Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats 2021
Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrats 2021  
Foto:  MIKA-fotografie | Berlin
Musikverbände und andere Vereinigungen verfolgen nicht nur Partikularinteressen, sondern prägen zugleich die Gesellschaft. Barbara Haack stellt ihre Aufgaben vor und beleuchtet ihre Position in der Musiklandschaft.

Musik spielt im Leben fast jedes Menschen eine, wenn auch unterschiedlich geartete und gewichtete Rolle. Millionen machen aktiv Musik, sei es als Amateure oder als Profis. Sie singen in Chören, spielen in Ensembles,
besuchen eine Musikschule, engagieren sich in Vereinen, absolvieren ein Studium an einer Musikhochschule oder einer Universität – oder entscheiden sich für eine Ausbildung, die auf direktem oder indirektem Weg in einen Musikberuf führt. Noch viel mehr Menschen, man könnte wohl sagen: fast alle, hören regelmäßig Musik, im Konzert oder auf Festivals, im Opernhaus, in Clubs, auf der Straße, zu Hause auf der guten alten CD oder
per Stream.

Damit dies alles möglich ist, sind Strukturen nötig: Vereinigungen, Verbände, Gesellschaften, die auf ihre Art zum Funktionieren des Musiklebens beitragen. Neben zahllosen regionalen Gruppierungen engagieren
sich rund 400 Organisationen mit einem bundesweiten, teils auch internationalen Fokus im Musikleben: Amateurmusikverbände, Vertretungen musikalischer Berufsgruppen, Zusammenschlüsse von Wirtschaftsunternehmen oder Gesellschaften, die sich einzelnen Komponisten oder musikgeschichtlich bedeutsamen Regionen widmen. Während sich in manchen Vereinen eine überschaubare Anzahl von Einzelpersonen zum
Verfolgen eines Spezialinteresses zusammenfindet, vertreten die großen Verbände das Interesse von zum Teil Tausenden von Mitgliedern.

Die Artikulation von Gruppeninteressen durch Vereinigungen hat in Deutschland eine lange Tradition. Bereits seit den Anfängen im späten 18. Jahrhundert wirkten sie gesellschaftsbildend: Als Selbstermächtigung des Bürgertums und später auch der Arbeiterschicht begleiteten Vereinsgründungen die Demokratieentwicklung und wurden zu einer prägenden Größe in der Zivilgesellschaft. So kam es beispielsweise im Bereich des Amateurmusizierens mit der aufkommenden Nationalbewegung zu einer Gründungswelle von Männergesangvereinen, die sich 1862 zum Deutschen Sängerbund mit 41 Regionalbünden zusammenschlossen. Damit entstand der seinerzeit weltweit größte Chorverband, der 2005 mit dem Deutschen Allgemeinen Sängerbund zum heutigen Deutschen Chorverband fusionierte.

MIZ WISSEN

Verbände, Vereinigungen, Gesellschaften

Detailinformationen zu den  rund 400 Verbänden und weiteren Vereinigungen, die sich für das Musikleben engagieren, verzeichnet das miz in seiner Datenbank. Berücksichtigt sind Institutionen, die von ihrer Aufgabenstellung her bundesweit oder international angelegt sind. In Einzelfällen werden aufgrund besonderer historischer oder regionaler Gegebenheiten auch landesweit oder regional tätige Organisationen aufgeführt., die ansonsten aus Kapazitätsgründen keine Berücksichtigung finden.

https://miz.org/de/musikleben/institutionen/verbaende-vereinigungen-gesellschaften

Zahllose weitere Vereine und Verbände gründeten sich im 19. und 20. Jahrhundert – und dies in allen gesellschaftlichen Schichten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Vereinswesen in Deutschland neu aufgebaut. Heute gehören diese Organisationen zu den wichtigen zivilgesellschaftlichen „playern“, die das Musikleben in starkem Maße prägen und beispielhaft für ein funktionierendes demokratisches System stehen. Sie verfolgen unterschiedliche Ziele, haben unterschiedliche Strukturen und Arbeitsweisen und sorgen an zentralen Stellen dafür, dass Musikmachen, Musikhören, Musikproduzieren, Forschen und Vermitteln möglich werden. Viele, vor allem die großen Musikverbände mit Strahlkraft in die Politik und Gesellschaft hinein, sind Mitglieder des Deutschen Musikrats, der ihnen ein mächtiges Dach bietet und vor allem auf politischer Ebene dafür sorgt, dass ihre Stimme dort gehört wird.

Der Deutscher Musikrat –
seit 70 Jahren eine feste Größe im Musikleben

Der Deutsche Musikrat feiert 2023 sein 70-jähriges Bestehen und hat in diesen 70 Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung erlebt. 1953 auf Initiative der UNESCO als deutsche Sektion des Internationalen Musikrats gegründet, engagierte er sich schon früh in Themenfeldern, die auch für die Entwicklung eines lebendigen Musiklebens innerhalb Deutschlands und für die Arbeitsbereiche seiner Mitglieder von Bedeutung waren. Deren Interessen auf dem politischen Feld zu vertreten und durch eigene Projekte zu befördern, gehörte und gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Musikrats. Dabei ging es im Lauf der Jahrzehnte zum Beispiel um die Sorge für den künstlerischen Nachwuchs, um Stärkung der musikalischen Bildung im Bereich der Schulmusik sowie der außerschulischen musikalischen Bildung, um den Kampf für Ressourcen in Zeiten knapper werdender Kassen oder um angemessene Rahmenbedingungen für ein vielfältiges Musikleben. Heute setzt sich der Musikrat unter anderem für die soziale Absicherung von Musiker*innen ein, für Teilhabe und Inklusion oder für die Umsetzung der UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt in die Praxis. Im Jahr 2003 teilte sich der Deutsche Musikrat in die gemeinnützige GmbH mit Sitz in Bonn und den Verein in Berlin. Die gGmbH betreibt zahlreiche bundesweit wirksame Projekte zur Förderung musikalischen Tuns auf vielen Ebenen. Genannt seien hier das Deutsche Musikinformationszentrum (miz) mit seinem Forschungs- und Informationsauftrag und der Wettbewerb Jugend musiziert, sicher das bekannteste Aushängeschild des Musikrats. Der Musikrat e. V. wiederum konzentriert sich auf die politische Interessenvertretung seiner Mitglieder. Verein und gGmbH finanzieren sich zu einem wesentlichen Anteil durch Mittel der öffentlichen Hand. Zeichen dafür, dass auch auf Seiten der Politik eine starke zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für die Belange ganz unterschiedlicher Akteure des Musiklebens einsetzt, geschätzt wird. Heute zählen neben 16 Landesmusikräten über 90 Bundesfachverbände und Institutionen des Musiklebens zu den ordentlichen Mitgliedern des Deutschen Musikrats.

Bild
Präsidium des Deutschen Musikrats, das auf der Mitgliederversammlung 2021 für vier Jahre gewählt wurde
Präsidium des Deutschen Musikrats, das auf der Mitgliederversammlung 2021 für vier Jahre gewählt wurde (nicht im Bild: Prof. Anette von Eichel; Prof. Dr. Hermann Wilske)  
Foto:  MIKA-fotografie | Berlin

Aufgaben und Ziele der Musikverbände

Abhängig von der Mitgliedschaft und den satzungsgemäßen Zwecken haben Musikverbände unterschiedliche Aufgaben, entwickeln diverse Aktivitäten, Veranstaltungen oder Projekte. Ebenso wie der Deutsche Musikrat als Dachverband setzen sich auch viele Einzelverbände für die jeweiligen Interessen ihrer Mitglieder ein. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein hochdifferenziertes Bild von sehr speziellen bis hin zu übergeordneten Aufgabenbereichen. Dabei können solche Verbände, die sich für kleinere Gruppen zuständig fühlen, sehr gezielt agieren: Sie setzen sich für bestimmte Berufsgruppen, für einzelne Instrumente, Forschungsbereiche, Musikstile oder Musikwirtschaftsbranchen ein. Gebündelt werden solche Zielsetzungen dann in übergeordneten Verbänden, die wiederum die Interessen ihrer Mitglieder in einen gewissen Einklang bringen und gegenüber der Politik gemeinsame Forderungen durchsetzen können. Einzelnen eine Stimme zu geben, ist dabei Ziel sowohl der kleinen als auch der größeren Verbände. Beispiel für eine solche „hierarchische“ Verbandsstruktur ist der Bereich der Amateurmusik. Hier hat sich 2019 mit dem Bundesmusikverband Chor & Orchester ein „Dachverband der Dachverbände“ gegründet, dessen lautstarker Einsatz für die Belange sowohl der instrumentalen als auch der vokalen Interessengruppen auf bundes- wie landespolitischer Ebene einfach nicht zu überhören ist. Diverse Förderprojekte zum Beispiel für Amateurmusik im ländlichen Raum zeugen davon.

Neben der politischen Lobbyarbeit gibt es andere  Formen der Interessenvertretung. So stehen künstlerische Arbeitnehmerverbände, darunter die wegen ihres hohen Organisationsgrads einflussreiche „unisono“ als Vertreterin vor allem von Orchestermusiker*innen und Rundfunkchormitgliedern, in Tarifverhandlungen für eine angemessene Vergütung, aber auch für bestmögliche Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder ein und vertreten diese gegenüber den Arbeitgeberverbänden, allen voran dem Deutschen Bühnenverein.

Serviceleistungen für die Mitglieder gehören zum festen Aufgabenbereich vieler Verbände. Auch hier zeigt sich eine große Vielfalt. Wichtiger Faktor ist der Austausch untereinander: Man lernt von den Erfahrungen anderer, entwickelt gemeinsam Projekte oder Strategien. Der Wert der sich hier bildenden Netzwerke ist nicht zu unterschätzen, selbst wenn die Mitglieder häufig in Konkurrenz zueinander stehen. Musikwirtschaftliche Verbände wie der Bundesverband Musikindustrie, der Deutsche Musikverleger-Verband oder der Bundesverband der deutschen Musikinstrumenten-Hersteller sind hierfür ein gutes Beispiel.

Fort- und Weiterbildung ist ein wichtiger Servicebereich, den Verbände ihren Mitgliedern oftmals anbieten. Hier seien die großen musikpädagogischen Verbände wie der Bundesverband Musikunterricht oder der Verband deutscher Musikschulen mit ihren bundesweiten Kongressen oder auch mit themenspezifischen Seminaren und Lehrgängen genannt. In einigen Verbänden spielt die Rechtsberatung einzelner Mitglieder eine große Rolle. Häufig ist eine Erstberatung im Mitgliedsbeitrag enthalten, so beim Deutschen Tonkünstlerverband, der sich als Berufsverband für alle Musikberufe versteht, oder auch – spezieller – beim Deutschen Komponist:innenverband.

Förderung einzelner Mitglieder und Nachwuchsförderung  stehen auf der Agenda zahlreicher Musikverbände. Dazu gehören Kurse- und Ensemblefreizeiten ebenso wie Stipendien oder Preise für besondere musikalische
Leistungen, sowohl im Amateur- wie im Profibereich. Eine recht neue Funktion, die Verbänden auf der politischen Ebene zukommt, ist die des „Verteilers“ von öffentlichen Mitteln für zweckgebundene Programme. Verbände fungieren hier als Anlaufstelle für Bewerbungen oder Anträge; sie prüfen diese, bewilligen sie im besten Falle, zahlen die ihnen übertragenen Gelder aus und prüfen zuletzt auch die Verwendungsnachweise. Das während der Pandemie aufgesetzte Programm NEUSTART KULTUR ermöglichte es so zahlreichen Verbänden, mit staatlichen Mitteln die schlimmsten Folgen für ihre Mitglieder und teils auch darüberhinausgehend für weitere Betroffene zu mildern. Der Deutsche Musikrat und die Initiative Musik gehörten dabei zu den wichtigsten Schaltstellen. Ebenso wie das bereits seit 2013 laufende Programm „Kultur macht stark“ – auch hier sind große Kulturverbände an zentraler Stelle beteiligt – ist dies Beweis dafür, dass das Vertrauen der Politik in die Arbeit der Verbände groß ist.

Verbandsstrukturen

Die Struktur von Vereinen und von solchen Verbänden, die als e. V. organisiert sind, wird durch das deutsche Vereinsrecht geregelt. Hier greift das demokratische Prinzip: Im klassischen Verein sind die Mitglieder, quasi das „Volk“, der Souverän. Dieser (oder von ihm Delegierte) wählt ein ehrenamtliches Gremium, in der Regel Vorstand oder Präsidium, das inhaltliche und strategische Vorgaben macht und letztlich für das auch wirtschaftliche Funktionieren verantwortlich ist. Hier zeigt sich, dass Vereine vom bürgerschaftlichen Engagement vieler Menschen leben, die ihren Teil zum Gelingen eines gesellschaftlichen Miteinanders beitragen wollen. Werden kleinere Vereine häufig komplett ehrenamtlich organisiert, so berufen große Verbände hauptamtliche Geschäftsführungen sowie ggf. weitere Mitarbeiter*innen. Ein überzeugendes Konstrukt, das in der Praxis durchaus Herausforderungen birgt: Nicht selten kommt es vor, dass Haupt- und Ehrenamt über Kompetenzfragen in Konflikt geraten. Wenn das Miteinander gelingt, kann das System Verein jedoch eine sehr effektive Arbeitsweise und Arbeitsteilung bereitstellen.

Das politische föderale System der Bundesrepublik überträgt sich auf zahlreiche Verbände. Ebenso wie 16 Landesmusikräte eigenständig arbeiten, geben sich viele – allerdings längst nicht alle – Verbände mit Landesverbänden eine föderale Struktur. Unterschiedlich ist dabei geregelt, wie eigenständig diese Landesverbände agieren (können): Manche sind – wie die Landesmusikräte – wiederum eingetragene Vereine, andere sind ohne eigene Rechtsform ihrem Bundesverband angeschlossen.

Vereine und Verbände leben von ihren Mitgliedern. In musikwirtschaftlichen Verbänden schließen sich Unternehmen zusammen, beispielsweise solche des Konzert- und Veranstaltungsgewerbes im Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft oder Klavierhersteller im Bundesverband Klavier. Auch andere Verbände bieten Körperschaften ein Dach, so der Deutsche Chorverband, der Verband deutscher Musikschulen oder auch der Bundesverband der Freien Musikschulen. Wieder andere, vor allem die Berufsverbände oder auch solche Vereine, die sich einzelnen Bereichen der Musikforschung widmen, haben persönliche Mitglieder. Es gibt auch Mischformen: Die Jeunesses Musicales hat mit ihren Jugendorchestern eine korporative Mitgliederstruktur, verzeichnet daneben aber auch eine nennenswerte Zahl an Einzelmitgliedern. Wie die Jeunesses Musicales sind viele andere Verbände auch international verbunden. Der Austausch mit Strukturen, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgen, ist innerhalb der Europäischen Union, aber auch darüber hinaus von großem Wert. Grenzüberschreitende Projekte oder gemeinsam formulierte politische Forderungen können Inhalte einer Zusammenarbeit sein.

Bedeutung der Verbände für die Zivilgesellschaft

Die Themenvielfalt deutscher Musikverbände ist umfangreich. Es ist beeindruckend – und im internationalen Vergleich wohl einzigartig –, in welchen Bereichen des Musiklebens sich Menschen in Deutschland, ob haupt- oder ehrenamtlich, engagieren. Alle Bereiche der Musikwirtschaft und Medien sind abgedeckt. Kirchenmusik spielt eine wichtige Rolle in Deutschland und wird durch diverse Verbände vertreten. Aus- und Fortbildung, angefangen bei den Kleinsten bis zur Spezialisierung von Profis, wird in Verbänden angeboten und weiterentwickelt. Alle musikalischen Genres und Epochen finden in diversen Vereinen oder Verbänden ein Zuhause, und auch der Gesundheitssektor spielt eine wichtige Rolle.

Ein Spezialbereich sind die Verwertungsgesellschaften.  Genannt sei hier die sicher bekannteste unter diesen, die GEMA, die dafür sorgt, dass die von ihr vertretenen Komponist*innen ebenso wie Verlage und Textdichter* innen für Werke, an denen ihnen Urheberrechte zustehen, angemessen vergütet werden. Für die Verwertung von Leistungsschutzrechten ist die GVL zuständig. Sie kümmert sich um die angemessene Vergütung der
Rechte von ausübenden Musiker*innen, Tonträgerherstellern und Veranstaltern. Insgesamt zeigt sich, dass die Wirkungsmacht all dieser Musikvereinigungen ungemein stark ist. Im Sinne all derjenigen, die Musik machen und/oder konsumieren, sind sie als Akteure der Zivilgesellschaft nicht wegzudenken. In der Politik reden die großen Verbände ein wichtiges Wort mit, besonders dann, wenn viele mit einer Stimme sprechen. Die Postergrafik zeigt eindrücklich: Das Engagement in Deutschland für alle Belange der Musik ist riesig – nicht zuletzt durch die kontinuierliche Arbeit des Deutschen Musikrats, eines im Jahr 2023 gefeierten und stets am Puls der Zeit gebliebenen Jubilars.

Organigramm Deutscher Musikrat