Die Goethe-Medaille 2018 geht an die kolumbianischen Theatermacher Heidi und Rolf Abderhalden vom Kollektiv Mapa Teatro, die schweizerisch-brasilianische Fotografin und Menschenrechtlerin Claudia Andujar und den ungarischen Komponisten und Dirigenten Péter Eötvös. Das Goethe-Institut verleiht das offizielle Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr an Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise für den internationalen Kulturaustausch eingesetzt haben. Am 28. August 2018 übergibt Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, die Auszeichnung im Residenzschloss Weimar. Die Laudationes werden gehalten von dem Theaterautor und Essayisten Deniz Utlu, dem Anthropologen und Aktivisten Stephen Corry und dem Schriftsteller und Dramatiker Albert Ostermaier.
In diesem Jahr widmet sich die Goethe-Medaille 2018 dem Motto "Leben nach der Katastrophe“. Mit Heidi und Rolf Abderhalden von Mapa Teatro, Claudia Andujar und Péter Eötvös werden vier Persönlichkeiten ausgezeichnet, die beispielhaft für einen heilenden Umgang mit Brüchen und existenzbedrohenden Zäsuren im persönlichen wie gesellschaftlichen Leben stehen. Sie alle haben sich für einen gemeinsamen Neubeginn nach der "Katastrophe“ eingesetzt – sei es nach dem Krieg, nach politischen Zusammenbrüchen oder Umweltzerstörungen: Die sozialdokumentarischen Stücke des Theaterkollektivs Mapa Teatro widmen sich auf radikale Weise mit experimentellen performativen Mitteln Verflechtungen von Politik, Gesellschaft, Gewalt und Revolution in der kolumbianischen Gesellschaft. Dabei behandeln sie die Auflösung eines ganzen Stadtviertels in Bogotá ebenso wie die Folgen der Gewalt im kolumbianischen Bürgerkrieg. Die schweizerisch-brasilianische Fotografin Claudia Andujar engagiert sich seit den 1970er Jahren für die indigene Völkergruppe der Yanomami im Amazonas – ohne ihren unermüdlichen Einsatz, nicht nur mit der Kamera, wäre deren Lebensraum im Amazonasgebiet vielleicht bis heute nicht zum Schutzraum erklärt worden. Der ungarische Komponist und Dirigent Péter Eötvös hat mit seinen kompositorischen Stücken und der Interpretation von Werken anderer zeitgenössischer Kollegen während des Kalten Krieges ebenso wie nach dem Fall der Mauer eine gemeinsame europäische Musikkultur vorangetrieben und prägt sie bis heute.
Mapa Teatro
Das kolumbianische Theaterkollektiv Mapa Teatro um die Geschwister Heidi und Rolf Abderhalden ist seit seiner Gründung im Jahr 1984 einzigartig in seiner Form. Dem "experimentellen Labor“ gehören bildende so wie darstellende Musik- und Videokünstler an, die mit innovativen Stücken weltweit auf Theaterfestivals zu sehen sind. Dabei widmet sich das Kollektiv in seinen sozialdokumentarischen Projekten gleichermaßen regionalen wie globalen Themen und untersucht radikal und multimedial die Verflechtungen von Politik, Gesellschaft, Festkultur, Gewalt und Revolution in der kolumbianischen Gesellschaft. Damit leistet Mapa Teatro einen wichtigen Beitrag nicht nur zum zeitgenössischen kolumbianischen Theater, sondern auch zu den Aussöhnungsprozessen des Landes. Seit der Gründung spiegeln seine Stücke immer auch die Situation Kolumbiens und des Subkontinents wider. In "Testigo de las Ruinas“ (2005) behandeln sie die Räumung und Auflösung eines Stadtviertels. In "Die Unerzählten – Eine Anatomie der Gewalt in Kolumbien“ ("Los Incontados”, 2014) betrachten sie verschiedene Parteien des Bürgerkrieges und ihren Umgang mit Gewalt. Auch ihre Spielstätten – allen voran das republikanische Gebäude, das das Kollektiv beheimatet und das es mit ihrem Bezug in den Achtzigerjahren vor dem sicheren Verfall gerettet hat – zeugen davon. Der über 50-jährige bewaffnete Konflikt in dem Land, Gewalt, Vertreibung und ungeklärte Schuldfragen erfordern aus Sicht des Kollektivs eine beständige Auseinandersetzung. Mapa Teatro tut dies mit mutigen und neuen Formaten.
Claudia Andujar
Claudia Andujar zählt zu den bedeutendsten Vertreterinnen der künstlerisch-dokumentarischen Fotografie Südamerikas. Nach ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten entschied sie sich für eine Karriere als Fotojournalistin, mit der sie sich am Kampf gegen Diktatur und Gewalt in ihrer neuen Heimat beteiligt. Im Rahmen ihres Engagements zum Schutz der Yanomami, Brasiliens größtem indigenen Volk, sind seit den 1970er Jahren über 60.000 Fotografien entstanden. Ihre eindrucksvollen Bildserien sind dabei künstlerisch und politisch zugleich – sie schaffen ein Panorama Brasiliens, das sich zwischen Stadt und Natur bewegt. Den größten Einfluss auf ihr Leben und ihr künstlerisches Schaffen hat ihre Begegnung mit den Yanomami, deren Existenz von der durch wirtschaftliche Interessen getriebenen Zerstörung ihres Lebensraums bedroht ist. 1971 reist sie im Rahmen eines Fotoauftrags des Magazins "Realidade“ erstmals in das brasilianische Amazonasgebiet und ist fasziniert von der Lebensweise der Yanomami. Mehr und mehr kehrt sie dem Fotojournalismus den Rücken zu, um sich fortan ihrem Lebensprojekt zu widmen: dem Schutz der Yanomami. Von 1971 bis 1978 lebt sie mit ihnen im Amazonas, bis die Militärregierung sie vertreibt. Daraufhin gründet sie mit dem Missionar Carlo Zacquini, dem Anthropologen Bruce Albert und anderen Aktivisten die "Comissão Pró-Yanomami“ – eine NGO, die sich für die Errichtung eines Parks zum Schutze der Yanomami und der dazugehörigen Natur stark macht. Nicht zuletzt durch dieses Engagement wird dieser Lebensraum im Amazonasgebiet 1992 zum Schutzraum erklärt. Das Zusammenleben der Yanomami hat die Fotografin unter anderem in ihrer wichtigsten, in den 1980er Jahren entstandenen Serie "Marcados“ (zu Deutsch: Die Markierten) festgehalten. Die schwarz-weißen Portraits der Yanomami fertigt sie im Rahmen einer Impfkampagne an, um deren gesundheitliche Situation zu verbessern. Als Künstlerin und Aktivistin ist sie mit 87 Jahren bis heute eine wichtige Stimme in Südamerika – nicht zuletzt, weil die Verhältnisse in Brasilien sie nicht zur Ruhe kommen lassen.
Péter Eötvös
Für den ungarischen Komponisten und Dirigenten Péter Eötvös ist Musik eine intensive Kommunikation zwischen Komponist, Interpret und Publikum. 1944 in Transsilvanien geboren – für ihn ein Sehnsuchtsort, der seine Kompositionen geprägt hat – , hat er früh den Kontakt zu zeitgenössischen europäischen Musikkulturen gesucht. In den 1960er Jahren fand er den Anschluss an die Kölner Musik-Avantgarde und leitete 1978 auf Einladung von Pierre Boulez das Eröffnungskonzert des Institute de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (IRCAM) in Paris. Péter Eötvös zählt zu den erfolgreichsten Opernkomponisten unserer Zeit – seine außergewöhnlichen Klangkompositionen stellen unablässig existentielle Fragen, für die der Komponist musikalisch eindringliche, oft überwältigende Antworten erfindet. Mit dem 1991 gegründeten "Internationalen Péter Eötvös Institut für junge Dirigenten und Komponisten“ schafft er eine Plattform, um erworbenes Wissen und gelebte Erfahrung an die nächste Generation weiterzugeben. Von 1992 an lehrt Péter Eötvös an der Musikhochschule in Karlsruhe, übernimmt 1998 eine Professur an der Kölner Musikhochschule, um 2002 für fünf weitere Jahre nach Karlsruhe zurückzukehren. Seit den 1990er Jahren widmet Péter Eötvös sich verstärkt der Komposition von Konzertwerken und Opern. Seinen Durchbruch erzielt er 1998 mit der an der Opéra de Lyon uraufgeführten Oper "Trois soeurs“ nach Anton Tschechows Schauspiel "Drei Schwestern“, einem sensationellen Erfolg. Fortan teilt er seine Zeit zwischen dem Dasein als Dirigent und als Komponist auf und widmet sich dabei auch politischen Themen wie in dem Musiktheater "Der Goldene Drache“, welches sich mit Globalisierung und Migrationspolitik befasst und 2014 als Auftragskomposition für das Ensemble Modern an der Oper Frankfurt uraufgeführt wurde.
In diesem Jahr werden die Laudationes für die Preisträger der Goethe-Medaille 2018 von dem Theaterautor und Essayisten Deniz Utlu (Heidi und Rolf Abderhalden, Mapa Teatro), dem britischen Anthropologen und Aktivisten Stephen Corry (Claudia Andujar) und dem Schriftsteller und Dramatiker Albert Ostermaier (Péter Eötvös) gehalten. Gemeinsam mit dem Kunstfest Weimar veranstaltet das Goethe-Institut am 26. August (15 Uhr) ein Gespräch mit Claudia Andujar, dem Sprecher der Yanomami-Indigenen Davi Kopenawa Yanomami und dem Anthropologen Stephen Corry. Am 27. August (19 Uhr) findet ebenfalls im Rahmen des Kunstfests Weimar ein Gespräch mit den Geschwistern Heidi und Rolf Abderhalden von Mapa Teatro mit der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun unter dem Titel "Laboratorium der Künste“ statt.