Natürlich hatte Philip Josiger zunächst Respekt vor seiner Entscheidung, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen, ein eigenes Geschäft aufzumachen und die finanziellen Verpflichtungen dafür auf sich zu nehmen. Was, wenn die Kundschaft ausbleibt? Im Notfall hätte der frisch gebackene Metallinstrumentenbauer-Meister als Mitarbeiter in einen bestehenden Betrieb einsteigen können, doch Plan B hatte sich schnell erledigt. „Bisher musste ich mir keine Sekunde lang überlegen, was ich zu tun habe“, sagt Josiger. In der Tat kann er sich nicht über Beschäftigungsmangel beklagen, seitdem er 2018 eine eigene Metallinstrumentenwerkstatt in Scheibenberg eröffnet hat. Damals war er 23 und nach langer, gründlicher Ausbildung in seine erzgebirgische Heimatstadt zurückgekehrt. In den hellen und offenen Räumlichkeiten am Scheibenberger Marktplatz kümmert sich der junge Handwerker seitdem um alles, was rund um Trompeten, Hörner, Posaunen und Co. anfällt. Sein besonderes Steckenpferd: die Tuba. Das Schwergewicht unter den Blechblasinstrumenten ist eine alte Leidenschaft von Josiger und hat ihn überhaupt erst zu seiner Berufslaufbahn inspiriert.
Keine Angst vor schmutzigen Händen
„Als Kind habe ich im Posaunenchor Baritonhorn gespielt, doch dann habe ich irgendwann die Tuba ausprobiert und lernte sie kurze Zeit später lieben“, erinnert sich Josiger, der schon von seinem damaligen Tubalehrer Michael Nestler an der Musikschule einige Grundkenntnisse im Instrumentenbau vermittelt bekam. Die Alternative, die Tuba als Profimusiker zum Mittelpunkt seines Arbeitslebens zu machen, hatte Josiger zwischenzeitlich zwar ebenfalls erwogen, doch die eher heiklen Berufsaussichten schreckten ihn ab. Stattdessen fokussierte er sich auf die Herstellung. Noch als Schüler absolvierte er ganze drei Praktika bei Metallinstrumentenbauern und konnte so vorab schon einmal testen, ob er überhaupt die geforderten Fähigkeiten für den Beruf mitbrachte. Nach Abschluss der Mittleren Reife trat er dann seine Ausbildung an. „Handwerkliche Begabung ist die eine Sache“, sagt Josiger, „doch man braucht auch Geduld und muss sich klar darüber sein, dass die Arbeit manchmal auch ganz schön schmutzig sein kann. Vor allem, wenn es ums Polieren geht.“
In seinem thüringischen Ausbildungsbetrieb lernte Josiger ein ebenso spannendes wie vielfältiges Betätigungsfeld kennen – wenn auch nicht gerade ein überlaufenes. „In ganze Thüringen war ich der einzige Azubi in meinem Bereich“, erinnert sich Josiger; in der Berufsschule im schwäbischen Ludwigsburg, die er als Teil der dualen Ausbildung im Blockunterricht besuchte, begegneten ihm gerade einmal vier weitere angehende Instrumentenbauer*innen aus anderen Regionen, die sich, wie er, zwischen drei fachspezifisch ausgerichteten Berufsschulen in Deutschland entscheiden konnten. Nach erfolgreichem Abschluss seiner dreijährigen Ausbildung holte sich Josiger den letzten praktischen Schliff bei einem Metallblasinstrumentenbauer in Leipzig und absolvierte gleichzeitig die Meisterhausbildung: ein Ziel, das er von vornherein angestrebt hatte.
„Jedes Instrument wird auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Bestellers abgestimmt.“
Von Reparatur bis Neubau
Vielseitiges Wissen und Übersicht sind gerade in dem Betrieb wie dem von Philip Josiger von großer Wichtigkeit. Während sich einige Metallblasinstrumentenbauer*innen auf die Herstellung spezialisieren, gibt es auch solche, bei denen Reparatur und Wartung im Vordergrund stehen; wieder andere legen ihren Fokus auf die Entwicklung oder den Handel von Instrumenten und Zubehör. In Josigers Werkstatt spielen all diese Dinge eine Rolle, doch liegen seine Schwerpunkte eindeutig auf dem handwerklichen, weniger auf den kaufmännischen Aspekten seines Berufs. Die zeitaufwändigste Beschäftigung ist, neben Sonderanfertigungen, der Neubau eines Instruments – zumal, wenn es sich um ein so großes und komplexes wie die Tuba handelt. Drei Ausführungen einer F-Tuba, die auf dem Modell seines Meisterstücks beruhen, hat Josiger derzeit im Angebot, hinzu kommen zwei B-Tuben-Modelle. „Was man dazu sagen muss: Es handelt sich nicht um Serienherstellung, jedes Instrument wird auf die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Bestellers abgestimmt.“ Nur der Entwurf – der Bauplan, an dem sich der Handwerker bei der Herstellung orientiert – ist jeweils gleich. Darüber hinaus ist Josiger immer bestrebt, seine Modelle zu optimieren und neue zu entwickeln.
Eine solche Arbeit erfordert neben mathematischen, akustischen und materialtechnischen Kenntnissen vor allem Geduld. „Für den Bau einer einzigen Tuba benötige ich etwa 150-200 Stunden“, sagt Philip Josiger. „Mit der Entwicklung zusammen sind es locker 500 Stunden.“ Das Material, das er beim Bau verwendet, bezieht Josiger größtenteils von regionalen industriellen Blechblasinstrumenten-Herstellern. „Die Mindestabnahmemenge der Großhändler würde meinen Bedarf bei weitem übersteigen,“ sagt er, „daher bin ich für den kollegialen Austausch sehr dankbar.“ Für eine B-Tuba etwa fallen bis zu 4 Quadratmeter Blech an und noch 6,5 Meter für die Ventile und restlichen Teile. Je nach Ausführung und gewünschten Klangeigenschaften kommen unterschiedliche Messing, Goldmessing, Rotmessing oder Neusilberlegierungen zum Einsatz, die Josiger nach entsprechendem Zuschnitt so lange mit Blechscheren, Gasbrennern, Hämmern, Zieheisen, Feilen, Zangen und anderen Spezialwerkzeugen bearbeitet – biegt, drückt, dreht, zieht, hämmert und lötet –, bis die einzelnen Teile einer Tuba in die passende Form und Größe gebracht sind. Schon beim Blick auf die verschlungenen Ventilzüge und die filigrane Mechanik bekommt man eine Ahnung, welche Arbeit dahintersteckt. „Am meisten muss man auch beim Hart- und Weichlöten achtgeben“, sagt er. Auch hier sind Geduld und Fingerspitzengefühl die entscheidenden Faktoren.
Die Dicke des Blechs liegt bei einer F-Tuba zwischen 0,35-0,6mm, bei größeren Modellen darüber. „Eine B-Tuba, die dünner wäre, würde zwar fantastisch ansprechen hätte aber akustisch andere Nachteile – zusätzlich würde das Instrument nach kurzer Zeit verbeult aussehen“, sagt Josiger, der als Fachmann natürlich auch in diesen Fällen weiterhelfen kann: Das Ausbeulen gehört zu den standardmäßigen Reparaturarbeiten, die er in seiner Werkstatt anbietet. „Außerdem kann eine Tuba ganz ohne Beulen noch nie gespielt worden sein“, scherzt er. Nachdem die Tuba in Form gebracht wurde, erhält sie, je nach angestrebter Optik und damit verbundener Klangeigenschaft, eine Lackierung, galvanische Versilberung, Vergoldung oder auch gar keine Beschichtung. Und dann heißt es „polieren, polieren, polieren“, bis das Instrument nicht nur akustisch, sondern auch optisch eine glänzende Figur macht. Bestimmte Teile wie Zylindermaschinen, Schallstücke, Kleinteile der Mechanik, Ventilbögen oder Mundstücke stellt Philip Josiger beim Bau neuer Instrumente übrigens nicht selbst her, es sei denn, es ist im Rahmen einer Sonderanfertigung nötig. Und wenn er nicht baut oder speziellen Kundenwünschen nachgeht, halten ihn zahlreiche Reparaturaufträge auf Trab, die mittlerweile aus der ganzen Welt eingehen.
Kundenkreis aus Nachbarschaft und Übersee
„Nach der Meisterausbildung bin ich vor allem aus persönlichen familiären Gründen wieder in meine Heimat zurückgekehrt“, sagt Philip Josiger, mittlerweile auch zweifacher Vater, „doch es war auch eine gute Entscheidung fürs Geschäft.“ Nicht nur, dass er weit und breit der einzige Metallblasinstrumentenbauer im sonst so für sein Handwerk berühmten Erzgebirge ist; auch durch die hier so breit aufgestellte Blasmusikszene hat er einen großen potenziellen Kundenkreis in der Nachbarschaft. Er selbst ist bis heute im Posaunenchor aktiv, wie auch im Jugendblasorchester der Stadt Thum e.V. und kümmert sich um die Instrumente seiner Mitspielenden. Neben Amateuren finden zahlreiche Profis ihren Weg in seiner Werkstatt, mittlerweile sogar aus Übersee. „Da wäre es schon schön, wenn man manchmal etwas Hilfe hätte.“ Bislang als Einzelkämpfer unterwegs, hat Josiger immer wieder daran gedacht, selbst in die Ausbildung einzusteigen. Noch hat er mit diesem Schritt gewartet, auch, um so gut wie möglich auf die verantwortungsvolle Aufgabe eines Ausbilders vorbereitet zu sein. „Vielleicht ist die Zeit reif, wenn ich 30 werde“, sagt der Noch-Twen. Doch egal in welchem Alter: Zwei weitere Hände könnte er mindestens gebrauchen in einer Werkstatt, in der die Arbeit nie ausgeht.