Ein Experiment wagte das Theater und Philharmonische Orchester am Samstag mit dem Versuch, erstmals eine Musiktheatervorstellung live akustisch zu beschreiben und damit für Blinde und Sehbehinderte zugänglich zu machen. Das Experiment darf als gelungen betrachtet werden – jedenfalls nach Auskunft der beigeisterten über 100 Blinden und Ihrer Angehörigen, die eigens für die Vorstellung aus ganz Deutschland angereist waren.

Da die Beschreibungen der Aktion auf der Bühne, der Bühnenbilder und Kostüme live und zeitlich genau abgestimmt in den musikalischen und den Dialogpausen der Aufführung stattfinden müssen, ist eine Oper oder Operette eine besondere Herausforderung – denn diese Pausen sind besonders kurz, und das Geschehen mit fast 100 Mitwirkenden vor, auf und hinter der Bühne besonders aufwändig. Weil die Operette als Gattung mehr Freiraum bietet, als die durchkomponierte Oper, war es Paul Lickes „Frau Luna“, die die besonderen Gäste in der ansonsten im Repertoire verkauften Vorstellung erfreuten. Die anderen Zuschauer konnten sich mit Hilfe von Spezialbrillen einen Eindruck von einer weitgehenden Sehbehinderung machen.

Herz der Unternehmung ist die Filmbeschreiberin Anke Nicolai, die sich, angespornt durch ihre berufliche Tätigkeit, vorgenommen hat auch Theater für Blinde und Sehbehinderte zugänglich zu machen. Seitdem arbeiten sie und ihr Team mit unermüdlichen Enthusiasmus an dieser Aufgabe, die nur möglich ist durch Sonderfinanzierungen aus Stiftungen, von Sponsoren und durch Blindenverbände. In Heidelberg beteiligte sich darüber hinaus das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst.

Intendant Peter Spuhler wurde auf diese besondere Initiative durch seinen Intendantenkollegen Holger Schultze in Osnabrück aufmerksam und konnte dort erleben, wie eine Vorstellung von „Faust“ live beschrieben wurde. Nach dem anschließenden Gespräch mit den Zuschauern war ihm klar, dass er dies auch in Heidelberg versuchen wolle – allerdings mit der besonderen Herausforderung, Musiktheater zugänglich zu machen. Auch Theater in Kiel und Konstanz lassen Schauspielaufführungen beschreiben. Doch es können noch mehr werden – vorausgesetzt, dass entsprechende Mittel dauerhaft bereitgestellt werden. Denn derzeit erfolgt die meiste Arbeit ehrenamtlich.

In Heidelberg traf es sich besonders günstig, dass die Heidelberger Tourismus GmbH ein deutschlandweit beispielhaftes Touristenprogramm für blinde Gäste anbietet. So reisten viele von Ihnen bereits am Vortag an, um den ganzen Samstag und Teile des Sonntags an Stadtführungen und „Besichtigungen“, einem Orgelkonzert oder einer Weinprobe teilzunehmen. Im Theater selbst gab es eine Bühnenführung und die Vorstellung der Kostüme und Masken durch die entsprechenden Abteilungen der Städtischen Bühne.

Nach Ende der ausverkauften und bejubelten Vorstellung wurde noch im Foyer der Städtischen Bühne weiterdiskutiert, gefragt und gelobt – ein reger Austausch zwischen Darstellern, Blinden, ihren Begleitern, dem Team um Anke Nicolai, Intendant Peter Spuhler und Operndirektor Bernd Feuchtner. Nach dem Gespräch war klar – das Experiment soll fortgesetzt werden. Diesmal mit einer Oper.

Und noch während der Vorstellung entschloss sich der Freundeskreis des Theaters und Philharmonischen Orchesters, spätestens für das sanierte Heidelberger Theater die Grundeinrichtung für die Audiodeskription zur Dauereinrichtung zu machen. Gleich am morgigen Montag wird ein Konto bei der Heidelberg H&G-Bank eingerichtet, Kennwort „Theater für Blinde“. Die blinden Gäste erklärten gleich, diese Aktion zu unterstützten.