Bei einem vom Bachhaus Eisenach neu erworbenen Pastellbild handelt es sich nach Angabe des Museums wahrscheinlich um ein authentisches zeitgenössisches Bach-Porträt. Es tauchte erstmals 1927/28 in der berühmten Sammlung Manfred Gorke auf. 1936 wurde es vom englischen Bachforscher Charles Sanford Terry als das Bach-Pastell identifiziert, das Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel besessen hat. Zu dem gleichen Ergebnis gelangte der Kölner Musikwissenschaftler Georg Kinsky. Bei der Auflösung der Sammlung Gorke Ende der 30er Jahre ging das Gemälde an einen Berliner Privatmann und war seither praktisch verschwunden.

Dass es ein Bach-Pastell gab, ist aus Briefen bekannt, die der in Hamburg lebende Carl Philipp Emanuel Bach an den Bach-Biographen Johann Nikolaus Forkel schrieb. Im Brief vom 20. April 1774 heißt es: „Meines Vaters Portrait, welches ich in meiner musicalischen Bildergallerie, worin mehr als 150 Musicker von Profeßion befindlich sind, habe, ist in pastell gemahlt. Ich habe es von Berlin hierher zu Waßer bringen laßen, weil dergleichen Gemählde mit trocknen Farben das Erschüttern auf der Axe nicht vertragen können“. Im zweiten Brief vom 13. Januar 1775 erkundigt sich der Bach-Sohn nach dem geplanten Frontispiz für Forkels Buch: „Was wollen Sie für ein Portrait vorsetzen? Das, was Sie haben, ist fehlerhaft. Ich habe ein schönes, ähnliches Original in Pastell.“ Diese Briefe sind die einzigen Dokumente, die die Existenz eines weiteren zeitgenössischen Bach-Bilds – neben dem berühmten Haußmann-Porträt von 1746, das im Alten Rathaus in Leipzig hängt – historisch verbürgen. Nach dem Tod von Carl Phililipp Emanuel Bach war das Bach-Pastell verschollen.

Bei dem jetzt erworbenen Pastell handelt es sich nach erster Untersuchung des Museums um ein Original aus der ersten Hälfte des 18. Jh. Dem entspreche der physische Zustand, die Malweise, Kleidung und Darstellung des Porträtierten. Die Physiognomik mit den tiefliegenden Augen und dem prominenten Unterbiss ähnelt derjenigen des bislang einzig als unanfechtbar echt geltenden Bach-Gemäldes von Elias Gottlob Haußmann aus dem Jahr 1746. Abweichungen ergeben sich im Alter und der Kleidung des Dargestellten. Letzteres ist von Bedeutung, weil sich einige Details – die Perücke, das Spitzenjabot – auch auf einem Kupferstich wiederfinden, den Samuel Gottlob Kütner 1774 wohl im Auftrag von Carl Philipp Emanuel ausführte, und den der Bach-Sohn als „ziemlich ähnlichen Kupferstich von meines lieben seeligen Vaters Portrait“ bezeichnete. Genau diese Darstellung übernahm Forkel dann für das Frontispiz zu seiner Bach-Biographie von 1802.

Gorke selbst datierte das Gemälde auf ca. 1730. Es würde damit Bach in einem Alter von etwa 45 Jahren zeigen. Mit bloßem Auge lassen sich Unterschiede zwischen der etwas verlaufenen Originalkreide und derjenigen einer 1936 vorgenommenen Restaurierung erkennen – das Gemälde wirkt deshalb frischer, als es sonst zu erwarten wäre. „Heute würde man diese Restaurierung nicht mehr verantworten, damals war sie normal“, meint Bachhaus-Archivarin Gisela Vogt, die seit vielen Jahren nach dem Bild suchte.

Die Sammlung des aus Hirschberg in Schlesien stammenden, in Eisenach und später Leipzig und Meiningen lebenden Manfred Gorke gehörte am Anfang des 20. Jh. zu den letzten großen privaten Sammlungen von Bachiana. Gorke ererbte sie angeblich von seinem Urgroßvater, einem Kantor mit Verbindung zu Johann Nikolaus Forkel. 1928 gelangte die Sammlung zu einiger Berühmtheit, als darin Bachs bislang unbekannte Violinsonate in G-Dur BWV 1021 entdeckt wurde. Der damals 31jährige wurde zur Abgabe der Sammlung gedrängt und verkaufte sie schließlich 1935 an die Stadt Leipzig. Dazu gehörten mehrere Bach-Autographe, Schriftstücke und Briefe von Bach-Schülern wie Altnickol, Doles und Kirnberger sowie von „Enkelschülern“ wie Forkel, Gerber, Häßler und Rust – genau der Personenkreis, der am ehesten als Erwerber eines Bach-Pastells aus dem Besitz von Carl Philipp Emanuel Bach in Betracht kommt. Die von der Stadt Leipzig erworbene Sammlung gehört heute zum Kernbestand des Leipziger Bach-Archivs. Das Bach-Pastell behielt Gorke 1935 dagegen und verkaufte es 1936 gesondert an den Berliner Industriellen Gustav Winkler. Am 15. Dezember 2013 konnte es nunmehr aus Privatbesitz vom Bachhaus Eisenach erworben werden. Den Erwerb unterstützten die Neue Bachgesellschaft und die Johann-Sebastian-Bach-Stiftung (Leipzig).

Das 1907 gegründete Bach-Museum am Geburtsort Johann Sebastian Bachs im thüringischen Eisenach besitzt die weltweit größte Sammlung von Bach-Bildnissen. Ein Teil wird seit 2007 in der Dauerausstellung des Hauses gezeigt. Das neue Bach-Bild wird voraussichtlich ab dem 1. Mai 2014 in die Eisenacher Ausstellung eingefügt. Bereits zuvor präsentiert das Bachhaus das neuerworbene Bach-Gemälde in der am 13. März 2014 beginnenden sechswöchigen Sonderausstellung „Echt Bach!“ im Berliner Dom.

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