Überraschendes bei der Jahresumfrage der Zeitschrift „Opernwelt“. Eine unabhängige Jury aus fünfzig Musikkritikern wählte erstmals zwei „Opernhäuser des Jahres“. Gewürdigt wurde damit zum einen die dreizehnjährige Intendanz von Klaus Pierwoß in Bremen. Mit Geduld, Leidenschaft, Leidensbereitschaft und Durchsetzungsvermögen sorgte Pierwoß für Oper auf der Höhe der Zeit – gegen massive Widerstände aus der Politik. Das zweite „Opernhaus des Jahres“ steht in Berlin: Die Komische Oper wurde unter der Leitung von Andreas Homoki zur hippen Adresse für ein frisches Publikum. Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, der das Haus nach fünf Jahren verlässt, wurde zum „Dirigenten des Jahres“ gewählt. Das Votum gilt seiner Aufbauarbeit mit dem Orchester der Komischen Oper und insbesondere den Dirigaten von „Der Rosenkavalier“ und „Das Land des Lächelns“. Der musikalisch wie szenisch überaus flexible Chor des Hauses kann sich mit der Trophäe „Chor des Jahres“ schmücken.

Berlin sorgt allerdings auch für das „Ärgernis des Jahres“. Die Deutsche Oper unter der Leitung von Kirsten Harms erhielt die meisten Negativstimmen. Verantwortlich dafür sind neben der Affäre um die voreilig vom Spielplan genommene „Idomeneo“-Inszenierung von Hans Neuenfels auch die künstlerischen Ergebnisse der Spielzeit 2006/2007. Als symptomatisch werteten die befragten Kritiker eine Neuproduktion des „Freischütz“, deren Misserfolg Renato Palumbo, dem Generalmusikdirektor und Alexander von Pfeil, dem Chefregisseur der Deutschen Oper angelastet wird. Die Situation der Berliner Opernhäuser, in den vergangenen Jahren mehrfach Gegenstand der „Opernwelt“-Umfrage, erfährt damit eine überraschend klare Akzentuierung.

Der junge lettische Dirigent Andris Nelsons, der als GMD für die Deutschen Oper Berlin im Gespräch ist, wurde zum „Nachwuchskünstler des Jahres“ gewählt. „Sängerin des Jahres“ ist die Sopranistin Christine Schäfer und zwar für ihre Gestaltung des Cherubino in Mozarts „Le nozze di Figaro“ bei den Salzburger Festspielen. Schäfer war im „Opernwelt“-Jahrbuch 1996 zur „Nachwuchskünstlerin“ gewählt worden: für ihre Lulu, ebenfalls in Salzburg. Das aktuelle Votum bestätigt eine eindrucksvolle künstlerische Entwicklung, die ohne Rückendeckung eines CD-Exklusivvertrages zustande kam. Umgekehrt: Anna Netrebko, Schäfers Partnerin im Salzburger „Figaro“ spielt in der Kritikerumfrage 2007 keine Rolle.

Auch der „Regisseur des Jahres“ gehört zur jungen Generation: der Norweger Stefan Herheim wurde insbesondere für seine Deutung von Mozarts „Don Giovanni“ in Essen ausgezeichnet. Die „Aufführung des Jahres“ fand bei den Wiener Festwochen statt und wandert weiter, u.a. nach Amsterdam und an die Metropolitan Opera in New York: Leos Janaceks „Aus einem Totenhaus», inszeniert von Patrice Chéreau, dirigiert von Pierre Boulez. Gewürdigt wird damit die dritte und voraussichtlich letzte Zusammenarbeit des französischen Duos (nach „Der Ring des Nibelungen“, Bayreuth 1976, und „Lulu“, Paris 1979).

Für die „Uraufführung des Jahres“ sorgte die Bayerische Staatsoper: „Alice in Wonderland“ der koreanischen Komponistin Unsuk Chin erhielt die meisten Voten. Dirigent war Münchens GMD Kent Nagano, der seine Gedanken zu der neuen Oper exklusiv für das „Opernwelt“-Jahrbuch aufgeschrieben hat. Für die „Wiederentdeckung des Jahres“ sorgten die Schwetzinger Festspiele: Giovanni Legrenzis „Il Giustino“ aus dem Jahr 1683, dirigiert von Thomas Hengelbrock.

Auch die Kategorie „Orchester des Jahres“ sorgt für eine Überraschung: Das Freiburger Barockorchester erhielt die meisten Stimmen und verwies damit arrivierte Klangkörper wie die Staatskapelle Berlin oder die Berliner Philharmoniker auf ihre Plätze.

„CD des Jahres“ ist Wagners „Ring des Nibelungen“ als Mitschnitt von den Bayreuther Festspielen 1955 unter der Leitung von Joseph Keilberth. Die Stereo-Aufnahmen mit Bayreuther Größen wie Astrid Varnay, Wolfgang Windgassen und Josef Greindl lagen mehr als fünfzig Jahre im Archiv der Firma Decca und wurden nun beim Label Testament veröffentlicht. Das „Buch des Jahres“ stammt von dem kürzlich verstorbenen Musikkritiker und -schriftsteller Ulrich Schreiber: mit dem fünften und letzten Band seiner „Geschichte des Musiktheaters“ konnte er sein Lebenwerk krönen (Bärenreiter Verlag).

Das Jahrbuch der Zeitschrift „Opernwelt“ kostet 19,90 Euro und ist ab sofort im Handel erhältlich. Es umfasst 160 Seiten und enthält ausführliche Beiträge zu den Ergebnissen der Kritikerumfrage sowie Essays zum Opernschaffen Felix Mendelssohn Bartholdys und zum Spätwerk Gioacchino Rossinis.

Absätze