„Das Bewahren der historischen Thüringer Kulturlandschaft, der daraus hervorgegangenen innovativen Impulse und deren Förderung sind Ziele aller Kulturträger des Freistaates.“
(Aus „Kulturkonzept des Freistaates Thüringen“ 2005)


"Wer den Bereich von Kunst und Kultur für ein besonders naheliegendes Feld der Haushaltskonsolidierung hält, berührt nicht nur das kulturelle, sondern auch das empfindliche soziale Gewebe einer Stadt."
(Bundeskanzlerin Angela Merkel)



Sehr geehrte Damen und Herren,

wir, die Orchester des Freistaates Thüringen, sehen uns dankbar und verantwortungsbewusst als Teil der Erbengemeinschaft einer der reichhaltigsten und lebendigsten regionalen Musiktraditionen in Europa. Dieser Verantwortung haben wir uns gestellt, mit intensiver künstlerischer Arbeit, mit wachsendem Bemühen um die soziokulturelle Arbeit in unseren Regionen, mit Kinder-, Jugend-, Familienkonzerten, mit Patenschaften für Schulen und Musikschulen, Jugend- und Laienorchestern, mit fruchtbarer Zusammenarbeit in zahlreichen gemeinsamen Konzerten mit Laienchören in Kirchen und Konzertsälen. Für all das besteht jetzt die reale Gefahr des totalen Verlustes!
Von Anfang an waren wir auch mit Konsequenzen schmerzlicher Strukturveränderungen in unserem Land konfrontiert. Die Orchester in Bad Salzungen, Heiligenstadt und Bad Liebenstein mit insgesamt 75 Orchestermusikern wurden aufgelöst.
Dennoch verschlossen wir uns der Einsicht nicht, dass die thüringische Theater- und Orchesterlandschaft sich verändern wird. Thüringische Orchester in Altenburg, Eisenach, Erfurt, Gera, Gotha, Greiz, Meiningen, Nordhausen, Rudolstadt, Saalfeld, Sondershausen, Suhl diskutierten gemeinsam mit der Deutsche Orchestervereinigung (DOV), mit dem Land Thüringen, den Kommunen intensiv über mögliche künstlerisch, kultur- und finanzpolitisch tragbare Strukturen.
Die Ergebnisse sind bekannt: In neuen fusionierten und funktionierenden Strukturen präsentieren sich heute Altenburg/Gera, Greiz/Reichenbach, Saalfeld/Rudolstadt, Sondershausen/Nordhausen.
Wir sehen es als ein gutes Zeichen für unsere Arbeit, dass die erheblichen Schwierigkeiten, zahlreichen Härten, individuellen Probleme solcher Prozesse in der Öffentlichkeit kaum bekannt geworden sind.
Auch das Publikum ist diesen Weg mitgegangen, weil es die fusionierten Theater und Orchester zuletzt auch als die seinen angenommen hat und die Kommunen selbst die Träger ihrer Häuser bleiben und ihre ihnen nach dem Grundgesetz übertragene kulturelle Verantwortung weiter wahrnehmen konnten.
Ganz anders 1997, als die Landesregierung beschloss, die Thüringen-Philharmonie Suhl ersatzlos aufzulösen. Die entschiedenen Proteste waren gewaltig. Solidaritätsbekundungen kamen aus dem In- und Ausland. Die Musiker traten in einen weltweit beachteten Hungerstreik.
Wieder waren Musiker und DOV zu Gesprächen um eine Lösung bereit. So kam es zum Vorschlag der Landesregierung, die Suhler Musiker mit dem Gothaer Orchester zu fusionieren. Auch das wurde in gemeinsamem Bemühen von Land, Kommunen und Musikern erfolgreich umgesetzt.

Und nun? Alles nichts mehr wert? Die erheblichen, vielfachen gemeinsamen Anstrengungen von Bund, Land, Kommunen, Betroffenen zum Erhalt der thüringischen Kultur, auch der Musikkultur - alles umsonst? Dagegen geradezu bösartige, bewusste und wohl zweckbestimmte Verunglimpfungen wie "auch die Kultur" müsse "endlich sparen"! - Es wurde und wird gespart. Und das deutlich!
Kein Orchester Thüringens hat mehr die ursprüngliche Größe. Fast alle Theater und Orchester arbeiten nach Haustarifverträgen mit vereinbarten Gehaltsverzichten. Durch Auflösungen und Fusionen hat Thüringen inzwischen siebeneinhalb Orchester verloren! Die Zahl der Orchestermusiker in Thüringen hat sich um 424 (40 % !) verringert!- Und es wurde nicht gespart?
Was ist das für eine Kulturpolitik, die den Kommunen die Mittel für ihre Kultur derart drastisch zusammenstreicht und sie gleichzeitig zynisch auffordert, nun kulturpolitisch verantwortlich zu handeln. Keineswegs geht es dabei um Strukturveränderungen. Es geht um nichts anderes als um zentral verordnete massive Substanzreduzierung, die so mancher Kommune ihre verfassungsrechtlich verankerte Zuständigkeit für ihre Kultur entzieht. Kein gemeinsames Nachdenken und Analysieren mehr, kein sorgfältiges Prüfen aller Möglichkeiten, um in schwierigen Situationen die kulturelle Substanz zu erhalten, wie das in der Vergangenheit erfolgreich möglich war. Im Gegenteil. Sogar die fest vereinbarte eigene Gesprächs- und Erörterungszusage des Kultusministers gegenüber der DOV "noch in der internen Beratungsphase" wurde nicht eingehalten.
Ehrlicherweise macht die Landesregierung kein Hehl daraus, wie es weitergehen soll: Der jetzt geplanten Streichung von 21,6 % der Mittel für Theater und Orchester soll nach deren Umsetzung die nächste Kürzung um 10 Millionen folgen. Und dann? Dann sieht der Kultusminister überhaupt nur noch drei Standorte. Es gibt keinen Zweifel: Das auf seine mehrhundertjährige Tradition als eine der eindrucksvollsten Musikregionen Europas mit Recht so stolze Thüringen wäre bestenfalls noch eine schöne, schmerzliche Erinnerung, würden drei übrig gebliebene Thüringer Theater und Orchester dann durchs ganze Thüringer Land ziehen - für ihre weitere Existenz wohl auch auf die Resonanz der Verlierer hoffend. Kultur, Aktivitäten, Kontakte rings um ein Theater, ein Orchester sind dann verloren.

"Ohne Zweifel: Öffentliche Ausgaben müssen sich rechtfertigen, Kulturausgaben auch. Zur Konsolidierung öffentlicher Haushalte sind Kulturetats dagegen völlig ungeeignet: Dafür ist ihr Anteil an den Gesamtausgaben zu gering und ihre Bedeutung zu hoch", mahnt Bundestagspräsident Lammert.
In der jetzigen Thüringer Streichrunde geht es sage und schreibe um ein Tausendstel des Thüringer Haushaltes. Dabei sind Abfindungen, Sozialpläne, Übergangsgelder, Mehrkosten für die Reiseunternehmen der restlichen Theater und Orchester und weitere Folgekosten noch nicht einmal berücksichtigt. Und was wird dafür alles vernichtet!?
"Unsere Kultur prägt die Identität unseres Landes und seiner Menschen, Kultur ist sowohl historisch gewachsene Tradition als auch Lebensäußerung von Menschen der Gegenwart", heißt es im Grundsatzprogramm der CDU. - Geht dies dem Freistaat Thüringen tatsächlich - wie der Volksmund sagt - am Allerwertesten vorbei?

Die Theater und Orchester Thüringens sind nach wie vor zum Dialog bereit. Zuviel steht auf dem Spiel für unsere Regionen, für den Freistaat Thüringen und damit letztlich auch für die Bundesrepublik Deutschland. Die jüngsten "kulturellen" Vorhaben des Kultusministeriums beschädigen auch das Selbstverständnis Deutschlands als Kulturland - seit dem Einigungsvertrag mit Verfassungsrelevanz. Eine solch verordnete flächendeckende Gefährdung der Kultur eines ganzen Landes hat es in Deutschland bisher nicht gegeben!
Laut einer dpa-Umfrage lehnen 80 % der deutschen Bevölkerung den Rotstift gegen Theater, Orchester, Bibliotheken ab. Ein Ergebnis, das der aktuelle Thüringen-Trend bestätigt: In Thüringen sind 77% der Bevölkerung der Meinung "Die Theater und Orchester in Thüringen sind über viele Jahrzehnte gewachsen, sie sind Ausdruck kultureller Vielfalt und somit unverzichtbar. Es darf dort nicht weiter gespart werden."
Einer der Väter des Einigungsvertrages, Wolfgang Schäuble, begründet dies überzeugend:
"Kunst und Kultur ermöglichen es, sich als Thüringer, Deutscher und Europäer zugleich zu fühlen, ohne auf eine klare Identität verzichten zu müssen... Sie führen zu sich selbst und sie führen zusammen in gleicher Weise."
Dabei wollen wir auch in Zukunft nach Kräften beitragen und fordern die Rückkehr zum einzig Sinnvollen, zum fairen Dialog.
Bitte helfen Sie uns im gemeinsamen Bemühen um unser "Kulturland Thüringen"!

Mit freundlichen Grüßen

Landeskapelle Eisenach
Philharmonisches Orchester Erfurt
Philharmonisches Orchester Gera-Altenburg
Vogtlandphilharmonie Greiz/Reichenbach
Thüringen Philharmonie Gotha-Suhl
Jenaer Philharmonie
Orchester des Meininger Theaters
Thüringer Symphoniker Saalfeld/Rudolstadt
Loh-Orchester Sondershausen/Theater Nordhausen
Staatskapelle Weimar

Die "Initiative Erhalt Thüringer Kultur" fordert alle Thüringer auf: Setzen Sie sich mit uns dafür ein, dass unser Land Thüringen auch in Zukunft ein "Kulturland" bleibt.

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