Als letzter der großen Komponisten des 19. Jahrhunderts hatte Felix Mendelssohn Bartholdy – aufgrund der sehr verwickelten und schwierigen Überlieferungsgeschichte seiner Werke – noch kein wissenschaftliches Werkverzeichnis. Im Rahmen der historisch-kritischen Mendelssohn-Gesamtausgabe an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig erscheint am 26. August 2009, nach mehr als fünfzehnjährigen Vorarbeiten und weltweiten Recherchen das von Ralf Wehner erarbeitete und vom Verlag Breitkopf & Härtel verlegerisch betreute erste vollständige thematische Mendelssohn-Werkverzeichnis (MWV). Im Gegensatz zum bestehenden Verzeichnis von 1882, das lediglich 350 Werke umfasst, listet das MWV etwa 750 Kompositionen auf, die weltweit in mehr als 2500 handschriftlichen Quellen überliefert sind.

Es ist die von Musikforschung und Praxis lang erwartete erste wissenschaftliche Publikation überhaupt, die eine mit Notenbeispielen (Incipits) versehene Gesamtschau des gedruckten und ungedruckten Schaffens samt einer Auflistung des Quellenbestandes vorlegt. Zum Vorschein kommt dabei ein überraschend neuer Blick auf den vermeintlich so bekannten Felix Mendelssohn Bartholdy.

Die Erarbeitung des Werkverzeichnisses geriet zu einem wissenschaftlichen Mammut-Projekt:
So wurden von Ralf Wehner beispielsweise

- weltweit 1500 Bibliotheken angeschrieben
- ca. 15.000 historische Auktions- und Antiquariatskataloge durchgesehen sowie der internationale Autographenmarkt verfolgt
- über 750 Werke systematisiert und die dazugehörigen ca. 2500 Quellen von Melbourne bis Tokio, von Oxford bis Los Angeles ermittelt und mehrfach geprüft
- zahlreiche Datierungen vorgenommen
- untergeschobene Werke ermittelt und Albumblätter mit unbekannten Notaten identifiziert
- Erstdrucke gesucht, die bei Mendelssohn in vier Ländern gleichzeitig erscheinen konnten und heute bisweilen so selten sind wie Mendelssohns Handschriften selbst.

Wertvolle Impulse gaben auch die Inhalte von ca. 12.000 Briefdokumenten der Korrespondenz, sowie die Durchsicht von Notiz- und Haushaltbüchern oder Erinnerungen von Zeitgenossen. Darüber hinaus waren rein mechanische, ebenfalls zeitraubende Arbeiten zu leisten, zum Beispiel mussten zweieinhalbtausend Incipits geschrieben und kontrolliert oder die Taktzahlen aller Sätze sämtlicher Werke ermittelt werden.

Ein gewisser Teil der Werke Mendelssohns blieb nach wie vor unveröffentlicht, etliche Kompositionen sind bislang nur dem engsten Spezialistenkreis bekannt, eine erhebliche Zahl von Handschriften schließlich wird im MWV zum ersten Male dokumentiert. Neben dem Auffinden und der reinen Katalogisierung der weit verstreuten Quellen bestand eine besondere Herausforderung in einer sinnvollen An- und Zuordnung der Stücke. Wie sich bald herausstellte, war ein Großteil jener Informationen über Datierungen, Kopisten, Fassungen, Erstdrucke oder Textdichter, die für ein Werkverzeichnis relevant sind, vorher nicht vorhanden. Diese Fragen mussten systematisch und von Grund auf erforscht und beantwortet werden. Bei einem Großteil der annähernd fünfzigtausend Detailinformationen, die das MWV in sich trägt, handelt es sich daher um wichtige Resultate gezielter Forschungen und erstmals veröffentlichte Erkenntnisse, die nicht nur Fragen zum bisher bekannten und unbekannten Werkbestand beantworten helfen, sondern darüber hinaus genügend Potential für eine deutliche Neubewertung des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy besitzen. Neben dem eigentlichen Hauptverzeichnis ermöglicht ein Anhang weitreichende Einblicke in Mendelssohns vielseitige Beschäftigung mit Musik anderer Autoren, zu denen nicht nur Bach, Beethoven, Händel und Mozart zählen, sondern auch viele heute weniger bekannte Komponisten.