Felix Mendelssohn, dessen 200. Geburtstag 2009 begangen wird, gilt allgemein als der Wiederentdecker der Bachschen Musik. Im Jahr 1829, mit nur 21 Jahren, führte er erstmals seit Bachs Tod dessen Matthäuspassion in der Berliner Singakademie wieder auf und rückte damit Bachs bis dahin fast vergessene, nur in Liebhaber-Zirkeln gepflegte Musik in das Zentrum eines neuen, nationalen Musikinteresses.

100 Jahre später sollte sich das Bild vollständig gewandelt haben. Während 1935, zu Ehren von Bachs 250. Geburtstag, Joseph Goebbels eine gigantische Ausstellung in Berlin eröffnet, lauscht Hitler bei dem von der Neuen Bachgesellschaft zusammen mit der Stadt Leipzig veranstalteten „Reichs-Bachfest“ in der Ehrenloge des einst von Mendelssohn geleiteten Gewandhauses den Klängen der Bachschen Violin- und Cembalokonzerte. Eine Zeitung berichtet: „Ernst, in einer charakteristischen Haltung, oft leicht vornübergebeugt, die Hand aufs Knie gestützt, folgt der Führer der strengen Musik Bachs. Es ist eine Musik, die seinem Geiste entspricht, die streng, zuchtvoll bis ins Letzte und durch und durch deutsch ist.“

Tatsächlich galt nunmehr Bach der rassekundlich beeinflußten Musikforschung des „Dritten Reiches“ – weit mehr als Richard Wagner – als der Urtyp des deutschen Musikers. „Die Fuge ist blond und blauäugig“, heißt es in Richard Eichenauers Werk „Musik und Rasse“, der Bachforscher Rudolf Steglich schreibt: „Es gilt, die Kräfte zu erfassen, die das eigentliche innere Leben der Klänge sind: die Kräfte der Geschichte und der Persönlichkeit, die machtvolle Einheit von Blut undGeist, welche Männer wie Johann Sebastian Bach zu höchsten Werten ihres Volkes machen und damit zu höchsten Werten menschlicher Kultur überhaupt.“ Bachs Musik wurde umgedichtet zu Liedern der Hitler-Jugend (der 1937 der Leipziger Thomanerchor geschlossen beitrat), seine Trauerode zu einer Weihemusik auf die Gefallenen des Ersten Weltkriegs („wie starb die Jugend so getrost...“, „...versank im Blute groß ein Held, wird Volk und Land in Blüte stehn“), ebenso sein Magnificat („An dir du Jugend auserlesen, an dir geweihte Männerschar, wird uns im Segen offenbar, unsterblich wahr das deutsche Wesen“), um die Beseitigung „jüdischer“ Begriffe in seinen Kantaten und Motetten kümmerte sich die in Geobbels Propagandaministerium angesiedelte „Reichsstelle für Musikbearbeitungen“.

Mendelssohns Musik galt der Musikforschung dagegen nunmehr als gefährlicher „Zwischenfall“ der Musikgeschichte, der zur „Verweichlichung“ der deutschen Musik im 19. Jahrhundert entscheidend beigetragen hätte. Lapidar heißt es in der weit verbreiteten „Geschichte der deutschen Musik“ von Joseph Müller-Blattau über Mendelssohn, es sei „nicht die Aufgabe einer deutschen Musikgeschichte, sich mit ihm und seinen Ouvertüren, Sinfonien und Oratorien, seinen Liedern und seiner Klaviermusik zu befassen“. Das 1892 vor dem Leipziger Gewandhaus aufgestellte Mendelssohn-Denkmal wurde 1936 über Nacht enfernt, erst 2008 wurde eine Kopie an anderem Ort wieder aufgerichtet. Mendelssohns im Bürgertum völlig etablierte Musik aus der Praxis zu entfernen, war freilich schwieriger. Männerchören wurde ab 1935 das Singen von Mendelssohns Liedern wie „Wer hat dich, du schöner Wald“ bei NSDAP-Veranstaltungen verboten. Mendelssohns „Sommernachtstraum“, mit seinem berühmten Hochzeitsmarsch Standardrepertoire deutscher Musiktheater, galt nun als „mit den unumstößlich und kompromißlos gültigen Gesetzen vom Primat der Rasse und des Blutes nicht mehr zu verantworten“ und „für eine völkische Kulturbewegung untragbar". Nicht weniger als 31 Komponisten, darunter Carl Orff, suchten mit meistenteils wenig überzeugenden Neukompositionen des Shakespearschen Sommernachtstraums der nationalsozialistischen Musikpflege aus der Klemme zu helfen.

Die am 01. Mai 2009 eröffnete Sonderausstellung des Bachhauses Eisenach zeichnet aus Anlass des 200. Geburtstages von Felix Mendelssohn Bartholdy anhand von Originaldokumenten den Umgang mit beiden Musikern im „Dritten Reich“ nach.

„Blut und Geist“
Vereinnahmung, Mißbrauch, Ausmerzung: Bach, Mendelssohn und ihre Musik im „Dritten Reich“
Sonderausstellung im Bachhaus Eisenach vom 01. Mai 2009 – 8.11.2009
Bachhaus Eisenach, Frauenplan 21, 99817 Eisenach
www.bachhaus.de

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