die Konferenz einwählen. Der gesamte Tag wird für ein weltweites Publikum gestreamt.

nmz: Was erwarten Sie von dem internationalen Austausch mit Vertretern des deutschen Musiklebens?

MARSH: Der Wert von IAMIC liegt in der Schaffung von Verbindungen zwischen seinen Mitgliedern und ihren jeweiligen Musikökosystemen. Daher freuen wir uns sehr darauf, mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland in Kontakt zu treten, insbesondere angesichts der Herausforderungen, denen wir alle in den letzten zwei Jahren gegenüberstanden. Wie Stephan schon sagte, in der jüngeren Geschichte hat es noch nie eine Zeit gegeben, in der wir alle in dem Maße mit denselben Herausforderungen konfrontiert waren, wie mit der globalen Pandemie, aber auch mit der #blacklivesmatters- und #metoo-Bewegung, der Klimakrise und natürlich der jüngsten russischen Invasion in der Ukraine. All diese Themen haben Auswirkungen auf das Musikleben und unsere Arbeit, und wir spüren einmal mehr, wie wichtig internationaler Austausch und Zusammenarbeit ist.

Darüber hinaus werden wir durch das abwechslungsreiche Konferenzprogramm erfahren, wie die Sichtweise in Deutschland ist. Diese Themen gehen uns alle an, und ich wünsche mir, dass dies zu einigen anregenden Diskussionen und Erkenntnissen führen wird, die wir in unsere jeweiligen Länder mitnehmen können.

nmz: Es wird auch ein eigenes IAMIC Konzert geben. Was steht da im Fokus?

SCHULMEISTRAT: Es ist eine Tradition der IAMIC-Konferenzen, dass die gastgebende Einrichtung das zeitgenössische Musikschaffen ihres Landes in einem Konzert porträtiert. Wir haben dazu in Kooperation mit unseren Kolleginnen und Kollegen des Podium Gegenwart im Deutschen Musikrat zwei herausragende junge Ensembles aus dem Programm "InSzene" engagiert, die jeweils eine Konzerthälfte gestalten werden: Trio Abstrakt und The Interstring Project. Das wird sicher ein spannender Abend für unsere Gäste, auch weil das Konzert im vom Stararchitekten Richard Meier entworfenen Museumskomplex Bahnhof Rolandseck stattfinden wird. Teilweise werden die Ensembles den Raum musikalisch nutzen.

nmz: Das miz hat gerade seine Internetseite zum Musikleben in Deutschland neu relauncht. Wie schätzen Sie aus internationaler Perspektive die Strukturen und Entwicklungen des Musiklebens in Deutschland ein?

MARSH: Deutschland hat ein reiches kulturelles Erbe und ein sehr lebendiges und facettenreiches Musikleben. Die neue Webseite des miz ist bemerkenswert und unterstreicht die bedeutende Rolle, die Deutschland weltweit in der Musik spielt. Das setzt für uns alle sehr hohe Maßstäbe.

Die vom miz präsentierten Zahlen und Fakten zeigen allerdings, dass Kreative und Freiberufler in Deutschland oft nicht von dem leben können, was sie mit Musik verdienen – und das ist auch in vielen anderen Ländern der Fall. Damit wird einmal mehr deutlich, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, um sicherzustellen, dass musikalische Kreativität in unserer Gesellschaft geschätzt und fair entlohnt wird.  

Das Interview wurde von Andreas Kolb geführt. Publikation mit freundlicher Genehmigung der neuen musikzeitung.

Diana Marsh ist Geschäftsführerin des SOUNZ Centre for New Zealand Music, seit 2021 Präsidentin der IAMIC, und war davor Vize-Präsidentin der IAMIC (2019-2021).
Portrait Diana Marsh

Stephan Schulmeistrat ist Leiter des Deutschen Musikinformationszentrums und seit 2021 Vorstandsmitglied der IAMIC.
Portraitfoto: Stephan Schulmeistrat